Interventionen

Eine Buchvorstellung

Andreas Mertin

Josef Meyer zu Schlochtern (2007): Interventionen. Autonome Gegenwartskunst in sakralen Räumen. Paderborn: Schöningh (IKON Bild + Theologie).

Josef Meyer zu Schlochtern gehört zu den ganz beharrlichen und konsequenten Vertretern der Begegnung von Kunst und Kirche. Die von ihm ermöglichten und kuratierten Ausstellungen in Paderborn, die in diesem Buch dokumentiert und erörtert werden, sind Beispiele dafür, wie die Begegnung beider Kulturbereiche aussehen könnte, wenn man sich mehr aufeinander einlassen würde. Josef Meyer zu Schlochtern ist Professor für Fundamentaltheologie, vergleichende Religionswissenschaft und Konfessionskunde an der Theologischen Fakultät Paderborn. Er ist darüber hinaus eine renomierter Kurator von Ausstellungen zeitgenössischer Kunst in religiösen Räumen.

Das hier unter dem Titel „Interventionen“ vorgelegte Buch zur „Autonomen Kunst in sakralen Räumen“ gliedert sich in zwei große Teile: zum einen eine theoretische Besinnung darüber, was Orte und Räume im religiösen Kontext bedeuten bzw. wie sie gedeutet werden können. Dazu geht er dem Erleben und Wahrnehmen von Räumen nach (19-30), bestimmt die Eigenart von Orten (31-40), und nähert sich den unterschiedlichen Lokalisierungen des Heiligen in den Religionen (41-48). Dazu wirft er einen genaueren Blick auf die heiligen Stätten des Judentums (49-52) und natürlich auf die heiligen Orte und heiligen Räume des Christentums (53-65). Abgeschlossen wird dieser erste Teil mit grundlegenden Reflexionen zu Installationen zeitgenössischer Kunst in sakralen Räumen (66-78). Als formale Struktur der Kunstinterventionen bezeichnet Josef Meyer zu Schlochtern die durch die kritische Distanz zu den inhaltlichen Ansprüchen eines christlichen Sakralraumes entstehende Differenz, die den Dialog oder auch die Konfrontation erst ermögliche: „Wenn es den Installationen gelingt, solche Spannungsverhältnisse aufzubauen, ermöglichen sie dem Betrachter, Wahrnehmungskonventionen zu durchbrechen, Bekanntes anders zu sehen und vielleicht neue ästhetische Einsichten zu gewinnen“ (70).

Genau diese Möglichkeiten dokumentiert Josef Meyer zu Schlochtern im zweiten großen Teil des Buches anhand von 12 künstlerischen Interventionen in den von ihm so genannten Sakralraum. Die Künstler, deren Arbeiten dabei dokumentiert werden, sind:

  • Dorothee von Windheim, 1994 in der Seitenkapelle der Universitäts- und Marktkirche Paderborn
  • Magdalena Jetelová, 1995 im Quellkeller der Kaiserpfalz und in der Theologischen Fakultät Paderborn
  • Franz Bernhard, 1995 in der Seitenkapelle der Universitäts- und Marktkirche Paderborn
  • Klaus Simon, 1996 in der Bartholomäuskapelle Paderborn
  • Felix Droese, 1997, Vorhof der Alexiuskapelle Paderborn
  • Thomas Virnich, 1998 in der Bartholomäuskapelle Paderborn
  • Norbert Radermacher, 1998 in der Dompropsteigasse Paderborn
  • Christina Kubisch, 1999 in der Bartholomäuskapelle Paderborn
  • Mario Reis, 2000 in der Universitäts- und Marktkirche Paderborn
  • Raffael Rheinsberg, 2001 in der Universitäts- und Marktkirche Paderborn
  • Kazuo Katase, 2002 in der Universitäts- und Marktkirche Paderborn
  • Bogomir Ecker, 2003 in der Universitäts- und Marktkirche Paderborn

Für jeden, der im Bereich von Kunst und Kirche arbeitet, sind das vertraute und wichtige Positionen. Insofern ist dieses Buch auch ein Lehrbuch für all jene, die selbst sich auf das Feld der Begegnung von Kunst und Kirche begeben wollen. Josef Meyer zu Schlochtern setzt hier Standards, die künftig nicht unterschritten werden sollten.

Besonders beeindruckt hat mich die Installation von Thomas Virnich, die auch auf dem Cover des Buches abgebildet ist. Es handelt sich um eine Altar-Skulptur aus Keramik, die zusammengesetzt 90x130x120 cm groß ist. Sie lässt sich aber, wie das Buch schön dokumentiert, auch zerlegen und als skulpturales Ensemble im Raum verteilen. Dieses Kunstwerk wirft aber auch die Fragen auf, die ich abschließend noch stellen möchte. Ich erinnere mich an ein Gespräch mit Johannes Rauchenberger, in dem dieser darauf verwies, wie selten wirkliche Interventionen in der katholischen Kirche im zentralen Bereich des Altars vorgenommen werden. Es ist, als ob exakt an dieser Stelle des dann wohl wirklichen Sakralraumes eine Schwelle gegenüber der bildenden Kunst aufgebaut wird. Die Frage wäre, ob es denkbar ist, die Skulptur von Thomas Virnich wirklich in den Vollzug der katholischen Messe einzubeziehen. Genau das ist ja etwa 1997 mit der Altar-Skulptur von Madeleine Dietz, 2002 mit dem Videokunstwerk von Bjørn Melhus und 2007 mit der Klangskulptur von Jay Schwarz in der Kasseler evangelischen Martinskirche geschehen – sicher nicht ohne Widerspruch und Auseinandersetzungen. Meine Frage ist also nach den wirklichen Herausforderungen, nach den erfahrenen Grenzen des Dialoges. Müssen wir als Kuratoren und Ausstellungsmacher im kirchlichen Bereich nicht sagen, ob es Grenzen gibt und wo sie liegen? Denn sonst könnte die Lektüre dieser wirklich beeindruckenden Dokumentation zum Eindruck führen, im Verhältnis von Kunst und Kirche wären die Dinge gar nicht so schlecht bestellt. Das Gegenteil ist der Fall. Nach 20 Jahren Aufbruch in der Zeit zwischen 1980 und 2000 sind wir im Augenblick wieder auf dem Wege eines massiven Rollback, bei dem verlangt wird, die Kunst habe sich der Kirche unterzuordnen. Josef Meyer zu Schlochterns Buch ist ein Zeichen dafür, einen anderen Weg zu gehen und der zeitgenössischen Kunst in der Kirche einen breiten Raum zu geben. Von mir aus könnte es sogar noch ein wenig mehr sein.

Artikelnachweis: https://www.theomag.de/56/am259.htm
© Andreas Mertin, 2008