Loss of Control

Die letzte Ausstellung von Jan Hoet im MARTa Herford

Jörg Mertin

Religion hat zu tun mit der Kontrolle von bösen Mächten, mit der Abwehr des Teuflischen. Sie verbietet den Mord und den Raub, sie schützt das soziale Gefüge vor der Gier. Religion organisiert das durch öffentliche Rituale wie durch innerpsychische Verbote. Religion wacht aber auch über der Einhaltung von Tabus, die sich im gesellschaftlich-historischen Prozess ändern. Was man vermeiden soll, was moralisch schlecht ist, wird historisch anders gesehen. So hat die bürgerliche Gesellschaft die Kontrollfunktion von Religion gegenüber der Welt des sexuellen Begehrens verschärft. Gleichzeitig kann Religion psychisch ein Container sein, der extreme, traumatische Erfahrungen auszuhalten, zu kontrollieren erlaubt.

Religion hat es mit zwei Seiten zu tun, einer sichtbaren und einer unsichtbaren.  Was nicht ans Licht kommen darf, ist gleichwohl existent. Religion kontrolliert den Verkehr und die Grenze, ein allerdings im Tiefsten unbewusster Vorgang.

In seiner letzten Ausstellung im MARTa Herford zeigt Jan Hoet die Kunst als Blick über die Grenze. Loss of Control nimmt auch inszenatorisch eine Position auf der Grenze ein, zumindest was die von ihr mitverfolgten Fragen nach Kunst und Außenseiter-Kunst, Kunst und Verrücktheit angeht. Nicht umsonst sieht man Jacques Charliers Bild Jan Hoets als Pfaffen, der in einer Comic-Sprechblase erklärt: "Die Kunst ist ganz leicht. Ich werde es euch erklären."

Blicke auf das Verheimlichte, Verbotene und das erotische Begehren des bürgerlichen 19. Jahrhunderts erhält man durch die ausgestellten Arbeiten von Felicien Rops, die aufgrund der mittlerweile eingetretenen Verschiebungen der Grenzen des Verbotes und dessen, was man sehen darf, heute eher historisch interessant wären, wenn sie nicht durch zeitgenössische kongeniale Arbeiten von Jacques Charlier und anderen (zum Beispiel Bjarne Melgaard und Louise Bourgeois) aktuell aufgeladen würden. Was jenseits der Grenze bleiben und gleichwohl sichtbar soll, hat meist den Aspekt des Absoluten, weswegen alterierte religiöse Symbolik sehr oft ein Bestandteil der aufgerufenen erotischen wie der psychiatrischen Bildwelten ist.

Marco den Breems entführt den Betrachter in seiner wilden, raumfüllenden Installation in der ersten Etage des Museums in eine andere Welt, nach Afrika, dahin, wo Religion nicht cartesianisches Ich-Phänomen, sondern magisch real ist. Es ist wirklich Religion und ich kann ein anderer sein.

Loss of Control zeigt Grenzgänge zur Kunst, und stellt unausgesprochen dar, was die organisierte Religion auch heute gerne verschweigt und was doch genuiner Bestandteil ihrer selbst ist.

Die Ausstellung im MARTa Herford ist noch bis zum 25. Januar 2009 zu sehen (Montags geschlossen). Katalog 32 Euro. Weitere Infos unter: www.marta-herford.de

Artikelnachweis: https://www.theomag.de/56/jm9.htm
© Jörg Mertin, 2008