Kitsch - Kopie - Nostalgie


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Wie Blinde über die Farbe

Tacheles’-Digest

Andreas Mertin

Tacheles ist ein Medienprodukt der evangelischen Kirche und greift regelmäßig aktuelle Themen auf. Die aktuelle Sendereihe handelt von den 10 Geboten. „Im lebhaften Disput über das Für und Wider der Gebote und die christliche Werteordnung wird sie jeweils einen Bischof oder Kirchenpräsidenten einladen, die weiteren Gäste kommen aus Wirtschaft und Kultur, Politik und öffentlichem Leben.“ Und in der Sendung, die ich gerade gesehen habe, sollte es um das zweite Gebot gehen. Versammelt waren auf dem Podium der katholische Theologe und Kunstphilosoph Friedhelm Mennekes, der evangelische Präses Nikolaus Schneider, die evangelische Bundesvorsitzende der Prüfstelle für jugendgefährdende Medien Elke Monssen-Engberding und der ehemals katholische Schriftsteller Günter Wallraff. Stattgefunden hat das Ganze in der ursprünglich reformierten Kirche in Wuppertal-Elberfeld, die freilich für die Podiumsdiskussion mit einem Bild ausgestattet wurde, weil man sich ja, wie die Moderatorin Ursula Ott vom Magazin Chrismon feststellte, im Fernsehen befinde.

Was fällt einem an Thema und Podium als allererstes auf? Wenn man die Ankündigung ernst nimmt und den religiös-konfessionellen Hintergrund der Podiumsteilnehmer berücksichtigt, dann müssten die Beteiligten über folgendes Gebot diskutieren: „Du sollst den Namen Gottes nicht missbrauchen“. Denn alle Versammelten sind oder waren entweder Katholiken oder Lutheraner, also Angehörige jener religiösen Strömungen, deren Zweites Gebot genau so lautet.

Darum ging es aber nicht, sondern es sollte um das so genannte Bilderverbot gehen. Aber warum dann Katholiken und Lutheraner auf dem Podium? Denn Lutheraner und Katholiken haben das Bilderverbot als zweites Gebot abgeschafft und halten sich in der religiösen Praxis auch nicht daran. Sie haben sich etwas anderes als zweites Gebot ausgesucht, meinen aber, Experten auch für das von ihnen abgeschaffte Gebot zu sein. Von den religiösen Gruppen, die das Bilderverbot achten und wahren, also Juden, Waldenser, Reformierte und Muslime war niemand geladen. Warum auch, das machen die Lutheraner doch mit Links. Die Reformierten wurden kurz thematisiert, was aber Präses Schneider dazu immerhin doch als Präses einer unierten (also Lutheraner und Reformierte umfassenden) Kirche von sich gab, war absolut unbefriedigend. So als ob das Bilderverbot nicht aus substantiellen theologischen Gründen, sondern nur deshalb befolgt worden sei, weil man sich dann besser auf das Wesentliche konzentrieren könne. Das ist möglicherweise ein stützendes pädagogisches Argument, betrifft aber nicht den Kern und den Sinn des zweiten Gebots. Wie ernst man das religiöse Anliegen der Reformierten nahm, konnte man ja schon daran erkennen, dass man den ursprünglichen Altarraum mit einem großformatigen, wenn auch abstrakten Bild ausstattete. Man muss also klar und deutlich sagen: Hier redeten Blinde über die Farbe. Keiner der Versammelten hält das Bilderverbot für den eigenen religiösen Kult auch nur für ansatzweise verbindlich und deutlich wurde, dass sie in der Sache auch gar nicht verstanden haben, worum es beim Bilderverbot geht. Zwar konzediert Mennekes, er persönlich halte es eher mit den Calvinisten und wolle in der Kirche auf religiöse Bilder, ja selbst auf das Kreuz als Bild verzichten, aber das leitet sich bei ihm eben aus der Kunstentwicklung der Moderne und nicht aus der fortdauernden Gültigkeit des Bilderverbots ab. Folgen hatte sein Bekenntnis für die Diskussion sowieso nicht. Präses Schneider meinte, man müsse auf die gute Macht der Bilder setzen, und deshalb sei auch die Kunst wichtig, da sie eine gute pädagogische Wirkung habe.

Ansonsten schwafelten die Diskutierenden über alles andere, nur nicht über die Gültigkeit und Bedeutung von Bildern im kultischen Kontext. Sie reden über Computerbilder und Kinder-Pornographie, Gewaltbilder und Fernsehen oder über das allgemeine Unbehagen an der katholischen Kirche. Irgendwann war es dann völlig egal, worüber man sprach, Hauptsache das Wort „Bild“ kam irgendwie im Sprachfluss vor. Nur das Wort Bildung, das ja irgendwie auch mit Bild zu tun hat, und das der Diskussion so Not getan hätte, kam nicht vor. Aber das war sicher kein Zufall. Mit dem biblischen Bilderverbot hatte die Veranstaltung nichts zu tun. Sie war ein perfekter Ausdruck dessen, was Adorno einmal „das durch die Maschinerie Vorverdaute“ nannte.

Dabei hätte es ganz anders sein können. Friedhelm Mennekes, den ich als einzigen Diskussionsteilnehmer angemessen fand, hätte ich mir im Gespräch etwa mit dem Moderator des Reformierten Bundes gewünscht oder in der Diskussion mit einem reformierten Theologen, der über das Bilderverbot als Kriterium theologischen Redens von Gott Auskunft gibt. Und dazu jemand aus der kunsthistorischen Gruppe, die seit gut 10 Jahren behauptet, dass durch das biblische Bilderverbot die Gewalt in die Welt gekommen sei, weil Bilderverbot immer kompromisslose Wahrheitsfrage bedeute. Das wäre eine gebildete Diskussionsrunde gewesen.

So aber war das Ganze überaus gespenstisch. Zu sagen hatte diese Sendung nichts. Das war ein Digest wertkonservativer Befindlichkeiten über mediale Bilderflut. Den Abschluss bildete die Frage der Moderatorin nach dem Wunschbild(!) für 2009. Klar, schließlich ging es ja auch um das Bilderverbot, da liegt die Frage nahe. Geantwortet haben sie alle brav. Da wollte der eine ein bisschen Frieden, der nächste molligere Models, die andere weniger Gewalt und der vierte ein Kunstwerk im muslimischen Raum. Von wegen Tacheles. „Die Redewendung Tacheles reden stammt aus dem Jiddischen und heißt so viel wie direkt die unverblümte Wahrheit sagen, jemandem ohne Zurückhaltung ungeschminkt die Meinung sagen, Klartext reden, ein heikles Thema ansprechen und offen und deutlich reden.“ Das wäre schön gewesen, aber mit Klartext hatte das ganze nichts zu tun.

Artikelnachweis: https://www.theomag.de/57/am275.htm
© Andreas Mertin, 2009