Bestimmungen der liturgischen Konferenz

Dresden 1856

1.
Die alte Sitte, dass die Kirchen sich von Westen gegen Osten strecken und das Altarende gegen Osten haben, darf bei Anlegung neuer Kirchen nicht übersehen werden, damit die alte Sitte nicht gestört werde, wonach der Geistliche und die Gemeinde sich beim Altargebete gegen Osten wenden, und wonach die Gemeinde Gottes Wort und Segen, wenn der Geistliche ihr Solches, vom Altar aus zu ihr gewendet gibt, von Osten her empfängt.

2.
Der Haupteingang in die Kirche ist durch den Thurm zu nehmen, dessen korrekteste Gestalt die nadelförmige ist und der an das Westende der Kirche gehört.

3. 
Der Raum, auf welchem der Altar liegt (der Chor der Kirche), muss über dem Schiffe, dem Räume für die Gemeinde, um etwas erhöht seyn, damit der Geistliche in seinen Verrichtungen am Altare vom Schiffe aus gesehen und gehört werden kann, und muss so geräumig seyn, dass er für Communionen, Confirmationen, Copulationen den nöthigen Raum ohne störende Beengung darbietet.

4.
Der Altar selbst muss wieder um ein Weniges höher als der Chor liegen, so dass der Geistliche um etwas höher steht als die vor den Altar tretenden Copulanten, Communikanten u.s.w. Doch darf die Einrichtung nicht so seyn, dass der Geistliche erst Stufen herabsteigen muss, um z. B. den Communikanten das Abendmahl zu reichen.

5.
Nicht der Chor, aber der Altar, und zwar der Raum vor demselben, in welchem der Geistliche steht muss Schranken haben, an welche die Communikanten u.s.w. treten. Diese Schranken, welche nicht schwerfällig aussehen dürfen, müssen nach der Aussenseite zu mit der nöthigen Vorrichtung versehen seyn, dass die zu demselben tretenden Communikanten u.s.w. knieen können.

6.
Auf den Altar gehören Decke, Pult, Lichter, Bibel, Agende und die Abendmahlsgefässe. Man hat dafür zu sorgen, dass jede Kirche die letzteren vollständig (Oblatendose, Patene, Kelch und Weinkanne) und in würdiger Form habe.

7. 
Die östliche Seite des Altars ist mit einem Kreuz oder einem Krucifix oder einem Altargemälde zu zieren. Aber zum Gegenstande des letzteren eignet sich nicht jeder Moment der heiligen Geschichte; es sollte stets nur eine der grossen Hauptthatsachen des Heils darstellen.

8.
Der Altar muss frei liegen, so dass man um denselben herumgehen kann.

9.
Die Kirche bedarf einer Sakristei, nicht als Einbau, sondern als Anbau neben dem Chor, geräumig, hell, trocken, heizbar, von angemessener Anlage und Ausstattung.

10.
Beichtstühle sind zur Seite des Altars im Chor anzulegen. Für die Gemeinde bestimmtes Gestühle sollte im Chor nicht angebracht seyn.

11.
Emporen, wo sie unvermeidlich sind, müssen so angebracht werden, dass sie den freien Überblick der Kirche nicht stören; auf keinen Fall dürfen sie sich in den Chor hineinziehen.

12.
Völlig falsch ist es und geradezu widersinnig, die Kanzel über dem Altar anzubringen; sie gehört an eine Seite der Kirche, und zwar der Regel nach an diejenige Stelle, wo Chor und Schiff zusammenstossen.

13.
Die Sitze der Gemeinde im Schiffe sind möglichst so anzubringen, dass die dort Sitzenden den Blick nach dem Altar und der Kanzel gerichtet und frei haben. Wenn die Kanzel richtig angebracht ist, wird dies wenigstens in allen nicht allzu grossen Kirchen zu erreichen seyn.

14.
Die Sitze der Gemeinde sind so einzurichten, dass die Fußschemel zugleich als Knieschemel gebraucht werden können.

15.
Der Zugang vom Schiffe nach dem Chore muss offen und geräumig, nicht durch Sitze versperrt seyn.

16.
Die Orgel, auf welcher der Vorsänger mit dem Chore seinen Platz haben muss, hat ihren natürlichen Ort dem Altare gegenüber am Westende der Kirche.

17.
In jeder Kirche muss ein Taufapparat und nicht etwa bloss ein portativer, sondern ein Taufstein seyn. Seine Stelle findet derselbe am richtigsten am westlichen Haupteingange der Kirche in einer Vorhalle. Steht dies nicht zu erreichen, so ist die richtigste Stelle für denselben da, wo man aus dem Schiffe in den Chor tritt, vor dem Altar, aber dem Schiffe näher als dem Altare.

18.
Glocken sind ein nothwendiges Requisit unserer Kirchen.

19.
Aller Verwendung der Kirchen und ihrer Glocken zu anderem als gottesdienstlichem Gebrauche sollte man wehren, soweit nicht die Noth anders gebietet.

20.
Die Forderung architektonischer Würde des Kirchengebäudes wird einerseits nur durch einen oblongen oder in's lateinische Kreuz gestellten Grundriss, nicht aber durch die Formen der Rotunde und des Vielecks, andererseits nur in unvermischter Durchführung eines und desselben historischen Baustyls an der einzelnen Kirche, sey es Neu- oder Umbau oder blosse Erneuerung des Alten, befriedigt. Bei Kirchen grösserer Stadtgemeinden ist die christliche Symbolik, besonders der Dreizahl in Anwendung zu bringen, überall aber darauf hinzuwirken, dass nicht nur die Ornamentik des Bauwerkes, sondern auch die kirchlichen Geräthe, Gefässe u. dergl. dem Charakter des gewählten Kirchenbaustyls entsprechen.

Artikelnachweis: https://www.theomag.de/58/prog01.htm
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