Kirchenbau Regulativ |
DER EVANGELISCHE KIRCHENRAUMWolfenbütteler Empfehlungen an die Gemeinden 19911. EinleitungDer Arbeitsausschuß des Evangelischen Kirchbautages hat im Anschluß an den 20. Evangelischen Kirchbautag 1989 in Wolfenbüttel neue Grundsätze zur Gestaltung des gottesdienstlichen Raumes der evangelischen Kirchen (Wolfenbütteler Empfehlungen) herausgegeben. Er knüpft damit an eine Reihe von Kirchbauprogrammen an, deren erstes das Eisenacher Regulativ (1861) und deren letztes die Rummelsberger Grundsätze (1951) waren. Die Rummelsberger Grundsätze für die Gestaltung des gottesdienstlichen Raumes der evangelischen Kirchen waren im Blick auf die Zeit der großen Kirchbautätigkeit nach Beendigung des Zweiten Weltkrieges verfaßt worden. Damals gab es einen außerordentlichen Bedarf an Ersatzbauten für zerstörte Kirchen. Aber auch durch die Umschichtung der Bevölkerung und das Anwachsen der Städte waren viele Kirchenneubauten notwendig geworden. Heute besteht nur in besonderen Fällen Bedarf nach einem Kirchenneubau. Die Aufgabe liegt vor allem darin, die vorhandenen Kirchenräume in der ihnen angemessenen Form für das sich wandelnde Gottesdienstverständnis der Gemeinden einzurichten. Dabei sind folgende Gesichtspunkte zu prüfen:
2. Der GottesdienstraumDer gottesdienstliche Raum ist ein gestalteter Raum, der deutlich zu erkennen gibt, was in ihm geschieht. Er soll so beschaffen sein, daß in ihm durch Lesung, Predigt, Gebet, Musik und bildende Kunst das Wort Gottes verkündigt und gehört werden kann und die Sakramente gefeiert werden können. Durch seine gegenwärtige Gestaltung und Ausstattung soll die Begegnung der Gemeinde mit dem lebendigen Gott zum Ausdruck kommen. Auch die Gestaltungsformen, die frühere Generationen hierfür gefunden haben, sind unverzichtbar: Sie zeigen, daß Kirche eine Weggemeinschaft und die Gegenwart nur eine Station ist. Der Raum soll die Gemeinde möglichst zu verschiedenen Gottesdienstformen anregen. Doch darf er durch unterschiedliche Nutzung keine gestalterischen Einbußen erleiden. 3. PlanungVeränderungen bestehender Räume oder Bau und Gestaltung neuer Räume setzen sorgfältige Planung voraus. Grundlage ist stets ein klares Programm, das die zuständigen Gemeinde- und Aufsichtsgremien formulieren. Hierbei sind die Festlegungen durch kirchliche und staatliche Ordnungen und Gesetze, z.B. auch in bezug auf Denkmalpflege, zu beachten. Gute Ergebnisse sind nur bei Heranziehen qualifizierter Fachleute für die Gebäude- und Raumgestaltung bzw. Instandsetzung (Architekt), für Konstruktion und Betriebstechnik (Ingenieur), für die künstlerische Ausgestaltung (Bildhauer, Maler, Glasmaler, Orgelbauer) und für die Restaurierung (Restaurator) zu erwarten. Die kirchlichen Bauämter sind bei allen diesen Fragen unerläßliche Begleiter der Gemeinden. Bei größeren Maßnahmen empfiehlt es sich grundsätzlich, Wettbewerbe zu veranstalten oder Gutachterverfahren durchzuführen. 4. Umgang mit vorhandenen RäumenÜberkommene Gebäude und ihre Ausstattung stellen neben beträchtlichen materiellen meist einen hohen emotionalen, geistlichen und kulturellen Wert dar. Für seine Erhaltung und ungeschmälerte Weitergabe trägt die Gemeinde die Verantwortung. Das ist mitunter eine große Herausforderung. Bauliche Veränderungen sind erst zu vertreten, wenn der Raum nach Größe, Beschaffenheit, Funktion oder Qualität dem kirchlichen Auftrag und den Erfordernissen nicht mehr genügt und wenn gottesdienstliche Belange dadurch beeinträchtigt werden. Mitunter lassen sich Räume aus historischen, baulichen oder wirtschaftlichen Gründen nur wenig ändern. Gemeinden sollten in solchen Fällen raumgeeignete Nutzungen suchen, die im Respekt vor den überkommenen Zeugnissen die Zusammenhänge neu ordnen. Angesichts des sich abzeichnenden Rückgangs der Mitgliederzahlen der Kirchengemeinden und damit der Steuereinkünfte ist ein ökonomischer Umgang mit den vorhandenen Bauten erforderlich. Anstatt neue Gebäude zu errichten, sollten vorhandene, besonders zu groß oder nutzungslos gewordene, Gottesdiensträume für die Gemeindearbeit eingerichtet werden, ohne ihren eigenen Wert zu verlieren. Bauliche Änderungen sollten deshalb möglichst reversibel sein. Insbesondere für Innenstadtkirchen bieten sich oft noch viel zu wenig wahrgenommene übergemeindliche Aufgaben. Können Kirchen aus finanziellen oder sonstigen Gründen nicht mehr gehalten oder für andere kirchliche Zwecke genutzt werden, sind sie nach sorgfältiger Prüfung einer angemessenen Zweckbestimmung zuzuführen. Ihr allgemeiner kultureller Wert fordert die Mitverantwortung der Öffentlichkeit. 5. AusstattungDie Ausstattung einer Kirche steht in einer bestimmten Beziehung zum Kirchenraum, für den sie geschaffen oder erworben wurde. Sie ist Teil der architektonischen Konzeption. Nicht selten wird die gebaute Raumhülle erst durch Emporen, Logen, Gestühl, Altaraufbau, Orgelprospekt, Wand- und Deckenmalerei oder Glasmalerei raumgestaltend geprägt. Bei der Neuausstattung eines Gottesdienstraumes oder bei der Ergänzung einer vorhandenen Ausstattung sind in jedem Falle künstlerische Gesichtspunkte zu berücksichtigen. Beide haben zugleich mit der Erfüllung funktioneller Anforderungen in ihrer Gestaltung Bezug zum Raum zu nehmen. Ausstattung und Raum sollen zusammen die liturgischen Aufgaben der gottesdienstlichen Feier unterstützen und erweitern. Zumindest für die Neuausstattung und größere Ergänzungen vorhandener Ausstattung ist ein Architekt heranzuziehen, der entwerfend oder beratend tätig ist. Die Standorte von Altartisch, Kanzel (Ambo), Lesepult und Taufe haben sich an den liturgischen Anforderungen einer gottesdienstlichen Feier zu orientieren. Das Zusammenwirken der Liturgen mit allen im Gottesdienst Beteiligten, bei der Taufe, der Feier des Abendmahls um den Altar und die Verkündigung mit Wort und Musik muß unter Nutzung der räumlichen Gegebenheiten ohne Probleme ermöglicht werden. Die Bestuhlung und etwa notwendige elektroakustische Hilfsmittel müssen abgestimmt auf den Raum angeboten werden. Der Altar sollte möglichst inmitten der Versammlung der Gemeinde stehen und kann transportabel sein. Die Feier des Abendmahls im Kreis um den Tisch soll möglich sein. Der Zugang für alte und behinderte Menschen zum Abendmahlstisch muß gewährleistet sein. Ein zweiter Altar kann erforderlich werden, wenn ein Wand- bzw. Retabelaltar die Situation der circumstantes bzw. die Leitung der Feier versus populum verhindert. Zur Ausstattung gehören auch bewegliche Sachen wie vasa sacra, Paramente, Leuchter, Bildwerke, Epitaphien, Totenschilde, Gedenkmale und Glocken. Alle diese Ausstattungsstücke, die oft einen erheblichen Kunstwert haben, dienen der Verkündigung und zeugen von der Lebendigkeit des Glaubens früherer Generationen. Die Durchführung konservatorischer Maßnahmen, zur Erhaltung der Ausstattung ist Aufgabe von Fachleuten. Doch hat die Gemeinde die Voraussetzung für die Erhaltung zu schaffen durch Inventarisierung, Sicherung gegen Diebstahl und Vandalismus und vor allem durch Sorge für ein geeignetes Raumklima. 6. Denkmalschutz und DenkmalpflegeDie Kirche lebt in besonderer Weise aus der Tradition. Deshalb hat sie stets von sich aus das Überkommene gepflegt und genutzt. Sie hat im Laufe von Jahrhunderten reiche denkmalpflegerische Erfahrungen gesammelt. Dazu gehört, daß der Spielraum für Gestaltung und Weiterentwicklung, der nötig ist, um das Überlieferte lebendig zu erhalten, in jedem Einzelfalle ermittelt werden muß: Das jeweils Mögliche ist nur zu bestimmen durch Besinnung auf die Werte des Vorhandenen, die dem Erwünschten gegenüber zu stellen sind. Hierzu ist fachliche Hilfe erforderlich. Durch den Denkmalschutz drückt der Staat Anspruch und Mitverantwortung an der Erhaltung des Überlieferten aus, sofern es wegen seines geschichtlichen, künstlerischen oder städtebaulichen Wertes Bedeutung für die gesamtgesellschaftliche Kultur hat. Das Zusammenwirken der Kirchengemeinde als Eigentümer, der kirchlichen Bauämter, die die Aufgaben der kirchlichen Denkmalpflege wahrnehmen, und der Denkmalämter der Länder ist durch die Denkmalschutzgesetze der Länder auf der Grundlage von Verträgen zwischen Kirche und Ländern geregelt. Dadurch ist u. a. gesichert, daß bei Entscheidungen über Denkmäler, die unmittelbar gottesdienstlichen Zwecken dienen, die kirchlichen Belange im Vordergrund stehen. 7. Neue KirchenräumeDie architektonische Qualität von Raum und Ausstattung soll dem Anspruch des Gottesdienstes gerecht werden. Räumliche Bestimmtheit und Variabilität für verschiedene Gottesdienstformen sind sorgfältig zu bedenken. Entwurfsund Ausführungsplanungen sind von Architekten zu fertigen. Bei größeren Maßnahmen empfiehlt es sich, grundsätzlich Wettbewerbe zu veranstalten oder Gutachterverfahren einzuleiten. Im einzelnen ist zu bedenken:
8. Zeitgenössische KunstWerke der zeitgenössischen Kunst sollten einen selbstverständlichen Platz in jedem Kirchenraum haben. Auch die Prinzipalstücke (Altar, Kanzel, Taufe), ebenfalls auch Altarkruzifixe, Wand- oder Glasmalereien, Orgelprospekte, Lesepulte, Leuchter sowie die gesamte Raumausstattung sind künstlerische Gestaltungsaufgaben. Künstlerisch gestaltete Fenster, Wand- und Deckenflächen sind Elemente gottesdienstlicher Feier, der Verkündigung und der Meditation. Hohe Anforderungen sind an die künstlerische Qualität zu stellen. Von ihrer Wirkung werden Raum und Gottesdienst wesentlich geprägt. Die Entscheidung über die Wahl des Künstlers oder der Künstlerin erfordert große Sorgfalt. Deshalb muß sich der Kirchenvorstand dabei fachkompetent beraten lassen. Zeitgenössische Kunst sollte auch in anderer Form in Kirchen und Gemeinderäumen wirksam werden. Denkbar ist neben dem Erwerb die leihweise Überlassung eines Bildes oder einer Plastik. Durch Ausstellungen zu Themen oder zu einzelnen Künstlern sollen die Gemeinden zur Auseinandersetzung mit der Gegenwartskunst angeregt werden. |
Artikelnachweis: https://www.theomag.de/58/prog11.htm
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