Im Interesse der Sache?

Google, Open Access und Heidelberg

Andreas Mertin

Im und um das Internet tobt im Augenblick eine Auseinandersetzung bezüglich der Urheberrechte von Autoren, den Rechten von Verlagen und nicht zuletzt der Gesellschaft vor allem im Blick auf jene Autoren, die die Gesellschaft über das Wissenschaftssystem alimentiert. Es gibt gute Gründe, diese Auseinandersetzung jetzt zu führen, bevor einseitig diesseits und jenseits des Atlantiks Fakten geschaffen werden. Aber, wenn ich die Diskussion recht verstehe, geht es weniger um die Wahrung von Rechten der Autoren, als vielmehr um die Übertragung von Rechten. Und da bin ich als Autor lieber vorsichtig.

Es ist nämlich auffallend, mit welchem Verve einige der Beteiligten sich engagieren und vor allem, mit welchen Argumenten sie operieren. In der öffentlichen Diskussion verbindet sich das mit dem so genannten „Heidelberger Appell“. Vom Vertrauensverhältnis zwischen Verlagen und Autoren ist in der Diskussion die Rede, von der Ehre für die Autoren, für bestimmte Verlage zu schreiben, von der nur durch die Verlage möglichen optimalen Verwertung der Texte der Autoren. Wäre dies wirklich so, dann würde sich wohl kaum ein Autor dem Heidelberger Appell verschließen. Aber die Erfahrung zeigt, dass das Vertrauensverhältnis zwischen Autoren und Verlagen lange schon erodiert ist, so dass sich viele Autoren mit guten Gründen fragen, ob sie nicht neue Wege gehen sollten.

Erfahrungen

Ich setze einmal biographisch an und schildere meine persönlichen Erfahrungen mit Verlagen. Mein erstes Buch erschien im Frankfurter Athenäum-Verlag und widmete sich dem Verhältnis von Kirche und moderner Kunst. Das Buch war gut gemacht, die Betreuung durch die Lektorin war exzellent. Vereinbart war ein bestimmtes Honorar für die Herausgeber und die Autoren. Das Buch verkaufte sich gut, wie der Verlag auf Nachfrage mehrfach bestätigte. Nur – die Honorare wurden nicht ausbezahlt. Es verging ein ganzes Jahr und immer noch hatten weder die Herausgeber noch die Autoren einen Pfennig für ihre Arbeit gesehen. Erst die Drohung mit dem Rechtsanwalt führte dazu, dass wenigstens die Herausgeber ihr Entgelt erhielten. Die Autoren warten bis heute auf ihr Honorar, denn kurz darauf ging der Verlag pleite und es stellte sich heraus, dass er systematisch seinen Autoren die Honorare vorenthalten hatte. Soweit die erste vertrauensbildende Maßnahme seitens der Verlage gegenüber mir als Autoren und Herausgeber. Das zweite Buch erschien in einem kirchlichen Verlag und es gab und gibt nichts zu klagen. Der Verlag war an dem Buch interessiert, es gab eine gute Zusammenarbeit und nach mehrjährigem Verkauf wurde die Restauflage in Absprache mit den Herausgebern makuliert. Die Pauschalhonorare wurden pünktlich überwiesen. Meine Meinung von der Verlagswelt stieg wieder.

Das dritte und vierte Buch erschienen in einem renommierten Verlag und es waren meine ersten Monographien. Im Vorgespräch konnte ich mich mit dem Verlag nicht darüber einigen, ob das Internet eine Zukunft hat oder nicht. Der Verlag meinte, für seine Klientel sei das Internet weniger interessant und stellte das entsprechende Buch zurück. Dafür fügte er in den Vertrag für das als erstes erscheinende Buch eine Klausel ein, dass alle Fremdkosten zunächst von meinem Autorenhonorar abgezogen werden sollten. Und holte dann kostenpflichtige Urheberrechte an Bildern ein, deren Urheber seit 400 Jahren tot waren, deren Besitzer (also öffentliche Museen) über das Geld des Verlages (was aber in Wirklichkeit meines war) sicher sehr erfreut waren. Meine jährliche Verlagsbilanz weist für dieses Buch immer noch einen negativen Abschluss auf. Das zweite Buch im selben Verlag war nach wenigen Monaten verkauft, brachte mir aber insofern Ärger mit dem Verlag ein, weil sich Vorarbeiten dazu auf meiner Homepage befanden. Das sei eine Gefährdung des Verkaufserfolges des Buches wurde mir beschieden. Dass man dies auch exakt andersherum lesen kann, wollte dem Verlag nicht einleuchten. Inzwischen hat der Verlag seine Haltung zu diesem Thema geändert, insofern er selbst Teile des Buches über Google kostenfrei elektronisch vorhält.

Die Erfahrung, die ich dann später mit verschiedenen Verlagen machte, war die, dass erwartet wurde, dass ich Texte ganz ohne Honorierung ablieferte. „Seien Sie doch froh, dass wir Sie veröffentlichen, dass dient doch Ihrem wissenschaftlichen Renommee“ wurde mir gesagt. Über mein wissenschaftliches Renommee habe ich mir noch nie Sorgen gemacht, das begründet sich aus der Sache heraus. Ich konnte aber auch nicht einsehen, warum sich ein Verlag, für den ich für eine Festschrift kostenlos einen Text zur Verfügung stellte, die exklusiven Rechte an diesem Text 70 Jahre über meinen Tod hinaus sichern wollte. Ich schrieb dem Verlag also, ich räume ihm nur ein einfaches Nutzungsrecht für die Printpublikation ein und behielte mir alle weiteren Rechte vor. Das macht doch gar nichts, dachte sich wohl der Verlag, und so fand ich meinen Text schon vier Wochen später(!) bei Googlebooks wieder – ins Internet eingestellt mit Genehmigung des Verlages.

Ein anderer Verlag schrieb mir, da ich einen Text für einen Sammelband freundlicherweise kostenlos zur Verfügung gestellt hätte, habe man ihn nun ebenfalls kostenlos einem anderen Verlag in Österreich zur Verfügung gestellt – selbstverständlich nur im Interesse des Autors. Dort erscheine ich jetzt in einem Buch mit einem ganz anderen Kontext über den ich nicht mitentscheiden konnte. Einen Vertrag habe ich mit dem Verlag nie geschlossen, aber es geschah ganz sicher im Interesse der Sache und in Übereinstimmung mit den AGB.

Und überhaupt die Honorierung der Autoren! Auch diese ist von einem elementaren Vertrauensverhältnis zum Verlag gekennzeichnet. Wenn es nicht Zuschüsse der öffentlichen Hand gibt, solle man wenigstens auf sein Honorar verzichten. Und wenn man darauf nicht verzichten will, ist es so gering, dass jeder, der als Amazon-Vertragspartner einen Link auf das Buch setzt, mehr für das einzelne Exemplar erhält, als der Autor pro Buchexemplar für seine ganze Mühe. Dass es vorkommt, dass Buchpreise plötzlich auf die Hälfte herabgesetzt werden und die prozentual beteiligten Autoren dementsprechend plötzlich auf die Hälfte ihrer Erträge verzichten müssen, sollte man auch noch erwähnen.

Wie sehr sich die Verlage um die wissenschaftlichen Interessen ihrer Autoren kümmern, konnte ich jüngst an einem anderen Beispiel studieren. Ein als Printexemplar nicht mehr lieferbares Buch aus meiner Feder hatte der Verlag nun in konsumentengerechte Häppchen zerteilt und vertrieb diese jetzt als PDF-Dateien. Wo ich mir die Mühe gemacht hatte, die einzelnen Abschnitte in einem Theorierahmen zu setzen, befreite der Verlag die Häppchen davon und verscheuerte das praktisch Verwertbare – im Interesse des Autors und der Sache natürlich und ebenfalls ohne ihn darüber zu informieren. Abrechnungen habe ich bis heute nicht darüber bekommen.

Wieder ein anderer Verlag schrieb mir, ja, man habe ja die Honorierung meines Beitrages im Falle einer Online-Publikation versprochen, aber die Geschäfte liefen schlecht. Ich sollte doch bitte auf das Honorar verzichten und falls nicht, sollte ich damit einverstanden sein, dass es nur überwiesen werde, wenn es eine bestimmte Höhe überschreite. Das werde ich meinem Handwerker demnächst auch mal sagen: die Autorengeschäfte liefen gerade schlecht, er sollte auf die Reparaturrechnung verzichten und überhaupt würde ich sie nur überweisen, wenn sie 100 Euro übersteigen. Der wird mir was erzählen.

Von dem – wiederum anderen – Verlag, für den ich im Rahmen einer Redakteurstätigkeit gearbeitet habe und der mir immer noch Honorare von mehreren tausend Euro schuldet, will ich erst gar nicht ausführlicher erzählen.

Worin die Verlage aber ganz groß sind, ist ihren Autoren zu Weihnachten Rabatte auf alle Verlagsprodukte einzuräumen: zwischen 35% und 50%. Dass sie zum Teil gleichzeitig Amazon dauerhaft 50% einräumen, erwähnen sie nicht – das würde das Vertrauensverhältnis zwischen Autor und Verlag ja stören. Und auch direkt nach der Publikation von honorarfreien Texten bieten sie einem an, man könne das Buch mit einem Rabatt von 35% zu erwerben. Es sind ja nur die Autoren und der Verlag will ja auch an denen etwas verdienen ...

Vor kurzem unterhielt ich mich mit einem renommierten Professor der katholischen Theologie und erzählte von einem Honorar, dass ich für einen Katalogbeitrag von einer Kommune bekommen hatte. So viel habe er während seiner gesamten Publikationstätigkeit für keines seiner Bücher(!) bekommen. So weit zur optimalen Verwertung unserer Texte durch die Verlage.

Und das ist wirklich nur ein kleiner Ausschnitt der Erfahrungen mit Verlagen im Rahmen meiner nun über 25-Jährigen Publikationstätigkeit. Langer Rede, kurzer Sinn: warum sollte ich mich als Autor für die Verwertungsinteressen der Verlage einsetzen, wenn alle Lebenserfahrung als Autor einem sagt, dass dies eben kein Verhältnis auf Gegenseitigkeit ist? Dass vielmehr ein guter Teil der Energie der Verlage darin besteht, den Autoren in seinen Verwertungserwartungen und -interessen zu beschränken.

Inzwischen lösche ich alle weitergehenden Rechteeinräumungen in den Autoren- und Verlagsverträgen. Die Unart, dass man die Verträge in aller Regel erst bekommt, wenn das Buch schon im Druck ist, hat eben zwei Seiten. Dass die Verlage sich an die Änderungen nicht einmal halten, hatte ich schon erwähnt. Es ist mir auch egal. Mir geht es darum, dass ich formal das Bestimmungsrecht über die weiteren Nutzungsformen meiner Texte behalte.

Eitelkeit – eindeutig meine Lieblingssünde sagt Al Pacino am Ende des Kinofilms „Im Auftrag des Teufels“. Eitelkeit ist die Ursache, dass Verlage ungestraft so verfahren können. Der Stolz, in der FAZ publiziert zu haben, verführt Autoren dazu, dies unter intellektuell nicht zu rechtfertigenden Bedingungen zu tun.

Edwart Collier, Stillleben

Google, Open Access und Heidelberg

Was nun die aktuelle Debatte um die Urheberrechte und die Verwertungsinteressen betrifft, so teile ich die Sorge um die Folgen des Freibeutererhaltens von Google. So sehr ich die Recherchemöglichkeiten von Googlebooks privat schätze, so sehr missfällt es mir, dass Google sich das Recht einfach nimmt, Bücher zu scannen und ins Netz zu stellen und erst hinterher zu fragen, ob man als Autor mit einer Pauschalsumme von 60$ einverstanden wäre. Dafür behalte man sich freilich das Recht vor, die erstellte PDF-Datei kommerziell zu verwerten. Das ist Freibeuterverhalten. So geht es nicht. Es gibt vermutlich genügend Rechteinhaber, die sich von sich aus auf das Angebot von Google einlassen würden. Darauf sollte man sich beschränken. Andererseits glaube ich, dass die Präsentation bei Google tatsächlich den Verkauf der Bücher befördert – ich habe jedenfalls in den letzten 1 ½ Jahren gut 15 Bücher gekauft, weil ich zunächst Ausschnitte bei Google gelesen hatte. Aber die Autoren sollten selbst bestimmen, ob sie das wollen oder nicht. Bei Googlebooks gibt es aber auch eine Präsentationsform, die jeweils nur ein Snippet des gesuchten Begriffs in einem Buch präsentiert. Mir würde das ausreichen - nur für Google wäre das natürlich nicht so attraktiv.

Etwas ganz anderes ist Open Access. Ich gehöre zu den Befürwortern des Open Access, weil ich glaube, dass in den letzten Jahrzehnten hier etwas in Unordnung geraten ist, was mit Open Access nun korrigiert werden kann. Es geht darum, dass die ökonomischen Interessen der Verlage die Lektüre gesellschaftlich finanzierter Erkenntnisse nicht behindern sollten. Genau das ist aber in den letzten Jahren geschehen. Die wissenschaftlichen Autoren, die ihre Texte lieber öffentlich diskutiert als exklusiv ökonomisch verwertet sehen wollen, sollten dies machen. Das wäre ein enormer Gewinn für die Gesellschaft. Was mir an Open Access nicht gefällt, ist, dass mir inzwischen schon zwei Verlage begegnet sind, die einfach von sich aus entschieden haben, meine Bücher dem Open Access Projekt zur Verfügung zu stellen, obwohl es sich in beiden Fällen gar nicht um wissenschaftliche Texte, sondern um Sachbücher im Bereich der Kultur handelte, die weder mit öffentlichen Mitteln gefördert wurden noch von den Autoren als Wissenschaftsbeiträge geschrieben wurden. Hier geht mir die Großzügigkeit der Verlage zu Lasten der Autoren zu weit, denn die Rechtsfolgen dieser Überlassung sind für die Autoren noch nicht absehbar. Früher fielen die Rechte an einem Beitrag an den Autoren zurück, wenn der Verlag das Buch nicht mehr drucken und zum Verkauf vorhalten wollten. Heute erstellt der Verlag eine PDF-Datei oder eine digitale Kopie und behält die Rechte 70 Jahre über den Tod des Verfassers hinaus. An der Honorierung des Autors hat sich aber in der Zwischenzeit nichts geändert. Früher war der Autor von den Verlagen insofern abhängig, als dass er kaum seine Bücher und Texte selbst der Öffentlichkeit bekannt machen konnte. Das hat sich zwischenzeitlich geändert. Und es liegt an uns, dass wir dies auch gegenüber den Verlagen selbstbewusst durchsetzen.

Artikelnachweis: https://www.theomag.de/59/am288.htm
© Andreas Mertin, 2009