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they are screaming like a banshee… |
TimelineSamstag, 20. Juni 2009 Es sind 3872 Kilometer Luftlinie zwischen meinem Büro und dem Revolutionsplatz in Teheran. 3872 Kilometer das ist eine ungeheure Entfernung, wenn es darum geht, Informationen zu bekommen, Zeitgeschehen zu verfolgen, zu verstehen, was in einem fernen Land mit anderen Mentalitäten in einer revolutionären Situation zumal geschieht. Zugleich weiß man genau, dass etwas Außerordentliches geschieht, dass 3872 Kilometer von einem entfernt Männer und Frauen ihr Leben riskieren um gegen eine korrupte und diktatorische Regierung ihre Freiheitsrechte durchzusetzen. Jeder weiß das. Jeder weiß, dass ganz unabhängig von der Zahl der Opfer, ganz unabhängig vom Ergebnis des Aufstands Geschichte geschrieben wird; keine Randnotiz, sondern ein bedeutsames Geschehen mit langfristigen Folgen. Am heutigen Tag werden im Irak mehr Menschen durch Selbstmordattentate sterben als im Iran durch die Regierungsgewalt, aber wir wissen, dass sich heute etwas im Iran ändert. Nur dass es schwer ist, zu erfahren, was und wie es sich ändert. Die Medien vor Ort sind ausgeschaltet oder gleichgeschaltet, sie sind nahezu so hilflos wie der einzelne Westeuropäer an seinem Schreibtisch. Als ich am Nachmittag das Fernsehen einschalte und durch die 24 Kanäle zappe, die mir das terrestrische digitale Fernsehen bietet, zeigen 23 Fernsehsender ihr normales Programm. N24 unterlegt es wenigstens mit einigen Nachrichtenzeilen zum Geschehen, bei den anderen Fernsehsendern läuft die kulturferne Normalität. Wer wollte auch am Samstag Nachmittag die Bevölkerung in ihren Konsumgewohnheiten stören. Allein CNN berichtet fortgesetzt von den Ereignissen in Teheran, befragt Experten, Exiliraner und präsentiert Quellen, die es nicht zuletzt im Internet bei Twitter, Facebook oder Youtube gefunden hat. CNN erweist sich heute am 20. Juni 2009 als solide Quelle, es weist konsequent auf die unsichere Nachrichtenlage hin, bei der man bei keiner Quelle weiß, ob sie seriös oder manipuliert ist. Aber was heißt in revolutionären Zeiten schon seriös? Wenige Tage zuvor hatte die Zeitschrift DIE WELT in einem äußerst polemischen Artikel das Programm von CNN für tot erklärt (Der Tag, an dem CNN starb), weil es am Samstag der Wahl nicht schnell genug auf die Ereignisse reagiert hat. Heute zeigt sich, dass man allen anderen (einschließlich der WELT) diesen Vorwurf machen kann, CNN aber nicht. Schnell wird freilich auch klar, dass man aufgrund der Medienzensur der Machthaber in Teheran genauso gut oder sogar besser die Nachrichtenlage über das Internet verfolgen kann. Man ist „unmittelbarer“ am Geschehen, man bekommt die Gemengelage aus Wut, Angst, Gerüchten und Ideologien viel direkter mit als durch die seriöse Vermittlung von CNN. Und so wechsle ich das Medium und surfe einige Zeit durch verschiedene Blogs und Twitteraccounts und suche mir schließlich drei parallele, aber aufeinander Bezug nehmende Seiten heraus:
Am Anfang beherrschen vor allem Ängste die Quellen: Was wird geschehen? Wie wird das Regime reagieren? Soll man an den Demonstrationen teilnehmen?
Kurze Zeit später werden zwei Dinge zur Gewissheit: es wird Demonstrationen geben und es wird eine gewaltsame Antwort des Regimes geben:
Kurz vor 15 Uhr (deutscher Zeit für Teheran müssen immer 1 ½ Stunden hinzugezählt werden) dann das erste auf Youtube eingestellte Video von den Auseinandersetzungen auf der Straße, das dann auch von den Nachrichtensender aufgegriffen und am Abend immer wieder wiederholt wird.
Dann tauchen die ersten Berichte/Gerüchte von Tötungen auf:
Die Sorge um die Menschen nimmt zu:
Die Meldungen bei Teheran-Bureau verzeichnen an vielen Stellen Gewehrschüsse, Tränengas-Attacken und Wasserwerfer, sowie unbekannte Flüssigkeiten, die auf die Protestierenden geworfen werden. Die Protestierenden halten zum Teil den Koran hoch, um ihre Friedfertigkeit zu demonstrieren. An allen zentralen Plätzen Teherans gibt es nun gewalttätige Auseinandersetzungen.
Um 17 Uhr wird den Demonstrierenden klar, dass die Flucht der Verletzten in das Khomeni-Krankenhaus eine gefährliche Falle ist, die Verletzten werden von der Polizei dort verhaftet und verschleppt.
Erste Berichte tauchen auf, dass der Oppositionskandidat Mussawi auf einer Demonstration aufgetreten sei und zu den Menschen gesprochen habe: Er sei bereit als Märtyrer zu sterben. Sollte er getötet werden, sollten die Menschen in einen Generalstreik treten
Dazwischen gehen immer wieder Meldungen über Getötete ein. Zugleich spitzt sich die Lage auf den Straßen zu:
Abends dann die Meldung von einer getöteten jungen Frau:
Der Blog der New York Times vermeldet diesen Vorfall unter Vorbehalt auch und verweist auf ein äußerst schockierendes Video, das den Vorfall dokumentiert.
Dieses Video, das dann als Neda-Video zu einer Ikone der Revolution wird, ist deshalb bedeutsam, weil auch in einer Mediengesellschaft nicht die Fülle der Bilder zählt, sondern das herausragende Bild, das möglichst viele Faktoren in sich sammelt. Neda heißt das junge Mädchen angeblich, das in dem Video getötet wird und diese Name bedeutet „Stimme“ und wird so zum Sinnbild dessen, was im Iran vor sich geht. Den Abschluss des Abends bildet die Nachricht, die Lara Setrakian auf ihrem Twitter-Account verbreitet und die die New York Times so weiter leitet:
Ein mehr als symbolischer Satz, in seinem Rekurs auf die Todesengel ein vielleicht zu mythischer Satz, dem man aber ebenso gut einen biblischen entgegen halten könnte. „... die Schöpfung ist einem Zustand der Gottesferne unterworfen, in dem nichts mehr Bestand hat nicht aus freier Entscheidung, sondern gezwungen von einer sie unterwerfenden Macht. Sie ist aber ausgerichtet auf Hoffnung, dass auch die Schöpfung selbst aus der Versklavung durch die Korruption befreit werde … Wir wissen, dass die ganze Schöpfung mit uns gemeinsam stöhnt und mit uns zusammen unter den Schmerzen der Geburtswehen leidet bis jetzt! … Wenn wir auf etwas hoffen, das wir nicht sehen können, so gibt uns unser Widerstand die Kraft, darauf zu warten.“ |
Sonntag, 21. Juni 2009 Warten ist das Stichwort dieses Tages. Es ist im Vergleich zur ganzen Woche ein vergleichsweise ereignisarmer Tag, so als ob die Beteiligten Atem holen, sich sammeln, die Lage sondieren und neue Strategien entwickeln. Es gibt auch Beunruhigendes etwa das 12-stündige Schweigen einer Quelle, die bisher regelmäßig Informationen geliefert hat, sich aber dann Gott sei Dank doch am späten Nachmittag wieder meldet. Es ist der Tag der Statements und der kalten Machtroutine: Alle Protagonisten äußern sich in Briefen oder Interviews, zahlreiche Journalisten werden verhaftet, Angehörige der Machteliten zur Einschüchterung in Gewahrsam genommen. Im Hintergrund, so ahnt man, werden nun die Fäden gezogen, werden Allianzen geschmiedet, werden Menschen mit Repressalien bedroht.
Vor allem aber ist es ein Tag erster Analysen, die nicht zuletzt unter dem Eindruck des blutigen Samstags stehen. Reinhard Mohr schreibt in Spiegel Online die dialektische Geschichte von Technik und Revolution, eine lesenswerte Reflexion, vielleicht etwas zu voluntaristisch akzentuiert. Am Ende des Tages steht wieder der Gebetsruf von den Dächern, verhaltener als am Vortag, aber dennoch vernehmbar.
Offenkundig werden erst am späten Abend wieder Aktivitäten bemerkbar, die Verabredungen zu Aktionen am Montag bzw. Dienstag mehren sich. Sie schwanken zwischen Demonstration und Streik, die Hoffnung ist, dass sich der Mittelstand und die Industrie anschließt und sich dem gegenwärtigen Präsidenten widersetzt. |
Montag, 22. Juni 2009 Es ist deutlich, dass die iranische Opposition eine Ruhephase sucht, nur wenige beteiligen sich an Demonstrationen. Statt dessen dreht sich viel um die Ermordung der Studentin Neda. Die ZEIT beginnt einen Liveblog, der der Aufmachung des Blogs der New York Times entspricht
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Dienstag, 23. Juni 2009 Die Gerüchteküche kocht wieder, aber es herrscht mehr Verunsicherung als Strategie. Ob es einen Streik gibt, ist unsicher, ob es Versammlungen gibt, ebenso. Der Blog der New York Times verweist auf interessante Berichte zu den Versuchen, an der Beerdigung von Neda teilzunehmen.
Lara Setrakian verweist in ihrem Blog auf eine Meinungsäußerung aus dem Iran, die sich mit der zwiespältigen deutschen Haltung zum Iran beschäftigt:
Im Blog des Teheran-Büros schreibt eine Teheranerin über ihre Erfahrungen und Reaktionen:
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Mittwoch, 24. Juni 2009 Das allmähliche Erlöschen der Nachrichten ist bedrückend. Woran man sich in den letzten Tagen einfach gewöhnt hatte, dass nämlich eine Fülle von Meldungen ganz unterschiedlicher Quellen auf einen einströmt, dass ist jetzt vorbei. Nur noch spärlich sickern Nachrichten durch, eigentlich sind es mehr Entsetzensschreie. Die Zeitungen schreiben, dass die Menschen vor Ort Angst haben vor der allgegenwärtigen Kontrolle des Systems. Sie löschen ihre Email-Accounts, sie schweigen in Twitter, sie nehmen kaum noch Handys und Digitalkameras mit auf die Straße, weil all dies sie verdächtig macht. Verdächtig ist jeder, der nicht allein durch die Straßen geht. Von den eingangs genannten Quellen arbeitet nur noch der Blog der New York Times regelmäßig und zuverlässig, er stellt weiterhin alles Auffindbare zusammen. Aber seine Nachrichten sind erschreckend:
Und wieder vermeldet Sara Setrakian den allabendlich einsetzenden allgemeinen Protest:
Vielleicht ist das auch das Bemerkenswerte an diesen Ereignissen: die paradoxe Intervention der Berufung auf Gott angesichts eines totalitären religiösen Systems. Alls man das zuletzt gerufen hatte, 1979, wollte man, dass ein religiöses System ein totalitäres ablöst. Und jetzt will man mit demselben Ruf eine totalitäres religiöses System beenden. Abends blicke ich nach einem Hinweis aus einem Aufsatz auf hagalil.com in das dem Regime im Iran nahestehende Shia-forum und den muslim-markt und bin entsetzt, wie dort die Niederschlagung der Proteste im Iran, die Aggression gegen die eigene Bevölkerung gerechtfertigt wird. Selbstverständlich ist hier Ahmadinajad im Recht, seine Person sakrosankt, Kritik an ihm verboten. Das Forum zur Politik wird mit folgendem Thread eröffnet:
Die Diskussionen sind dementsprechend. Es herrscht eine kalte Aggressivität vor, die einen erschauern lässt. Es gibt einen common sense in Fragen der Freiheitsrechte und der lautet, dass sie in Relation zur Religion nicht beachtet werden müssen. Deutlich wird auch, dass man, wenn man nur könnte, überall in der Welt nach dieser Maxime verfahren würde. Da wird einem dann deutlich, warum der Aufstand der jungen Generation im Iran so wichtig ist. |
Donnerstag, 25. Juni 2009 Morgens meldet telepolis, dass die Regierung in Teheran damit begonnen habe, Bilder von Demonstrationsteilnehmern zu veröffentlichen, und die Bevölkerung zur Mithilfe bei der Identifizierung bittet. Die Demonstranten versuchen im Gegenzug, die Webseite stillzulegen, was aber nur bedingt gelingt. Das TeheranBüro veröffentlicht den Artikel eines Iraners, der aufgrund der Ereignisse den Iran verlassen will. Man bekommt zunehmend das Gefühl, dass inzwischen nahezu alles hinter den Kulissen abläuft und die Iraner das auch wissen und deshalb kaum noch auf die Straße gehen. |
Freitag, 26. Juni 2009 Die Nachrichten vom Tode Michael Jacksons überlagern die Berichterstattung über die Proteste gegen die Iranwahl. Hier bekommt man ein Lehrstück über die Medienrealität der Gegenwart. Twitter bricht zeitweise zusammen, weil so viele die Nachricht verbreiten. Ein Witzbold twittert dazwischen, auch Jeff Goldblum sei gerade gestorben, worauf das ganze Netz durchdreht. Einige sehen schon die Apokalypse gekommen. Die seriösen Fernsehsender in Deutschland, die sich eine Woche zuvor nicht in der Lage sahen, das laufende Programm wegen der Ereignisse im Iran zu unterbrechen, bringen nun laufend Sondersendungen. Die FAZ führt eine Sonderrubrik „Tod einer Ikone“ ein was sind das für pittoreske Zeiten, in denen Ikonen sterben können. Als ob nicht gerade der Tod zu ihrer Ikonizität hinzugehören würde (Marilyn Monroe, Elvis Presley, Jim Morrison). Im Vergleich zum Tod Michael Jackson verblasst das Geschehen im Iran zumindest medial. Es ist grauenhaft und mittelalterlich. Im Iran versagen und versiegen die Quellen sie hören einfach auf und bleiben auf dem Stand des letzten Eintrags. Persiankiwi, ein Twitternutzer aus Teheran, verschwindet am 24. Juni von der Bildfläche. Die letzten drei Einträge lauten:
Am Abend vermeldet Sara Setrakian den einsetzenden allgemeinen Protest:
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Samstag, 27. Juni 2009 Auch heute überschlägt sich die Mediengesellschaft in der Berichterstattung über den Tod von Michael Jackson. Wenn sie denn nur in annähernd vergleichbarer Form auch über die Manipulation der Iranwahl und den Protest dagegen berichtet hätten. Zum Thema Michael Jackson gibt es aber genügend Interviewpartner, die allzu gerne kommunizieren wollen. Im Iran gehen die Machthaber dazu über, nach den Demonstrationen nun auch die abendlichen Proteste zu verhindern. Angeblich sollen bereits nächtliche Rufer erschossen worden sein.
Auf seiner Facebook-Seite erinnert Mousavi die Menschen daran, den allabendlichen Protest trotzdem nicht zu unterlassen.
Zugleich lädt er für den 28. zu einer Kundgebung an der Qoba-Moschee ein, der ersten offiziell zugelassenen Veranstaltung nach den Demonstrationen. |
Sonntag, 28. Juni 2009 50.000 Menschen sollen sich heute an der Qoba-Moschee versammelt haben, bei Youtube ges ibt erste Videos der Veranstaltung.
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Montag, 06. Juli 2009 Mehr als eine Woche ist vergangen, die Meldungen werden immer spärlicher, die thematischen Blogs der großen Zeitungen sind zum Teil eingestellt, andere Nachrichten drängen sich in den Vordergrund. Beim TeheranBüro verstärken sich nun die analytischen Texte: Wird das Regime den Sturm überleben? Wie wird es mit dem Feminismus im Iran weitergehen? Was werden die Langzeitfolgen des vorerst gescheiterten Aufstands sein? Und ist der Iran überhaupt noch ein islamischer Staat oder nicht längst doch schon eine Para-Militär-Diktatur?
Lara Setrakian muss in ihrem Blog immer wieder von verhafteten Journalisten, Professoren und Künstlern berichten. Die internationalen Solidaritätsbekundungen, so berichtet sie, bestärken die protestierenden Menschen im Iran, die dringend diesen Rückhalt brauchen. Überaus erfreulich die Solidarität der Künstler überall in der Welt. U2 färben ihr Barceloner Konzert in Grün und widmen ihr Lied „Sunday Bloody Sunday“ den Menschen im Iran. Wyclef Jean setzt sich ins Studio und spielt ein „Concert fort he people of Iran“, Bon Jovi setzt sich mit einem iranischen Popstar zusammen und sie singen „Stand by me“ und veröffentlichen es auf Youtube. Joan Baez singt „Wes hall overcome“ mit Versen auf Farsi. Aber auch die Videos, die Iraner mit Bildern des Protestes zu Musikclips zusammenstellen, sind zu finden. Es ist beeindruckend. |
Freitag, 17. Juli 2009 Dieser Freitag ist insofern etwas Besonderes, als dass mit Rafsanjani einer der gegenüber der jetzigen Entwicklung kritischen und zugleich außerordentlich einflussreichen Kleriker das Freitagsgebet hielt. Es wurde nicht live im Fernsehen übertragen, wurde aber auch nicht verschwiegen. Im Anschluss an das Freitagsgebet gingen Hunderttausende, nach anderen Berichten über eine Million Menschen protestierend auf die Straße und anschließend wurde Youtube mit Videos „gefüttert“. Deutlich wurde, dass der Konflikt mitnichten bereits befriedet ist, dass er hinter den Kulissen und nun auch offen weiter geht und dass das System zum zweiten Mal nach den ersten Protesten am 20. Juni schwer angeschlagen ist. Aber auch das passiert:
Shadi Sadr ist eine bekannte Rechtsanwältin, die insbesondere für die Rechte von Frauen im Iran eintritt und dafür schon einmal längere Zeit im Gefängnis gesessen hat. Der Blog der New York Times trägt alle Berichte und Infos zu ihrer gewaltsamen „Festnahme“ = Entführung zusammen, die im Moment erreichbar sind. Danach wird Shadi Sadr von Zivilisten bzw. Polizeibeamten in Zivil ohne weitere Begründung festgesetzt, kann zunächst entkommen und wird dann aber doch verschleppt. Und ihre Verschleppung geschieht nicht zufällig, etwa weil sie auf dem Weg zum Freitagsgebet ist, sondern erfolgt offenkundig ganz gezielt. Sie wird wohl in das berüchtigte Evin-Gefängnis im Norden Teherans gebracht. Später wird ihr Büro und ihr Computer von der Polizei durchsucht. |
Samstag, 25. Juli 2009 Ich schließe die Notizen zum Geschehen im Iran ab, nicht, weil sich nichts mehr ereignet, sondern weil das nächste Heft des Magazins für Theologie und Ästhetik bevorsteht. Die deutschen Medien berichten inzwischen nur noch bedingt über die Ereignisse im Iran, gerade einmal dann, wenn sich etwas Besonderes tut. Faktisch waren sie aber nicht in der Lage, ihren durch das iranische System bedingten Ausschluss von der direkten Berichterstattung zu kompensieren auch und gerade nicht durch kompetente Analysen. Sie nutzten die Quellen des Internets, nicht ohne zu betonen, wie unsicher sie seien. Aber sie machten die Nutzer auch nicht kompetent in der Prüfung der Quellen. Anders war dies in der amerikanischen Berichterstattung, die durchaus konsequent und kompetent war. Insbesondere der Blog der New York Times hat während der Woche kontinuierlich über die Ereignisse berichtet, seine Kriterien der Bewertung offen gelegt und auf wichtige Stellungnahmen und Analysen hingewiesen. Twitter als solches habe ich eher als eine Art Fieberthermometer erlebt. Twitterfall konnte man nutzen um festzustellen, wie „heiß“ ein Ereignis aktuell war. Davon unterschieden sind die einzelnen Twitter-Tweeds, die jeweils von der Betroffenheit ihrer Betreiber abhingen. Lara Setrakian mit ihrem Tweed war sehr zuverlässig und gab vor allem die Stimmung aufgrund ihrer eigenen Quellen gut wieder. Dass sie gut war, kann man nicht zuletzt daran erkennen, dass sie vom iranischen Geheimdienst überwacht wurde:
Ähnlich analytisch wie die New York Times, aber natürlich eher aus einer Perspektive der unmittelbaren Betroffenheit berichtete das TeheranBüro auf Twitter. In den letzten Tagen gab es u.a.:
Es ist natürlich noch viel zu früh, um ein Urteil über die Vorgänge im Iran abzugeben. Mich interessierte u.a., wie eine junge Generation eine neue Technologie im Rahmen eines kulturellen und gesellschaftlichen Konfliktes einsetzte und wie etablierte Strukturen darauf reagieren. Dabei habe ich viel gelernt. Es ist vielleicht noch zu früh, die Ereignisse mit dem Einsatz der durch die Gutenbergtechnik ermöglichten Flugblätter während der Reformationszeit zu vergleichen. Aber eine gewisse Verwandtschaft gibt es schon. Alles Weitere wird die Geschichte zeigen … |
Mythos I: Twitter Die TechnologieDIE WELT hatte in mediengeschichtlicher Perspektive Fernsehsender wie CNN als Verlierer der Ereignisse bezeichnet. Tatsächlich dürften aber eher klassische Internetformen wie Google und streckenweise auch die Wikipedia die Verlierer sein. Google News war als parasitäres System mit seinen Meldungen den Ereignissen immer weit hinterher. Selbst einen Tag später konnte es noch nichts Konkretes vermelden, es war Wochenende und die Nachrichtenredaktionen, die Google parasitär ausbeutet, hatten noch nichts für den kommenden Montag formuliert und publiziert. Also konnte auch Google nichts vermelden. Die Wikipedia dagegen litt anfangs unter ihrer Ausgewogenheit. Man konnte sich nicht darauf einigen, was berichtet werden konnte, was Meinung, was Nachricht und was Propaganda war. Deshalb geschah zunächst so gut wie nichts. An sich ist die Wikipedia stolz, dass schon kurz nach bedeutenden Ereignissen die Einträge in der Online-Enzyklopädie abrufbar sind. Das war dieses mal nicht so. Vielleicht aber interessierte die deutschen Wikipedia-Beiträger das Thema aber auch nicht so sehr. Später dann aber wurde die Berichterstattung in der Wikipedia präzise und gut. Aber es bedurfte offensichtlich einer gewissen Zeit der Besinnung, bevor man seinen Pflichten nachkommen konnte. Eindeutiger Gewinner ist sicher Twitter, das seine Stärke in der zeitnahen Präsens von Nachrichten und Gerüchten auch in krisenhaften Zuspitzungen unter einem diktatorischen System bewiesen hat. Sicher, wenn wie in Burma das gesamte Internet gekappt wird, hilft auch Twitter nicht mehr. So lange aber ein System selbst auf moderne Kommunikationsformen angewiesen ist, so lange wird es Wege geben, anderen die Situation vor Ort über Twitter oder verwandte Systeme zu kommunizieren. Dass Twitter ein wetterwendisches Medium ist wurde mit der Nachricht vom Tode Micheal Jacksons und dem Hoax über den Tod von Jeff Goldblum deutlich. Aber es hat in einem elementaren Sinne seine sinnvolle Verwendungsfähigkeit jenseits allen Promi-Gezwitscheres bewiesen. Auch Twitter kann nur Infos weitergeben, ohne Willen und Möglichkeiten zum Handeln, darauf hat Reinhard Mohr in Spiegel online verwiesen, ist es nur bedingt hilfreich: „Die Geschichte des Protests wäre nichts ohne zeitgemäße Technik und Kommunikationsmittel - entscheidend aber, das zeigen die aktuellen Demonstrationen in Iran, ist der Wille zum Handeln.“ |
Mythos II: Neda Die StimmeDie unbeteiligte 26 Jahre alte Studentin, die von einem Schergen des Regimes erschossen wird, wird zum Mythos. Und das gleich in mehrfacher Hinsicht. Natürlich braucht eine Mediengesellschaft ein Bild, ein Gesicht, ein Ereignis, einen Namen, eine Stimme an dem sie sich festmachen kann. Das begründet die Medienkompatibilität der schrecklichen Bilder von Neda Agha-Soltans Tod. Und es sät Unsicherheiten, ob denn alles mit rechten Dingen bei der Medialisierung des Ereignisses zugegangen ist. Genügend Stoff für Verschwörungstheoretiker. Wie bei vielen anderen Mythen auch, sind es gerade die geradezu grotesken Unwahrscheinlichkeiten, die aus einem an sich schon schrecklichen Ereignis, der Ermordung einer jungen Frau, einen Mythos machen. Dass der Name der Ermordeten Neda auf Persisch „Stimme“ heißt und dass sie bei einer Demonstration ermordet wird, die gegen den Diebstahl von Stimmen bei der Wahl protestiert, ist schon unwahrscheinlich genug. Dass der Mord selbst nicht wie die vielen anderen Morde durch das Regime zur gleichen Zeit nicht in den Schlagzeilen untergeht, sondern als gefilmter Tod durch die Weltpresse geht, ist ebenso unwahrscheinlich. Dass der herbeieilende Arzt nicht irgendwer ist, sondern ein bekannter iranischer Buchautor, Arzt und Übersetzer der Werke von Paulo Coelho und Milan Kundera in die persische Sprache, der dann über Freunde das Handy-Video über Facebook und Twitter verbreiten lässt, ist geradezu grotesk unwahrscheinlich. Und doch macht gerade diese Unwahrscheinlichkeit die geradezu präzise Sicherheit aus, mit der man sagen kann, dass hier eine junge Frau von einem Angehörigen der Basij-Milizen ermordet wurde. Mythisch ist das Ereignis aber auch in anderer Perspektive. Tatsächlich verdichtet sich in ihm das, was nach den Wahlen im Iran geschah, in einem Bild. Eine Stimme ist gewaltsam zum Schweigen gebracht ist die Visualisierung des Tage zuvor oft erklungenen Rufs der Demonstranten: Wo ist meine Stimme? Mythisch ist auch, dass und wie sich das Bild vom Ereignis trennt. Mit dem physischen Körper der Ermordeten hat es nichts mehr zu tun. Mit ihrer Persönlichkeit, ihren Ansichten und Überzeugungen genau so wenig. Dazu passt, dass nun im Netz auch angeblich frühere Bilder von ihr zirkulieren, die nun gar nicht zur Überlieferung passen. So wird ein Bild verbreitet, auf dem sie eine Kette mit einem Kreuz um den Hals trägt wenig wahrscheinlich für eine Islamwissenschaftlerin im Iran. Aber das Bild kommt so sympathisch daher, dass man gar nicht genau hinschaut. Christliche Quellen machen dementsprechend aus Neda eine Christin als Opfer des muslimischen Systems. Was für ein Irrsinn. Aber Mythen sind immer Projektionsflächen und werden von denen gestaltet und umgestaltet, denen sie nützen. |
Mythologie III BansheeLara Setrakian, die Reportern der ABSC News in Dubai schrieb auf ihrem Twitter feed über die nächtlichen Rufe von den Dachterassen: “People are very angry…they are screaming like a banshee…this ain’t aloha akbar anymore”. Das ist eine seltsam zutreffende und unzutreffende Beschreibung zugleich. Eine Banshee ist ein weiblicher Geist, der den bevorstehenden Tod in einer Familie ankündigt und stammt eigentlich aus dem irischen Volksglauben. Die Stimme der Banshee soll ein Klagen oder Kreischen sein und kann so durchdringend werden, dass sie den, der sie hört, augenblicklich tötet. Für einen muslimischen Kontext passender wäre als Anspielung eigentlich der Engel des Todes gewesen, also Azrael. Aber der ist eigentlich mehr ein himmlischer Bote, denn ein klagender Geist. Mythologisch treffend wären am allerersten die Erinyen bzw. Eumeniden, in römischer Terminologie die Furien. Und hier wäre es Tisiphone, um die es geht: die Vergeltung oder die den Mord Rächende. Singe keiner vom Vergeben! Aber da die Banshee auch in Computerspielen eine Rolle spielt, mag es tatsächlich passend sein, sie als mythologisches Bild in einer Situation zu verwenden, in der es nicht nur auf das Rufen selbst, sondern dessen Verbreitung über das Web 2.0 ankommt. |
Artikelnachweis: https://www.theomag.de/60/am293.htm
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