Landschaften |
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Die Kornkreise des Protestantismus |
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Richtig: Immer wieder sonntags, präsentiert als Fernsehaufzeichnung aus dem Jahr 1973! Ja geht’s noch? Zielgenau an jedem nur denkbaren Kriterium vorbei. Das ist weder ein Musikvideoclip, noch in irgendeiner Weise qualitativ gut, sondern nur peinlich, peinlich, peinlich. Und darf man vermuten, es wird hier nur platziert, weil es um den zu heiligenden Sonntag geht? Wir sind schließlich bei der Kirche! Dabei geht es hier allenfalls um griechisch-orthodoxe Lieder, denn „Jeden Sonntag kamen sie herüber, Unsre Musikanten aus Athen.“ |
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Wäre dies ein gebildeter Arbeitskreis (und kein protestantischer Kornkreis), dann könnte der erste Musikvideoclip eine Referenz auf die Geschichte dieses Genres sein und „Video killed the Radio-Star“ von den Buggles vorstellen, jener Clip, mit dem der Musikkanal MTV seinerzeit stilgerecht sein Fernsehprogramm eröffnete. Das war sicher kein besonders guter Clip, aber doch historisch bedeutungsvoll. |
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Oder man eröffnet ebenso aus zeithistorischem Anlass mit „Can you feel it / Triumph“ von den Jackson 5, ein ausgezeichnetes Musikvideo, von dem damals die ganze Welt sprach und das bis heute seine Brisanz behalten hat, weil es sich um die angesonnene Vergöttlichung des Menschen dreht. Aber diese Erwartung, man stieße auf qualitativ ausgezeichnete Videoclips, steht unter dem Vorbehalt des Konjunktivus irrealis. |
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Niemand hätte von einem Kornkreis Vernunft, Geschmack und Bildung erwartet. Wo kämen wir dahin? Tatsächlich passen Cindy & Bert zur Konkreis-Cerealogie. Aber da hätte ich dann noch weitere Vorschläge, die das religiöse Gefühl noch treffender zurichten: Wie wäre es mit dem Stück „Ich schwör“ der Kastelruther Spatzen, ein echtes Musikvideo von Wolfgang Moik in Heideggerischer Machart, für Kornkreise geradezu prädestiniert. |
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Oder Mara Kaysers legendärer paulinischer Resteverwertungssong „Glaube, Liebe, Hoffnung“ aus ihrem (ganz nach Mao benannten) Album „Lasst alle Blumen blühen“. Alternativ ihr Song „Wem Gott will rechte Gunst erweisen“, ein Gassenhauer fürs Gemüt. Auch so etwas ist immer wieder willkommen. Gibt es noch keine Musikvideoclips zu Paul Gerhardt? Dafür gäb’ es sicher einen Kulturpreis der EKD aus den Händen der Kulturbeauftragten! Wenn man die Selbstghettoisierung des Religiösen nachvollziehen will, dann kann man das hier tun. |
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Was mich an diesem Kornkreis stört, ist weniger, dass er sich nostalgisch in irgendwelchen Schlagerreminiszenzen der Vergangenheit suhlt, sondern, dass er es unter falschem Etikett tut. ‚Pictura loquitur’ meinen sie und eigentlich wollen sie auf das ‚ut populus ad ecclesiam trahatur'’ hinaus. Und auch darüber würde ich mich weniger aufregen, wenn ich dahinter nicht eine bestimmte Methode vermuten würde. So soll alles auf ein Niveau herunter gebrochen werden, es soll keinen Unterschied mehr zwischen dem Qualitativen und dem Schund geben. Volkstümlich möchte man sein und zerstört zugleich die Möglichkeit, zwischen Volkskultur, Kultur und Schund unterscheiden zu können.
Sicher gibt es hier auch sinnvolle Kreise, die dem Austausch und der ernsthaften Themenbearbeitung dienen. Aber das ist eher die Ausnahme. Denn grundsätzlich stellt sich ja die Frage, warum Menschen überhaupt sich selbst in aller Öffentlichkeit mitteilen sollten, statt in einen gemeindeeigenen Gesprächskreis zu gehen. Da können sie ja gleich eine nachmittägliche Fernseh-Talk-Runde besuchen. Und so sinnvoll wie das Gespräch mit Vera sind entsprechende Kreise dann auch. Mit Community im Sinne des Internet gestützten sozialen Netzwerks hat das wenig zu tun. Oder man entleert das Wort sozial und Netzwerk aller semantischen Gehalte.
Vielleicht geht es im Kern gar nicht darum, den Menschen ein Gesprächsangebot in einem evangelischen (Korn-)Kreis zu machen. Vielleicht geht es nur darum, etablierten und konkurrierenden Systemen wie jesus.de das Wasser abzugraben und sie platt zu machen. Dazu lässt sich nur so viel sagen, dass man damit immer auch einen Teil der Ideologie aufnimmt. Schon jetzt lässt sich am Erscheinungsbild von evangelisch.de der Preis dafür erkennen. Die funktionalen Analphabeten, bestimmte religiöse Menschen, in Wirklichkeit aber durch und durch religiös Unmusikalische finden hier ihre würdige Plattform.
Ich greife noch einmal einen anderen Kornkreis heraus, dieses Mal den von der Redaktion geführten Kreis „Stilvoll glauben“. Gut katholisch gibt es hier einen geschlossenen Priesterkreis des leitenden Teams und einen offenen Laienkreis, indem diese ihre Anregungen, Anmerkungen zum Blog „Stilvoll glauben“ loswerden können. Nun kann sich jeder einmal überlegen, was er unter „Stilvoll glauben“ im Rahmen des Protestantismus versteht. Von Dietrich Korsch gibt es ein einschlägiges Buch „Religion mit Stil. Protestantismus in der Kulturwende“. Und was präsentiert das virtuelle Gesicht der EKD? In der Ankündigung dieses Kornkreises heißt es noch: „Ihr könnt euch nicht vorstellen, um was es gehen soll? Na dann denkt doch einfach mal an... zuckersüßen Abendmahlswein, Euer Konfirmations-Outfit, so manch einen Liedtext, Teppiche in Gemeindehäusern, selbstgestaltete Kerzen, Gottesdienst-Plakate oder oder oder. Klar, was wir meinen? Hier im Kreis "Stilvoll glauben" sammeln wir all Eure Anregungen und diskutieren, wie stilvoll Glaube sein kann, darf, muss - und was Stil überhaupt ist.“ Wenn’s denn wenigstens das wäre. Aber de facto gibt es dann z.B. die „Gebote der Gestaltung“ von …. Na was wohl: Flyern!! Und da findet man dann so stilvolle Hinweise, wie man möge die Schriftart passend zum Thema auswählen (Stencil am Totensonntag, Bayreuth für das Multikulturfestival, usw.) Ich fasse es nicht.
Mit dem „Evangelisch“-Sein, also einem mit Vernunft und Bildung ausgestattetem Protestantismus hat das Ganze kaum etwas zu tun. Um so mehr mit dem Phänomen der Kornkreise. Diese sind gezielte Versuche, Aufmerksamkeit zu erregen und Publikum anzulocken. Sie basieren aber letztlich auf dessen Verachtung, weil man die Menschen nur als zu manipulierende, als zu überredende und nicht zu überzeugende Wesen wahrnimmt was ja bei den Kornkreisen auch nicht schlecht gelaufen ist.
Evangelisch.de und insbesondere die Kreise sollen dazu dienen, sich mit der EKD zu identifizieren, sie sollen etwas vom Vertrauten aus dem regionalen Bereich auf die globale Ebene übertragen. Das wird nicht gelingen. Diejenigen, die so schon mit der EKD verbunden sind, bekommen in neues Spielfeld, diejenigen, die es aus guten Gründen nicht sind, werden so sicher nicht überzeugt. Schon jetzt besteht ein guter Teil der Beiträge von immer denselben, die zum Teil direkt in die Plattform involviert sind. Da es sich aber um das virtuelle Gesicht der EKD handelt, bekommt man den fatalen Eindruck, so sei der Protestantismus. Ist er aber nicht.
Artikelnachweis: https://www.theomag.de/62/am298.htm
© Andreas Mertin, 2009