G.A.U.

Die Kirche und die Kultur

Andreas Mertin

02. November 2009
Gestern Abend, am 1. November 2009, meldet SPIEGEL ONLINE unter der Überschrift „Preisverleihung in Frankfurt. Herta Müller rechnet mit evangelischer Kirche ab“, dass Herta Müller bei der Verleihung des Franz-Werfel-Menschenrechtspreises in der Paulskirche in Frankfurt die evangelische Kirche in Deutschland kritisiert habe. Sie berichtete, dass sie 1989 vom Deutschen Evangelischen Kirchentag auf rumänischen Druck hin ausgeladen wurde. Ihr sei ein Tonbandmitschnitt eines Telefonats der evangelischen Kirchenleitung im rumänischen Hermannstadt mit der Evangelischen Kirche in Deutschland zugespielt worden. Die Autorin verlas daraus eine Passage, in der der rumänische Kirchenvertreter vor einer "Einmischung in die inneren Angelegenheiten Rumäniens" warnte und mit Konsequenzen droht. Daraufhin wurde Müller seinerzeit mit der fadenscheinigen Begründung ausgeladen, sie sei eben katholisch und nicht evangelisch.

Wenn man das liest, möchte man es nicht glauben. Es ist der Berliner Kirchentag 1989 kurz vor dem Mauerfall, Bischof von Berlin und Ratspräsident der EKD ist Martin Kruse.

Was einen zunächst zweifeln lässt, ob es sich wirklich so abgespielt hat, ist die Tatsache, dass der Evangelische Kirchentag eine formell von der EKD unabhängige Laienorganisation ist. Selbst wenn es das Gespräch zwischen den Kirchenvertretern gegeben hat, müsste das keinerlei Konsequenzen für den Ablauf des Kirchentages haben. Hat es aber offensichtlich gehabt.

Das ist in vielfacher Hinsicht ein Skandal und ein kultureller GAU der Evangelischen Kirche in Deutschland. Vorausgegangen ist dem Gespräch zwischen den Kirchenvertretern der offizielle Protest des rumänischen Botschafters in Deutschland Marcel Dinu an die Leitung des Kirchentages in Fulda. Er sagt seine Teilnahme am Kirchentag wegen der Einladung von Herta Müller und ihrem Mann ab.

Im Börsenblatt des Deutschen Buchhandels vom gleichen Tage erfährt man unter der Überschrift „Frankfurter Aufklärung“ weitere Details: „In ihrem Briefkasten habe sie ein Tonband gefunden, ohne Absender, erzählte Müller - den Mitschnitt eines Telefongesprächs zwischen zwei Geistlichen aus dem Jahr 1989, zwischen Albert Klein (Evangelische Kirche A.B. in Rumänien) und Joachim Heubach (Evangelische Kirche in Deutschland) … Entweder oder, soll Klein gedroht haben. Würden Müller und Wagner zu Wort kommen, müsse er seinen Besuch in Berlin absagen ... Dass sich die Evangelische Kirche vor Repressalien fürchtete, hinter den Kulissen letztlich mit der rumänischen Staatsmacht paktierte und ihr den Mund verbot: Müller wollte das alles in ihrer kurzen Ansprache heute nicht kommentieren, ließ aber dennoch keinen Zweifel daran, wie sehr sie das Verhalten verurteilt …“

Nun sind Albert Klein und Joachim Heubach nicht irgendwelche subalterne Beamte in der Kirchenhierarchie, sondern sie sind leitende Geistliche in ihren jeweiligen Kirchen. Albert Klein war von 1969-1990 und damit auch zum Zeitpunkt des Gesprächs der leitende Bischof der Evangelischen Kirche Augsburgischen Bekenntnisses in Rumänien. Joachim Heubach war der Landesbischof der Evangelisch-Lutherischen Landeskirche Schaumburg-Lippe und für die Evangelische Kirche in Deutschland (EKD) als Beauftragter des Rates der EKD für die Seelsorge im Bundesgrenzschutz tätig. Auf gesamtkirchlicher Ebene wirkte Heubach außerdem als Vorsitzender der Lutherischen Liturgischen Konferenz und als Präsident des Martin-Luther-Bundes. Insbesondere für die Ostkirchenarbeit und dabei auch für die Gemeinden der Evangelischen Kirche Augsburgischen Bekenntnisses in Rumänien soll Heubach sich eingesetzt haben.

Wenn man das im Hinterkopf hat, dann stellt sich der Vorgang so dar, dass zwei Evangelische Lutherische Bischöfe ein Gespräch führen mit dem Ziel, eine dissidente Schriftstellerin und ihren Mann vom öffentlichen Diskurs auf dem Kirchentag auszuschließen. Und das setzen sie auch erfolgreich in die Tat um. Das ist wirklich ungeheuerlich.

Selbstverständlich haben die zeitpolitischen Umstände auch eine Rolle gespielt. Selbstverständlich wird dem Auswärtigen Amt seinerzeit nicht an einer Eskalation gelegen gewesen sein. Das spielt im vorliegenden Fall aber überhaupt keine Rolle. Es geht darum, dass es zwei lutherische Bischöfe gesprächsweise für völlig diskutabel und normal halten, eine dissidente Schriftstellerin von einer Gesprächsrunde fernzuhalten.

Was tun?
Nun fragt man sich spontan, wie die Evangelische Kirche mit diesem Ereignis umgehen soll. Da gibt es einige nahe liegende Schritte. Selbstverständlich muss die neue Ratspräsidentin der EKD, deren Vorgänger eben noch öffentlichkeitstrunken Herta Müller zum Literaturnobelpreis gratuliert hat, sich sofort und unmissverständlich bei der Schriftstellerin und ihrem Mann entschuldigen. Die Kulturbeauftragte der EKD (die mit dem Logo „Kultur ist der Spielraum der Freiheit“ hausieren geht) muss überlegen, wie dieser Schaden im Blick auf die Kultur langfristig wieder gut gemacht werden kann und hier reichen sicher keine wohlfeilen Statements. Der Evangelische Kirchentag muss lückenlos aufdecken, wie es dazu kam, dass zwei lutherische Bischöfe verabreden und durchsetzen konnten, dass auf der Laienveranstaltung Kirchentag eine dissidente Schriftstellerin nicht reden durfte. Und man sollte explizit untersuchen, wie es Herta Müller vorgeschlagen hat, welche Rolle die Evangelische Kirche A.B. in Rumänien im Rahmen des Ceauşescu-Regimes gespielt hat.

Vor allem aber muss man eine Schlussfolgerung aus dem Geschehen ziehen: dass Zensur, dass die Begrenzung der Redefreiheit in der Evangelischen Kirche keinen Platz hat. Das sollte eigentlich selbstverständlich sein. Eigentlich.


02. November 2009
Noch am Montag morgen erscheint auf www.evangelisch.de, dem virtuellen Gesicht der EKD, ein erster Text von Inga Radel zur Thematik. Schon die (vermutlich von der Redaktion ausgewählte) Überschrift ist interessant: „Menschenrechtspreis für Herta Müller. Autorin kritisiert Kirche“. Ein Schelm wer Böses dabei denkt, dass ausgerechnet hier das Wort „evangelische“ weggelassen wurde. Unter der merkwürdigen Zwischenüberschrift „Vom Evangelischen Kirchentag ausgeschlossen?“ referiert Inga Radel die Äußerungen Müllers: „Seit kurzem beschäftige sie außerdem die Frage: ‚Was ist mit der evangelischen Kirche in Rumänien?’ Im Jahr 1989 habe man sie und ihren damaligen Mann auf rumänischen Druck vom Deutschen Evangelischen Kirchentag ausgeschlossen, dies belege die Tonband-Aufzeichnung eines Telefonats, die ihr seit kurzem vorliege, sagte die Nobelpreisträgerin. Damals habe man sie kurzfristig mit der ‚merkwürdigen Begründung, sie sei nicht evangelisch, sondern katholisch’ ausgeladen.“

Nun ist diese Ausladung ja gar nicht strittig, deshalb ist das Fragezeichen in der Zwischenüberschrift (die ich wiederum der Redaktion zuordne) höchst fragwürdig. Und was die Verfasserin nicht mitteilt, ist, was Herta Müller auf der Frankfurter Veranstaltung an neuen Informationen mitgeteilt hat: dass es nämlich ein Gespräch zwischen zwei Bischöfen war, in dem es um die Ausladung von Herta Müller und ihrem Mann ging. Das macht doch den eigentlichen neuen Skandal aus.


02. November 2009
Am Abend des 2. Novembers erscheint ein zweiter Text auf evangelisch.de. Bernd Buchner, Redakteur bei evangelisch.de schreibt unter der Überschrift „Verwirrung um Herta Müllers Kirchenkritik“ einen Text, von dem ich mir gewünscht hätte, er wäre im Kopf des Verfasser geblieben oder im Papierkorb gelandet. Hintergrund der Kritik von Herta Müller sei „eine zurückgenommene Einladung“ zum Berliner Kirchentag. So kann man es natürlich auch formulieren. Man hat also Herta Müller nicht unter fadenscheinigen und unzutreffenden Gründen ausgeladen, sondern man hat nur vornehm die Einladung zurückgenommen. So macht man das unter feinen Leuten. Und zudem sei das ja auch schon 20 Jahre her, also quasi nicht mehr wahr.

Dabei, so ergänzt Buchner, sei doch das Verhältnis zwischen EKD und Müller an sich in Ordnung, schließlich habe der Ratsvorsitzende der „aus dem westrumänischen Banat stammenden Katholikin“ doch zum Literaturnobelpreis gratuliert. Und schwups hat er sich explizit den Ausladungsgrund von 1989 zu Eigen gemacht. Nicht als Schriftstellerin oder dissidente Intellektuelle, sondern als „aus dem westrumänischen Banat stammende Katholikin“ wird sie hier angesprochen. Das ist insofern infam, weil es ausgerechnet den denunziatorischen Sprachgebrauch der rumänischen Intriganten von 1989 aufnimmt. Die hatten nahezu wortwörtlich so argumentiert.

Buchner ergänzt weiter: „Doch nun muss sich das Kirchenamt in Hannover um Klärung in einem verworrenen Fall bemühen. Am Montag gab es noch keine offizielle Stellungnahme. Ob es sie überhaupt geben muss und wird, ist offen.“ Selbstverständlich muss das Kirchenamt nicht auf die Zensur einer dissidenten Schriftstellerin auf Betreiben eines lutherischen Bischofs mit einer offiziellen Stellungnahme reagieren. So etwas ist doch bei der Kirche ganz normal, oder?

Der folgende Satz ist dann der Gipfel schlechthin: „Der Umgang mit osteuropäischen Oppositionellen, zu denen die 1987 in die Bundesrepublik übergesiedelte Schriftstellerin gehörte, war eine Gratwanderung, die Fingerspitzengefühl und viel diplomatisches Geschick verlangte.“ Wie bitte? Was soll man dazu noch sagen? Mit dieser Einstellung ist man meines Erachtens in einem evangelischen Presse- und Öffentlichkeitsorgan fehl am Platze. Mit viel Mühe kann man in diesen Satz noch die Aussage hineinlesen, man müsse die Dissidenten vor staatlicher Verfolgung schützen, aber doch nicht gegen ihren Willen und ohne mit ihnen zu reden. Und schon gar nicht lädt man sie mit Lügen aus. Sieht so protestantisches Fingerspitzengefühl und diplomatisches Geschick aus? Wie es um letzteres bestellt ist, haben wir ja gerade durch das Papier von Thies Gundlach im Blick auf die katholische Kirche aus dem Kirchenamt der EKD erfahren. Nein, der Umgang mit Verfolgten verlangt Solidarität und Unterstützung, es verlangt, ihre Stimme zu Gehör zu bringen, das ist eine nicht aufgebbare Haltung christlicher Existenz! Von wegen Gratwanderung, Fingerspitzengefühl, diplomatisches Geschick. Dieses feige Gerede kann ich nicht mehr hören. Morgen werden sie sagen, das alles geschah nur „Im Interesse der Sache“ (Alexander Solschenizyn).


05. November 2009
Inzwischen ist es Donnerstag, der 5. November und die EKD hat sich noch immer nicht geäußert. Bernd Buchners Text auf evangelisch.de trägt zwischenzeitlich einen neuen Titel „Kirchentag weist Herta Müllers Vorwürfe zurück“ und ist stark überarbeitet, aber nicht verbessert worden. Ganz im Gegenteil. Inzwischen gewöhnt man sich daran, in derartigen Texten zwischen den Zeilen zu lesen als ob man in einer (Meinungs-)Diktatur lebe. Was erfahren wir Neues? Buchner schreibt: „Personen, die mit den damaligen Vorgängen vertraut sind, bezeichnen die Vorwürfe als ‚ungeheuerlich’, Kirchentagssprecher Rüdiger Runge nannte Müllers Darstellung ‚sehr unwahrscheinlich’.“ Das muss man zwei Mal lesen. Herta Müllers Vorwürfe, die in der Ursprungsfassung noch unstrittig und seinerzeit bereits diskutiert waren („dass es sich bereits damals um einen öffentlichen Vorgang gehandelt habe“), sind nun plötzlich „ungeheuerlich“? Wenn das nicht kritisch gemeint ist, würde ich gerne wissen, wer diese Personen sind, „die mit den damaligen Vorgängen vertraut sind“.

Und was begründet die Meinung des Pressesprechers des Kirchentages „der Diskussion von 1989 sei heute nichts hinzuzufügen“? Er begreift offenkundig nicht, dass – bis dieser Vorfall geklärt ist – kein Intellektueller an einem Evangelischen Kirchentag teilnehmen kann, steht doch der Vorwurf im Raum, dieser paktiere de facto mit einem verbrecherischen System und mache sich dessen Ansichten zu eigen. Das Argument kann doch nicht sein, dass dies alles rückblickend aus den Erinnerungen der Beteiligten nicht verlässlich zu rekonstruieren sei, wie der DEKT-Sprecher meint. Wieso liegt anderen dann der Brief des rumänischen Botschafters an Carola Wolf vor? Warum der Brief das Botschafters ans Auswärtige Amt? Sind wir wirklich nur auf Erinnerungen angewiesen? Wer jemals an Ausschuss-Sitzungen des Kirchentages teilgenommen hat, weiß, dass von jeder Sitzung typisch deutsche Protokolle angefertigt und abgelegt werden. An den wichtigen Sitzungen nehmen Studienleiter des Kirchentages teil. Und das soll nicht aufklärbar sein? Oder will man es nicht?

Buchner ergänzt seine Darstellung noch um folgenden Satz: „Der im Jahr 2000 verstorbene Ostkirchenexperte Heubach allerdings, so ist zu hören, habe mit dem DEKT so gut wie nichts zu tun gehabt - und konnte schon gar über dessen Einladungspolitik entscheiden.“ Darüber kann man nur noch trocken lachen. Als ob so Kirchenpolitik gemacht würde. Selbstverständlich entscheiden lutherische Bischöfe nicht über die Einladungspolitik des Kirchentages. Sie rufen an und tragen Sorgen vor – sie raten, sie legen nahe, sie geben zu Bedenken, sie weisen auf die Folgen hin usw. usf. Und am Ende lädt ein Ausschuss eben jemanden anderes ein. Die Schere im Kopf ist – wie die Dummheit – auch in der Evangelischen Kirche weit verbreitet. Und wer hätte davon schon Aufhebens gemacht, wenn Herta Müller nicht den Literaturnobelpreis und den Franz-Werfel-Menschenrechtspreis bekommen hätte. Dumm gelaufen.

Und nun sucht man sich mit einer Dreistigkeit aus der Sache herauszuwinden, die schon historisches Format hat. Man könne sich nicht mehr erinnern! Was Politikern vor Untersuchungsausschüssen recht ist, muss Kirchenfunktionären doch billig sein. Können die Vertreter der EKD und des Kirchentages nicht zu einer simplen humanen Geste fähig sein? Können sie nicht sofort das Gespräch suchen?


06.November 2009

Aus der Siebenbürgischen Zeitung sind nun Details des Telefongespräches zwischen Bischof Klein und Bischof Heubach bekannt geworden. Offenkundig hat Klein am Telefon ein offizielles Schreiben der Evangelischen Kirche A.B. in Rumänien an die EKD bzw. den Kirchentag (das wird nicht so ganz deutlich) vorgelesen:

„Da das aus dem Banat ausgewanderte Ehepaar Wagner-Müller keinerlei Beziehungen zur christlichen Kirche zu erkennen gegeben hat, über die Medien aber durch schärfste Kritik der Verhältnisse in Rumänien weiterhin bekannt geworden ist, ist mit seiner Teilnahme an diesem Forum die Anprangerung Rumäniens vorauszusehen. Das wird von den ebenfalls zum Forum geladenen Vertretern der Rumänischen Botschaft als Einmischung in innere Angelegenheiten Rumäniens bezeichnet (…). Die Folge wäre aber, dass die Beziehungen unserer Kirche zur EKD schwer belastet und die weitere Zusammenarbeit in Frage gestellt wird. Nach eingehender Beratung sind wir, Landeskirchenkurator Hermannstädter, Bischofsvikar Dr. Christoph Klein, Hauptanwalt H.G. Binder und ich, zusammen mit Dekan Dr. Pitters und Prof. Dr. Paul Philippi zu folgendem Ergebnis gekommen (…) 3. Wenn das Forum Rumänien vom Veranstaltungsplan nicht gestrichen wird, werden wir unsere beiden Delegierten nicht nach Berlin entsenden. Gez. Albert Klein“.

Das ist nun insofern interessant, als dass eine Teilnahme von Herta Müller ganz selbstverständlich vorausgesetzt wird. Oder soll man das so lesen, man hätte Angst gehabt, dass Herta Müller sozusagen auf eigene Faust kommt und habe daher um die Absage der gesamten Veranstaltung gebeten? Das ist mehr als unwahrscheinlich. Es ist wohl davon auszugehen, dass die Einladung an Herta Müller im Raum stand und nun alles getan wurde, um das zu verhindern. Nur so macht die Reaktion der Kirchenvertreter überhaupt einen Sinn. Und es ist noch interessanter, dass die Evangelische Kirche in Rumänien gleich das gesamte Gespräch in Frage stellt und die Absage des Forums Rumäniens fordert. Hat da Herta Müller nicht alles Recht der Welt, sich darüber aufzuregen?


08.November 2009
Vor einer Woche hat Herta Müller die Evangelische Kirche damit konfrontiert, dass zwei lutherische Bischöfe am Telefon über die Verhinderung ihrer Teilnahme am Kirchentag in Berlin geplaudert haben. Die EKD versprach, der Sache nachzugehen. Bis heute haben weder die EKD noch der Kirchentag zur Aufklärung beigetragen. Während der Kirchentag durch seinen Sprechern nur Nebelkerzen hat werfen lassen, kam von der EKD nur: Schweigen.


14. November 2009
Mitte November kommt Bewegung in die Auseinandersetzung. Zunächst einmal nimmt das Landeskonsistorium der Evangelischen Kirche A.B. in Rumänien Stellung. In der Siebenbürgischen Zeitung kann man nun Folgendes zum Sachverhalt nachlesen:

„Nach eingehender Beratung des Präsidiums des Landeskonsistoriums, seiner Kanzlei und des Theologischen Instituts am 16. März 1989 wurde an Landesbischof D. Joachim Heubach, Beauftragter der Evangelischen Kirche Deutschlands (EKD) für die Zusammenarbeit mit unserer Kirche, die Bitte ausgesprochen, dahingehend zu wirken, dass der Kirchentag den Beschluss zur Abhaltung eines Forums Rumänien überprüfen möge und – wenn dieses nicht rückgängig gemacht werden kann – die Vertreter der EKD und der EKR an diesem Forum nicht teilnehmen sollten. Daraufhin haben die Vertreter der EKD im Verständnis für die Gefährdungen unserer Kirche von der Teilnahme am „Forum Rumänien“ tatsächlich abgesehen.“

Das ist insofern interessant, als bisher vom Kirchentag und der EKD behauptet wurde, es könne gar keine Verbindung von Bischof Heubach und dem Kirchentag gegeben haben. Davon kann nun keine Rede mehr sein. Tatsächlich hat Heubach ganz offensichtlich auf die Veranstaltung und ihre personale Zusammensetzung Einfluss genommen. Das Landeskonsistorium hebt darüber hinaus noch einmal hervor, dass schon kurz nach dem Kirchentag der sachliche Vorgang allgemein bekannt war. Da fragt man sich, warum die Vertreter von EKD und Kirchentag sich ganz bemüht nicht daran erinnern konnten.

Am 12 November schreibt nun Prof. Dr. Paul Philippi in der gleichen Zeitung unter der Überschrift „Si tacuisses …!“ Sätze, die ich persönlich mehr als peinlich empfinde. Er bezichtigt Herta Müller der Verleumdung Dritter und sieht dadurch ihren Ruf als Schriftstellerin nachhaltig gefährdet. Wie schon auf der EKD-Plattform evangelisch.de wird insinuiert, man dürfe Materialien, die man evtl. über die Securitate zugespielt bekommen hat nicht verwenden. Das hätte die Evangelische Kirche in Rumänien A.B. natürlich gerne, dass so ihr Verhalten unbekannt bliebe. In der gleichen Logik dürften keine Erkenntnisse über Stasi-Mitarbeiter von der Birthler-Behörde genutzt werden, weil sie ja aus Stasi-Archiven stammen. Das ist Unsinn. Wenn zur Aufklärung einer historischen Verstrickung Erkenntnisse aus derartigen Materialien sinnvoll sind, kann man sie nicht nur, man muss sie nutzen. Philippi refereriert danach den Sachstand aus seiner Perspektive, freilich ziemlich einseitig und erkennbar auch falsch. Er meint, es „dürfte Einigkeit bestehen, dass die Vertreter des rumänischen Staates zwischen Kirchentag einerseits und EKD andererseits nicht würden unterscheiden können.“ Das ist insofern völlig falsch, weil der Botschafter Rumäniens durchaus wusste, wohin er sich wenden musste, um gegen die Einladung des Ehepaares Müller/Wagner zu protestieren: an Carola Wolf und eben nicht an Bischof Kruse. Die nächsten Sätze von Philippi sind ein Skandal schlechthin: er wirft den beiden Schriftstellern vor, dass sie sich „dem Druck der Securitate durch Auswanderung entzogen“ hätten. Ich finde so etwas unfassbar. Meint er wirklich, was er schreibt? Sollen wir die gleiche Debatte über die ausgewanderten Juden führen oder die geflüchteten Staatsbürger der DDR? Wer ist Paul Philippi, dass er es wagen kann, so etwas über die Biographie anderer Menschen zu schreiben? Es gab seinerzeit in Rumänien eine heftige Debatte darüber, mit welchem Druck die Evangelische Kirche in Rumänien A.B. ihre Pfarrer gezwungen hat, im Land zu bleiben, so dass einige diesen Druck als schlimmer empfanden als den Druck des staatlichen Systems. Herta Müller und Richard Wagner haben sich so entschieden und niemand ist berechtigt, dies in Zweifel zu ziehen. Dass Philippi Herta Müller nun auch noch der Verleumdung bezichtigt und dabei Tatbestände unterstellt, die gar nicht stimmen, macht alles nur noch schlimmer. Es ist, wie einer der Kommentatoren zu seinen Erguss schreibt: „So kenne ich den Prof. Paul Philippi seit mindestens 40 Jahren: wortreiches und theatralisches Hinbiegen zur Bestätigung opportuner Behauptungen.“

Zeitgleich hat dann auch der deutsche Evangelische Kirchentag Stellung bezogen, wie der Hessische Rundfunk berichtet: „Sechs Wochen vor dem Kirchentag in Berlin habe es eine Sondersitzung der Vorbereitungsgruppe für das Podium gegeben, nachdem aus der Evangelischen Kirche in Siebenbürgen Einwände gegen das Vorhaben erhoben worden seien. Eine Absage des Podiums sei nicht in Betracht gezogen worden, man habe aber festgestellt, dass unter den Eingeladenen zwei Banater Schwaben (Herta Müller und Richard Wagner sind Banater Schwaben), aber kein Siebenbürger sei. Daher habe man Wagner um "Verständnis (gebeten, d.R.), an Ihrer Stelle einen Siebenbürger zum Thema 'Minderheiten' gewinnen zu können". Zugleich habe man in dem Schreiben aber auch festgehalten: "Die Einladung an Ihre Frau bleibt so bestehen, wie sie ausgesprochen wurde!" Erst durch Herta Müllers eigene Absage sei es dazu gekommen, dass am Ende beide nicht an der Veranstaltung 'Die rumänische Wohnung im europäischen Haus' beteiligt gewesen seien.“

Auch das ist wiederum überaus interessant. Sicher, das kann man einräumen, Herta Müller hätte präziser in ihrer Darstellung sein können. Nicht sie, sondern ihr Mann wurde aus fadenscheinigen Gründen von der Veranstaltung ausgeladen. Aber warum das geschah, da ist die Kirchentagsdarstellung doch etwas unglaubwürdig. Nicht, weil es im März einen Brief und ein Telefongespräch der Kirchenleitung gegeben habe, sondern rein zufällig parallel, weil ein Siebenbürger Teilnehmer fehlte, sei Wagner ausgeladen worden? Und war auf der Veranstaltung statt seiner dann ein Siebenbürger Vertreter? Wenn nicht, fragt man sich doch, was das für ein Argument ist. Und die Antwort ist klar: ein vorgeschobenes.

Richard Wagner hat nun dankenswerter Weise etwas Licht in die damaligen Vorgänge gebracht, indem er noch einmal die Abläufe und den Kontext skizziert hat. Danach war er nicht nur zur Teilnahme am Podium eingeladen, er sollte auch das Eingangsreferat zum Thema „Minderheiten“ halten. Diese Einladung stammt noch aus dem Jahr 1988 und wurde, wie Wagner schreibt, in der Korrespondenz mit Carola Wolf im Februar 1989 bestätigt. Am 23. Mai, so sagt Wagner, erreicht ihn dann die Ausladung des Kirchentages. Und hier schreibt Wagner zu Recht: „Die offizielle Version, heute und damals vor 20 Jahren, hier in der Verlautbarung von Eleonore von Rothenhan, Vorstandsmitglied des Kirchenratspräsidiums, in der ‚Frankfurter Rundschau’ vom 8. Juni 1989 lautet: Man habe auf Wunsch der Freunde in Siebenbürgen entschieden, dass bei der Veranstaltung nicht nur zwei katholische Banater zur Podiumsrunde zählen sollten, sondern auch ein evangelischer Vertreter der Siebenbürger Sachsen. Doch wer saß zuletzt an meiner Stelle auf dem Podium? Lukas Beckmann von der Böll-Stiftung. Ein Siebenbürger Sachse? Nein, ein Ostfriese. Das spricht für sich.“ Wohl wahr. Man muss hier bei der Stellungnahme des Kirchentages nicht einmal zwischen den Zeilen lesen, die Falschheit liegt offen zu Tage.

Wagner schließt seine Überlegungen so: „Was EKD und Kirchentag anbelangt: Ihnen geht es vor allem darum, den Beweis zu erbringen, dass die spätere Nobelpreisträgerin nicht ausgeladen wurde. Als wäre das das Problem. Das Problem ist vielmehr das Verhalten des Kirchentags zu den Menschenrechten.“ Das sehe ich auch so.

Aber darüber hinaus geht es auch grundsätzlich um das Verstehen von Kultur und kultureller Freiheit. Der Kirchentag hat offenkundig insgeheim entschieden, dass er die Evangelische Kirche in Rumänien A.B. schützt, indem er einen Schriftsteller an der Teilnahme einer Diskussion und dem Vortrag seiner Ansichten zum Thema Minderheiten hindert. Das ist ein Vorgang, der das Grundverständnis des Evangelischen Kirchentages in Frage stellt. Nun ist der Evangelische Kirchentag schon seit längerem zu einer Show-Veranstaltung für amtierende Bischöfe und Bischöfinnen einerseits und der Politikerkaste andererseits verkommen. Wer sich über längere Zeit etwa auf der Medienmeile beim letzten Evangelischen Kirchentag in Bremen aufgehalten hat, wird der Behauptung, EKD und Kirchentag seien getrennte Institutionen, nur mit ironischem Lächeln begegnen können. Von der Kultur der Freiheit hat der Kirchentag in einem substantiellen Sinne schon länger Abschied genommen. Hier tummeln sich die Kirchenvertreter als institutionelle Selbstdarsteller. Wer das für Kultur hält, hat von Kultur nichts verstanden. Und offensichtlich ist diese Entwicklung nicht neuesten Datums, sondern wie durch die Verlautbarungen von Herta Müller und Richard Wagner nun deutlich wurde, schon seit längerem schleichend im Gang.


27.November 2009
Im Nachgang zum Bremer Kirchentag schreibt Petra Bahr, die Kulturbeauftragte der EKD, im Kirchentagsmagazin: „Doch ohne Kultur ist der Kirchentag nicht zu denken“. Dann wird man sich daran gewöhnen müssen, dass der Kirchentag nicht zu denken ist, denn die Vorfälle um Herta Müller und Richard Wagner zeigen, dass es dem Kirchentag an einem Grundverständnis von Kultur fehlt.

Artikelnachweis: https://www.theomag.de/62/am302.htm
© Andreas Mertin, 2009