Landschaften |
Landschaftspflege als symbolischer AktEin ParcoursAndreas Mertin Politische LandschaftenIm Conversationslexikon für bildende Kunst[1] findet sich im vierten Band aus dem Jahr 1848 auf Seite 364 folgende Notiz zu einem Werk des Malers Bernhard Stange, auf die auch Martin Warnke in seinem einschlägigen Fachbuch „Politische Landschaft. Zur Kunstgeschichte der Natur“[2] einleitend hingewiesen hat: Der symbolische Gestus, der hier in die Landschaftsdarstellung eingebaut wird, wird vom emphatischen Rezensenten als Vorwegnahme der realen Situation im Gefolge der Freiheitsbewegung von 1848 gedeutet. Langes Bild, von dem auch Steindrucke kursierten,[3] sei dennoch ein künstlerisches Bild, das sich dem Politischen nicht unterwerfe. Damit spricht er die nahe liegende Gefahr an, im Interesse des symbolischen Gestus Abstriche bei der Kunst zu machen. Auch wenn das Wort „politische Landschaft“ erst in der Mitte des 19. Jahrhunderts entstanden ist, existiert es der Sache nach natürlich viel länger. Tatsächlich wurde bei vielen Konflikten der Vergangenheit die Landschaft als Metapher der Konfliktdarstellung gewählt. Das zeigt Martin Warnke in seinem Buch am Beispiel der „politischen Besetzung der Ebene“, am Beispiel von „Bergen und Burgen“ und vielen anderen Phänomenen. Weinberg des Herrn IIch möchte im Folgenden nur kurz auf ein berühmtes klassisches Beispiel hinweisen, in dem „Landschaftspflege“ als (kirchen-)politische Darstellung genutzt wurde. Es ist ein Bild von Lukas Cranach dem Jüngeren (1515-1586), das unter dem Titel „Weinberg des Herrn“ das Epitaph von Paul Eber in der Stadtkirche von Wittenberg ziert und aus dem Jahr 1569 stammt.[4] Wir sehen auf dem Bild vier Darstellungsbereiche, von denen zwei aus der Landschaft herausgehoben sind und zwei Landschaftspflege als explizites Thema haben. An Martin Warnkes Erschließungen der politischen Landschaft schließt dieses Bild insofern an, als es einen rahmenden fünften Bereich gibt, nämlich den Berg mit der Burg im rechten Bildhintergrund.[5] Konzentrieren wir uns zunächst auf den zentralen Bildbereich, den Weinberg im Mittelpunkt des Bildes, so sehen wir schnell, dass er sich gestaltet durch einen an seine Spitze führenden Weg in zwei ganz unterschiedliche Bereiche aufspaltet. Auf der linken Seite sehen wir eine Fülle von Klerikern scheinbar einen Weinberg beackern, während sie ihn in Wirklichkeit zu Grunde richten. Statt Wasser zur Bewässerung zu schöpfen, kippen sie Steine in den Brunnen, statt die Reben und die Rebstöcke zu pflegen, reißen sie sie aus und verbrennen sie. Und auch die Rahmung des Weinbergs ist derart liederlich gestaltet, dass Schädlinge ohne Probleme eindringen können. Auf der rechten Seite dagegen stoßen wir auf das pure Gegenteil. Nahezu einheitlich gekleidete Menschen pflegen intensiv den Weinberg, schöpfen frisches Wasser und rechen das Unkraut beiseite und schneiden die Triebe zurecht. Einige sammeln Mist aus dem gegenüberliegenden Teil des Weinbergs und nutzen ihn als Dung für die eigenen Rebstöcke. Der Zaun um den Weinberg ist gepflegt und sichert ihn vor unerwünschten Gästen. Dieses Symbolbild zwei unterschiedlich produktiver Arten der Landschaftspflege wäre an sich schon sprechend genug. Die auf der rechten Seite befindlichen Personen waren für den Betrachter nicht nur physiognomisch erkennbar, sondern durch typische Handlungen vermutlich unmittelbar identifizierbar. Aber Cranach belässt es dabei nicht, sondern fügt eine weitere Symbol- und Deutungsebene ein, die sich auf das Gleichnis von den Arbeitern im Weinberg bezieht. Es geht nicht nur darum, dass die Katholiken den ihnen anvertrauten Weinberg schlecht, und die Protestanten den ihrigen recht pflegen, es geht auch noch darum, dass die Protestanten als 1500 Jahre später erschienene Arbeiter im Weinberg des Herrn implizit und explizit mindestens den gleichen Lohn verlangen. Der Papst ist bereits aus dem Tor des den Weinberg umschließenden Zauns herausgetreten und verlangt nun vom Herrn des Weinbergs Jesus Christus seinen gerechten Lohn. In seiner Hand liegt die vereinbarte Summe des Entgelts, aber die Körpersprache drückt aus, dass der Entlohnte damit nicht einverstanden ist. Er will mehr. Die abwehrende Geste seines Gegenübers sagt aber zugleich, dass das nicht infrage kommt. Wiederum ins Reich der Satire gehört die konsternierte Haltung des Petrus ob des Ansinnens seines Amtsnachfolgers. Bleibt noch der vierte Bereich des Bildes, die Familie des gestorbenen Paul Eber, zu deren Erinnerung vermögende Bürger das Bild gestiftet hatten. Wir sehen die gesamte Familie des Generalsuperintendenten des sächsischen Kurkreises, einschließlich der fünf bereits verstorbenen Kinder, die in Weiß dargestellt sind. Man vermutet, dass die Bildkonzeption den Namen des Verstorbenen aufgreift und zeigt, wer der wahre und wer der falscher Eber im Weinberg des Herrn ist. Papst Leo X. hatte in seiner Bannandrohungsbulle von 1520 Luther direkt mit einem Eber verglichen, der den Weinberg des Herrn verwüste: „diesen Weinberg will ein Wildschwein (Eber) aus dem Walde verderben, und ein außerordentliches Tier frisst ihn kahl … Martinus, sowie seine Anhänger, Helfer, Gönner und Beherberger ersuchen und ermahnen wir mit dieser Urkunde zum heiligen Gehorsam“.[6] Die visuelle Antwort gibt fast ein halbes Jahrhundert später Lukas Cranach d.J. mit seinem Bild. Der Weinberg des Herrn IIWesentlich schärfer in der Konfrontation, aber auch sorgfältiger in der Bildkomposition ist dann das dreizehn Jahre später, also 1582 entstandene gleichnamige Werk, das ebenfalls Cranach zugeschrieben wird und bis 1968 in der Kirche und jetzt im Museum von Salzwedel zu finden ist.[7] Dadurch, dass es nicht als Epitaph gestaltet ist, entfällt der Verweis auf die zu ehrende Familie und der Bildraum lässt mehr Spielraum für theologische Aussagen. So kommt nun Jesus als Herr des Weinbergs mit seinen Jüngern von rechts und steht damit unter der Weinbergseite, die der Reformation zugeordnet ist. Ihm entgegen kommt der Papst mit den Kardinälen und Bischöfen, die nun deutlicher akzentuiert werden können. Martin Luther kann nun zudem in ein Verhältnis zum Papst gesetzt werden, insofern er nun mit seinem Rechen über dem Haupt des Papstes dessen reformationskritische Interventionen zusammenkehrt. Das Geschehen im Weinberg ist nun kontrastreicher, fast schon comic-artig ausgestaltet, der Verfall der katholischen Seite ebenso dramatisiert wie das Gedeihen der evangelischen. Andererseits ist der evangelische Teil des Weinbergs nun deutlich kleiner als der katholische. Auch sind die satirischen Anteile in der Bildkonzeption nun deutlich zurückgestellt. Keine „flüchtigen“ Katholischen mehr und keine subtilen Anspielungen. Der Pfad, der Protestanten und Katholiken trennt, ist ausgeprägter und deutlich betonter geworden. Gleichzeitig gibt eine Texttafel Auskunft über die beteiligten Personen auf protestantischer Seite, sicher auch Ausdruck des Bewusstseins, dass inzwischen nicht mehr alle evangelischen Akteure physiognomisch bekannt waren. Die zweifache Botschaft ist an sich dieselbe wie beim ersten Bild, nur verteilt sie sich deutlicher auf zwei Bildebenen. In der unteren Bildebene geht es am Beispiel der Arbeiter im Weinberg darum, dass eine später entstandene Konfession nicht weniger Rechte vor Gott hat wie eine früher entstandene. Im oberen Bildbereich geht es aber um die Effizienz der Arbeit, es geht um die Pflege des Weinbergs des Herrn, die zum Maßstab des Betrachterurteils gemacht werden soll. Dass dieser Bildtyp kein verbreiteter geworden ist, liegt sicher auch an der argumentativen Schwäche des Bildes, daran, dass es sich in der visuellen Kommunikation nicht auf eine Sache konzentrieren kann. Die Betonung des besseren Werkes der Reformatoren ist ja eigentlich eher unreformatorisch (und im Gleichnis von den Arbeitern im Weinberg auch nicht enthalten). Erklärbar ist das nur als Retourkutsche gegen die Anwürfe von Leo X. Der Bildtypus „Alte Kirche versus Neue Kirche“, der ja durchaus verbreitet war, eignet sich nicht für eine Kombination mit den Arbeitern im Weinberg, weil dann das Thema der Werke zumindest in der hier gewählten Form eine ungebührliche Aufwertung erfährt. Aber die Wahl einer Metapher oder Allegorie ist immer ein schwieriges Geschäft und nicht immer überblickt man die Implikationen eines visuellen Argumentes. Der LuthergartenWarum schreibe ich überhaupt diese Zeilen, wenn es nicht der unmittelbar thematische Anlass dieser Ausgabe des Magazins für Kunst | Kultur | Theologie | Ästhetik allein ist? Die beiden gerade beschriebenen Bilder sind durch und durch symbolische Darstellungen, niemand wird sie auch nur für eine Sekunde mit einer Abbildung einer realen Situation verwechseln. So gekleidete Menschen bewirtschaften keinen Weinberg zumindest nicht handgreiflich. Also ist man von der ersten Sekunde an auf das Symbolische verwiesen. Es sind zugleich historische politische Kampfbilder, die im seinerzeit noch nicht entschiedenen Streit über die konfessionelle Gestalt Europas Stellung beziehen. Und es sind religiöse/theologische Bilder, insofern sie in den Worten und Bildern des Alten und Neuen Testaments ihre Bildlogik entfalten. Ich fragte mich nun, ob es analoge symbolische Akte des Protestantismus in welcher seiner Ausformungen auch immer in der Gegenwart gibt. Wenn das Thema Landschaft sich eignet, symbolisch für theologische Symbolisierungen in Anspruch genommen zu werden, geschieht das auch noch im 21. Jahrhundert? Und mit welchen Bildern und Gesten geschieht es? Selbstverständlich will die Evangelische Kirche auch heute bei diesem Wettbewerb symbolischer Akte nicht nachstehen. Im Rahmen der sich abzeichnenden Tendenz zu bloß symbolischen Gesten die reales Handeln dann oftmals ersetzen inszeniert die Evangelische Kirche an verschiedenen Stellen und mit verschiedenen Gesten ihre Botschaft. Ich greife eine davon heraus, weil sie mit Landschaftsgestaltung und symbolischer Gestik zugleich zu tun hat. Der Lutherische Weltbund möchte nämlich bis zum Lutherjubiläum 2017 in Wittenberg einen Luthergarten anlegen, der mit 500 Bäumen bepflanzt sein soll. Stifter der Bäume sollen alle christlichen Gemeinschaften dieser Welt sein. Wer unter www.luthergarten.de im Internet nachschlägt, bekommt somit das exakte Gegenstück zu dem vorgeführt, was wir eben noch bei den beiden Werken aus der Hand Lukas Cranachs d. J. studieren konnten. Und das gleich in doppelter Hinsicht: während Cranachs Bilder die Differenzen zwischen Katholizismus und Protestantismus ins Bild fassen, soll der Luthergarten nun „ein Zeichen der Verbundenheit, Vernetzung und Versöhnung der Kirchen weltweit“ setzen. Und zugleich deutet der Wechsel vom Weinbau zum Landschaftsgarten auch eine Verschiebung in der theologischen Grundierung an. Der Garten, den wir gestalten, ist eine Art Selbstzweck geworden, er kann auf seine Einbettung in das Gleichnis von den Arbeitern im Weinberg und damit in die Theologie und das theologisch zu Sagende gut und gerne verzichten: „Neben den anderen bekannten Orten in Wittenberg, die mit Luthers Wirken verbunden sind, erhält die Stadt mit dem Luthergarten ein weiteres Luther-Symbol in Form eines Aufenthaltsortes im Freien, der für jeden zugänglich ist. Die Geschichte der lutherisch geprägten Reformation kommt ans Licht und wird ein neuer kultureller Anlauf- und Aktionspunkt in Wittenberg.“ Und war das nicht schon immer das Ziel der Reformation und der Reformatoren dem Bürger eine Gelegenheit zum Flanieren in freier Natur zu bieten? Aber Scherz beiseite. Den Initiatoren geht es natürlich um Theologie: „Die Pflanzung von Bäumen lässt einen Garten entstehen, der neben der lebendigen Schönheit eines Parks auch theologische Einsichten verdeutlichen kann.“ Und wie sehen die theologischen Einsichten aus? Das erklärt der Präsident des Lutherischen Weltbundes:
Da sind alle Stichworte drin, die man in der aktuellen kirchlichen Situation zur Befriedung seiner Klientel vorbringen muss: evangelische Umkehr, Leben in der Schöpfung mit froher Aufmerksamkeit, Hoffnung auf Leben in der neuen Schöpfung, und Zeugnis ablegen. Merkt niemand, dass das alles durch und durch sprachlich wie inhaltlich Kitsch ist? Hohle Phrasen mit gefälligen religiösen Stereotypen, die einem das Nachdenken abnehmen sollen und statt des Jüngsten Gerichts den Naturspaziergang zum freudigen Zeugnisablegen empfehlen. Und als wenn das alles nicht genug wäre, kommt darüber hinaus noch ein grauenhafter und zudem noch zahlenmagischer Symbolismus zum Tragen:
Ehrlich Leute, spätestens angesichts der Internationalen Alleen-Brigaden des Lutherischen Weltbundes kapituliere ich. Wenn ich jetzt noch lese, dass jeder Baum 500 Euro kostet, wird’s mir geLinde gesagt speiübel. Mein Weg führt nur noch ganz rasch weg in den Norden oder sonst wo hin, nur möglichst sinnbildlich von dieser Welt weg. Frei nach Karl Kraus: Es gibt Wirkungen auf die Nerven, denen sich der oppositionellste Geist nicht entziehen kann. Wenn 500 Glocken läuten, umarme ich einen Gemeinderat. Wenn man aber einmal den Luthergarten als (kirchen-)politische Landschaftsgestaltung betrachtet, was ist dann seine Aussage? Wird es irgendjemand geben, der diese Gestaltung nicht als Bewusstseins-Tranquilizer im Sinne einer Landesgartenschau wahrnimmt? Wird jemand, abgesehen von der allzu platten Symbolik der Lutherrose irgend etwas Religiöses damit assoziieren. Nach dem Garten Eden nun der Luthergarten? Da hat ja jedes Rasen-Labyrinth einer Burgruine mehr Spiritualität als das. Und selbst wenn jeder, der hier einen Baum pflanzt, einen weiteren in seiner Heimat pflanzen würde, welchen Begriff von Vernetzung soll das darstellen? Ist das die vernetzte Welt, von der die Ökumene-Abteilung des Lutherischen Weltbundes träumt? Das hat doch mehr mit Dingmagie zu tun als mit Kommunikation und Gemeinschaft. Aber die findet ja auch nach Ansicht des Lutherischen Weltbundes unter der Linde auf dem Dorfplatz statt. Letztlich ist diese Form der Landschaftsgestaltung nur noch ein Teil der als massenkompatibel erhofften Eventkultur. Und der dazu passenden Sprache bedient man sich auch:
Jawohl, der Garten rief … und die hochrangigen Repräsentanten kamen ebenso wie das zahlreich erschienene Publikum. Das ist die christliche Stände-Gesellschaft des 21. Jahrhunderts. Die ökumenischen VIPs auf der einen und das Publikum auf der anderen Seite. Das ist alles so unevangelisch wie sonst noch was. Da wird unter der Hand Cranachs Weinberg-Bild von Salzwedel wieder aktuell, nur dass es diesmal auf den Bildvordergrund fokussiert ist. Da halte ich es dann doch lieber mit Martin Luther und seiner Gottes Ästhetik nachzeichnenden Magnifikat-Auslegung:
Anmerkungen[1] Romberg, J. A.; Faber, Friedrich (Hg.) (1848): Conversations-Lexikon für bildende Kunst. Leipzig: Renger. [2] Warnke, Martin (1992): Politische Landschaft. Zur Kunstgeschichte der Natur. München: Hanser. [3] „Vorerst schuf er aber noch 1848 das (auch durch Steindruck verbreitete) schöne Stimmungsbild, wie junge Männer auf hoher Bergesspitze in frühester Morgenstunde das mit Eichenlaubkränzen geschmückte deutsche Banner aufpflanzen, indessen von den benachbarten Höhen lodernde Freudenfeuer antworten“ „Stange, Bernhard“ in: Allgemeine Deutsche Biographie, hg. von der Historischen Kommission bei der Bayerischen Akademie der Wissenschaften, Band 35 (1893), ab Seite 439 [4] Vgl. zum Bild Steinwachs, Albrecht; Pietsch, Jürgen M. (2002): Der Weinberg des Herrn. Lucas Cranach d. J [5] Vgl. Warnke (1992), S. 47ff. [6] zit. nach Steinwachs (2002), S. 8. [7] Vgl. zu diesem Altar Kalmbach, Ulrich; Pietsch, Jürgen M.; Cranach, Lucas (1996): Der Weinberg-Altar von Lucas Cranach d.J. aus der Mönchskirche in Salzwedel. Herausgegeben von Salzwedeler Museen. Spröda: Ed. Akanthus. [8] M. Luther, Das Magnificat, verdeutscht und ausgelegt WA 7, 544-604. |
Artikelnachweis: https://www.theomag.de/62/am303.htm
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