Ästhetisierung von Religion?


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Ausgefallenes

Zur Kritik der evangelischen Alpha-Männchen 2.0

Andreas Mertin

Eigentlich sollte an dieser Stelle die Kritik an einem neuen Format der Plattform (im doppelten Sinne) www.evangelisch.de stehen. Im Dezember erreichte mich der Hinweis eines Lesers dieses Magazins auf ein neues Medienereignis der evangelischen Subkultur. bollmann [et] basic würde das Ganze heißen und inhaltlich ein Gespräch zwischen einem Christen und einem Atheisten über gemeinsam interessierende Fragen bieten.

Nun kann man sich fragen, wie man so ein Gespräch anlegt und kommuniziert. Gespräche von Christen mit Juden, mit Muslimen oder auch mit Atheisten haben angesichts der traurigen Kirchengeschichte ja immer etwas Bedrohliches im Unterton. Selten waren sie auf Augenhöhe und in aller Regel von einem eindeutigen Machtgefälle gekennzeichnet. Ausnahmen bestätigen die Regel. So dürften die Gespräche zwischen Milan Machovec und verschiedenen Vertretern des Christentums vorbildlich sein, aber auch Ernst Blochs anregende Überlegungen zum „Atheismus im Christentum“.

Was soll man aber davon halten, wenn noch Ende 2009 ein leitender Vertreter einer evangelischen Institution seinen Mitdiskutanden und "Kumpel" mit rollenden Augen als „Atheisten“ vorstellt? Da könnte er aber oft mit den Augen rollen, wenn er das bei jedem Atheisten machen wollte, der ihm über den Weg läuft. Ein gut Teil und ein guter Teil unserer Gesellschaft besteht aus Atheisten und Humanisten, mit denen zu sprechen so selbstverständlich ist, dass man es nicht besonders hervorheben muss.

Wenn man es aber doch tut, welche Botschaft kommuniziert man dann? Ist es für manche tatsächlich immer noch etwas Besonderes, wenn Atheisten und Christen miteinander sprechen, so besonders, dass man ein Medienformat daraus machen kann?

Diese beiden Gesprächssuchenden wollten sich, so wird erzählt, über gemeinsam interessierende Fragen austauschen, z.B. über Weihnachten oder den angekündigten Weltuntergang. Worüber Atheisten eben so nachdenken – oder waren das dann nicht doch christliche Gesprächsvorgaben?

Man traf sich also an prominentem Ort, dokumentierte das Ganze peinlicherweise im Stil des „Making of …“ und diskutierte dann Belanglosigkeiten, über Geschenke und Armut zu Weihnachten, über Besinnliches und weniger Besinnliches. Ein völlig überflüssiges Format mit anderen Worten, das keinem Erkenntnisinteresse dient, sondern dahinplätschernde Worte ohne größeren Sinnzusammenhang bot. Und so hätte man es dann weiter machen können, denn schließlich ist ein guter Teil der deutschen Medienbranche von einer gleichartigen Oberflächlichkeit, dass man es der evangelischen Kirche nicht Übel nehmen kann, wenn sie daran partizipieren will.

In diesem Fall stieß schon der Pilot des Formats aber auf entschiedenen und mit Recht polemischen Protest eines Zuschauers. Er kommentierte das Geschehen und transkribierte sogar die Diskussion, so dass nun jeder Schwarz-auf-Weiß nachlesen konnte, was für ein Unsinn dort produziert worden war. Und er tat das auf der dazu eingerichteten Plattform, dem Blog zur Sendung.

So etwas macht man aber nicht, die positive Einstellung zur Kritik wie die Fähigkeit zur Selbstkritik ist der Evangelischen Kirche schon vor Jahren abhanden gekommen. Also wehrten sich die Alpha-Männchen des evangelischen Journalismus 2.0. Und ihre Argumentation zeigt, was wir künftig an Gesprächskultur zu erwarten haben. Sie setzt ein mit folgendem Satz:

„Evangelisch.de lädt alle Nutzer ein, Kritik offen und ehrlich zu äußern. Wir tun das, weil wir als evangelische Christen stets auch eine demokratische Haltung haben.“

Schon da war ich irritiert, denn die Wortwahl ist von einer merkwürdigen Ambivalenz. Ich zum Beispiel habe keine demokratische Haltung, sondern bin Demokrat. Ich habe auch keine evangelische Haltung, sondern bin evangelisch. Haltungen nimmt man ein, sie sind etwas Kontingentes. Hier stehe ich, ich kann auch anders ist eine schlechte evangelische Parole.

Außerdem kann ich nicht nachvollziehen, dass sich aus dem evangelischen Christsein automatisch eine demokratische Haltung ergeben soll. Bis 1945 war dieser Automatismus nun ganz und gar nicht erkennbar und zwischenzeitlich bin ich mir auch nicht mehr ganz so sicher, ob das eine verallgemeinerbare und vor allem immer noch gültige Formel ist. Dafür ist mir die Institution Kirche inzwischen wieder zu undemokratisch geworden.

Die Botschaft bei diesem Satz war aber eine andere: die demokratische Haltung tritt nur dann in Kraft, wenn der andere bestimmte Voraussetzungen erfüllt: „offen und ehrlich“ muss er sein. Nun sind das Begriffe, die man gut theologisch und psychoanalytisch jedem absprechen kann. „Offen und ehrlich“ kann man gar nicht sein, man kann sich darum bemühen, ist sich aber in aller Regel selbst verborgen.

Aber dem antwortenden Alphamännchen des evangelischen Protestantismus ging es eigentlich nur darum, dass der Kritiker – wie auf Blogs üblich – seine Kritik unter einem Nickname publiziert hatte. Und er hätte seine Gegenkritik gerne ad personam geführt, statt sich an der Sache abzuarbeiten. Dabei kann man bei solchen Reaktionen nur froh sein, dass es so etwas wie Nicknames gibt. Mir ist in meiner eigenen Erfahrung mehrfach deutlich geworden, was es heißt und welche Konsequenzen es zeitigt, wenn man in der evangelischen Kirche offen seine Meinung äußert. Den Kollegen, der es angesichts dessen vorzieht, sich auf anderem Wege zu äußern, kann ich gut verstehen.

Aber zurück zu den Alphamännchen. Zur kritisierten Sache äußern sie sich so:

„Dennoch will evangelisch.de sich einer Diskussion nicht verschließen. Aber was wirft der Kritiker bollmann [et] basic eigentlich vor? Fehlenden theologischen Tiefgang? Vielleicht hat der Kritiker das Format nicht verstanden. Es geht eben nicht um eine wissenschaftliche Auseinandersetzung mit theologischen Fragen. Es geht um die Auseinandersetzung zwischen einem Christen und einem Atheisten, eine Begegnung also, wie sie in unserer Gesellschaft alltäglich ist.“

Ach so, dann habe auch ich das Format nicht verstanden. Ist es nicht selbstverständlich, dass, wenn man mit einem, der das eigene Glaubenssystem nicht teilt, über Elemente des Glaubenssystems spricht, notgedrungen von theologischen Reflexionen Gebrauch macht? Also von der vernünftigen und nachvollziehbaren Reflexion des Glaubens gegenüber jemandem, dem diese Glaubenssätze fremd sind?

Oder soll uns hier das anti-intellektuelle Vorurteil vermittelt werden, theologische Gedanken seien eh’ nichts fürs Volk und gehörten deshalb auch nicht in ein Gespräch zwischen einem Christen und einem Atheisten? Warum nennt man es dann nicht gleich „Banale Männergespräche über banale Fragestellungen“?

Das sehen die Alphamännchen anders:

„Das Format regt dazu an, sich mit Fragen des Glaubens und des gesellschaftlichen Miteinanders auseinanderzusetzen. Dazu werden die Nutzer von evangelisch.de, die in der Regel auch kein Theologiestudium absolviert haben, dort abgeholt, wo sie selbst stehen. Gerade das macht das Format glaubwürdig und seriös. Es gibt keine Diskussion im Elfenbeinturm. Es gibt eine Diskussion, die die Mehrheit der rund 25 Millionen Protestanten in Deutschland nachvollziehen kann. Bollmann und Basic haben einen Standpunkt und einen ethischen Kompass, den ich persönlich – selbst bei dem Atheisten Basic – als gelebten Protestantismus wahrnehme.“

Es mag sein, dass die Mehrheit der 25 Millionen Protestanten die Diskussion nachvollziehen kann, denn das fällt nicht schwer, weil die Diskussion so banal ist. Aber schwer dürfte es sein, nachzuvollziehen, was die beiden Gesprächspartner eigentlich zu sagen haben. Mir ist es nicht klar geworden. Weder einen Standpunkt noch einen ethischen Kompass habe ich entdeckt. In einem gebe ich dem Redakteur von evangelisch.de aber recht: Mit dem Elfenbeinturm hatte das Ganze nichts zu tun. Das ist eine erotische Kategorie aus dem Hohen Lied (bei Luther: „Dein Hals ist wie ein Elffenbeinen thurm“) und von diesem Eros war wenig zu verspüren.

Die zweite Sendung dieses so spannenden und aufregenden Formats widmete sich dann dem vom Maya-Kalender für das Jahr 2013 angeblich angekündigten Weltuntergang. Gibt es nichts anderes, worüber Atheisten und Christen sich unterhalten könnten? Vielleicht hätte man einfach mal bei Machovecs Buch „Jesus für Atheisten“ nachschlagen sollen? Ach nein, geht ja nicht, das ist wissenschaftliche Literatur aus dem Elfenbeinturm. So wurde auch das verschenkt bzw. dem Gott der Banalität geopfert. Und die Apokalypse ist ja auch so ein wunderbar populärkulturelles Format.

Aber nun kommt die überraschende Kehre, ein hoffnungsvolles (quasi apokalyptisches) Zeichen für alle, die sich für mehr Qualität und mehr Stil interessieren. Das gerade neu entwickelte revolutionäre Format wurde nach zwei Folgen eingestellt und alle Diskussionen darüber liquidiert. Wie schrieb der Redakteur auf die kritische Erwiderung:

„Eine faire und sachliche Medienkritik gibt Formaten allerdings auch Zeit, sich zu entwickeln.“

Na, wenn sich nicht einmal das eigene Haus daran hält. Und so entscheidet sich evangelisch.de sich der spontanen Empfehlung seines Redakteurs an den Kritiker selbst anzuschließen:

„In einem hat der Schreiber des Kommentars recht: Man muss nicht zu allem etwas sagen. Man kann auch schweigen, sich seinen Teil denken …“

Ja, so ist es Recht; man wünscht sich noch viel mehr Ausgefallenes in der evangelischen Publizistik.

Artikelnachweis: https://www.theomag.de/63/am309.htm
© Andreas Mertin, 2010