Orientierung zum Lesen

Eine Buchvorstellung

Andreas Mertin

Die Bildung eines Kanons ist nicht nur ein theologisches oder kirchenhistorisches Problem. Nahezu jede wissenschaftliche Disziplin bildet nach und nach einen Kanon jener Schriften aus, die man zum Verstehen der Disziplin wenn nicht gelesen, dann doch zur Kenntnis genommen haben sollte. Natürlich sind derartige Schriften in ihrer Fülle und Komplexizität stets eine Überforderung, im Besten Fall eine Herausforderung. Forscher klagen heutzutage häufig darüber, dass sie nicht einmal mehr die Forschungsliteratur ihres eigenen Fachgebietes überblicken können. Deshalb ist das Schaffen von Orientierung und Übersicht der grundlegenden Literatur gerade auch im Blick auf Studienanfänger enorm wichtig. Es gibt einen intellektuellen Fluchtreflex zu den marginalen und exotischen Problemstellungen, der einen oft weit von den grundlegenden Fragestellungen eines Faches weg führt.

Dagegen helfen Bücher wie das im Folgenden Vorzustellende, das die „Hauptwerke der Kunstgeschichtsschreibung“ zum Gegenstand hat. In 169 Artikeln stellen Fachwissenschaftler sechs Jahrhunderte Kunstgeschichtsschreibung vor: von A wie Ackermann bis W wie Worringer, historisch von Ghiberti bis Hans Belting. Das von Paul von Naredi-Rainer unter Mitwirkung von Johann Konrad Eberlein und Götz Pochat herausgegebene Buch verschafft dem Leser einen Überblick darüber, wie sich das Fach entwickelte und wie in heutiger fachwissenschaftlicher Perspektive die Standardliteratur eingeschätzt wird. Das ist nicht nur für den Studierenden des Faches Kunstgeschichte interessant, sondern durchaus von breiterem Interesse. Überraschend viele vorgestellte Texte und Bücher findet man in der eigenen Bibliothek, auf anderes wird man gestoßen und merkt es sich für die kommende Lektüren. Jeder einzelne Artikel stellt den Autoren und das Werk vor und kommentiert es kurz. Hinzu kommen Hinweise auf die vorghandenen Buchausgaben, auf Rezensionen und auf Sekundärliteratur.

Natürlich ersetzt dieses Buch nicht die Lektüre der vorgestellten Werke, sondern schafft eine gewisse Orientierung und Ordnung. In dieser Perspektive ist es ein außerordentlich verdienstvolles und empfehlenswertes Buch.

Naredi-Rainer/Eberlein/Pochat (Hg.), Hauptwerke der Kunstgeschichtsschreibung. Stuttgart 2010.

Artikelnachweis: https://www.theomag.de/65/am317.htm
© Andreas Mertin, 2010

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