Pathetische Körper

Lady Gagas Spiel mit dem Faschismus

Andreas Mertin

Fotografen aus der Mode- oder Werbebranche scheinen mitunter eine genuine Nähe zu faschistischen Inszenierungsstrategien zu haben. Schon vor Jahren hatte Michel Comte für das pathetische Musikstück „Conquest of paradise“ von Vangelis mit dem Boxweltmeister Henry Maske die perfekte Arno Breker Re-Inszenierung geliefert.

Jüngst hat sich nun Lady Gaga mit dem auch von Madonna goutierten Modefotografen Steve Klein in diese Tradition eingeordnet. Die amerikanische Trash-Ikone spielt ein wenig mit der Leni Riefenstahl Ästhetik für New Yorker Club-Besucher. Das schwülstige Stück heißt Alejandro und bietet eine beklemmende Mixtur aus der Faszination des Drill und der Ästhetik des Militärs und der zolibatär-verklemmten Irritation des Katholizismus und der Kultur der Homosexuellen.

Steve Klein lässt verlauten, sein Clip handele von den finsteren Mächten, die auf der Erde wirken sowie von dem Versuch, spirituellen Frieden zu finden. Das hat die gleiche Plausibilität wie die Argumentation der Vertreter faschistischer Ästhetik, ihre Ausdrucksformen hätten aber mit dem System an sich nichts zu tun. Und es ähnelt verdächtig jenen Kunstzirkeln, die am Ende des 20. Jahrhunderts aus der Ästhetik Riefenstahls einen künstlerischen Hype machen wollten. Es ist furchtbar – misslungen.

Lady Gaga dagegen lässt verlautbaren, mit dem Lied würde sie die Schwulenkultur feiern, ihre Tapferkeit, ihre Liebe, ihren Mut in Beziehungsfragen. Ja sicher, wir feiern Gay-Culture mit der Ästhetik jener, die sie vernichten wollten. Wie nennt man das: Identifikation mit dem Feind? Nun ist das Verhältnis von Homosexualität und Nazismus ein überaus komplexes, aber ganz sicher keines, dass man mal eben für die Trashkultur der Clubs verhackstücken kann. Die Verharmlosung des Grauens, genauer: die Entkopplung der Ästhetik des Nazismus von dem Grauen, das dieser auf der Erde angerichtet hat, ist kein harmloses Spiel (wie Lady Gagas Maschinenpistolenbrüste, die Katy Perry schon zu Recht in „California Girls“ ironisch persifliert hat).

 

Inhaltlich lässt sich Lady Gagas Video mit Harald Peters Besprechung in der Welt vom 11.06. mit dem Titel "Wie Lady Gaga bei Leni Riefenstahl kopiert" so fassen: „Das Video zu Lady Gagas neuer Single ‚Alejandro’, einem beschwingten Sommerhit, ließe sich als eine in bläuliches Licht getauchte Leni-Riefenstahl-Vision lesen, in der alle Männer zwar erstklassige Bauchmuskeln haben, dafür aber Tonsur tragen, weswegen Gaga ein mit Stacheldraht umwickeltes Herz vor sich her trägt und beschließt, Nonne zu werden.“

Nun ist das Jahr 2010 auch eines, in dem eine Reihe von jüngeren und älteren Popmusikerinnen beschlossen hat, in ihren Videoclips eine Hommage an Madonna unterzubringen. Man kann Christina Aguileras „Not myself tonight“ wohl kaum anders lesen als eine dekonstruktive Auseinandersetzung mit den zahlreichen Madonna-Inszenierungen, die – wenn man es recht deutet – anschließend in Flammen aufgehen. Eines der bekannten Videos, bei denen sich Aguilera nach eigenem Bekunden bedient, ist Madonnas Metropolis-Adaption „Express yourself“ aus dem Jahr 1989 unter der Regie von David Fincher. Madonna hatte als Subtext dieses Videos einmal ironisch benannt: "Pussy rules the world". Und auch Christina Aguilera ordnet ihr Video in diesen Kontext ein: "One of my favourite videos ever is 'Express Yourself' by Madonna which came across as really strong and empowering which I always try to incorporate through my expression of sexuality [...] I love the direct reference I made to Madonna with the eye glass moment and the smoke and stairs. I was paying tribute to a very strong woman who has paved the way before."

Unbestreitbar lässt sich nun auch Lady Gagas „Alejandro“ als Express-Yourself-Response lesen. Einige Elemente sind direkt übernommen, andere etwas modifiziert. Nur ist das Ergebnis ein völlig anderes. Was immer Madonna in der Vergangenheit angestellt hat, niemals kam der Verdacht auf, sie würde mit faschistischer Ästhetik spielen. Sie zitiert Bilder faschistischer Ästhetik, sie arbeitet damit, aber es ist kein fahrlässiges Spiel.

Das sehe ich bei Lady Gagas Video völlig anders. Auch wenn die Fans argumentieren, bei ihr würde schließlich die faschistische Ästhetik in schwule Ästhetik aufgelöst („also wenn man bedenkt, dass zuerst die faschistische Ästhetik überwiegt und dann ganz unverblümt die faschistische sich in schwule Ästhetik auflöst ... dann find ich das … irgendwie geschickt ...), so sehe ich das nicht so, ganz abgesehen von der Ästhetik-Filiation die dann hier betrieben würde. Schon bei Rammsteins Video „stripped“ ist dieser Versuch eine transformativen Aneignung der Riefenstahl-Ästhetik missglückt. Es ist nichts Gutes in diesem Spiel.

Wer es wirklich spielen will, der darf keine unreflektierten Club-Spielchen betreiben (wie einst Prinz Harry im Nazi-Kostüm), sondern er muss aufs Ganze gehen und den Betrachter selbst zur Stellungnahme herausfordern. Und die kann dann in keinem Fall lauten: … ist doch alles nicht so schlimm …

Viele Videos des Künstlerkollektivs Laibach sind solch ein „Spiel“ aufs Ganze, bei dem der Industrial einem den Atem verschlägt und die Video-Inszenierung die ästhetische Inszenierung des Faschismus zertrümmert. Man muss sich nur mal „Geburt einer Nation“ oder „Life is life“ anschauen. Die Metropolis-Metapher wird übrigens im Clip „The Final Countdown“ verarbeitet. Paradoxe Interventionen könnte man das zurecht nennen. Und nicht umsonst wurde die Gruppe dafür mit dem Gefängnis bedroht.

Von all dem bei Lady Gaga keine Spur. Es ist und bleibt der Versuch, die Ästhetik des Faschismus einzusetzen, um maximale Aufmerksamkeit zu erzielen – so wie in anderen ihrer Videos die Ästhetik des Pulp. Aber das macht auch das Problem aus. Saul Friedländer schreibt in seinem Buch über den Widerschein des Nazismus: „Die Aufmerksamkeit verlagert sich schrittweise von der Evokation des Nazismus selbst, vom Grauen und Schmerz … zu wollüstiger Beklemmung und hinreißenden Bildern, Bildern, die man unentwegt weitersehen will … Mitten in der Meditation erhebt sich ein Verdacht auf Selbstgefälligkeit und Sympathie für das Dargestellte. Eine Grenze ist überschritten worden, und ein Gefühl von Unbehagen kommt auf: Dies ist ein Merkmal des neuen Diskurses.“

Von den drei tragenden Momenten, die Friedländer beschreibt – Reiz, Verlangen, Exorzismus – kommen bei Lady Gaga nur die ersten beiden zur Geltung: „Der ästhetische Reiz wird ausgelöst durch den Gegensatz zwischen Kitsch-Harmonie und permanenter Beschwörung der Themen Tod und Zerstörung; das Verlangen wird durch Erotisierung der Macht, sder Gewalt und der Herrschaft geweckt, aber gleichzeitig auch durch Darstellung des Nazismus als des Zentrums aller Entfesselungen der unterdrückten Affekte.“ (Saul Friedländer, Kitsch und Tod, München 1986, S. 17).

Artikelnachweis: https://www.theomag.de/66/am325.htm
© Andreas Mertin, 2010