Ein 'Jubiläum', das die Kirche wohl nicht feiern wird

Andreas Mertin

"Wir anerkennen das Ringen und Streben christlicher Künstler, die aus ihrer Weltanschauung heraus künstlerisch gestalten. Wir wissen um die große christliche Kunst und die intensive Wirkung auf die Gläubigen." Mit diesen Worten beginnt eine kleine Denkschrift mit dem Titel "Neue evangelische Kunst"[1], die eine Ausstellung im Folkwang Museum Essen begleitet. Und der Text fährt fort: "Darum nehmen sich die verantwortlichen Stellen des nationalsozialistischen Staates dieser Kunst und ihrer Träger an und beweisen ihnen durch ideellen und materiellen Einsatz ihre Kameradschaft." Soweit der O-Ton von Hans Hinkel, im Jahr 1936 Reichskulturverwalter und Geschäftsführer der Reichskulturkammer. Noch programmatischer heißt es im ersten Satz seines Textes: "Die Nationalsozialistische Deutsche Arbeiterpartei verficht entsprechend den als unabänderlich erklärten 25 Thesen, für die sich jeder Nationalsozialist mit dem Einsatz seines Lebens verpflichtet, das positive Christentum."

Und so ist die kleine Schrift zur Ausstellung, die im nächsten Jahr ihr 75-jähriges ‚Jubiläum’ feiert, eine interessante Lektüre über die Kennzeichen des Evangelischen in dunklen Zeiten. Und es ist nicht allein Hinkel, der sich in dieser Schrift so dezidiert äußert. Der dritte Text der kleinen Denkschrift stammt vom damaligen Direktor des Folkwang Museums, Klaus Graf von Baudissin, der nur ein gutes halbes Jahr später mithilft, die Ausstellung "Entartete Kunst" zusammenzustellen. „Im Kunsthaushalt der Nation stellt die Kirche eine bedeutende Macht dar; sie ist einer der größten Auftraggeber. Es ist nicht gleichgültig, wie sie sich zur Kunst stellt.“ Und dann ganz doppeldeutig: „Dass sich die rechten Kräfte und die Auftraggeber finden, ist eine nicht immer erfüllte Forderung. Es gibt eine neue lebendige, evangelische Kunst.“

Erst an vierter Stelle in der Denkschrift kommt dann der kirchliche Kunstdienst Berlin selbst zu Wort und zwar mit folgenden Formulierungen, die man heute nur noch mit einer gewissen Ambivalenz lesen kann: „Seit einer Reihe von Jahren verfolgt der Kunst-Dienst die Aufgabe, auf den Gebieten kirchlicher Kunst dem neuen Gestaltungswillen Geltung zu verschaffen. Wahrhaftigkeit der Gesinnung, Ehrlichkeit des Handwerks und Schlichtheit der Form, das sind die Hauptanforderungen, die an alle wahrhaft protestantische Gestaltung gestellt werden müssen“.

Die Formulierung „Wahrhaftigkeit der Gesinnung, Ehrlichkeit des Handwerks und Schlichtheit der Form“ ist der common sense der damaligen Zeit, er eint alle Kulturinteressierten, ob fortschrittlich oder reaktionär.[2] Es hängt eben davon ab, welche Gesinnung, welches Handwerk und welche Form gefordert und gefördert wird.

Im Folgenden werden dann Beispiele auf der einen und Textzitate auf der anderen zusammengestellt. Und insbesondere letzteres ergibt eine Mischung, die im Rückblick geradezu atemberaubend ist. Eröffnet wird (natürlich) mit Martin Luther und Philipp Melanchthon, es folgen neben biblischen Zitaten solche von Caspar David Friedrich, Joseph Wittig, Matthias Claudius, Johann Lavater, mehrfach Rudolf Koch, Friedrich Daniel Ernst Schleiermacher, Bischof Theodor Heckel, Wilhelm Stählin, Karl Friedrich Schinkel, Alfred Wiesenhütter, Otto Bartning, Johann Wolfgang von Goethe, Adolf Hitler, Friedrich Hölderlin und ganz am Schluss Ulrich Zwingli. Eine Achterbahnfahrt der Kulturgeschichte. Vielleicht muss man heute einige dieser Personen vorstellen: Joseph Wittig war ein exkommunizierter katholischer Theologe, Schriftsteller und Heimatforscher, der nach seiner Exkommunikation sich mit Vorträgen im Protestantischen über Wasser hielt; Rudolf Koch war ein Typograf (Deutsche Schrift) und passionierter Vertreter des kirchlichen Kunsthandwerks und saß im „Ehrenrat“ des Kunstvereins; Bischof Theodor Heckel war Leiter des Außenamtes der Deutschen Evangelischen Kirche, Verfechter des Arierparagraphen und denunzierte erfolgreich Dietrich Bonhoeffer in Deutschland.

Was aber meint der Kunst-Dienst, wenn er schreibt, seit einer Reihe von Jahren verfolge er die Aufgabe, auf den Gebieten kirchlicher Kunst dem neuen Gestaltungswillen Geltung zu verschaffen? Zur zeitgeschichtliche Konstellation: Zum Zeitpunkt dieser Ausstellung ist der evangelische Kunst-Dienst bereits gut funktionierender Teil der nationalsozialistischen Propagandamaschinerie. Wie Hans Prolingheuer in seinem Buch „Hitlers fromme Bilderstürmer. Kirche & Kunst unterm Hakenkreuz“[3] gezeigt hat, begann die Allianz von Kirche und völkischer Bewegung lange vor Hitlers „Machtergreifung“. Das kam nicht von ungefähr, denn Begriffe wie „entartete Kunst“ waren in der kirchlichen Kunstdiskussion nach 1900 nichts Ungewöhnliches. Und wie Prolingheuer am Beispiel der Lübecker Christusfigur von Ludwig Gies zeigen konnte, waren in der Ablehnung der modernen Kunst rechte wie linke, evangelische wie katholische Kreise einig.[4]

Für Hans Prolingheuer steht fest: In Fragen der bildenden Kunst herrscht 1933 Übereinstimmung zwischen den deutschen Kirchen und der von Reichspropagandaminister Goebbels geführten Kunstpolitik. Vorbereitet durch ihren Kampf wider die »gottlose Moderne«, »gegen den entarteten Zeitgeist in der Kunst«, rüsten sich Kirchen und Christen zum Bildersturm gegen alles »Undeutsche« und Jüdische in kirchlicher Kunst und Symbolik. Kirchenkunstwarte bestimmen den Weg zu den »Zielsetzungen, die der Führer der deutschen Kunst gewiesen hat«. Die deutschen Kirchen reden in Goebbels´ Reichskunstkammer ein entscheidendes Wort mit. »Neue deutsche Kirchenkunst« versteht sich im »Dritten Reich« als Avantgarde der Nazi-Kunst auf Ausstellungen im Ausland als Botschafterin Hitler-Deutschlands. Viele Vertreter »Christlicher Kunst« gehen mit Hitlers Kunstideologie konform und unterstützen den staatlichen Raub der »entarteten Kunst«.

Die Ausstellung 1936 konnte anknüpfen an die Propaganda-Ausstellung mit kirchlicher Kunst auf der Weltausstellung 1933 in Chikago, die der Nationalsozialismus geschickt als Werbemaßnahme für sich ausgenutzt hatte. 1936 war das Jahr der olympischen Spiele und die Kirchenkunst sollte als mittelbarer und unmittelbarer Werbeträger dienen.

Was ist nun in der kleinen Denkschrift an Kunst dokumentiert? Natürlich viel Epigonales, aber auch einiges Interessante. Am Überraschendsten in positiver Hinsicht vielleicht noch die Melanchthon-Plastik von Gerhard Marcks. Marcks war zwar bereits 1933 als Leiter der Kunstschule in Halle entlassen worden, wurde aber erst 1937 von den Nationalsozialisten geächtet und war mit fünf Werken in der Ausstellung Entartete Kunst ‚vertreten’. Auch vertreten ist der Künstler Otto Lange aus Dresden, der ebenfalls 1933 von den Nationalsozialisten aus seiner Professur entlassen worden war. Das Gegenstück zu Marcks und Lange ist Josef Daniel Sommer, der nicht zuletzt als Juror an der nationalsozialistischen Gegenausstellung Deutsche Kunst beteiligt war. Zu nennen ist aber auch Fritz von Graevenitz, ein von den Nationalsozialisten besonders geförderter Künstler, der auch auf der so genannten Gottbegnadeten-Liste Hitlers und Goebbels zu finden war. Auch im Blick auf die Architekten findet sich ein ähnlicher Befund, wenn etwa die von German Bestelmeyer gebaute Dorfkirche in Prien am Chiemsee besonders herausgestellt wird. „Reichskultursenator“ Bestelmeyer gehört zu den völkisch gesinnten Architekten und war mit mehreren Arbeiten auf der ersten „Deutschen Architekturausstellung“ im Haus der Kunst vertreten. Neben mehreren Kirchen von Bartning finden sich ansonsten noch am Regionalstil orientierte Schöpfungen und evangelische Auslandskirchen. Der letzte Teil der Denkschrift beschäftigt sich dann mit den letzten Dingen, zeigt die Särge Friedrich Wilhelm I. und Friedrich Wilhelm des Großen, Kriegerfriedhöfe und eine „Ehrentafel für die im Weltkrieg gefallenen Theologen der Protestantischen Landeskirche der Pfalz“.

Mit dem großmundigen Titel „Neue evangelische Kunst“ hat das Ganze so gut wie nichts zu tun. Es zeigt eher die Selbstverständlichkeit, mit der der kulturelle Ausdruckswille der Evangelischen Kirche mit dem des herrschenden Nationalsozialismus übereinstimmte. Neu ist an all dem, was nicht gezeigt wird, was in Anpassung an die Kunst-Ideologie des Nationalsozialismus aufgegeben wurde. Dazu gehören zum Beispiel Künstler wie Ernst Barlach und Emil Nolde, die wenige Jahre vorher noch Beachtung gefunden hatten, ja zum Ehrenrat des Kunst-Dienstes gehört hatten und nun keine Rolle in der kirchlichen Kunst mehr spielen.

Im nächsten Jahr ist es 75 Jahre her, dass der inzwischen zugunsten der Stelle der Kulturbeauftragten der EKD aufgelöste Kunst-Dienst in Berlin diese Ausstellung im Essener Folkwang-Museum organisiert und getragen hat. Ich fände es daher sinnvoll, wenn die Kulturbeauftragte der Evangelischen Kirche in Deutschland zum Eingedenken der Rolle der Evangelischen Kirche bei der Vernichtung der Kultur in Deutschland 2011 ein Symposion veranstalten würde, das einmal dieser Tradition nachgeht, das überprüft, inwiefern sich die kirchliche Rhetorik von der damaligen Rhetorik in Sachen Kunst gelöst hat und inwiefern auch die Kunst in der Kirche heute eine andere ist. Der Satz Klaus Graf von Baudissins „Im Kunsthaushalt der Nation stellt die Kirche eine bedeutende Macht dar; sie ist einer der größten Auftraggeber“ gehört jedenfalls heute noch ungebrochen zum apologetischen Kulturvokabular der Kirchen.

Anmerkungen

[1]    Kunst-Dienst (Hg.) (1936): Neue evangelische Kunst. Berlin.

[2]    Die unter dem Einfluss Paul Tillichs zu Stande gekommene Formulierung zur Bildenden Kunst im Kirchbauprogramm von Dresden aus dem jahr 1931 kann jedenfalls nahezu wortwörtlich das gleiche fordern: „Nur einer neuen Generation von Gestaltern, die sich zu einer einfachen, wahrhaftigen und selbstlosen Handwerklichkeit und Gesinnung durchzuringen strebt, wird es möglich werden, den inneren Kontakt zum Bauwillen der Gegenwart und zum religiösen Zukunftswillen zu finden.“ https://www.theomag.de/58/prog09.htm

[3]   Prolingheuer, Hans (2001): Hitlers fromme Bilderstürmer. Kirche & Kunst unterm Hakenkreuz: Dittrich, Berlin.

[4]   In einem Hörbild von Hans Prolingheuer vom 22. Oktober 1992 unter dem Titel „VOM ‚ENTARTETEN CHRISTUS’ ZUR ‚ENTARTETEN KUNST’“ wird die „Junge Kirche“, das publizistische Organ der Bekennenden Kirche, zum Kunstwerk wie folgt zitiert: „Die gesund empfindende(sic!) Bevölkerung Lübecks hat sich damals mit Entschiedenheit gegen den Entwurf Gieses gewandt. Der Vorstand der Domkirchengemeinde hat den Ankauf abgelehnt. Mutige Männer haben die sogenannte ‚Christus‘-Figur zerschlagen und zum Teil im Mühlenteich versenkt.“ Da ist in dieser Frage tatsächlich kein Unterschied zur Staatsideologie zu erkennen.
http://www.kirchengeschichten-im-ns.de/Kirchenkunst.pdf

Artikelnachweis: https://www.theomag.de/67/am329.htm
© Andreas Mertin, 2010