Das Boot, der Hirte und die Piste

Katholisches Metapherngestöber

Andreas Mertin

Die katholische Kirche ist im Augenblick in keiner beneidenswerten Lage. Was immer sie tut, was immer sie sagt, wie immer sie erscheint – es ist jedes Mal zu spät, missverständlich oder schief. Es ist, als ob der mediale Zeitgeist sein in den letzten Jahren gepflegtes Goutieren der katholischen Medienoffensive („Wir sind Papst“) hinter sich gelassen und nun die Richtung gewechselt hätte. Und nun müssen die medialen Apologeten des Katholizismus sehen, wie sie mit dem Gegenwind zurecht kommen. Und das ist dann ab und an unfreiwillig komisch.

Guido Horst jedenfalls müht sich in einem Leitartikel der Tagespost, die den schönen Untertitel Katholische Zeitung für Politik, Gesellschaft und Kultur trägt, um Schadensbegrenzung. Und wie er das macht, ist ein wunderbares Exempel für ein homiletisches Seminar, wie man es nicht machen sollte. Er wählt das sinnverklärende Metaphergestöber, bemüht innerhalb weniger Sätze gleich mehrere einander ausschließende Sprachbilder, die nur zum Ziel haben, den erodierenden Fels der Kirche vor der Unbill der Natur zu schützen.

Nachdem er ein wenig über die Wohnung des Papstes philosophiert und die dramatische Situation der Kirche im Westen beklagt hat, schreibt er folgende Sätze:

„In den alten christlichen Regionen dieser Welt ist die Kirche auf hoher See, sie droht – wie damals das Fischer-Boot mit dem schlafenden Herrn an Bord – im Sturm unterzugehen. Da greift der Papst zu außergewöhnlichen Mitteln. Er schreibt Jesus-Bücher, deren Inhalt er zur freien Debatte stellt. Er gibt ein langes, persönliches Interview. Er verlässt die Spur des gewohnten päpstlichen Wirkens. Er lehrt nicht nur, sondern läuft den Schafen hinterher, die von den Wölfen im Schafspelz aus der Koppel getrieben wurden. Darf er das? Kann er das? Ja – warum denn nicht! Nur eins braucht er dann: Eine Mannschaft, die ihm hilft, im Tiefschnee-Fahren abseits der Piste nicht unter Lawinen zu geraten. Und genau diese Mannschaft hat Benedikt XVI. nicht.“

Das muss man mehrmals lesen, um es zu glauben – verstehen kann man es so und so nicht. Wie soll man das zusammenbringen: die Regionen - das Boot – der Hirte – die Schafe – die Wölfe im Schafspelz – die Koppel – die Spur – die Piste – der Tiefschnee – die Lawinen und dann auch noch eine irgendwie dazugehörige Mannschaft? Mir schwirren alle diese Bilder im Kopf herum und ich bekomme sie nicht in ein Bild zusammen – und wenn es doch gelänge, wäre es vermutlich ein Bild von Relindis Agethen. Also Schritt für Schritt, Metapher für Metapher:

  1. Die Kirche sei heute in den alten christlichen Regionen(?) dieser Welt in einer Situation, die der des Fischer-Bootes mit dem schlafenden Herrn an Bord entspricht – sie droht im Sturm unterzugehen. Ja, vielleicht. Nun ist der Witz von Markus 4, 35-41 aber gerade, dass Jesus sagt, die Tatsache, dass man ihn geweckt hätte, um den Sturm zu stillen, sei ein Zeichen mangelnden Vertrauens. Wenn es eine Lehre aus diesem bildlichen Vergleich gibt, dann die, dass man keine außergewöhnlichen Mittel braucht, um dem Unbill zu trotzen. Es reicht das Vertrauen auf den Herrn.

  2. Nach Guido Horst reicht das dem aktuellen Leiter der katholischen Kirche, Benedikt XVI., aber nicht, er wird aktiv, ja er greift zu außergewöhnlichen Mitteln. Er schreibt Jesus-Bücher, deren Inhalt er zur freien Debatte stellt. Er gibt ein langes, persönliches Interview. Er verlässt die Spur des gewohnten päpstlichen Wirkens. Bevor ich zur neu eingeführten Metapher von „in der Spur bleiben“ komme, möchte ich doch mein protestantisches Unbehagen an jener Formulierung bekunden, die besagt, ein Buch zur freien Debatte zu stellen, sei ein außergewöhnliches Mittel. Im Mittelalter vielleicht, aber doch nicht im 21. Jahrhundert? Wo leben wir denn? Aber wie gesagt, ich bin evangelisch. Kommen wir nun zur neuen Metapher: der Papst, der gerade noch im Boot saß, das im Sturm unterzugehen drohte, verlässt nun die Spur … ??? Genauer – die Spur des gewohnten päpstlichen Wirkens. Das ist entweder ein Widerspruch in sich oder hier wird in unterschiedlicher Hinsicht vom Bild der Spur Gebrauch gemacht. Seine eigene Spur kann man nicht verlassen. Man kann den Weg, den andere (Päpste) vor einem eingeschlagen haben, verlassen, kann ihren Spuren nicht mehr folgen. Man kann seinen eigenen Weg gehen. Und inwiefern geht nun Benedikt XVI. seinen ganz eigenen Weg außerhalb der Spur seiner Vorgänger? Er schreibt Bücher und gibt Interviews. Das liegt also außerhalb der gewohnten Wege/Spuren der Päpste in Rom? Das hoffe ich doch nicht! Die Spur-Metapher wird von Guido Horst natürlich eingeführt, um später auf den Schnee kommen zu können, aber vorher stoßen wir noch auf ein anderes Sprachbild:

  3. Der Papst „lehrt nicht nur, sondern läuft den Schafen hinterher, die von den Wölfen im Schafspelz aus der Koppel getrieben wurden. Darf er das? Kann er das? Ja – warum denn nicht!“ Gut, das mit den Wölfen im Schafspelz ist mit Blick auf Matthäus 7, 15 in diesem Falle vermutlich eine innerkatholische Bösartigkeit (wie ich den Kommentaren auf kath.net entnehmen konnte), aber trotzdem bin ich an dieser Stelle von der Metapher überrascht. Für jemanden, der sich als den Nachfolger des Stifters unserer Religion bezeichnet, den wir in langer Tradition als Guten Hirten kennen, ist es also ein außergewöhnliches Mittel, wenn er verlorenen Schafen nachspürt? Ist es das, was Guido Horst seinen Leserinnen und Lesern vermitteln will? So scharfe Kritik an Rom hätte ich als Protestant von einer katholischen Zeitung nun wirklich nicht erwartet. Das Retten der verlorenen Schafe ist doch gerade die Spur – um bei dieser verqueren Metapher zu bleiben – in die uns Jesus Christus gelenkt hat! Nach Matthäus 18, 14 ist das unmittelbar göttlicher Wille! Und da fragen wir, ob wir das dürfen oder können? Verstehe es, wer es kann, ich kann es nicht. Nein, Benedikt XVI. darf es nicht nur, er kann es nicht nur, er muss es – wenn denn das Christentum überhaupt einen Sinn haben soll.

  4. Und der Leitartikler der Tagespost weiß seine Sprachverwirrung noch zu toppen. Denn wenn der Papst den verlorenen Schafen nachspürt, dann braucht er nach Guido Horst eines: „Eine Mannschaft, die ihm hilft, im Tiefschnee-Fahren abseits der Piste nicht unter Lawinen zu geraten. Und genau diese Mannschaft hat Benedikt XVI. nicht.“ Hä? Was ist das denn bitte schön? Eben waren wir noch beim versprengte Schafe einsammeln, und nun sind wir beim Freizeitsport und zudem noch beim gefährlichen „Tiefschnee-Fahren abseits der Piste“ und fordern, dass es eine Mannschaft gibt, die einem bei der frei gewählten sportlichen Herausforderung auch noch hilft? Was das allerdings mit den Wölfen im Schafspelz oder den versprengten Schafen zu tun hat, entzieht sich meiner Kenntnis. Spätestens hier hätte Guido Horst die Berg-Ziegen einführen müssen. Im Gesundheitsmagazin der AOK-Krankenkasse lerne ich dagegen, dass Tiefschnee-Fahren ohne mit den Techniken des Risikomanagements vertraut zu sein, nicht angeraten wird. Und es sei die Sache des Fahrers (mithin des Papstes), sich darum zu kümmern. Aber wer wollte nach so vielen verwirrenden Sprachbildern die Sprache noch ernst nehmen?

Ach ja, irgend wofür müssen auch noch die Lawinen (plural!) stehen (ich vermute, es sind die Medien), aber so ganz schaue ich nicht mehr durch und breche die Betrachtung ab. Es war ja auch ein weiter Weg vom Fischerboot auf dem See Genezareth bis zum hochalpinen Tiefschnee. Zwischendurch bin ich einfach aus der Spur geraten. Oder so ähnlich. Aber ich bin eben auch kein Schafe sammelnder Skifahrer, der Jesus-Bücher schreibt und Interviews gibt. Gott sei Dank!


P.S.: Man mag es für unfair halten, sich so über einen Leitartikel der „einzigen katholischen Tageszeitung im deutschsprachigen Raum“ lustig zu machen. Nichts liegt mir ferner. Denn von einem langjährigen Chefredakteur und heutigen Rom-Korrespondenten einer christlichen Tageszeitung sollte man wenigstens die Beherrschung der deutschen Sprache verlangen dürfen. Es gehört zu den besonderen Charakteristika der jüdisch-christlichen Tradition, die Sprache und das Sprachbild immer hoch geschätzt zu haben. Von einer Religion, die im wesentlichen von der Sprache lebt (Am Anfang war das Wort), muss man erwarten können, dass auch ihre publizistischen Vertreter die Sprache wertschätzen und mit ihr umgehen können. Vor allen Dingen müssen sie wissen, was sie sagen – und wann sie besser schweigen (und vielleicht in den Abruzzen Ski fahren) sollten.

Artikelnachweis: https://www.theomag.de/68/am336.htm
© Andreas Mertin, 2010