50 Jahre danach: Kunst und Kirche


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Abschied vom Sakralen

Karl Ledergerbers Plädoyer für religiöse Kunst

Andreas Mertin

1961, also vor genau 50 Jahren, erscheint im Verlag DuMont Karl Ledergerbers Buch „Kunst und Religion in der Verwandlung“. Das Buch ist insofern für unser Thema interessant, weil es zum einen mit einer Radikalität sondergleichen mit der Vergangenheit bricht und der Sakralkunst den Abschied gibt, zum anderen aber sich nicht den nahezu zeitgleichen Aufbrüchen der Entdeckung der Profanität der Kunst anzuschließen vermag, sondern nur wieder eine neue religiöse Kunst verkündet, die sich nun als raikale Menschlichkeit gibt. Im Klappentext des Buches wird der Argumentationsgang so zusammengefasst:

„Seit 100 Jahren sind 'Kunst und Religion in der Verwandlung' . Von der echten 'Sakralkunst' lebt heute nur noch der bereits abgewertete Name. Der Verfasser weist deshalb zu Anfang auf das Wesen der alten Sakralwelt hin, zeigt die archaisch-mythische Urform der Gegensätze von Sakral und Profan, den Unterschied von sakral und religiös. Das Christentum, ursprünglich und wesentlich berufen, die Sakralwelt der Hochkulturen als Symbiose von Gottes- und Weltreich zu überwinden, ist durch das christlich gewordene Reich der Römer und Byzantiner in eine archaisch-mythische Reichssakralität gedrängt worden. Entsprechend der sich wandelnden 'Reichsidee' hat sich auch die Kunst der Christen in eine christliche Kunst gewandelt, von der einige typische Ausprägungen dargestellt werden. Wir stehen heute am Ende der Christenheit alter Gestalt. In dieser Analyse der Zeit zeigt der Verfasser die Konsequenzen für die Gegenwart. Er spricht von einer Sakralromantik im Kleid der modernen Kunst - ähnlich der neugotischen unserer Väter. An Stelle der sakralen muss aber heute eine Kunst treten, welche die verborgene Religiosität der Schöpfung selbst darstellen will, so wie das christliche Leben von äußeren Konventionen gelöst unsichtbar geworden ist und eine neue innere Dimension finden muss. Dieser Weg von der sakralen Überwelt zur göttlichen Innenwelt der Dinge und des Menschen wird in der echten modernen Kunst vom schöpferischen Künstler versucht.“[1]

Diese Perspektive auf die Kunst und ihr Verhältnis zur christlichen Religion wird kurze Zeit später von Herbert Schade in seinem Buch „Gestaltloses Christentum? Perspektiven zum Thema Kirche und Kunst“ knapp unter dem Stichwort  „Sakralmüdigkeit“ zusammenfassen.[2] Während noch für Pie Régamey jedes echte Kunstwerk sakral ist,[3] stellt Ledergerber den Begriff des Sakralen für die Gegenwart grundsätzlich in Frage.

Mich interessieren im folgenden nur die letzten Kapitel des Buches von Ledergerber, die sich mit der „modernen Sakral-Romantik“, der „neuen religiösen Kunst“ und dem notwendigen „Mut zur Zukunft“ beschäftigen. Moderne Sakral-Romantik ist für Ledergerber als Kunst, die den alten Formen des Sakralen noch in irgendeiner Weise verbunden ist. Sie wählen zwar moderne Formen, aber nur um damit überholte theologische Konstruktionen zu visualisieren:

„Sind im Hinblick auf die neue Lage nicht die meisten dieser modernen Gestaltungen letztlich künstlerische Legitimationen kirchlicher Formen, die am Untergehen sind? Ist es nicht gleichsam so, als ob man - als Vergleich aus der Technik - alte Automotoren und Motorgetriebe mit modernen Karosserien umkleidete und Petroleumlaternen im neuen Lampenstil fabrizierte? Liegt die Modernität nicht eben doch vorwiegend in der Aufmachung, während das Ding selbst einer vergangenen Zeit angehört?“[4] – „Ans nackte Leben geht unsere heutige Kirchenkunst selten, sie berührt nicht im Innersten; sie gefällt vielleicht, aber sie erschüttert nicht, sie steigert nicht das echte Lebensgefühl des einzelnen; sie will den Gläubigen etwas schmackhaft machen, was ihm an sich nicht wohlbekommt.“[5]

Sein Fazit:

„So steht denn der moderne christliche Künstler vor einem Dilemma. Er kann als Künstler nur in der Zeit wirken und kann es doch nicht ganz, denn diese Zeit kann keine sakrale Aussage machen. Als Christ tendiert er zum Religiösen; er kann dies aber nicht in einer echten sakralen Form ausdrücken, denn das Sakrale gehört einer vergangenen Lebensweise an.“[6]

Was nach Ledergerber bleibt, ist ein „Weg zum Neuen“ und dieser Weg ist notwendig mit einer „subjektiv persönlichen Schaffensweise“ des Künstlers verbunden. An die Stelle der (objektiven) Sakralkunst soll nun die (subjektive) religiöse Kunst treten.

Paradebeispiel dafür ist nach Ledergerber nicht zuletzt Le Corbusiers Kapelle von Ronchamp, die „keine Kirche, sondern eine heilige Höhle, aber auch … eine ‚Maschine’ des religiösen Gefühls“ ist.[7] Hier kann Ledergerber dann ganz lyrisch werden:

„Ronchamp ist ein Sinnbild unserer Zeit mit ihrem doppelten Gesicht; wie ein technisches Wunderschiff fährt es im strahlenden Sonnenlicht und verkündet die schöpferische Menschlichkeit auf dem Wellenberg der Welt; wie eine bergende Höhle umhüllt und enthüllt es zugleich das göttliche Geheimnis der Natur und der Tiefen der Seele. Waren in der sakralen Kunst, in der von Menschen geschaffenen Überwelt, die patriarchalische Macht und ihre Gesetze gültig und wirksam, so herrscht hier das Naturgefühl und die Kleinwelt, die Gebrauchswelt des Weiblichen: ein matriarchaler Zug unserer neuen Kunst, der gerade in Ronchamp in seinem Höhlencharakter zum Ausdruck kommt. Es ist ein Heiligtum, ein natürlich heiliges Gefäß, zugänglich dem Erlebnis aller, die einer Erhöhung durch echte Gefühle fähig sind, seien sie Christen oder nicht. Das Christliche ist hier ein Darüberhinaus, ein Dazu, eine nur andeutungsweise sichtbare Bestimmung: ein dünnes im Himmel verfließendes Kreuz auf der Turmhöhe, ein unscheinbarer zweckdienlicher (Altar-)Tisch, eine im Blendlicht zwischen Welt und Höhle stehende Silhouette eines Marienbildes - kein Kultbild magisch verdinglichter Sakralität, sondern ein Sinnbild der göttlichen Erde und des Menschen zwischen Licht und Finsternis.“[8]

Was die Bildende Kunst betrifft, so stellt Manessier den Übergang dar, während ausgerechnet Marc Chagall „die religiöse Weltlichkeit der neuesten Malerei am stärksten“ verkörpere:

„Manessiers nach christlichen Themen benannte Bilder unterscheiden sich nicht von seinen andern Bildern, die vielleicht eine Naturstimmung, eine Landschaft als Kennwort tragen, denn bei allen geht es ja nicht um Gegenstände, sondern um Innenbilder und Gefühle, die alle gleicherweise vom religiösen Kern der Dinge sprechen und die alle vom selben christlichen Künstler, dessen Christsein aber im verborgensten persönlichen Bereich bleibt, geschaffen worden sind.“[9] -

Chagalls Werke dagegen

„sind reinste Poesie einer religiös empfundenen Wirklichkeit. Vergleichbar der Bibeldeutung nach dem geistigen Sinn, holt er den Honig der göttlichen Süßigkeit aus den Dingen und Ereignissen, obschon ihm jede programmatische, theologische Religiosität, eben in der sakralisierten Form, im tiefsten fremd und verhaßt ist, wie er selber sagt. Seine Weltpoesie gründet und gipfelt in einem unaufhörlichen Lobgesang auf den göttlichen Eros in der Welt. … Alles ist richtig und schön und selbstverständlich im Reich der Liebe, die Himmel, Erde und den Innenraum der Seele erfüllt. Seine naive und überschwengliche zaubermächtige Hingabe an den Eros schließt auch das Leid und die Verlassenheit im Bild des Gekreuzigten in die letzte Harmonie ein. Chagall ist wie kaum ein anderer Maler unserer Zeit Zeuge dafür, dass die schöpferische Kunst, die Malerei, wie alle Poesie, teil hat am Göttlichen und dass alle echte Kunst religiös ist.“[10]

Man wird diese Zuschreibungen kritisch als „schwärmerisch“ im mehrfach Sinn kategorisieren müssen. Theologisch ist hier die Grenze zur natürlichen Theologie weit überschritten und kunst-ästhetisch die Differenz zum Kitsch kaum gewahrt. So sinnvoll die Kritik am Sakralismus in der Sache ist, so problematisch ist die Schwärmerei von einer neuen religiösen Kunst. Nicht, dass die hervorgehobenen Künstler keine guten Künstler wären, aber letztlich werden hier wieder nur ins religiöse Konzept passende Arbeiten ausgewählt, die dann für die „seelische Ergriffenheit“ an sich stehen sollen. Im Rekurs auf die Seele (die dann nur anders bestimmt und relationiert wird) gleichen sich aber die Konzepte. Auch die Vertreter des Sakralismus sahen die Seele als „Geburtsstätte der Kunst“[11]. Nur schoben sie noch die Kirche als vermittelnde Institution dazwischen. Lässt man diese weg, kommt man aber nicht zu besseren Ergebnissen, sondern nur zu anderen.

Der Herausforderung, sich der Kunst als Kunst stellen zu müssen, entgeht man so. Die neue religiöse Kunst ist letzten Endes nichts anderes als religiöses Emotional-Design, wenn man Glück hat: gutes.

Anmerkungen

[1]    Ledergerber, Karl (1961): Kunst und Religion in der Verwandlung. Köln: DuMont Schauberg.

[2]    Schade, Herbert (1971): Gestaltloses Christentum? Perspektiven zum Thema Kirche und Kunst. Aschaffenburg: Pattloch (Der Christ in der Welt. Eine Enzyklopädie, Reihe 15. Band 1). S. 144f.

[3]    Régamey, Pie (1954): Kirche und Kunst im XX. Jahrhundert. Unter Mitarbeit von Hugo Lang. Graz, Wien, Köln: Styria, S. 53.

[4]    Ledergerber, Karl (1961), S. 109.

[5]    Ebd., S. 109f.

[6]    Ebd., S. 121.

[7]    Ebd., S. 127.

[8]    Ebd., S. 127f.

[9]    Ebd., S. 132.

[10]   Ebd., S. 136f.

[11]   Fremgen, Leo (1942): Kunst und Schöpfung. Ethik der Kunst. Gütersloh: Bertelsmann, S. 52.

Artikelnachweis: https://www.theomag.de/71/am337.htm
© Andreas Mertin, 2011