50 Jahre danach: Kunst und Kirche


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Religionspädagogik zwischen 1933 und 1945

Eine Buchvorstellung

Andreas Mertin

Wermke, Michael; Arbeitskreis für Historische Religionspädagogik (2011): Transformation und religiöse Erziehung. Kontinuitäten und Brüche der Religionspädagogik 1933 und 1945. Jena: IKS Garamond (Arbeiten zur historischen Religionspädagogik, 9).

Schulischer Unterricht in Sachen Religion ist nicht nur in der Gegenwart ein politisch wie gesellschaftlich umstrittenes Fach, sondern war es auch und vor allem während der dramatischen Transformationsprozesse des 20. Jahrhunderts. Den dort stattfindenden „Brüchen, Kontinuitäten und Neuanfängen“ ging eine Tagung des Arbeitskreises für Historische Religionspädagogik (AHRp) nach, deren Ergebnisse mit diesem Buch vorgelegt werden. Der  Arbeitskreis erhebt, wie es in der Einleitung von Michael Wermke heißt, „für sich den Anspruch, die gegenwärtige religionspädagogische Forschung um Bereich der Disziplin- wie auch der Bildungsgeschichte zu repräsentieren.“

Neben der Einleitung enthält der Tagungsdokumentationsband zwölf Beiträge. „Inhaltlich gesehen liegt der Schwerpunkt auf der historisch-systematischen  Erforschung von religionspädagogischen Transformationsprozessen im Übergang von der Weimarer Republik zum Dritten Reich.“

Außerordentlich fasziniert habe ich schon den ersten grundsätzlichen Text des Buches von Thomas Martin Schneider „Die Umbrüche 1933 und 1945 und die Religionspädagogik“ gelesen. Fasziniert war ich aus zwei Gründen. Zum einen kannte ich die Dramatik religiösen Unterrichtens, die Schneider am Beispiel des Studienrats Georg Maus vor Augen führt, bisher so nicht. Dass es ausreichte, im Religionsunterricht das biblische Liebesgebot für gültig zu halten, um verurteilt und nach Dachau geschickt zu werden, war mir neu. Das zweite, was mich fasziniert hat, war die von Schneider vorgenommene Aktualisierung des historischen Geschehens im Blick auf die heutigen Debatten zum Religionsunterricht: Was kann man aus den Diskussionen zur Religionspädagogik zwischen 1933 und 1945 heute lernen? Und das ist offenkundig sehr viel.

Ähnliches gilt meines Erachtens im Blick auf die Aktualität des Textes von Desmond Bell „Ein Fehler im System? Das Alte Testament im preußischen Religionsunterricht nach 1933“, der zeigt, wie einerseits die Erzählungen des Alten Testaments trotz des gesellschaftlichen Drucks in ihrer Thematisierung im Unterricht beibehalten wurden, andererseits aber dennoch ganz praktisch Transformationen in ihrer Kontextualisierung im Sinne des Systems vorgenommen wurden. Aktuell fand ich den Beitrag nicht zuletzt deshalb, weil er mir zeigte, wie stark seit damals bis heute bestimmte Ressentiments in der Bevölkerung gegenüber dem Alten Testament verbreitet waren. Die Rede vom „alttestamentarischen Gehabe“, von der typisch „alttestamentarischen Rache“ stammt eben nicht aus den Debatten zwischen 1933 und 1945 um die Bedeutung des Alten Testaments im Religionsunterricht, sondern aus den Diskussionen im Kulturteil der Zeitschriften der Gegenwart. Dass das Alte Testament nur eine unvollkommene Vorstufe des Eigentlichen sei, diese Vorstellung ist eben nicht 1945 untergegangen, sondern feiert dieser Tage fröhliche Urstände.

Es macht diese – für den Experten vielleicht gar nicht so überraschende - Aktualität aus, die den Reiz des Buches bildet. Zumindest ReligionspädagogInnen sollten sich damit befassen, weil es ihnen deutlich machen kann, welche Bedeutung und welche Konsequenzen ihr Handeln gesamtgesellschaftlich haben kann und wie viel Verantwortung sie haben.

Artikelnachweis: https://www.theomag.de/71/am355.htm
© Andreas Mertin, 2011