Krankheit und Gesundheit


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„A Beautiful Mind“

Krankheit und Gesundheit im Film

Inge Kirsner

„A Beautiful Mind“: Der Titel des Films von Ron Howard aus dem Jahr 2001 kann eine Assoziation hervorrufen, die zu dem Zitat „Ein gesunder Geist in einem gesunden Körper“ führt. Tatsächlich ist „mens sana in corpore sano“ ein verkürztes Zitat des römischen Satirikers Juvenal aus dem 1.-2.Jh. n.Chr.

Juvenal schrieb: "Orandum est ut sit mens sana in corpore sano." ("Es wäre wünschenswert, dass in einem gesunden Körper auch ein gesunder Geist wohnen möge.") Er war ein Satiriker, der gesellschaftliche Vorgänge seiner Zeit aufs Korn nahm. Ähnlich wie heute gab es auch in der damaligen römischen Gesellschaft eine Art von Fitness- und Bodybuilding-Wahn. Juvenal wollte mit seinem Bonmot ausdrücken, dass bei vielen der durchtrainierten Muskelmänner die geistigen Fähigkeiten nicht mit den körperlichen Kräften Schritt halten können... Und so meinte er praktisch das Gegenteil von dem, was die Verkürzung des Satzes nahe legt.[1]

Nun heißt der Titel des Films aber nicht ein „gesunder“, sondern ein „schöner“ Geist[2].

Im Kap. 2 der DVD „A Beautiful Mind“ (Dream Works L.L.C. 2009) lernt man den „schönen Geist“, dargestellt von Russell Crowe, zunächst einmal kennen. Schnell wird deutlich, dass es sich bei John Nash vielleicht um einen „schönen Geist“, aber auf keinen Fall um einen „Schöngeist“ handelt. Er beschäftigt sich mit Mathematik, und dies so ausschließlich, dass sich nur auf diese Weise, wenn überhaupt, Beziehungen zu anderen Menschen herstellen lassen.

Wer es auf offensive, Nash offensichtlich faszinierende Art schafft, ihn für Zwischenmenschliches zu öffnen, das scheint sein künftiger Zimmergenosse Charles zu sein.

Charles ist wichtig für Nash, er erinnert ihn an die Dinge des Lebens, die nichts mit Mathematik zu tun haben, z.B. das Essen und Trinken und Spaß haben im Leben. Charles ist lebenswichtig für ihn, und wir lernen ihn und später seine Nichte Marcee bis zur Mitte des Films immer besser kennen. Zwischenzeitlich hat Nash trotz seiner Kommunikationsprobleme eine Frau kennen gelernt, Alicia, die sich in seinen „schönen Geist“ samt dazugehörigem Körper verliebt hat, er hat eine Anstellung an der Universität erhalten und wird für einen etwas obskuren Geheimstauftrag erkoren. Agent Parcher möchte, dass Nash Codes der Russen sammelt, welche durch Tageszeitungen und Magazine Informationen über den Verbleib einer transportablen Atombombe kommunizieren. Spätestens bei Parchers Auftritt werden wir misstrauisch gegenüber der Wahrnehmung, die wir bisher mit Nash geteilt haben, und wir lernen mit ihm schockartig, dass es die Hölle ist, zu erkennen, dass die Menschen, die man liebt, nicht tot sind, sondern niemals existiert haben[3].

Das Medium Film begünstigt unsere emphatische Fähigkeit, die Welt mit den Augen eines anderen zu sehen. Wir teilen die Wahrnehmung des Kranken, den wir ab der Mitte des Films auch von außen erleben, indem wir beginnen, seine Welt mit den Augen der anderen zu sehen. Von den anderen – sprich seinem zukünftigen Psychiater Dr. Rosen – lernen wir: Nash leidet an Schizophrenie mit paranoiden Zügen. Behandelt wird er nach der Diagnose sowohl mit Medikamenten als auch mit Elektroschocks, die in den 60ern als Allheilmittel galten. Doch haben die Pillen, die Nash schlucken muss, eine Persönlichkeitsveränderung zur Folge, er leidet an allgemeiner Antriebsschwäche und Lustlosigkeit. Sein Arbeits- und Liebesleben wird so beeinträchtigt, dass er die Medikamente absetzt. Nun aber tauchen seine Gefährten wieder auf, Freunde wie Feinde, deren Anwesenheit nur er wahrnimmt – seine Umgebung bekommt diese mittelbar mit. Gegen den Rat seines Psychiaters Dr. Rosen beschließt Nash, seiner Krankheit ohne medizinisch-psychiatrische Behandlung entgegenzutreten und den folgenden Prozess alleine zu meistern. Seine Frau Alicia beschließt jedoch, ihn darin zu unterstützen und fügt seiner eigenen ihre stellvertretende Hoffnung hinzu.

Alle – er und die Menschen in seiner Umgebung – müssen nun lernen, mit diesem Krankheitsbild zu leben; zunehmend wird er mitsamt seinen Erscheinungen toleriert und dann, wenn auch mühsam und mit Rückfällen, in die Gesellschaft re-integriert.

Schließlich kann er sogar wieder an der Universität arbeiten und erhält 1994 den Nobelpreis für Wirtschaftswissenschaften (bezüglich der Leistungen auf dem Gebiet der Spieltheorie), so wie sein reales Vorbild John Nash, dessen Lebenslauf für den Film etwas geschönt wurde.

Gut ist an dieser filmischen Vermittlung von Krankheit und Gesundheit ein Modell namens „Recovery“ festzumachen.

Das Recovery-Modell ist aus der psychiatrischen Empowermentbewegung in den USA entstanden.  Es beschreibt den (Heilungs-)Prozess durch eine sich verändernde innere Haltung, indem Selbsthilfemechanismen  und das Genesungspotential der Betroffenen zugrunde gelegt werden. Der Begriff stammt aus dem englischen Sprachraum und kann mit „Wiedergesundung“ übersetzt werden. Diese Wiedergesundung wird als persönliche Entwicklung gesehen, in deren Verlauf zwischenmenschliche Beziehungen, Selbstbestimmung (Empowerment), soziale Integration und Problemlösungskompetenz neu entdeckt und gefördert werden und  Lebenssinn anders erlebt wird[4].

Recovery wird als eine Reise der Heilung und Transformation definiert, die eine Person mit geistig-psychischen Problemen dazu befähigt, ein sinnerfülltes Leben in einer Gemeinschaft ihrer Wahl zu führen in dem Bemühen, ihr volles Potential auszuschöpfen.

Recovery kann ohne professionelle Intervention erfolgen; dies erfordert Menschen, die an die unterstützte Person glauben und dieser Person beistehen; Recovery kann gelingen, auch wenn Symptome wieder auftreten; es ändert Frequenz und Dauer von Symptomen; Recovery ist auf Gesundheit fokussiert und nicht auf Krankheit.

Es geht im Recovery-Modell darum, dort, wo man ist, einen Lebenssinn zu finden, Stigmatisierungen zu überwinden, ein selbstbestimmtes Leben zu führen und seinen Platz in der Gesellschaft zurückzufordern. Recovery kann so als eine Manifestation von Empowerment gesehen werden[5].

An dieser Stelle musste weiter ausgeholt werden, um deutlich zu machen, wie der Begriff „Gesundheit“ in diesem Modell erweitert wird. Gesundheit bedeutet nicht länger das Nichtvorhandensein von Krankheit, sondern das Realisieren der Krankheit und ihr Integrieren in das eigene Lebenskonzept. Es ist der Versuch, mit der Krankheit leben zu lernen und ein sinnerfülltes, nicht-hospitalisiertes Leben zu führen – soweit das Krankheitsbild dies zulässt.

In „A Beautiful Mind“ wird die Grenzziehung zwischen Gesundheit und Krankheit verwischt. Indem wir auf der Seite des Kranken stehen, diagnostizieren wir die Krankheiten der nach außen ´normal´ erscheinenden Umgebung. Beispielsweise setzt sich die mit dem kalten Krieg einhergehende gesellschaftlich-politisch-militärische Paranoia in den paranoiden Zügen des Mathematikers, der Codes knacken will (wo es keine gibt), fort bzw. drückt sich das eine in dem anderen aus. Der Zusammenbruch erfolgt mit der Erkenntnis, dass es keinen „Masterplan“, keine Verschwörung gibt und der Kranke auf sich selbst zurückgeworfen ist. Auf sich und seine Frau, die seinen Wahngestalten ihre reale Existenz entgegensetzt und seinen Selbstheilungs-Plan schließlich mitträgt. Er, der Nicht-Gesellschaftsfähige mit fast autistischen Zügen, muss für sein Weiterleben soziale Fähigkeiten entwickeln und eben solches auch in verstärktem Maß von den Menschen seiner Umgebung verlangen. Diese müssen seine an den Rändern ausfransende Existenz tolerieren mitsamt ihren ek-statischen Erscheinungen. „Ist der Mann da real?“ fragt er am Ende eine Studentin und weist auf den Mann neben sich, der im Auftrag des schwedischen Komitees gekommen ist, um Nashs  Eignung für den Nobelpreis erforschen.

Diesem bestätigt er dann, verrückt zu sein, aber dieser „Verrücktheit“ mit einer Vernunftdiät zu begegnen, also seine Lieblingsphantasien nicht über Gebühr zu füttern. Er weist auf ein rechtes Maß hin, das für gesunde wie für kranke Lebenslagen gelten könnte und die Unterscheidung zweifelhaft macht.

Der „schöne Geist“ des künftigen Nobelpreisträgers wohnt in einem Körper, der ebenso ungelenk erscheint wie die Äußerungen jenes Mannes, der gerade durch seine Direktheit einnimmt. Den Wahnsinn eines Genies zu tolerieren ist jedoch möglicherweise einfacher, als mit der Krankheit eines Normalsterblichen konfrontiert zu sein.

Deshalb soll noch ein weiteres Filmbeispiel vorgestellt werden, das ein anderes Krankheitsbild, jedoch einen ähnlichen Umgang mit Krankheit bzw. Behinderung zeigt.

In Nic Balthasars „Ben X“ (Belgien/Niederlande 2007) lernen wir einen Jungen kennen, der am Asperger Syndrom, einer Form von Autismus, leidet. D.h. er leidet nicht so sehr unter der Krankheit selbst als vielmehr unter ihren sozialen Folgen. Ben wird in der normalen Schule, die er besucht, gemobbt und schließlich auf eine so brutale Weise gedemütigt, dass er beschließt, einen fingierten Selbstmord zu begehen. Die Idee dafür liefert ihm Scarlite, der er im Computerspiel „Archlord“ begegnet und die – nur für ihn real – dem Spiel entstiegen ist und ihm zur Seite steht. Durchführen kann er seinen Rettungsversuch nur mithilfe seiner Eltern, die ihn nach längerem Zögern schließlich unterstützen.

Wie in „A Beautiful Mind“ sehen wir die Welt mit den Augen des Protagonisten und sehen so auch die imaginierten Figuren als ´reale´ Begleiter. Mit diesen müssen auch die Menschen in der Umgebung zurechtkommen und sie als erweitertes Ich, als Teil des geliebten Menschen akzeptieren.

Nicht jede (psychische) Krankheit wird sich als sozial so verträglich gerieren wie in den eben genannten Beispielen. Und nicht immer zeigt der Film ein Happy End, man betrachte zum Beispiel den Verlust der Identität durch Alzheimer in dem Film „An ihrer Seite“ (Sarah Polley, Kanada 2006).

Aber deutlich wird auch an diesem Filmbeispiel die Möglichkeit des Films, die Wahrnehmung der Betrachtenden zu erweitern, die Konstruktion der Wirklichkeit zu verdeutlichen, die in manchen Krankheitsbildern besonders hervortritt und sich in die Protagonisten hineinzuversetzen. Der Heilungsprozess wird, wie im Modell des Recovery, als solcher gezeigt, der keine Wiederherstellung des alten Normalzustandes anstrebt, sondern eine neue Balance herstellen möchte, innerhalb derer Gesundheit bedeutet, mit der Krankheit leben zu lernen.

Lernprozesse solcher und anderer Art begegnen uns in unserem letzten Filmbeispiel, in Iain Softleys „K-Pax“ (USA 2002). Es sind zunächst Begegnungen der anderen Art, denn der seltsame Fremde, der ohne Gepäck in New York an der Central Station auftaucht, behauptet, ein Außerirdischer vom Planeten K-Pax zu sein. Prot, wie er sich nennt, wird in die geschlossene Anstalt einer psychiatrischen Klinik eingewiesen; dort beginnt er, einige Mitinsassen auf seine Weise zu therapieren. Er stellt einem von ihnen z.B. drei Aufgaben, und verspricht ihm nach erfolgreicher Lösung die Heilung.

Der behandelnde Arzt beschwert sich über die unkonventionellen Methoden (die letzte Aufgabe wird darin bestehen, den besten Freund fast umzubringen, damit dieser merkt, dass es nirgends Sicherheit gibt) und über die Grenzüberschreitung Prots. Es sei seine Aufgabe, die Patienten zu heilen, nicht Prots; dieser fragt, warum er es dann nicht bereits getan habe? Prot ist überzeugt, dass jeder Mensch genügend Selbstheilungskräfte besitzt und man diese nur aktivieren müsse. Ob er selbst auf geniale Weise verrückt ist oder tatsächlich ein Alien mit distanziert-weisem Blick auf die irdische Welt, das lässt der Film offen.

„K-Pax“ ist ein Film in der Tradition von „Einer flog über’s Kuckucksnest“ (Milos Forman, USA 1975), der in einer geschlossenen Anstalt die Mechanismen einer (menschenfeindlichen) Welt spiegelt; aufgelöst wird hier wie dort die Grenzziehung zwischen „krank“ und „gesund“, hier entsprechend zwischen „verrückt“ und „normal“.

Besonders ausgefallene psychische Erkrankungen schienen in den letzten Jahren auch die deutsche Filmwelt zu inspirieren, wie z.B. das „Tourette-Syndrom“ in „Vincent will Meer“ (Ralf Huettner, D 2010). Autismus ist immer und seit „Rain Man“ (Barry Levinson, USA 1988) ein besonders reizvolles Filmthema, ebenso wie Alzheimer. Krankheitsbilder wie die Glasknochenkrankheit wurden in „Unbreakable“ (M.N. Shyamalan, USA 2000) spektakulär in Szene gesetzt, um abschließend auch ein Beispiel für eine physische Krankheit zu nennen.

In den ersten vier vorgestellten Filmbeispielen (A Beautiful Mind, Ben X, An ihrer Seite, K-Pax) wird das jeweilige Krankheitsbild jedoch nicht benutzt, um einen wie immer gearteten Voyeurismus der Zuschauenden zu bedienen und/oder sich auf Kosten des oder der Dargestellten filmdramaturgisch daran zu delektieren.

Vielmehr wird das Reflektieren über Krankheit und Gesundheit zum Anlass genommen, weitergehende Fragen nach dem Sinn des Lebens, nach Zufall und Schuld, Selbstbestimmung und der Gerechtigkeit Gottes freizusetzen, eines Gottes, dessen schöner Geist am Anfang über den Wassern schwebte, bis eine Schöpfung aus diesen hervortrat, die gut: also heil war und wieder werden kann.

Anmerkungen

[1]    Vgl.: Walter Krämer / Götz Trenkler: Lexikon der populären Irrtümer, Frankfurt 1996, 217

[2]    „mind“: Sinn, Gemüt, Geist, Verstand, Meinung, Absicht, Neigung, Lust, Gedächtnis, Sorge….Hier wird „mind“ trotz vieler Facetten mit „Geist“ übersetzt, wenn der Filmtitel im Internet auch öfter mit „Ein schöner Verstand“ wiedergegeben wird.

[3]    Siehe K. 15 und 16 der DVD „A Beautiful Mind“

[4]    Diese Beschreibung des Modells Recovery verdanke ich dem Gespräch mit der Sozialpädagogin Ellen Walz .

[5]    Quelle: Das Recovery-Modell, aus Wikipedia, der freien Enzyklopädie, entnommen am 14.1.2011

Artikelnachweis: https://www.theomag.de/72/ik09.htm
© Inge Kirsner, 2011