„Da ist das Meer so groß und weit ...“

Vier Seepredigten über Natur-und Glaubenserfahrung
auf einem Kreuzfahrtschiff auf der Fahrt zum Nordkap

Hans-Jürgen Benedict

Begrüßungsandacht 16.8.11
Aufbruch

Liebe Kreuzfahrtgemeinde!

Dorthin will ich: und ich traue
mir fortan und meinem Griff
Offen liegt das Meer, ins Blaue
Treibt mein Genueser(Artania) Schiff.

So dichtete Friedrich Nietzsche unter dem Titel „Nach neuen Meeren“. Die Nordsee ist sicher kein neues Meer für die meisten von uns, auch kennen wir die Stationen unserer Reise, die nächste ist Molde in Norwegen und dann kreuzen wir im Romsdalsfjord. Wir fahren nicht wie die Entdecker des19. Jahrhunderts ins Ungewisse hinein, suchen den Nord-oder Südpol und geraten in Eis- Stürme und Katastrophen, von denen viele Wagemutige nicht zurückkehrten. Wir begnügen uns mit dem Nordpolarmeer und dem Nordkap. Und doch ist sie auch heute noch ein großer Aufbruch, so eine Kreuzfahrt. Wir lassen vieles Vertraute hinter uns, nicht nur das feste Land sondern auch den Alltag, die Pflichten, die je nachdem unangenehmen oder auch angenehmen Routinen unseres Lebens. Und wir werden von einem Heer dienstbarer Geister exzellent versorgt. Kreuzfahrturlaub als Steigerung des Lebens, als ein Stück Luxus, aus dem man erfrischt in den Alltag zurückkehrt. Was werden wir nicht alles gesehen und erlebt haben! Viele erfüllen sich mit dieser Kreuzfahrt einen langgehegten Wunsch, andere kennen diese Erfahrung schon. Nachdem ich als Junge Fotos von den Fjorden gesehen und die Geschichte von Lofotenfischern gelesen hatte, schlummerte in mir der Wunsch, das doch einmal selber anschauen zu dürfen.

Und dann: Alles hinter sich zu lassen und aufs offene Meer hinauszufahren. Was war das für ein Gefühl gestern Abend, als wir ablegten in Bremerhaven und das Kreuzfahrtterminal hinter uns liessen. Glücksgefühle. Erfüllte Sehnsucht. Auch ein bisschen Wehmut. Das Deutsche hat so schöne Worte für diesen Zustand. Also: entgegen dem deutschen Urlauberdrang nach Süden fahren wir in den Norden. So weit nördlich werden wir kaum wieder kommen, es sei denn jemand bucht eine Fahrt bis Spitzbergen oder er fährt mit einem russischen Eisbrecher ins ewige Eis.

Also jetzt fast zwei Wochen Norwegische Preziosen und das Nordkap. Norwegische Preziosen, also Kostbarkeiten. Mit dem Land Norwegen assoziieren wir aber seit dem Terrornaschlag in Oslo und dem Massenmord auf der Ferieninsel Utoya durch Anders Breivik vom 22.Juli eher Schreckliches. Dass da jemand in der Mitte einer zivil-freundlichen Gesellschaft lebt und ein schreckliches Verbrechen vorbereitet und durchführt und dann noch seine wirren Gedanken als Manifest ins Netz stellt, auch noch das Christentum dafür in Anspruch nimmt, um sein Handeln zu legitimieren, zum Kreuzzug zur Verteidigung Europas aufruft, das erschüttert und macht sprachlos. Wie kann so etwas mitten unter uns geschehen? Ist es das absolut Böse, was sich hier zeigt. Ist es ein Verrückt-Geisteskranker?

Ich erwähne das nur, um den Kontext unserer Reise nicht vergessen zu machen. Wir fahren in ein Land, das trauert, das durch diesen Massenmord erschüttert ist ,ein Land, das unser Mitgefühl und unsere Solidarität hat. Das ist der ernste Hintergrund, vor dem sich jetzt unsere schöne und erlebnisreiche Reise abspielen wird. Und auf dieses Schöne und Erhabene der Reise, man denke nur an die Fjorde, will ich sie ein wenig mit dem 104.Psalm,einem Schöpfungspsalm einstimmen, verfasst im Orient vor 2500 Jahren. Man könnte fast sagen, er entstammt der Marketingabteilung der Bibel, Sparte Schöpfungslob, ich lese die ersten 9 Verse. Schöpfung ist Licht . „Licht ist dein Kleid, das du anhast“, es ist zum einen ein Sonnenhymnus(aus Ägypten), zum andern: Schöpfung ist Ordnung des Ur-Chaos, die Tiamat, der Urdrache wird gebändigt (aus Babylon),so wie die Alten sich das vorstellten mit zwei Riegeln oben und unten, die Wasser dürfen nicht wieder das Erdreich bedecken. Und dann springe ich über das Lob des Landes mit seinen Tälern, fruchtbaren Ebenen ;Quellen, Wiesen, Feldern, Bäumen, den Vögeln und Tieren, vom Steinbock hoch auf dem Felsen bis hin zu den nach Raub brüllenden Löwen und schließlich dem Menschen, der morgens zur Arbeit geht und auch ankommt ,(wenn nicht grade die Lokführer streiken oder die Autobahn gesperrt ist), ich springe über all das hinweg und komme zu den Versen 25 und 26

Da sind wir auf dem Meer und sogar unser Kreuzfahrtschiff, die Artania, kommt gewissermaßen darin vor und die Wale, die wir vielleicht auch noch sehen, die Gott gemacht hat damit zu spielen, welch ein hübscher Gedanke, dass Gott ein Spielzeug braucht, Gott langweilte sich in seiner einsamen Erhabenheit, und da erschuf er aus Langeweile den Menschen und die Tiere. Mit den Tieren kann er spielen, aber der Mensch ist kein Spielkamerad, der will selber das Spiel dominieren, auf jeden Fall ein bisschen Gott spielen. Und deswegen wird der Mensch daran erinnert, dass er im Unterschied zu Gott vergänglich ist. Aber der Psalmdichter freut sich trotzdem und bekennt, dass er Gott loben will, solange er ist. Solange er auf dieser schönen Erde und ab und zu auf dem weiten Meer sich tummeln kann. Ganz wörtlich und im übertragenen Sinne also: Gymnastik auf Deck am Morgen, ein paar Runden im Schwimmbad. Und Abenteuer des Geistes, Bücher lesen, für die man am Landalltag keine Zeit hat. Thomas Mann, als er das erste Mal 1934 mit einem Dampfer den Atlantik überquerte, fragte sich, was nehme ich mir als Lektüre mit. Es muss ein Buch sein, groß und weit wie das Meer. Es war nicht die Bibel, die auch so groß und weit ist, es war der Don Quijote von Cervantes, die Abenteuer des Ritters von der traurigen Gestalt. Und er berichtet in seiner Erzählung Meerfahrt mit Don Quijote von dem Leben an Bord und von seinen Lektüreerlebnissen. Wir sind keine Thomas Manns, aber vielleicht wäre das ja eine Übung, ein kleines Tagebuch zu schreiben von dieser Reise für die Daheimgebliebenen Nordkapfahrt mit Berichten von den vielen Landgängen, Tromsö, Trondheim, Bergen, Oslo, mit dem Versuch das Erlebnis der Fjorde in Worte zu fassen, aber auch mit Notizen von den Geschichten des Buchs der Bücher, sprich Bibel, mit Büchern von der Long oder Shortlist des Deutschen Buchpreises, mit Krimis oder Fantasy-Romanen und was es sonst Schönes zu lesen gibt, oder zu sehen, es können auch Filme sein oder zu hören von den Musikern der Bordunterhaltung. Und für heute 16.8 steht dann ua. drin für ihre Kinder oder Enkel: kurzweilige Andacht mit dem Bordseelsorger, heißt wie der Papst, ist aber jünger und witziger, aber auch nicht mehr der Jüngste, wenn man genau hinsieht, erzählte uns was von Aufbruch und Abschied…In dem Nietzsche-Gedicht, das ich zu Beginn zitierte, ist das in See Stechen ist Bild für den Aufbruch des Menschen ins Geistige, in die Abenteuer des Geistes und der Seele, des Denkens und des Glaubens. Das kann eine Kreuzfahrt auch sein, zur Ruhe kommen, nachdenken, Neues erfahren, neue Menschen kennenlernen. Und bei alldem zu wissen: jeder Aufbruch ist Einübung in den Abschied, gestern von Bremerhaven, morgen von Molde und so weiter, Abschied letztlich von allem Schönen auf dieser Erde, auf den Meeren und auf dem Land. Übrigens: Nietzsche spricht tragisch von der Unendlichkeit, er kannte kein Ziel, nur den ewigen Kreislauf.

Alles glänzt mir neu und neue.
Mittag schläft auf Raum und Zeit
Nur dein Auge – ungeheuer-
Blickt‘s mich an, Unendlichke.t

Als Christen sagen wir: Gott ist das Ziel des Lebens. Wohin gehen wir, fragte ein romantischer Dichter (Novalis) und antwortete: „Immer nach Hause.“ Der norddeutsche Dichter Gorch Fock sagte: „auch das Meer ist die aufgespannte Hand Gottes“, ein Trost war das für die Seeleute und ihre Angehörigen, die viel weniger geschützt als wir sich aufs Meer wagten. Aufbruch und Ankunft. Und dazwischen das Schöne genießen, wie der Prediger Salomo es sagte: „So geh hin und iß dein Brot mit Freuden, trinke deinen Wein mit gutem Mut. Lasse deine Kleider weiß sein und lass deinem Haupte Salbe nicht mangeln. Genieße das Leben mit deinem Weibe, dass du lieb hast, denn das ist dein Teil am Leben und bei deiner Mühe, die du unter der Sonne hast“. Ich denke, das ist ein gutes Motto, für die Tage die auf uns zukommen. Amen


Morgenandacht 18.8.11:
Kreuzfahrt; Kreuzwege, Kreuz Christi

Liebe Kreuzfahrtgemeinde.

Heute ist angesagt: Kreuzen vor der Küste Mittelnorwegens. So wie ich das verstehe ist eine Kreuzfahrt seemännisch eine Fahrt von einem Hafen zu einem andern, die nicht in einer Richtung verläuft sondern eben sich kreuzend, die Richtung wechselnd. Wie beim Segeln, wenn man gegen den Wind kreuzt(ich bin kein Segler),dauernd die Richtung wechselt, um voran zu kommen . Das Kreuz an der Kreuzfahrt ist das des Richtungswechsels, und das ist ein Kreuz, das wir gerne ertragen, weil es ständig neue Erlebnisse beschert. Bei der Kreuzfahrt denken wir zuallerletzt an das christlcihe Kreuz, an das Kreuz Jesu, an das Marterinstrument. Kreuzfahrt das ruft angenehme Gedanken hervor – weiße Schiffe, blaues Meer, alte Hafenstädte mit klingenden Namen, tief eingeschnittene Fjorde mit hohen Felswänden und Wasserfällen ,ein Gewirr von kleinen Inseln , Gott, wie ist deine Schöpfung so groß und erhaben.Wasser, Sonne; Wind, gutes Essen, tolle Unterhaltung. Mit einem Wort Lebensfreude, Glück, Genuß, ewiger Sonntag ,Leben jenseits des Mangels, Verweile doch du bist so schön ,das Leben ein Traumschiff. Wir wissen, dass wir auch auf die Kreuzfahrt unsere Alltagsprobleme mitnehmen, krank werden können, auch mal von diesem oder jenem enttäuscht sind. Doch im ganzen sind wir froh, dass es diese Kreuzfahrten gibt und wir sie uns ab und an leisten können Manche halten sie für die schönste Erfindung des modernen Tourismus, und das ist wohl gar nicht so falsch. Als einer, der erst zum zweitem mal dabei ist, nehme ich mit Staunen wahr, wieviel Arbeit und Logistik in der Durchführung so einer Kreuzfahrt steckt, wie viel Organisation, Mühe und Phantasie. Vor allem auch, wie viel Dienstleistungen von ganz vielen Menschen an Bord, in der Küche , im Restaurant, im Zimmerservice, in der Technik. Menschen, die das Kreuz dieser besonderen Arbeit auf sich nehmen, monatelang von zu hause fort sind, um uns dieses genussvolle Kreuzen auf den Weltmeeren zu ermöglichen. Das ist ein Grund zum Danken. Nur wenn zum Schluss die Getränkerechnung und andere Ausgaben zu hoch sind, durchkreuzt das vielleicht den Plan für die nächste Kreuzfahrt, den wir uns schon im Stillen zurechtgelegt haben.

Zwei Wege, die sich kreuzen, ergeben eine Kreuzung. Kreuzungen können gefährlich sein. Deswegen gibt es Vorfahrtsschilder und Ampeln. Wer sie nicht beachtet, bringt andere und sich in Lebensgefahr. An Kreuzwegen müssen wir uns entscheiden ,welchen Weg wir nehmen wollen: von antiken Helden wird das berichtet, Herkules am Kreuzweg, Jesus in Gethsemane ,aber auch im modernen Leben stehen wir oft vor solchen Entscheidungen. Besonders für Auto fahrende Ehepaare in fremden Städten ist der Kreuzweg besser die Kreuzung, eine große Herausforderung für die gegenseitige Toleranz und Liebe. Aber heute gibt es den Navigator mit der angenehmen Frauenstimme, der uns dieses Problem abnimmt.

Im persönlichen Leben gibt es so einen Navigator, der sofort den Weg neu berechnet,falls man falsch abgebogen ist, nicht. „In zweifelhaften Fällen entscheide man sich für das Richtige“, sagte der bissige Karl Kraus so witzig wie lakonisch. Heute sucht man eine Beratung oder Supervision, wird gecoacht, wenn es schwierige Entscheidungen zu treffen gilt, bespricht sich mit Freunden. Unsere Kinder haben es schon etwas schwieriger mit den Kreuzwegen: welches Studium wähle ich, welchen Beruf ergreife ich, mit wem will ich zusammenleben. Ihre Zukunft ist nicht so sicher wie die unsere.

Aber was ist unser christlicher Navigator? Sicher eine bestimmte Form des Gottvertrauens. Das ist die Botschaft vieler Psalmverse und Lieder. „Befiehl du deine Wege und was dein Herze kränkt, der allertreusten Pflege, des der den Himmel lenkt, der Wolken, Luft und Winden gibt Wege, Lauf und Bahn, der wird auch Wege finden, da dein Fuß gehen kann“, so dichtete Paul Gerhardt vor 350 Jahren. Ein wunderbares Lied, das schon vielen Menschen Trost gespendet hat. Als der Schriftsteller Theodor Fontane 1871 in Kriegsgefangenschaft geriet und auf der Insel Oleron interniert war, suchte er Trost. Er las zuerst den antiken Seneca. Half wenig. Dann probierte er es mit dem Aufsagen von Befiehl du deine Wege. Das half besser, notierte er.

Kann das Kreuz Christi Richtpunkt des Lebens sein?

Es kann immer etwas geben, was unsere Lebenspläne durchkreuzt. Eine schwere Krankheit, ein Unglück. Jeder hat sein Kreuz zu tragen. Mancher erträgt sein Unglück ohne Blick auf das Kreuz. Andere werden eben dadurch getröstet. Und durch den Beistand von Menschen, die professionell und rein mitmenschlich da sind.

Von der Kreuzfahrt zum Kreuz Christi. Es ist viel mißbraucht worden, man denke an die Kreuzzüge. Der Terrorist Breivik forderte in seinem Manifest, der Papst solle zum Kreuzzug aufrufen: welch eine schreckliche Verirrung. Trotz des Missbrauchs bleibt das Kreuz ein Trostzeichen für alle Leidenden. Es erinnert daran Jesu Praxis besteht in Gewaltverzicht und Versöhnung. Und der Blick auf den Gekreuzigten hilft die eigenen Leiden besser ertragen, Das Kreuz Christi ist eine symbolische Verdichtung menschlicher Leidenserfahrungen. Ecce homo - seht den leidenden Menschen(nicht den Gottessohn). Hinter der Heilsaussage ist der leidende und gequälte Mensch erkennbar – millionenfach wird Christus gekreuzigt. Gedächtnis der Leidenden, compassion, Mitleiden vor dem Bild des Gekreuzigten – das ist die unverminderte Aktualität des Kreuzes .Und es zielt ab auf die Verringerung der Leiden.

Gleich Überqueren des Polarkreises - 66.33 nördlicher Breite. Wir überfahren eine unsichtbare Linie. Wir wissen: ab hier wird das Leben unwirtlicher, die Lebensbedingungen härter. Die Wetternachricht, dass sich Polarluft nähert, macht uns frösteln. Aber jetzt sind wir noch im Sommer. Und insofern ist es ein kleines Abenteuer, das uns nicht in Gefahr bringt, wenn wir den Polarkreis überqueren.

Später können wir unsern Enkel zeigen: Guck mal da oben waren Opa und Oma. Und wie war‘s da: ach, auf dem Schiff ganz gemütlich. Hast du auch Eisbären gesehen? Nein, so weit waren Opa und Oma nicht. Aber einen Elch?

Auch nicht?! Was dann – ganz viele Papageientaucher und ein paar Autos, denn die können auch bis hierher fahren. Und von Mai bis Juli ist hier die Sonne nicht untergegangen. Toll, dann müsste ich nicht schlafen gehen. Aber wie kommt das denn? Ja, das kommt so… Verlassen wird den Dialog zwischen Opa und Enkel und kehren zum Thema Kreuzfahrt zurück. Möge Gott und sein guter Geist uns helfen, an den Kreuzwegen unseres Lebens die Entscheidungen zu treffen, die für uns und unsere Mitmenschen lebensdienlich sind. Möge uns diese Kreuzfahrt dankbar machen für das Erlebnis des Großen und Erhabenen in der Natur, auch dort wo sie eher unfreundlich, ja fast feindlich ist. Dankbar auch dafür, dass das Leben in unseren Breiten, so sehr wir auch über zu viel Regen und schlechtes Wetter klagen, doch ganz komfortabel ist.

Amen.


Predigt im Ökumenischen Abendmahlsgottesdienst 21.8.11

Begrüßung:

Ich begrüße sie mit dem Wochenspruch „Wem viel gegeben ist, bei dem wird man viel suchen und wem viel anvertraut ist ,von dem wird man umso mehr fordern.“

Wir sind zeitlich in der Mitte unsere Kreuzfahrt angelangt und befinden uns schon auf der Rückreise. Das eigentliche Ziel der Reise ,das Nordkap, liegt hinter uns. Anlaß innezuhalten und nachzudenken an diesem Morgen, über unser Verhältnis zum Erlebnis des Naturschönen und Erhabenen. Gott ist in Jesus Mensch geworden und hat sich für uns hingegeben. Darum feiern wir das Abendmahl in beiderlei Gestalt, dazu sind sie herzlich eingeladen.

Predigt Der Schrecken der Natur und Jesu Schönheit

Liebe Kreuzfahrtgemeinde!

Es gibt einige Eindrücke und Bilder der letzten beiden Tage, die mich nicht loslassen. Eines hat mit der kleinen weißen Kirche von Hönnigsvar zu tun. In der Kirche hängt ein Foto, das sie nach der Zerstörung des Ortes durch die deutschen Truppen 1944 zeigt. Verbrannte Erde, alle Häuser bis auf die Grundmauern niedergebrannt, stehengeblieben ist nur die Kirche. War es ein Rest von mitmenschlicher Achtung oder von trotz aller Barbarei doch noch vorhandener Gottesfurcht, der die Kirche stehen ließ. Jedenfalls wurde die Kirche zum Überlebensort, zum Ort des Neuanfangs. In ihr wohnten die restlichen Bewohner, hier kochten und schliefen sie, die Kirche ermöglichte es ihnen im Ort zu bleiben und diesen langsam wieder auf zu bauen. Im Gästebuch der Eintrag eines Deutschen, ich denke eines auf unserem Schiff Reisenden vom 20.8.2011: Vergib uns unsere Schuld. Ja, vergib uns unsere Schuld. Die Norweger haben uns unsere Schuld vergeben, wir können fast unbeschwert in dieses schöne und im Norden karge Land reisen. Und das verbindet für mich die Geschichte der Kirche von Hönnigsvar mit dem Eindruck der Eismeerkathedrale von Trömso. Das wunderbar farbstarke große Glasfenster zeigt einen Christus mit offenen Armen. Er ist dargestellt in der Haltung des Richters, und die Geschichte vom Weltgericht, steht wohl hinter diesem Bild. Aber es ist nicht mehr so, dass er wie auf den dramatischen Bildern der Renaissance(Michelangelo Sixtinische Kapelle) die einen zur Linken verdammt und die andern zur Rechten erlöst. Nein. Die beiden Figuren, die hilfeheischend die Arme zu Christus emporstrecken, werden, so scheint es mir, beide von Christus angenommen. Die Bösen und die Verbrechen gegen die Menschlichkeit müssen bestraft werden. Allein das Leiden der Opfer verlangt es. Und doch: Christi Erbarmen ist größer als unsere Vorstellungen von Recht und Gerechtigkeit, so scheint es dieses Glasfenster zu sagen.

Sodann: das Erlebnis der Landschaft, das Meer, die Fjorde, die Berge, das Licht, die Sonne, der Sonnenaufgang, der lange Sonnenuntergang, das Abendrot bis spät in die Nacht, die Wolken, der Mond und sein Licht auf dem Wasser, auch der halbe Mond gestern „seht ihr den Mond dort stehen, er ist nur halb zu sehen und ist doch rund und schön, so sind gar manche Sachen, die wir getrost belachen, weil unsere Augen sie nicht sehn.“ Wie genießen das, wir fotografieren, was die Kameras hergeben, und heute geben die Kameras viel her und schauen uns das noch mal zu hause an, erfreuen oder belästigen damit vielleicht die Nachbarn und Freunde, die ähnlich viele Fotos auf dem PC haben. Aber den religiösen Schauder, den unsere Vorfahren hatten, wenn die Sonne unterging im Westen, das sie mit dem Totenreich zusammenbrachten und wenn sie zur Sonnen-Gottheit flehten, dass sie ihren Weg durch die Unterwelt siegreich bestehe und morgen früh im Osten wieder auftauche, den haben wir nicht mehr. Denn wir wissen ja, dass die Sonne nicht im Meer versinkt, sondern wir um die Sonne kreisen und die Drehung der Erde die Sonne verschwinden lässt. Vielleicht sind die vielen Fotos,die Ahs und Ohs ein Versuch diesen Schauder wieder zu erwecken, eine religiöse Haltung zu beleben, aber alle Superfarbfotos schaffen das nicht. Denn wir sind Ästheten und Ästheten tun nur noch so, als ob der Schauder und die Versöhnung da wären. Und weil die Naturerlebnisse uns nicht mehr lange tragen, müssen wir sie mit zunehmendem Alter immer wiederholen. Ich erinnere mich noch an meinen allerersten Sonnenuntergang über dem Meer, Klassenfahrt 6.Klasse zum ersten Mal am Meer, auf Sylt, da saß ich am Strand von Wenningstedt und war ergriffen und ging ins Schullandheim und malte den Sonnuntergang, das Bild habe ich noch, ungelenk gemalt, aber voller Schauder angesichts des Ungeheuren und Schönen und Erhabenen ,das ich da gesehen hatte.

Die eindrucksvolle Fahrt zum Nordkap,über die kargen Hügel,nur mit Moos und Flechten die Rentiere. Das Kap selber mit seinem steil abfallenden Schiefergestein,der weite Blick. Die schwindelnde Höhe, der scharfe Wind, die Erinnerung an die ersten Besteiger des Plateaus,die Figuren der Kinder aus 7 Ländern. Alles hat uns beeindruckt, vielleicht doch einen religiösen Schauder hervorgerufen und uns in den Ruf ausbrechen lassen; „Herr,wie sind deine Werke so groß“,.Ps 104. Und das erinnert mich an den italienischen Dichter Petraca, der um 1200 als erster einen höheren Berg bestiegen und das beschrieben hat, den Mont Ventoux in Südfrankreich. Als er oben angekommen war, ich glaube 1100 Meter hoch, da hat er eine Schrift des Kirchenvaters Augustin aus seiner Reisetasche gezogen und darin gelesen, eine Stelle, die besagt, nicht die Schönheit der Natur sollst du bewundern, sondern Gott loben für seine Schöpfungskraft. Nicht der Augen Lust solle bedient sondern der Glaube an den Schöpfer gefördert werden. Das klingt jetzt kulturkritisch. Aber es ist etwas dran – je mehr Erlebnisse wir suchen, umso weniger tragen sie. Ihre Sinnkraft erschöpft sich. Deswegen unsere Jagd nach Erlebnissen. Wir suchen die Schönheiten der Erde und machen sie gleichzeitig damit auch ein wenig kaputt. In diesem Widerspruch leben wir. Und trotzdem - es war erhaben schön - das Nordkap gestern als wir noch mal langsam dicht daran vorbeifuhren und etwas davon ahnten, wie es für die alten war,die meinten, hier sei die Welt zu Ende und hier wohnten die bösen Geister...

Von unserer Herkunft sind wir Naturanbeter - denn ihr Schrecken wurde dadurch gemildert, dass sie göttlich belebt gedacht wurde. Gott in der Natur gibt es auch in der Moderne, heißt Pantheismus, findet man bei dem großen norwegischen Schriftsteller Knut Hamsun – ich entdeckte eine Stelle in dem Roman Pan, der Liebesgeschichte eines eigenwilligen jungen Mädchens und eines Leutnants vor dem Hintergrund der norwegischen Landschaft. Ich zitiere: „Der erste Tag im Wald ,ich war froh und matt, alle Tiere näherten sich mir…ich weinte vor Liebe und war vollkommen froh dabei. Du guter Wald, meine Heimat, Frieden will ich dir von Herzen sagen…Mittags ruderte ich hinaus,, ich landete auf einer kleinen Insel, da gab es lila Blumen…Die See schäumte sanft gegen die Insel und hüllte mich in einen Schleier von Sausen ein..Aber das Meer umschloß mich von allen Seiten wie eine Umarmung. Gesegnet seien meine Feinde, ich will in dieser Stunde meinem schlimmsten Feinde, gnädig seinen Schuhriemen binden…milde Winde streichen lautlos gegen mein Gesicht, seid gesegnet sage ich zu den Winden,.., mein Blut beugt sich in meinen Adern in Danksagung vor euch.“ (Hamsun,Pan.Die Nachbarstadt,Frankfurt 1987,94) Das Naturerlebnis macht den jungen Mann naturfromm und menschenfreundlich. Selbst seinen Feinden will er verzeihen. So habe ich das noch nicht gelesen – nicht in sich kreisende Naturbegeisterung sondern Naturfrömmigkeit mit ethischen Konsequenzen. Fast im Anschluß an Jesu Wort aus der Bergpredigt, wo er sagt: wie Gott, der seine Sonne aufgehen lässt über Böse und Gute und lässt regnen über Gerechte und Ungerechte, sollt auch ihr eure Feinde lieben. Feindesliebe aus Naturbeobachtung. Die metereologische Überparteilichkeit Gottes als Beweis für die Möglichkeit der Feindesliebe, interessant nicht wahr.

Das erinnert mich an ein Lied im Gesangbuch: Schönster Herr Jesu, Herrscher aller Landen. „Schön sind die Wälder , schön ist der Mond, die Sonne, schön sind die Sterne all, die Blumen usw“ , aber „Jesus ist schöner“. Warum? Weil er seinen Feinden verziehen hat, weil er sich den Randfiguren und verachteten zugewandt hat, weil er die Menschen geliebt hat ,auch seine Feinde und sein Leben hingegeben hat für uns .Gottes und Jesu Schönheit ist eine ethische Schönheit, auch das dürfen wir nicht vergessen, während wir auf unsere Kreuzfahrt die herben Naturschönheiten des Nordens erleben. Wenn wir nach Hause kommen warten wieder mitmenschliche Aufgaben auf uns, sei es die Pflege von Angehörigen, seien es bürgerschaftliche Aufgaben in Vereinen Gemeinden und Nachbarschaften.. Dazu kann uns der Glaube Kraft geben. Von dieser Schönheit Jesu, wie wir sie jetzt gleich im Abendmahl nachvollziehen und erinnern, leben wir auch. Amen


Ansprache Morgenandacht 24.8.11
Das harte Leben, die Naturschönheit und die Mitmenschen

Liebe Kreuzfahrer. Haben Sie auch den Eindruck - die Tage auf dem Schiff eilen je mehr die Kreuzfahrt sich dem Ende nähert, etwas schneller dahin? Gesegnet bislang mit wunderbarem Wetter, ruhiger See und schönen Erlebnissen genießen wir, was uns noch gegeben an Zeit. Wir wollen an diesem Morgen auch „dem Geber aller Güter und frommen Menschenhüter“ danken.

Es ist einfach ein großes Glücksgefühl, auf diesem Schiff auf dem Meer, in den Fjorden dahinzugleiten, die großartige Landschaft an sich vorbeiziehen zu lassen. Körper und Seele kommen zur Ruhe, atmen im Rhythmus der Berg-und Wasserlandschaft. Wir sehen die 1000 Meter hohen steil abfallenden Bergwände, die Wasserfälle und die winzig kleinen Bauernhöfe. Wir hören die angenehme Stimme unseres Bordsprechers Helmut, wie er uns diese Landschaft in ruhig fließenden Worten erklärt. Die Erhabenheit der Bergwelt teilt sich uns mit, wir werden still und staunen, dass es so etwas gibt und wir das Glück haben, das ohne Bedrängnis, ohne Lawinengefahr und Steinschlag zu erleben. Wir hören die geologische Erklärung zur Entstehung dieser Fjorde und vielleicht fallen uns die theopoetischen Psalmworte ein, die das in Jahr Millionen entstandene Weltnaturerbe auf Gottes Schöpferhandeln zurückführen „Mit Fluten decktest du das Erdreich wie mit einem kleide und die Wasser standen über den Bergen. Die Berge stiegen empor und die Täler senkten sich herunter zum Ort, den du ihnen gegeben hast.“(Ps 104) Und dann hören wir wieder die Stimme des Bordsprechers, wie er uns auf die harten Lebensbedingungen der Menschen hinweist, die jahrhundertelang in diesen, was die Naturschönheit betrifft, großartigen, aber auch menschenfeindlichen Umständen gelebt haben, leben mussten, dem kargen Boden wenig Ertrag abrangen, ihre Ziegen hüteten, ihre Kinder zur Taufe ins Tal brachten auf lebensgefährlichen Wegen und Steigen, aber das nahmen sie auf sich, hören, wie die Bergbauern den dänischen Steuereintreibern die Leitern wegzogen, sodass sie im Berg steckenblieben und unverrichteter Dinge wieder abzogen und schmunzeln dabei. Wir gleiten dahin auf unserem Luxusdampfer, der alles im Überfluss hat, was diese Menschen meist ein ganzes Leben lang entbehren mussten. Vielleicht sind wir für einen Moment dankbar, dass unser Leben viel leichter und angenehmer ist.

Dann steigen wir aus wie gestern in Geiranger, fahren die Adlerkehre hoch, ängstigen uns ein wenig in den Serpentinen, fahren noch viel höher zum Berg Dalsnibba, ängstigen uns noch mehr, vertrauen aber dem Busfahrer und den Bremsen des Busses , hören von den Reiseführern im Bus nochmals von den langen Wintern, den Schneemassen, den harten Lebensbedingungen, fahren dann ins Fjordcenter und sehen ganz sinnlich konkret, wie die Menschen gelebt haben, die engen Betten, und kleinen Stuben, aber auch die Fortschritte der Technik, auch in Trondheim und Mole konnten wir uns das frühere einfache Leben ein den volkskundlichen Museen anschauen. Wir hören das Donnern der Lawinen, sehen aber auch die schönen Dinge, die diese Menschen schufen, etwa die Bauernmalerei im Festsaal in Trondheim. Und vielleicht fallen uns wieder Bibelworte ein aus dem 1.Buch Mose „verflucht sei der Acker um deinetwillen. Mit Mühsal sollst du dich nähren von ihm dein leben lang. Dornen und Disteln soll er dir tragen. Im Schweiße deines Angesichts sollst du dein Brot essen, bis du wieder zur Erde wirst.“ Und vielleicht denken wir an unsere Großeltern, die ein Stück dieser Realität noch erlebt haben, oder an die Menschen in der südlichen Erdhälfte, für die diese Beschreibung noch Realität ist, Menschen, die hungern in einer Welt, die eigentlich reich genug ist, alle ausreichend zu ernähren. Und wir sind beeindruckt und vielleicht auch ein wenig dankbar dafür ,dass es uns so gut geht, dass wir Urlaub haben, aus unserem Alltag mit seinen Problemen aussteigen durften, es zu etwas gebracht haben, trotz mancher Krisen und Rückschläge. Und vielleicht fällt uns der 90.Psalm ein, in dem es heißt „unser Leben währet 70 Jahre und wenn es hoch kommt sind es achtzig Jahre, und was daran köstlich scheint, ist doch nur vergebliche Mühe, denn es fähret schnell dahin, als flögen wird davon“. Und wir sehen einen Vogel kreisen und die Sonne senkt sich, dann kaufen wir noch was ein für unsere Lieben zu Hause, essen noch ein norwegisches Eis, aber wir müssen zurück aufs Schiff.

Wie schnell ist der Tag vergangen, ganz langsam wird es dunkler, aber die Sonne erleuchtet noch die Berge in ihrem oberen Bereich und wir gleiten wieder dahin, durch den Fjord aufs Meer zu, sehen noch mal die Wasserfälle der sieben Schwestern und die winzigen Bauernhöfe und gehen zum Abendessen, das uns hunderte von ebenso dienstbaren wie fröhlichen Menschen von den Philippinen zubereitet haben und servieren, wir freuen uns auf die Shows, die Barmusik, die Gespräche…Ja, Dankbarkeit ist mein erstes Gefühl, wenn ich all das erlebe. Es ist auch die Dankbarkeit von Goethes Türmer „Zum Sehen geboren, zum Schauen bestellt,/dem Turme geschworen, gefällt mir die Welt./ Ich blick in die Ferne, ich seh in der Näh,/den Mond und die Sterne, den Wald und das Reh./So seh ich in allen die ewige Zier,/und wie mir‘s gefallen, gefall ich auch mir./Ihr glücklichen Augen, was je ihr gesehn,/es sei wie es wolle, es war doch so schön.“

Wunderbar gesagt und doch fehlt etwas – ja, was fehlt denn? Ich meine: es fehlt der Mensch, es fehlt der Mensch, der mein Mitgefühl, meine Achtsamkeit, mein Aufmerken braucht. Es fehlt der Blick auf den Menschenbruder, die Menschenschwester. Wer ist allein, wer ist traurig, wer leidet, wer ist krank, wer hungert, wer braucht ein freundliches Wort von mir, wer meine Zuwendung? Wem kann ich zuhören? Wen kann ich besuchen? Jesu hat uns in seinem Gleichnis vom Weltgericht darauf aufmerksam gemacht – auf die Menschen, die unsere Zuwendung und liebe brauchen, die Menschen, in denen er unerkannt anwesend ist. Alles großartige erleben der Schöpfung soll uns doch wieder hinführen zum Nächsten, zum Fernsten, zum Fremden, zum Freund, der mich braucht. Auch dazu stärke uns das Erleben von Gottes Schöpfung und die Gemeinschaft unter Gottes Wort heute morgen. Amen.


Predigt im Ökumenischen Abschlussgottesdienst am 27.8.11:
Abschied, Naturerfahrung als Einübung in die eigene Vergänglichkeit

Liebe Gemeinde,

der Prophet Jona, so haben wir gerade gehört, verweigert sich dem Auftrag Gottes, er flieht vor Gott, schifft sich ein nach Tarsis und legt sich schlafen .Gott lässt einen Sturm aufkommen, alle rufen ihre Götter um Hilfe an, vergeblich, der Sturm tobt weiter. Jona wacht auf, er erkennt, dass seine Flucht die Ursache des Sturmes ist, erlässt sich über Bord werfen, der Sturm legt sich. Eine Geschichte die so schön im Alten Testament erzählt wird.

Die See war ruhig, keine Flutwelle hat das Schiff in Gefahr gebracht, kein Sturm tobte, keiner musste über Bord geworfen werden, um wie in der alten Jona-Geschichte die Götter des Meeres zu beruhigen. Der Himmel war fast immer heiter, es gab keine Kollision mit einer Hafenmauer, keiner ist an Land überfallen worden oder in Schwierigkeiten geraten, niemand ist bis auf einen Passagier ernstlich krank geworden. Es gab keine Schlägereien an Bord. Kein Künstler wurde ausgebuht, keine Dienstleistung als völlig unzureichend empfunden. Im Gegenteil, wir waren zufrieden und wurden verwöhnt. Allenfalls durch das allzu häufige exzellente Essen haben wir uns selbst und unserer Gesundheit ein wenig geschadet. Wir waren so sicher an Bord dieses Schiffes wie der gute Prophet Jona in seinem Walfisch, den Gott ihm schickte, als er im Meer trieb. Und der Jona schluckte und nach 3 Tagen an Land spie. In jedem Hafen hat uns der Walfisch MS Artania an Land gespuckt und dann wieder aufgenommen und weiter gefahren zum nächsten Hafen, wieder an Land gespuckt usw

Jetzt heißt es Lebewohl zu sagen und ins heiße Spätsommer-Deutschland zurückzukehren. Lebe wohl, farewell und nevermore/aller Sprachen Schmerz- und Abschiedslaut, sind dem Herzen, sind dem Ohre unaufhörlich tief vertraut .Lebe wohl, good bye, felice notte/und was sonst noch heißt, dass es nicht bleibt/alles Ruf vom unbekannten Gotte/der uns unaufhörlich treibt...

So dichtete sprachartistisch Gottfried Benn. Der Abschied heute bzw. morgen ist nicht schmerzlich zu nennen. Es ist kein Abschied von der Heimat, die zurückgelassen werden muss, weil man in die Fremde zieht. Nicht der Abschied von geliebten Menschen, die man lange nicht oder nie wieder sehen wird. Nein, es ist der Abschied von einem Vergnügen, das das Leben besonders lebenswert macht. Mancher hat sich einen Traum erfüllt, der jetzt zu Ende geht, andere denken schon an die nächste Kreuzfahrt. Es ist aber schon der Abschied von neuen Bekanntschaften, die man Bord gemacht hat, von interessanten Gesprächspartnern, witzigen Tischgenossen, von Geschichten, Stimmen und Gesichtern, von bestimmten liebgewordenen Ritualen. An- und Ablegen, sich fein machen zum Empfang beim Kapitän, zum Abend-Essen und für den Gala-Abend und vielem anderen, das in diesen 14 Tagen unseren Alltag bestimmte. Es war ein Fest, das wir ab und an brauchen, denn ein Leben ohne Feste ist wie ein langer Tag ohne Einkehr, wie schon vor 2500 Jahren ein griechischer Weiser sagte.

Lebe wohl, farewell und nevermore/aller Sprachen Schmerz- und Abschiedslaut, sind dem Herzen, sind dem Ohre unaufhörlich tief vertraut .Lebe wohl, good bye, felice notte/und was sonst noch heißt, dass es nicht bleibt/alles Ruf vom unbekannten Gotte/der uns unaufhörlich treibt. Und dann bleibt mein Blick doch an der Zeile hängen: „alles Ruf vom unbekannten Gotte, der uns unaufhörlich treibt“. Getrieben zu sein, einem Ruf des ganz anderen, einem Imperativ zu folgen. Dieser Ruf bestimmte Entdecker, den Wikinger Leif Eriksson auf seiner Fahrt in die Neue Welt, Fritjof Jansen mit seiner Frahm auf dem Weg zum Nordpol, Amundsen und Scott in ihrem Wettlauf zum Südpol, Thor Heyerdahl mit seiner Kontiki, bestimmte Erfinder, große Künstler wie Edvard Grieg, Munch und Hendrik Ibsen in ihrem Schaffen. Aber auch Propheten und Missionare, die das Christentum in den rauen Norden brachten und schöne Kirchen zur Ehre Gottes bauten.

Welcher unbekannte Gott treibt uns? Gott ist immer ein gebietendes und gewährendes Gegenüber. Uns moderne Konsumbürger treibt kein unbekannter Gott sondern das schöne Leben. Jener Imperativ, der da heißt: das Leben als letzte Gelegenheit zu nutzen. Alles ist entdeckt und beschrieben, alles liegt zu unserem Genuss bereit. Vielleicht hieße dem Ruf des unbekannten Gottes zu folgen, seine gebietende Stimme zu hören und in uns zu gehen. Weniger zu verbrauchen, etwas maßvoller zu sein, Verzicht zu üben. Aber zugleich stimmt ja auch, der Tourismus bietet vielen Menschen Arbeit, die sie sonst nicht hätten. Die Mannschaften an Bord, die Busbetriebe, die Andenkenläden, die Cafes und Restaurants, die Museen, die vielen Reiseführer usw. Es ist alles sehr vertrackt und miteinander verwoben in der einen Welt, es gibt keine einfachen Lösungen. Jeder muss für sich herausfinden, wie er dem Ruf Gottes folgen kann, der für uns ja kein unbekannter ist, sondern sich in Jesus als Menschenbruder gezeigt hat. Und dieser Jesus sagt uns: Nehmt die leidenden Menschengeschwister wahr. Kein Mensch ist eine Insel. Und in allem Abschied vertraut darauf: ich bin bei euch, wenn ihr euch in meinem Namen versammelt. Ihr seid angenommen. Deswegen: den andern wahrnehmen und Vertrauen haben in Gott als das Geheimnis des Lebens. Seid bereit auf andere zuzugehen. Wie eindrucksvoll ist zum Beispiel die große Gemeinschaft der aus so verschiedenen Ländern stammenden immer freundlichen Mitarbeiter auf MS Artania, die uns auch noch auf dem Crewabend trotz harten Arbeitsalltags ihre Talente gezeigt haben.

Wir haben vieles nur angetippt bei unseren Landausflügen, Gebäude haben wir viele gesehen, aber die Vielfalt der Menschenwelt gar nicht richtig kennen gelernt. Nun ist sie in Norwegen nicht so vielfältig wie etwa im Mittelmeerraum, sondern man hat den Eindruck - es gibt im Norden nur alle paar Kilometer ein norwegische Familie und im Norden die Samen oder Lappen – Küsten-,See-,Berg- und Waldlappen und dazu ein paar Waschlappen und 450000 Rentiere, und richtig menschlich bunt wurde es erst in Oslo. Nach einer Kreuzfahrt wäre zum Beispiel ein Besuch bei einer christlichen Partnergemeinde in Norwegen eine sinnvolle Alternative.

Ein letzter Gedanke: Wir reisen nicht um anzukommen, sondern um unterwegs neue und interessante Erfahrungen zu machen. Die wichtigste Erfahrung war auf dieser Reise die Naturerfahrung .Ein Hamburger Barock-Dichter, der Ratsherr Hinrich Brockes, hat mal über die Welt als zweites Buch der Offenbarung Gottes gesagt: Dies schöne Weltbuchblatt, das hier vor Augen liegt ,liest der zu Gottes Ehr, der sich darin vergnügt. Vergnügen im barocken sinne meint nicht Remmidemmi und Gaudi sondern sich sinnvoll und unterhaltsam an etwas erfreuen. Was haben wir, die älteren Menschen, denn wir sind doch hier in der Mehrzahl über 60,65,70 in diesem Buch der Welt, dem Buch der Natur in Norwegen gelesen? Was war unser Vergnügen, unsere heitere Belehrung? Bei einem deutschen Schriftsteller, bei Wilhelm Genazino fand ich gestern eine interessante Beobachtung. Er sagte, im Alter sind die ruhigen, weiten Landschaften wie die Norwegens oder Islands die richtige Einübung in die Vergänglichkeit des Lebens, ja ins unausweichliche Sterben. Denn die große und erhabene Natur lehrt uns, dass wir vergänglich sind. Dass wir das Loslassen üben müssen. Zugleich aber auch, dass etwas nach uns bleibt. Als ich darüber nachdachte, konnte ich diesem Gedanken nach einem ersten Erschrecken doch zustimmen. Das auf Deck sitzen, das Meer und den Himmel anschauen, die rollenden Wellen zu spüren, die ziehenden Wolken zu beobachten, in den Fjorden das steile Gebirge, den Wind zu spüren, sich dem Rhythmus des Schiffes auf dem Meer zu überlassen ist wie eine meditative Einübung in die Vergänglichkeit bzw. in die Ewigkeit. Wir gleiten dahin, ja fast ist es, als glitten wir hinüber. Und mir kam die Geschichte von dem japanischen Maler in den Sinn, der ein Natur-Bild malte, das so schön und vollkommen war, dass er schließlich selbst in das Bild hineinging und seine Freunde, die Pinsel und Staffelei fanden, ihn vergeblich suchten. Gelegentlich sind wir auf dem Deck in unserem Liegestuhl eingenickt und wachten auf und wussten im ersten Moment nicht, wo wir waren. Aha, Gott sei Dank lebendig an Bord der MS Artania, denn wir leben ja gerne auf dieser schönen Erde und wollen die uns geschenkte Zeit auch auskosten. Aber wir haben etwas gespürt von der Erhabenheit der Schöpfung und von unserer Vergänglichkeit.

Noch einmal zurück zur Jona-Geschichte. Die drei Tage, die Jona im Bauch des Fisches war, wurde von den Christen als Vorabbildung des Geschicks Jesu gedeutet und als Verheißung der Auferstehung. Auferstehung meint in der Gegenwart Gottes zu sein, meint das Gefühl der Verbundenheit mit dem Ewigen. Auch das kann uns eine Schifffahrt lehren. Auch das Meer ist die aufgespannte Hand Gottes, die uns trägt durch Zeit und Ewigkeit. Amen

Artikelnachweis: https://www.theomag.de/73/hjb7.htm
© Hans Jürgen Benedict, 2011