75 Jahre danach: Kunst und Kirche


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Gelobt sei San Keller

Geschichten, die das Leben schreibt

Andreas Mertin

Inzwischen bedaure ich es, am diesjährigen Kirchenkulturkongress der EKD nicht teilgenommen zu haben. Nicht, weil er besonders ertragreich und gut gewesen wäre. Nein, er war wie erwartet langweilig und ohne jede öffentliche Resonanz. Aber am Ende der Veranstaltungen in der Sektion Bildende Kunst gab es zumindest ein Ereignis, dem ich nur allzu gern beigewohnt hätte, weil es dann doch von der fortdauernden Geistesgegenwart der Kunst und der mangelnden Geistesgegenwart der Kirche zeugt.

Als letzter Programmpunkt fand sich auf dem Programmflyer Folgendes:


Was nun, Herr Keller? – Interaktives Tagungsresümee
13.00 Uhr
Aktion und Diskussion


Kurz vorher hatten die Besucher noch das zur Kenntnis nehmen dürfen:


Protestantische Formate – Umgangsformen mit der Kunst in Kirchen
10.30 Uhr
Vortrag und Diskussion

Mit Beiträgen von Dr. Frank Hiddemann, Pfarrer, Kunstbeauftragter der EKM, Gera; Christhard-Georg Neubert, Pfarrer, Kunstbeauftragter der EKBO und Direktor der Stiftung St. Matthäus, Berlin; Dr. Thorsten Nolting, Pfarrer, Vorstandsvorsitzender der Diakonie Düsseldorf; Dr. Bernd Schwarze, Pfarrer, Lübeck; Moderation: Dr. Martin Steffens, Kunsthistoriker, Leiter des Kunst- und Kulturfestivals „48 Stunden Neukölln“, Berlin


Da hatte also die geballte Pfarrerkompetenz der Evangelischen Kirche in Deutschland über ihre protestantischen Formate im Umgang mit Kunst in der Kirche Auskunft gegeben und nun durfte man gespannt sein, welche Schlussfolgerungen die Künstler daraus ziehen würden.

Auftritt San Keller. Im Rahmen seiner Performance/Aktion zog Keller die vielleicht einzige künstlerische Konsequenz, die man aus dem sich abzeichnenden Missbrauch durch eine Institution zur Legitimation ihrer kulturellen Gegenwartsbedeutung ziehen kann: Er trat aus der Kirche aus! Wunderbar – konsequent und als Zeichenhandlung wiederum von fast religiöser Qualität. Kunst, die etwas auf sich hält, kann sich bei niemandem zum Diener oder Erfüllungsgehilfen machen, sie muss, will sie der Sache (der Kunst wie der Religion) treu sein, konsequent bei sich selbst bleiben (So schon Adorno in „Art and religion today“).

Man kann nun lange darüber nachdenken, was einen Kulturkongress charakterisiert, der Künstler – und sei es nur in einer symbolischen Handlung – dazu bringt, aus der Kirche auszutreten. Intentional, so ist ja die Kulturpolitik der EKD seit einigen Jahren, geht es ja um das Entgegengesetzte, Künstler davon zu überzeugen, sich der Kirche wieder zu nähern. Offenkundig ist diese Missionsarbeit der EKD nicht besonders erfolgreich. Sie ist – das war allen klar, die sich nur etwas mit Kultur auskennen – von vorneherein zu Scheitern verurteilt. Aber die Damen und Herren der EKD wollten es ja nicht anders haben. Sie meinen, es „darf die Kulturarbeit der Kirchen niemals völlig ohne missionarisches Interesse sein. Für sie gilt, was für alle kirchlichen Äußerungen gilt: sie steht im Interesse der Verkündigung des Evangeliums und bemüht sich, den Glauben an Gottes Barmherzigkeit in eine solche Sprache zu fassen, dass sie Menschen erreichen, berühren und öffnen kann. Kultur in der Kirche darf nicht ‚autopoetisch’ sein.“ (Thies Gundlach) Und das spüren Künstler natürlich. Insofern ist der zeichenhafte Kirchenaustritt von San Keller nur konsequent.

Man muss freilich nicht aus der Kirche austreten, nur weil in Berlin und Hannover zur Zeit einige in den Büros der EKD sitzen, die von den Grundbedingungen der Kunst und der grundlegenden Bedeutung der Kunst keine Ahnung haben. Man könnte sagen (wie es eine katholische Praxis seit 100 Jahren ist), die Kurie ist das eine, die Praxis vor Ort das andere. Es gibt ja auch eine Praxis, die sich nicht darauf versteift, die Künstler im Interesse der missionarischen Arbeit zu missbrauchen, sondern die ein ernsthaftes Interesse daran hat, von den Erkenntnissen der zeitgenössischen Kunst zu lernen, zu verstehen, was Künstler in ihrer Praxis heute umtreibt und was man als Kirche bzw. Gemeinde davon lernen kann. Auch diese Praxis gibt es – wenngleich nicht allzu häufig. Aber daran kann man ja arbeiten.

San Keller aber kann man nur dankbar sein für seinen Impuls, denn er macht darauf aufmerksam, dass die Institution das Letzte ist, worum es in diesem Dialogprozess geht. Es geht um Wahrnehmung, um sinnlich basierte Reflexion, nicht um Ideologie. Und deshalb schreibe ich ganz unironisch: Lob für San Keller.

Artikelnachweis: https://www.theomag.de/74/am370.htm
© Andreas Mertin, 2011