75 Jahre danach: Kunst und Kirche


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Ohne Konsequenzen?

Zur Pathologie des Verhältnisses von Kunst und Kirche

Andreas Mertin

Im fünften Abschnitt der Barmer Theologischen Erklärung heißt es:

„Wir verwerfen die falsche Lehre, als solle und könne sich die Kirche über ihren besonderen Auftrag hinaus staatliche Art, staatliche Aufgaben und staatliche Würde aneignen und damit selbst zu einem Organ des Staates werden.“

Der evangelische Kunstdienst ist genau dies vor einem dreiviertel Jahrhundert geworden: ein Organ des Staates, in diesem Falle: Organ eines Unrechtsstaates. Und er hat dabei ohne zu protestieren mitgeholfen, das durch diesen Staat aus Museen und Privatsammlungen geraubte Kulturgut meistbietend zu verkaufen, nicht zuletzt, um den Staat zu bereichern. Gleichzeitig hat der Kunstdienst seine noch in Zeiten der Weimarer Republik gepflegte künstlerische Orientierung an der Moderne aufgegeben und sie nun bewusst an den staatlichen Vorgaben einer nationalen, deutschen Kunst ausgerichtet und die künstlerischen Bestrebungen, die für den Aufbruch der Moderne standen, ausgeschaltet.

Nach dem „tausendjährigen Reich“ haben dieselben Leute, die eben noch für die Gleichschaltung der kirchlichen Kultur gesorgt hatten, nun die Leitlinien für den „neuen“ Umgang der Kirche mit den Künsten bestimmt und dabei letztlich auch eine Kulturtheologie gefördert, die sich von den alten Vorgaben kaum gelöst hat. Weiter ging es gegen die freie Kunst, gegen die Autonomie der Kunst und gegen ästhetische Kriterien in der Beurteilung der Kunst. Statt dessen stand die Orientierung am Gemeindeempfinden und an der Mission im Vordergrund. Und die Verantwortlichen haben dafür gesorgt, dass ihr Anteil an der nationalsozialistischen „Kulturpolitik“ nicht ruchbar wurde. Das ist ihnen weitgehend bis zum Ende des 20. Jahrhunderts gelungen.

Und noch etwas anderes wurde indirekt fortgeführt. Zwar haben wir keine „Gottbegnadeten-Listen“ mehr. Wer aber durch die bundesdeutschen Kirchenlandschaften reist, muss doch das Gefühl haben, es gebe in der kirchlichen Kunstarbeit so etwas wie „gottbegnadete Künstler“. Immer wieder stößt man bundesweit bei Kirchenausstattungen und Kunstwerken in Kirchen auf dieselben Namen, die, versucht man sie im Kunstsystem zu verorten, dort überhaupt nicht auftauchen. Was zeichnet diese Leute aus? Gilt immer noch, was der ehemalige Nazi-Kunstideologe Winfried Wendland nach dem Krieg der Kirche vorschrieb? „Das Schaffen muss aus dem Glaubenserlebnis geboren sein … Es muss ein gestalteter Lobgesang sein oder ein solches Gebet. Dann ist ein Bild durch sich selbst volkstümlich, es spricht jeden an. Der Künstler, der sich diesen Gesetzen unterwirft, wird von selbst dazu kommen, eine künstlerische Sprache zu reden, die auch dem schlichten Bruder verständlich ist.“ Ja, das gilt weitgehend immer noch. Wir haben uns zur Freiheit der Kunst noch nicht bekannt.

Den Wunsch nach einer Art Gottbegnadeten-Liste gibt es weiterhin. Als Kurator von Ausstellungen zeitgenössischer Kunst bin ich mehrfach mit der Bitte aus kirchlichen Amtsstuben konfrontiert gewesen, ich möge doch eine Liste geeigneter Künstlerinnen und Künstler zusammenstellen, die für die Arbeit in der Kirche ansprechbar seien. Und auf den inzwischen bei beiden Konfessionen beliebten Veranstaltungen des „Aschermittwochs der Künstler“ trifft man dann auf die künstlerischen Spezialisten im Brachfeld von Kunst und Kirche, die nur allzu bereitwillig „aus dem Glaubenserlebnis“ heraus Kirchen gestalten wollen und deshalb gerne auf einer solchen Liste zu finden wären.

Letztlich tragen wir immer noch schwer am Erbe des Fehlweges, der nach 1933 auf dem Gebiet von Kunst und Kirche in Sachen Anpassung an die staatliche Kulturpolitik eingeschlagen wurde. Der protestantische Ehrgeiz, sich gegenüber dem Staat als Ansprechpartner in Sachen Kultur zu profilieren, ist nahezu ungebrochen. Selbstverständlich ist der Staat heute ein demokratischer Rechtsstaat. Aber das hebt den grundsätzlichen theologischen Einwand, die Kirche dürfe sich in Kulturfragen nicht zum Organ des Staates machen, nicht auf. Diese Orientierung an der staatlichen Kulturpolitik hindert die Kirche zugleich, Kunst als Freiheit und spezifisch menschliche Tätigkeit wirklich wahrzunehmen (für wahr zu nehmen) und theologisch aufzunehmen.

Was Not tut ist Eingedenken. Was ist schief gelaufen? Das betrifft nicht allein die offensichtliche Teilhabe an der nationalsozialistischen Unrechtspolitik in Sachen Kultur, für die sicher auch eine kirchliche Entschuldigung vonnöten ist. Es betrifft aber auch den grundsätzlichen Ansatz, Kultur zu betreiben, um sich gegenüber der Welt (und dem Staat) auszuzeichnen, statt nach der eigenen Wahrheit der Kultur zu fragen. Denn wenn die Kultur auch unter dem eschatologischen Vorbehalt steht, nur begrenztes Menschenwerk zu sein, sie ist sie eben dennoch die dem Menschen gegebene „Verheißung dessen, was er werden soll" (K. Barth).

Artikelnachweis: https://www.theomag.de/74/am377.htm
© Andreas Mertin, 2011