75 Jahre danach: Kunst und Kirche


Heft 74 | Home | Heft 1-73 | Newsletter | Impressum und Datenschutz

Die Farbe hat sie

Gotthard Graubner. Malerei. Gespräch mit Josef Albers

Barbara Wucherer-Staar

Er, der mit einem „Albers-Graubner“ - in dessen Museum Quadrat er zu Gast ist - den Besucher begrüßt, Gotthard Graubner (*1930, in Erlbach im Vogtland) schrubbt Farbe auch mit dem Besen auf seine Arbeiten, wenn er sie auf dem Boden bearbeitet. Bekannt ist er vor allem durch seine herrlichen, atmenden Raum-Bild-Körper.

Ein Blick auf sein Werk birgt Überraschungen: 5 große, helle nur in Nuancen kontrastierende weiße und gelbe Farbraumkörper, gerade für den Oberlichtsaal gemalt, stehen im Zentrum einer exemplarischen Werkschau mit 32 Bildern auf höchstem Niveau aus über 50 Jahren, überwiegend aus dem Atelier des Malers.

Graubner und Museumsleiter Heinz Liesbrock stellen sie einigen ausgewählten Werken des Malers, Bauhauspädagogen und Theoretikers Albers (1988-1976) in der herausragend konzipierten Reihe „Josef Albers im Gespräch“ gegenüber, um ihre unterschiedliche Bildorganisation durch auf ganzheitliche Wirkung zielende Farbe in ihren Eigenarten herauszustellen. Um dem Betrachter die Illusion eines physischen Kontaktes zu ermöglichen, wurden beider Werke tief gehängt.

Ist für Graubner „der Simultankontrast (…) alles in der Malerei“ formuliert Josef Albers seine immerwährende Faszination an der Farbe, die ihn zu seiner nahezu vollkommenen Serie der „Hommage to the Square“ führte, einmal so: „Zwei Farben nebeneinander zu stellen versetzt mich in höchste Erregung“.

Seit den 1970er Jahren nehmen Graubners Farbraumkörper - zuvor von ihm als „Farbkissen“, danach als „Farbleiber“ bezeichnet - in der deutschen Malerei eine herausragende Stellung ein: Ihre Bildorganisation - Form, Raum, Bewegung, Zeit und  Licht - basiert auf den Eigengesetzlichkeiten der Farbe als Materie. Sie entfalte sich, so Graubner „…  als Farborganismus … Ich beobachte ihr Eigenleben, ich respektiere ihre Eigengesetzlichkeit“.

Albers und Graubner, so Museumsleiter Liesbrock, sind sich nie begegnet, Graubner habe sich nie intensiv mit Albers´ Farbenlehre und dessen künstlerischer Strategie - „to open eyes“ (das Sehen soll aktiv und achtsam werden) - befasst. Ihn reizte die Auseinandersetzung dieser unterschiedlichen Verfahrensweisen, einen Raum - die Farbe - zu schaffen. Für Graubner, so Liesbrock, ist Farbe „ein Raum, in dem man sich ein Leben lang aufhalten kann“.

Für Albers sei sie, so Liesbrock, das relativste Medium. Er (Albers) erkundet immer wieder, wie eine Farbe sich im Wechsel mit ihren Nachbarfarben verändert. In seiner nahezu vollkommen klaren Reihe „Hommage to the Square“ setzt er die Farbe klar voneinander ab, nimmt alles Handschriftliche zugunsten eines handwerklichen, regelmäßigen Farbauftrags zurück, stellt ungewöhnliche Farbkombinationen nebeneinander. Er überlässt es dem Betrachter, das Gespräch zu aktualisieren: nach etwa 5- 10 Minuten intensiven Schauens verändern sich die Farben, flirren etwa durch Simultankontraste, wobei jeder die Farben in Nuancen unterschiedlich wahrnimmt.

Graubner moduliert stärker in seinen Bildern, forciert die Eigenbewegung der Farbe und formuliert so im Bild bereits aus, was der Betrachter sieht. Der Prozess farblicher Begegnung und Veränderung ist Gegenstand der Malerei: ab 1960 entwickeln seine Bilder körperliche Qualität, sie wachsen zu gepolsterten Kissen. Dafür unterfüttert er Leinwand mit saugfähigem Material, wie Perlon auf Synthetikwatte oder auch Steppdecken, um die ungehinderte Aufnahme von Farbe und die Entfaltung ihrer speziellen Eigenschaften zu ermöglichen. Darauf schüttet er unterschiedliche lasierende Farben – kontraststark oder sehr zurückhaltend, schrubbt sie ein. Bis er den – oft über einen längeren Zeitraum dauernden - Malprozess abschließt, löst er solche Schichten immer wieder mittels aktivierender Lösungsmittel auf.

Im Oberlichtsaal des Museums bringt Graubner das Sehen in Bewegung, erobert den Raum mit den organischen, prozesshaften Eigenschaften von Farbe und –Auftrag mit mehreren überlebensgroßen quadratischen Farbraumbildern (2011). Zurückgenommene, unterschiedlich pulsierende Farbmodulationen zwischen Weißtönen und kräftigem leuchtenden Gelb dynamisieren die Wand, so dass sie zum Bild wird; die Bilder gewinnen an Dynamik durch ein Herausrücken aus der Mitte – bei längerem Ansehen scheinen Bild und Wand zu flirren – die gerade noch weiße Wand scheint hell oder leuchtend gelb, die Zeit scheint außer Kraft gesetzt. So entstehen je nach Tageszeit wechselnde Farberlebnisse.

Im Gegensatz zum klassischen, zweidimensionalen Tafelbild, notiert der Kunsthistoriker Max Imdahl, seien diese Farbraumkörper ein „ dreidimensionales, selbst Raum verdrängendes, … von seinen Rändern her sich vorwölbendes Gebilde … eine in sich abgeschlossene und selbst Raum verdrängende Gegebenheiten.“ Graubner selbst fasst seine Wirkprinzipien des „non finito“ so zusammen: "Meine Bilder bauen sich auf im Wachstum des Lichts, verlöschen mit dem Licht; Anfang und Ende sind austauschbar. Sie bezeichnen keinen Zustand, sie sind Übergang."

In der großzügigen Raumgliederung des Museums wird dies in vielen Durchblicken auf die Werke von Albers im Dialog mit denen Graubners immer wieder neu erfahrbar: es finden sich kräftige rosa-blau-violette Klänge oder rot-blau Modulationen („vulcano d´amore“, 1982), kräftige dunkle Rottöne („rosa mystica“, 2011/11) neben hellem Weiß („crescendo“, 2006) leuchtend orange („ama I“, 2002). Zwei große quadratische Arbeiten Graubners in eher dunkelbrauner und in hellerer gelber Farbmodulation („wüstenregen“ 2005; „caliente“, 2006) hängen in entfernter Blickkorrespondenz zu einer der „Huldigungen an das Quadrat“. Die übereinander gelagerten, klar getrennten rechteckigen Quadrate, die in der Tönung mit diesen Farben korrespondieren – machen das „Sehen nach Blickpunkten“ und die Bewegungen des Farbmaterials warm gegen kalt frappierend klar.

Die historische Ausgangssituation für einen „Mediationsprozess via Farbe“ ist verschieden. Albers, etwa 40 Jahre älter als Graubner, am Bauhaus v.a. Meister für Glastechnik und Holzbearbeitung, will „Ikonen des 20. Jahrhunderts“ schaffen. Er entwickelt seine Reihe der „Hommage to the Square“ aus Eindrücken der Landschaften und ungewöhnlichen Farbkonstellationen, die er nach seiner Emigration in die Staaten auf Reisen durch Mexiko gewinnt. In der Gestaltung der Oberflächenmuster beziehe er sich, so Liesbrock, auf die Frührenaissance, etwa die Werke eines Duccio di Buoninsegna.

Graubner rekurriert auf die Farb-Lichtmodulationen des späten Tizian. Graubner widmet El Greco oder Monets späten „Nympheas“ - Seerosenbildern, die wirbelnde, unendliche Farbereignisse sind - Kompositionen. Er studierte an der Dresdener Akademie, dann in den 1950er Jahren in Düsseldorf u.a. bei Georg Meistermann und Karl Otto Götz; es entstehen erste informelle Arbeiten Bilder, 1960 werden erstmals die so genannten „Kissenbilder“ ausgestellt. Seine beiden großen Raumbildkörper „Begegnungen“ (1988) im Schloss Bellevue stellt Katharina Schmidt in die Tradition der Morgen- und Abendbilder der Romantik und bezieht sie auf Werke des Barocks.

Vor dem kunst- und kulturhistorischen Hintergrund der Pop Art entwickelt Graubner mit seinen „Trampolinen des Lichts“ eine eigene Sensibilität für eine Massengesellschaft, die auch heute in einer Zeit digitalen Erlebens aktuell ist.

„Nicht jedes gemalte Bild“ – so Gotthard Graubner in einem Gespräch – „ist Malerei - Malerei muss man lesen, dieser Vorgang aber ist zu lernen, er versteht sich nicht von selbst - Erfahrungen jedweglicher Art werden durch den Künstler verwandelt, in das Medium Malerei transportiert."

In Bottrop gelingt ein exquisites Gipfeltreffen der beiden brillanten Farb-Meister Albers und Graubner: Ihre unterschiedlichen künstlerischen, prozesshaften Strategien zielen ab auf synästhetische Wirkungen von Farbe – bis hin zu einem Flirren. Im entschleunigten, prozesshaften Sehen kann der Betrachter sich einlassen auf Nuancen, die weit reichende Gefühle und Assoziationen wecken.


Gotthard Graubner, Malerei. Gespräch mit Josef Albers, Josef Albers Museum Quadrat Bottrop, Tel. 02041/29716, Dauer: bis 15. 1. 2012, Öffnungszeiten: Di-Sa: 11-17 Uhr, So u. Feiertage: 10-17 Uhr

www.bottrop.de

Literatur:
  • Josef Albers, Interaction of Color, Grundlegung einer Didaktik des Sehens, Köln: dumont, Josef 1970
  • Kitty Kemr, Gotthard Graubner, Zeichnungen / Drawings, mit einem Text von Erich Franz, Düsseldorf: Richter Verlag, 2011
  • Norbert Kunisch (Hg.), Erläuterungen zur Modernen Kunst. 60 Texte von Max Imdahl, seinen Freunden und Schülern, Düsseldorf: Richter Verlag, 2/1990
  • Heinz Liesbrock, Michael Semff, Malerei auf Papier, Josef Albers in Amerika, Ostfildern: Hatje Cantz, 2010
  • Heinz Liesbrock, Gotthard Graubner, Malerei. Gespräch mit Josef Albers, 2011 (Katalog in Vorbereitung)
  • Hanno Reuther, Gotthard Graubner, in: Künstler, Kritisches Lexikon der Gegenwartskunst, München: Weltkunst und Bruckmann, 1991
  • Katharina Schmidt (Hg.), Gotthard Graubner, Staatliche Kunsthalle Baden-Baden, 1980

Artikelnachweis: https://www.theomag.de/74/bsw3.htm
© Barbara Wucherer-Staar, 2011