Politik - Ästhetik - Theologie


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Ästhetik und Politik

Oder: Was das letzte Heft mit diesem verbindet

Andreas Mertin

Im letzten Heft des Magazins für Kunst | Kultur | Theologie | Ästhetik (Heft 74) ging es um einen Blick zurück auf die unheilvolle Allianz von nationalsozialistischem Staat und Evangelischer Kirche zwischen 1933 und 1945 am Beispiel des Evangelischen Kunstdienstes und den Transformationen, mit denen die zentralen Protagonisten dieser Allianz nach 1945 ihr Programm weitgehend fortsetzten. Noch in den aktuellen Jubiläums-Selbstdarstellungen der Zeitschrift „kunst und kirche“, die sich 1971 mit den „Christlichen Kunstblättern“ vereinigte, wird zum 40jährigen Bestehen ohne Probleme und ohne jegliche kritische Anmerkung auf die früheren Herausgeber und Schriftleiter der evangelischen Kunstzeitschrift „Kunst und Kirche“ verwiesen, als wenn diese nicht auch Schriftleiter der nationalsozialistischen „Kunstkammer“ bzw. Vollzugsgehilfen einer „judenreinen“ evangelischen Kirchenmusik gewesen wären. Die bei Behörden und größeren Wirtschaftsfirmen inzwischen selbstverständlich betriebene Vergangenheitsaufarbeitung steht jedenfalls für diesen Bereich der Kirche noch aus, hier herrscht weitgehend Schweigen. Und da die zentralen Protagonisten nach 1945 sogar zu Leitfiguren der Begegnung von Kunst und Kirche wurden, wurde auch ein Teil ihrer damaligen Programmatik im Blick auf die Kultur und die Kunst einfach fortgeschrieben. Das ist in zweierlei Perspektive gerade auch für die Gegenwart bedeutsam:

Zum einen im Blick auf den Wunsch der Evangelischen Kirche, sich in Kulturfragen als staatskonform zu erweisen. Ja, man ist ein bedeutungsvoller Kulturträger und arbeitet an der aktuellen Kultur (= Pflege) der Staatsideologie. Es ist den Verantwortlichen der EKD außerordentlich wichtig, zum Beispiel durch eine umfassende Erbsenzählerei nachzuweisen, wie sehr die kirchliche Kultur auch staatsfördernde Kultur, d.h. Kultur im Sinne des Staates ist und da dient dann noch jeder Posaunenchor oder jeder Kindergarten als Kulturnachweis.

Das wird nicht zuletzt im Blick auf das Jahr 2017 noch einmal brisant werden, wenn dann – wie bereits heute absehbar – Kirche und Staat Hand in Hand den ‚großen’ Reformator Martin Luther im Blick auf die 500-jährige Wiederkehr des Thesenanschlag feiern werden, so wie vor ihnen der nationalsozialistische Staat und auch der Staat der DDR sich die willkommene Gelegenheit zu großartigen Lutherfeiern mit Kirchenfürsten nicht entgehen ließen. Dieses Erbe des Protestantismus scheint unaustilgbar.

Zum anderen ist aber vor allem interessant, worin die gemeinsame Abwehrfront von Kirche und Staat in Kulturfragen damals bestand: nämlich in der Abwehr des „bloß Ästhetischen“, der Eigenlogik der Kunst. Die Polemik von Adolf Hitler wie von Joseph Goebbels gegen das bloß Ästhetische ist einschlägig. Sie konnte aber eben auch auf nahezu ungeteilte Zustimmung in den Kirchen rechnen. Bloß Ästhetisch sollte die Bildende Kunst auf keinen Fall sein, sondern sie sollte dem Volk, dem Staat, der Gemeinde, der Kirche dienen.

Denn das nicht funktionalisierbare Ästhetische, das nicht nur die Philosophie der Aufklärung und die Philosophien des Deutschen Idealismus so sehr fasziniert hatte, sondern auch die kritischen Philosophen des 20. Jahrhunderts bestimmte, hat in der Kirche (von wenigen Ausnahmen abgesehen) niemals eine Heimat gefunden. Hier war und ist man unfähig, das Ästhetische überhaupt nur zu denken. Die für den Protestantismus charakteristische ethische (und weniger moralische) Orientierung dominiert auch diesen Bereich. Wenn überhaupt Beschäftigung mit Kunst, dann allenfalls mit so genannter existenzieller Kunst, die sich leicht theologisch vereinnahmen lässt. Wenn Kunst in der Kirche, dann soll sie der Armut oder der Demenz trotzen oder schöne letzte Augenblicke ermöglichen. Wenn überhaupt Kunst, dann, um mit deren Verkauf etwas Gutes zu tun (sozusagen eine späte Form der Werkgerechtigkeit).

Ich kenne kaum einen gesellschaftlichen Bereich (abgesehen von Provinzrathäusern), in dem zumindest die Bildende Kunst so sehr unter funktionalen Gesichtspunkten betrachtet wird, wie in den Kirchen. Das begründet zugleich auch, warum häufig schlechte Kunst in der Kirche anzutreffen ist: weil die Produzenten dieser schlechten Kunst den Funktionalisierungswünschen der kirchlichen Auftraggeber und Funktionäre so weit entgegen kommen, wie es eben nur geht, Hauptsache sie kommen mit einem Auftrag zum Zuge. Und das betrifft beide christlichen Konfessionen, die Katholiken vielleicht noch mehr als die Protestanten.

Woran das liegt, lässt sich leicht aufweisen. Man muss nur einmal entsprechende kirchliche Äußerungen zur Kunst in der Kirche zur Kenntnis nehmen. So heißt es z.B. in einem einschlägigen Text von Rodolfo Papa, der bei Zenit.org (Die Welt von Rom aus gesehen) unter der entlarvenden Überschrift „Welche Art von Malerei braucht die sakrale Kunst?“ publiziert wurde:

„Die Liturgie ist der Ort, an dem die Kunst in vorzüglicher Weise ihren Hilfsdienst ausübt. Das Zweite Vatikanische Konzil verwendet diesbezüglich in Sacrosanctum Concilium direkt den Begriff Dienst und sogar edlen Dienst: ‚Darum war die lebenspendende Mutter Kirche immer eine Freundin der schönen Künste. Unablässig hat sie deren edlen Dienst gesucht und die Künstler unterwiesen, vor allem damit die Dinge, die zur heiligen Liturgie gehören, wahrhaft würdig seien, geziemend und schön: Zeichen und Symbol überirdischer Wirklichkeiten.’“[1]

Ausgehend von dieser Begriffswahl (Hilfsdienst, Mutter Kirche, Unterweisung, würdig, geziemend usw.) gibt es keinen Weg im Guten zur Bildenden Kunst der Gegenwart, sondern nur einem zum mehr oder weniger guten, zumeist aber schlechten Kunsthandwerk.

„Damit die Kunst der Malerei ihren ‚edlen Dienst’ des Helfens ausüben kann, muss sie demütig sein; sie muss sich zur Dienerin und nicht zum Protagonisten machen. Sie muss die heiligen Geschichten und das Credo des Glaubens darstellen ‚im Glanz der Farbe und in der Vollkommenheit der Schönheit’, ohne auf die erzählerische Fähigkeit und den Weg der Schönheit zu verzichten. Sie muss schließlich verständlich sein, indem sie die Leiblichkeit der Menschwerdung in den Mittelpunkt stellt.“[2]

Es ist, als ob man Lauten aus einer ganz fremden Welt lauscht, einer Welt, die von der Aufklärung, vom Entstehen der Ästhetik, von der Selbstwerdung der Kunst noch nie etwas gehört hat und deren Kosmos dauerhaft in die vorhumanistische Phase der Kunst, also in die Zeit vor 1300 gebannt ist. Denn schon Giotto und erst recht Masaccio sind weit über die Phase der „edlen Dienste“ hinaus gegangen. Wenn man Masaccios „Zinsgroschen“ betrachtet, wird deutlich, dass hier ein humanistisch gesinnter Bürger über widerständige Kunst reflektiert und nicht das Credo des Glaubens darstellt. Während die Kunst bis dato das Wunder in den Vordergrund stellte (also die kleine Szene am linken Bildrand), rückt bei Masaccio der Diskurs in den Vordergrund.

 

Das Ästhetische zu denken, ist daher die Herausforderung, vor der wir weiterhin stehen. Es geht beim Verhältnis von Theologie und Ästhetik eben nicht um die Frage des verzweifelten Theologen, wann er denn auch mal zum Zuge kommt[3] bzw. wann er denn endlich das eigene im Fremden entdecken kann. Es geht auch nicht darum, die Kunst zu bevormunden und ästhetische Erfahrung durch Religiöses zu ersetzen. Sondern es geht darum, wie theologisch die Eigenlogik des Ästhetischen und der Kunst gedacht werden kann.

Das ist insofern schwer, als dass, wenn man Kunst als widerständig denkt, sich dieser Widerstand auch gegen jedes theologische Begreifen richtet. Die Vergleichgültigung, die im Ästhetischen der Moderne steckt, steht in einem Konfliktverhältnis zur Hierarchisierung, die religiöses und theologisches Denken in aller Regel bedeutet. Das macht die Verhältnisbestimmung so interessant.

Grundsätzlich geht es aber zunächst einmal darum, das Ästhetische überhaupt zu denken, dem ästhetischen Regime zu folgen.

Anmerkungen

[1]    http://www.zenit.org/article-24075?l=german

[2]    Ebd. Das kann man auf der Webseite des romtreuen Künstlers auch gleich verifizieren: www.rodolfopapa.it

[3]    Eine „Theologie, die schon aufatmet, wenn ihre Sache überhaupt verhandelt wird …“ Theodor W. Adorno, Ästhetische Theorie, GS 7, S. 230.

Artikelnachweis: https://www.theomag.de/75/am380.htm
© Andreas Mertin, 2012