Politik - Ästhetik - Theologie


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Die Relevanz des Mediums

Ästhetische Betrachtungen zum Umgang der Kirche mit neuen Medien

Matthias Giesel

Im Zeitalter virtueller Unverbindlichkeit kommunikativer Beziehungen in einer vollständig technisierten Lebenswelt beschränkt man sich bei der Analyse moderner Medien oftmals ausschließlich auf Untersuchungen hinsichtlich eines rein physikalisch-technischen Funktionsrahmens. Das hat katastrophale Folgen, weil gegenüber einer immer stärker werdenden Verflechtung von Mensch und Maschine die nötige Distanz zum Medium und menschenwürdige Unterbrechung als lebensnotwendige Atempause, z.B. durch Rückzugs-Angebote heilsamer Geborgenheit und Zuflucht der Kirche, nicht mehr vollzogen und die philosophische Relevanz des Mediums vielfach verkannt und unterschätzt wird.

Daher ist die Eröffnung der Fernsicht einer philosophischen Perspektive erforderlich, die weit über ausschließliche Erörterungen rein technischer Verwendungsmöglichkeiten hinausgeht, um der Bedeutsamkeit der sogenannten neuen Medien wie Smartphone, Computer und Co. in ihrer Tiefenstruktur auf die Schliche zu kommen. Dabei ist nicht beabsichtigt, Papier und Stift gegen Smartphone mit Touchscreen und virtuellem Notizblock oder eine Telefonzelle gegen Internet-Telefonie mit Webcam auszuspielen; sondern die Schwierigkeit besteht darin, dass „der überwiegende Anteil von Technologie-Analysen (…) an ´Moralautomatismen´ (…)“[1] krankt, die ein simplifizierendes Aufrechnen „euphorischer Nützlichkeitsspekulationen versus verteufelnder Gefährlichkeitsspekulationen“[2] regelrecht inszenieren, ein differenziertes Abwägen nicht mehr gelingt und jegliche Betrachtungsweisen allenfalls aus naturwissenschaftlichem Blickwinkel Gestalt und Einfluss gewinnen. Solch ein eingeschränkter Blickwinkel wird aber aus philosophischer Sicht nicht als hinreichend empfunden, weil er Hintergründe, Wirkungsweisen und Bedingungen des Mediums außer Acht lässt, wobei sich die Wurzel des Präfixverbes ´bedingen´ auf das einfache Verb ´dingen´ im Sinne von ´anwerben´ und ´in den Dienst stellen´[3] zurückführen lässt.

So ist zunächst die Fragestellung zu betonen, in welcher Weise Medien uns in ihren Dienst einbinden, wobei wir im Allgemeinen doch eigentlich davon ausgehen, dass Menschen Medien benutzen und nicht von diesen benutzt werden. Das breit gefächerte Kontingent technischer Verhaltensweisen ist somit in Bezug auf seinen suggestiven Mehrwert, d.h. über einen dem Kaufpreis und Nutzungsoptionen des technischen Mediums, Computers, Smartphones hinausgehenden Wert zu untersuchen, welcher bei der Verwendung unbewusst erwartet und in Anspruch genommen wird.

Im Sinne ästhetischer Betrachtungsweisen geht es vielmehr um die Bildung von Wahrnehmungsqualitäten, die sich mit Auswirkungen des ins Medium investierten Vertrauenspotentials befassen und deshalb auch für jede Institution insbesondere der Kirche von Bedeutung sind.

In einer Auseinandersetzung um mögliche Beeinflussungen und Konsequenzen lassen sich hierbei unterschiedliche Grade kritischer Positionen konstatieren:

  1. Über einen Zeitraum von mehr als dreißig Jahren hinweg warnte G. Anders in dem für ihn typischen metaphorisch-polemischen Stil vor einem maschinell-totalitären Kosmos, in welchem sich Menschen durch Erstreben eines roboterähnlichen Leistungsoptimums maschinengleich machen, entwürdigen und sich schließlich restlos und reibungslos in eine Art riesige Idealmaschine einfügen.[4] Interessant ist, dass er schon in den 50er Jahren Formen von Universalvernetzung erahnte, die ähnlich wie das Internet und besonders durch die neu entwickelte Funktionsweise des sogenannten ´Cloud Computings´[5] Nutzungsbedingungen eines Einzelgerätes oder einzelner Programme nicht mehr vorsehen, sondern nur noch den „Schoß der einen, allein seligmachenden Maschine“[6], in welchen alle anderen Programme und letztlich auch Menschen eingebettet, d.h. integriert werden.
    Dabei „gibt <es> keine Einzelapparate“ mehr, weil sich die immer größer werdende Gruppe der Menschen, die sie benutzen, durch Angleichung ihrer Verhaltensweisen ans Gerät allmählich und Stück für Stück selbst zum Apparat umfunktionieren.[7] Somit würde letztlich nur noch eine Welt existieren, die Verbundsysteme human-technischer oder allenfalls technisch humaner Symbiosen von Mensch und Maschine generiert.
    Der ursprünglich von I. Kant so wunderbar herausgestellte innere Wert des einzelnen unveräußerlichen Individuums, das durch seine einzigartige Würde über allen Preis erhaben ist und als höchst zu schätzendes Gut im eigentlichen Kern über einen nicht von äußeren Bedingungen abhängigen und damit absoluten, von lat. ´ab-solvere´, losgelösten, befreiten[8] Willen[9] verfügt, berechnet sich im technischen Kontext nur noch danach, wie hoch der Nutzen ist, welche die menschliche Leistung für die Gruppe der Maschinen darstellt. Hinsichtlich der Bedeutsamkeit von Individualität als philosophische „Anschauung, die dem Individuum und seinen Bedürfnissen Vorrang vor der Gemeinschaft einräumt“[10] bemerkt später auch F. Nietzsche in Übereinstimmung mit Kant sehr trefflich:
    Grundfehler: die Ziele in die Herde und nicht in einzelne Individuen zu legen! Die Herde ist Mittel, nicht mehr! Aber jetzt versucht man, die Herde als Individuum zu verstehen und ihr einen höheren Rang als dem Einzelnen zuzuschreiben - tiefstes Missverständnis!![11] Ein Wert an sich selbst wird unter Maschinen bedienenden Menschengruppierungen mit ihren ökonomischen Rechenexempeln nicht mehr existieren.
  2. Es ist unverzichtbar zu untersuchen, inwiefern Medien Realitätswahrnehmung und –gestaltung des heutigen modernen Menschen konstituieren und welche Gründe Anlass zur Bildung solcher Maschinenutopien geben. Als Konstrukt schaffen sie ein von technischen Qualitätsvariablen durchdrungenes Weltbild, das als Schauplatz von Eindeutigkeit, Glückseligkeit und Markt der Sinne fungiert[12] und die als zu unsicher empfundenen Lebensbedingungen kompensieren und vereinfachen soll. Diese „medientechnische Entäußerung unserer Sinne bildet ein technologisches Weltgehirn“, das Realität kreiert und technische Geräte als Instrumente zum Modellieren eines „Realmodells unserer Welt“[13] missbraucht. Computer und Internet fungieren als Kreator menschlicher Lebensbedingungen.
    Dabei tritt „die virtuelle Realität der elektronischen Gemeinschaft nun nicht einfach in Konkurrenz zur bürgerlichen Öffentlichkeit“ oder kirchlichen Institution, sondern schließt sie in einer letzten unerbittlichen Konsequenz aus[14], indem sie den realen Status Baustein für Baustein in eine technisierte Realität überführt, virtualisiert und damit letztendlich demontiert, wie anhand einer ´lebensgroßen´, aus Legoklötzen errichteten begehbaren Kirche der niederländischen Stadt Enschede symbolisch verdeutlicht werden kann.
    Vor dem Hintergrund eines pluralistischen Weltbildes erlangt als individuell gefärbte Sicht auf die eigenkreierte Realitätswahrnehmung ein durch die Relevanz des jeweiligen Mediums bestimmtes Realitätskonstrukt Bedeutung, das, verbunden mit einem erhöhten Grad von Vereinnahmung, die Wirklichkeitswahrnehmung nicht-virtueller Situationen verdrängt.

  3. Damit stellt sich die Frage nach der nötigen Gelassenheit, welche im Umgang mit technischen Medien an den Tag zu legen ist, um die so dringend erforderliche Bildung einer positiven Verhaltensstrategie zu fördern. Auf dieser Basis erscheint es von Bedeutung, die Entwicklung einer individuellen positiven Technik zu etablieren, welche Aufgabe und Anspruch nicht nur der Kirche darin sieht, sich gewissermaßen protestantisch-mutig gegen die Alleinherrschaft der Technik zu stemmen, indem sie eine Zufluchtsstätte vielfältiger, real gestalteter, freiheitlicher, menschlich-humaner Möglichkeiten des Auftauchens aus der Technikwelt ermöglicht, aber letztlich trotzdem nicht den Segen der neuen Medien verspielt und sie vorschnell aburteilt. Dabei wäre der Begriff der Gelassenheit insofern zu diskutieren, sich nicht vollständig und unkontrolliert -bar jedes Menschlichen- in den Prozess der Medienmaschinerie einbinden zu lassen, sondern Freiräume humanen Reagierens und Verhaltens zu erwirken, wofür die Kirche als Zufluchtshort freiheitlicher Glaubens- und Gestaltungsvielfalt große Chancen bietet.

Der Umgang mit Technik und Technologien innerhalb einer normierten, sachlich-naturwissenschaftlich-analytisch geprägten Weltsicht trägt ferner oftmals den überheblichen Anspruch in sich, das Leben möge doch um Himmels oder der Technik willen so, wie es der Mensch geplant hat, funktionieren und in Ordnung gehen. Da jede aktiv-logische menschliche Handlung die Bewegung des Vorwärtsgehens ausdrückt und in ihrem jeweiligen Fortschreiten als Weg einer Problemlösungsstrategie auf ein Ziel ausgerichtet ist, stellt sich nun die Frage, wohin sich die Sache mit der Technik eigentlich bewegt und welche Bedeutung ihr innerhalb des menschlichen Lebenskontextes im täglichen Umgang entgegengebracht wird:

Moderne technische Medien scheinen in ihrer Benutzung eng mit Hoffnungen positiver, kommunikativ gestalteter Veränderungen des Lebens verknüpft zu sein. In einer zunehmend als unsicher und isolierend empfundenen Wirklichkeit stellen sie bei der Bildung real-virtueller Lebens(bau)pläne idealistische Ergänzungsversuche degenerierter Körperlichkeit psycho-sozialer Defizite, z.B. mangelnder Kontaktfähigkeit aus Gründen personeller (Be)-Hinderungsgründe des Ego dar, die durchs Gerät kompensiert und perfektioniert werden sollen. Das Medium fungiert hierbei nicht länger als reines Übertragungsmittel, das -wie es z.B. Handys vorgeben zu tun- einen textlichen oder sprachlichen Inhalt neutral ´weiterreicht´, sondern es tritt gleich eines Ver-Mittlers auf, übernimmt als in der Mitte zwischen zwei ursprünglich einander unmittelbar zugewandten menschlichen Individuen befindliche Schaltzentrale Funktionen eines lebendigen Gegenübers. Durch die Intensität seiner Allgegenwart strebt es oftmals sogar den hoheitlichen Rang einer gottähnlichen Stellung an.

Dabei über-mittelt es nicht nur, sondern ver-mittelt, verändert durch die Art seines Gebrauches und bestimmter vorgegebener Funktionsweisen, die es täglich mit seinem Benutzer einübt, dessen zwischenmenschliches Verhalten, präzisiert, ja perfektioniert es und bettet durch diese vermittelnde Funktion menschliche Umgangsweisen in maschinelle ein. Durch die Gewöhnung an seine regelmäßige Benutzung wie z.B. dem täglichen Blick in eingegangene Nachrichten, aktuelle Tagesinformationen, Wetter-, Stau-, Navigationsdaten oder durch permanente Anfragen sozialer Netzwerke aus dem Internet erzeugt es gleichsam Riten heiliger Standardhandlungen. Es ist in der heutigen Zeit nicht mehr auf einen festgelegten Ort der Kontaktaufnahme beschränkt, sondern bombardiert den modernen Menschen auf allen seinen Wegen mit einem ´Dauerfeuer´ von Erwiderungen und Bestätigungen.

Deshalb brechen oftmals auch Welten, begleitet von sturmartiger Entrüstung der ´User´, zusammen, wenn diese heiligen Handlungen einmal nicht mehr Zugang schaffen, Passwörter nicht erkannt, ganze Netze und Server zusammenbrechen, gar Handyverbot herrscht, der Akku verendet, das System hängt oder abstürzt, weil dann ein ´Rückfall´ auf die unmittelbare Wahrnehmung der eigenen Person und Körperlichkeit[15] nicht mehr zu ertragen ist. Eine überraschend auftretende, plötzlich wegfallende technische Bestimmtheit des Geistes erzeugt oftmals Schmerz und Pein, da das Zurückgeworfensein auf sich selbst und damit verbundene eigene quälende Bilder, belastende Erfahrungen oder Gedankengänge nicht mehr durch vernebelnde technisierte Kommunikationsangebote des Gerätes überlagert werden und in der nun auftretenden Schärfe und Prägnanz in ihrer Unmittelbarkeit nicht mehr zu ertragen sind.

Durch Mobilität und ununterbrochene Verfügbarkeit von Laptop, Smartphone und Tablett-PC erhöht sich aufgrund der mobilen Stellung die personelle Dimension und persönliche Beziehung zum Gerät auf elementare Weise. In ihrem ´smarten´, engl. ´schlauen, pfiffigen´ anpassungsfähigen und leicht zu händelnden Auftreten schaffen sie unterstützt durch die Welt der ´Adds´ und ´Apps´[16] auf vorurteilsfreie Art unwiderstehliche, genau auf den jeweiligen Menschen und seine Bedürfnisse zugeschnittene Angebote der Kommunikation: damit scheinen ihre Qualitäten als Mittler besonders gefragt zu sein, weil sie kommunikativen Handlungsbedürfnissen des zunehmend in seiner Vereinzelung versinkenden Subjektes in geradezu idealer Weise entsprechen.

Als konterkarierender Gegensatz zum Anspruch einer durch das Medium erzeugten eindeutigen, oftmals simplifizierten Idealwelt stehen die als zu unsicher empfundenen, vielschichtig-problematischen Lebensumstände des posttraditionalen Menschen entgegen, der im Grunde an der Unverbindlichkeit und ´Wahrheitslosigkeit´ postmoderner Gestaltungsvielfalt erkrankt ist und sich deshalb durch Kompensationshandlungen an technische Medien klammert. Dabei sind etwaige Sehnsüchte und Erwartungen, die bei der Benutzung des Gerätes eine Rolle spielen und auf dieses transferiert werden, von größter Bedeutung. Der Mensch lechzt gleichsam nach Liebe, Verständnis und Achtung und hat panische Angst davor, Einsamkeit und Bedeutungslosigkeit gleich(ermaßen) -gültiger Lebensentwürfe aushalten zu müssen, die ihn in ihrer Sinn- und Bedeutungslosigkeit quälen und möchte Gedanken an Schicksalshaftigkeit und (Vor-) Verurteilung entgehen.

Genau diesem Wunsche nach einer tragfähigen, sinnerfüllten Lebenssicherung entsprechen moderne Kommunikationstechnologien mit eindeutigen, vordefinierten Angeboten technischer Erlösung in unnachahmlicher und unwiderstehlicher Weise, indem sie reale Räume der Geborgenheit, z.B. der Kirche, virtuell erschaffen, wie anhand des Lego-Nachbaus eines Gottesdienstraumes erkennbar wird:

Innerhalb jeglichen Glorifizierungswahnes virtueller Nachbauten im Rahmen eines durchaus gerechtfertigten Nützlichkeits- und Fortschrittsdenkens erscheint es deshalb neben aller positiven Problemlösungskapazität immens wichtig zu sein, immer wieder das mitschwingende, beeinflussende und evtl. den Menschen vereinnahmende Element von Technik wahrzunehmen, eine ausschließliche Beschränktheit auf diese mediale Welt zu kritisieren und gemeinschaftliches Ein- und Abtauchen als bewusst praktizierten dynamischen Vorgang von Nähe und gleichzeitiger Distanz zum Medium zuzulassen. Ansonsten bleiben Chancen natürlicher, unvermittelter Gemeinschaft ungenutzt.

Hinsichtlich des gesamten Auftretens erscheint das Medium insofern problematisch, als es in seiner vom Menschen selbst gewählten Relevanz omnipotent wirkt und sich mit einer erstaunlichen Selbstverständlichkeit an die Schaltstelle zwischen Sender und Empfänger setzt, um an dieser Stelle ersatzweise eine künstliche und technisierte Ich-Du-Beziehung zu suggerieren, an der sich normalerweise eine Interaktion zwischen zwei real existierenden, sich gegenseitig in liebevoller Art unmittelbar erfahrenden Menschen etablieren sollte, wie es in Kirchenwahrnehmungsoptionen des theologischen Menschenbildes immer schon seinen Ausdruck fand und auch bei M. Buber literarisch brillant und gleichzeitig philosophisch-pädagogisch behutsam eingefordert wurde:

Stehe ich einem Menschen als meinem Du gegenüber, spreche das Grundwort Ich-Du zu ihm, ist er kein Ding unter Dingen und nicht aus Dingen bestehend (…), nicht eine Beschaffenheit, (…) lockeres Bündel benannter Eigenschaften. Sondern (…) fugenlos <,d.h. in seiner Gesamtheit, A.d.V.> ist er Du und füllt den Himmelskreis. Nicht als ob nichts anderes wäre als er: aber alles andere lebt in seinem Licht.[17], in der Qualität unmittelbar erfahrener menschlicher und nicht maschinengenerierter Beziehungen.

Einer von heutigen postmodernen Individualisten oftmals schmerzlich vermissten sofortigen verbalen Erwiderung und Bestätigung des Ich wird in der vom Medium erzeugten virtuellen Welt auf beinahe unwiderstehliche Weise entsprochen; sei es nun in Form von Zustimmung, Ablehnung, Begeisterung oder Diskussionen, im medialen Kosmos scheint es keine langen Strecken der Einsamkeit oder des Zweifels zu geben. So rücken bei der virtuellen Kontaktaufnahme eventuell erfahrene Ablehnungen aufgrund eigener physischer oder psychischer Defizite in den Hintergrund - und genau hier setzt technische Kompensation an:

Man ist und denkt online, live dabei, eingebettet in, ja geliebt und geschätzt von einem riesigen durch das Medium vermittelten Freundeskreis, angeschlossen, ´connected´ an das bewegte und auch belebte große Ganze, der Idealmaschine, und lässt sich pausenlos ergänzen, updaten und erneuern. Die alles entscheidende Frage, die am Schluss übrig bleiben wird, lautet deswegen auch nicht ´Wieviel Technik benutzen wir?´, sondern ´Wieviel Technik benutzt uns´? Welcher Geist einer unangefochtenen Relevanz des Mediums, der gnadenlosen Effizienz inhumaner Präzision verdrängt am Ende menschliche Qualitätsvariablen der Nachsicht, Vergebung, Güte oder des Mitleids, wofür die Kirche in ihrer Kunst, mit Menschen umzugehen ja in beispielhafter Weise Vorbild ist. Damit erlangt Kirche und der mit ihr verbundenen ästhetisch-humane Anspruch auch insofern Bedeutung, Fähigkeiten auszubilden, hinter vielfach vernebelnden Medienwolken menschliche Momente (wieder) zu entdecken, zu Tage zu fördern, festzuhalten und nicht in Vergessenheit geraten zu lassen.

So wird es letztlich entscheidend sein, ob wir als Menschen bei diesem ´Update-´ und ´Upgrade-Speed-Racing´[18] mitrennen, mithetzen, mithalten möchten - vielleicht aber sogar auf der Strecke bleiben und diese Chance nutzen zu erlernen, Medien richtig einzuschätzen, uns aus der ´Internet Cloud´, der vernebelnden Wolke technisierter Interfacebeziehungen zu befreien und uns nicht von einer allgegenwärtigen Relevanz des Mediums in den Dienst stellen zu lassen, indem wir es unangebracht überhöhen, sondern in dem Rahmen, den es verdient, nutzen und wertschätzen. Dafür müssten wir aber gemeinsam mit Institutionen und Kirchen in der Lage sein, die Idee eines Gegenentwurfs zu etablieren, der dieser rationalen und effizienten Technikwelt Alternativen gegenüber zu stellen wagt, gleichsam behutsame humane Atempausen einzuplanen, damit bei aller äußerlicher Perfektion das Menschliche nicht auf der Strecke bleibt, denn: „Der Horror eines elektronisch Denkenden sind Abstürze des Systems. Ignorieren? Neustarten? Weitermachen? Neuinstallieren? Die naheliegende Idee, mit einem Rückgriff auf ältere, <menschenwürdigere, A.d.V.> Kulturtechniken die Arbeit zu erledigen“[19] wird verneint.

Dabei könnte die Möglichkeit zur Unterbrechung als hoffnungsvolle Ausdrucksform wieder zu (er)finden und zu etablieren, einen wenngleich idealistisch gedachten Neuanfang bewirken, Chancen zu eröffnen, aus dem Meer der allesumgebenden Technik aufzutauchen, Luft zu holen und einen Blick auf den Sonnenuntergang eines versinkenden Mythos freier, nicht virtualisierter Wirklichkeitswahrnehmung zu wagen und zukunftsweisende Visionen zu entfachen, um die Seele ein wenig von den letzten verblichenen Sonnenstrahlen untergehender Humanität der Güte, Gnade und Barmherzigkeit[20] bescheinen zu lassen und der Hoffnung auf Offenbarung eines neuen Morgens Raum zu geben, aus der dann das eigentlich Menschliche wieder hervorleuchten kann.

Literatur
  • Anders, Günther: Die Antiquiertheit des Menschen - Über die Zerstörung des Lebens im Zeitalter der dritten industriellen Revolution, Bd. II, München 1995.
  • Beuscher, Bernd: Remedia - Religion, Ethik, Medien, Norderstedt 1999.
  • Bolz, Norbert: Kulturmarketing - Von der Erlebnisgesellschaft zur Sinngesellschaft, Aufsatz in Google, Internet 2001.
  • ders.: Auf dem Weg zur Hyperkultur, Aufsatz in Google, Internet 30.9.11.
  • ders. (Hrsg.): Computer als Medium, München 1994.
  • Buber, Martin: Ich und Du, Reclam Stuttgart 1995.
  • Duden: Herkunftswörterbuch, Bd. 7, Mannheim 1997.
  • Eisler, Rudolf: Kant-Lexikon, Nachschlagewerk zu Kants sämtlichen Schriften, Briefen und handschriftlichem Nachlass, 4. unveränd. Nachdr., Hildesheim 1994.
  • Lutherbibel, rev., Stuttgart 1990.
  • Nietzsche, Friedrich: Der Wille zur Macht - Versuch einer Umwertung aller Werte, Tübingen 1952.
Anmerkungen

[1] Bernd Beuscher, Remedia - Religion, Ethik, Medien, Norderstedt 1999, 21.

[2] ebd., 17.

[3] vgl. Duden, Herkunftswörterbuch, Bd. 7, Mannheim 1997, 68 u. 128.

[4] Günther Anders, Die Antiquiertheit des Menschen - Über die Zerstörung des Lebens im Zeitalter der dritten industriellen Revolution, Bd. II, München 1995, 112f.

[5] Als ´Cloud Computing´ bezeichnet man eine Vorgehensweise, die Programme nicht mehr fest auf dem Rechner installiert, sondern in einer Art Wolke in ihrer Gesamtheit online im Internet zur Verfügung stellt, A.d.V.  

[6] Günther Anders, a.a.O., 113.

[7] ebd., 115.

[8] Duden, Herkunftswörterbuch, a.a.O., 18.

[9] Rudolf Eisler, Kant-Lexikon, Nachschlagewerk zu Kants sämtlichen Schriften, Briefen und handschriftlichem Nachlass, 4. unveränd. Nachdr., Hildesheim 1994, 603.

[10] Duden, Fremdwörterbuch, Bd. 5, Mannheim 1997, 355.

[11] Friedrich Nietzsche, Der Wille zur Macht - Versuch einer Umwertung aller Werte, Tübingen 1952, 511.

[12] vgl. Norbert Bolz, Kulturmarketing - Von der Erlebnisgesellschaft zur Sinngesellschaft, Aufsatz in Google, Internet 2001.

[13] Norbert Bolz, Auf dem Weg zur Hyperkultur, Aufsatz in Google, Internet 30.9.11, 12.

[14] ders., 14.

[15] Bei I. Kant würde an dieser Stelle der Begriff ´Sinnlichkeit´ verwendet werden, A.d.V.

[16] ´Add´ zurückgehend auf lat. ´addere´, ´hinzutun´: Zusätzlich zu erwerbende und zu installierende Programme, die z.B. dem Handy völlig neue Funktionen und Möglichkeiten verleihen, welche mit der Grundausstattung nicht ausgeführt werden konnten. Die Firma Apple bezeichnet diese Programme auch als ´Apps´, zurückgehend auf lat. applicare ´anfügen´, aber vermutlich auch, um ihren Namen darin unterzubringen, A.d.V.

[17] Martin Buber, Ich und Du, Reclam Stuttgart 1995, 8 u. 9.

[18] sozusagen gleich eines Geschwindigkeitswettbewerbes als Jagd nach immer neuen Programmen und verbesserten technischen Errungenschaften, A.d.V.

[19] Norbert Bolz (Hrsg.), Computer als Medium, München 1994, 247.

[20] vgl. rev. Lutherbibel, Psalm 103,8: „Barmherzig und gnädig ist <Gott> der Herr, geduldig und von großer Güte.“

Artikelnachweis: https://www.theomag.de/75/mag3.htm
© Matthias Giesel, 2012