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Die Relevanz des MediumsÄsthetische Betrachtungen zum Umgang der Kirche mit neuen MedienMatthias Giesel Im Zeitalter virtueller Unverbindlichkeit kommunikativer Beziehungen in einer vollständig technisierten Lebenswelt beschränkt man sich bei der Analyse moderner Medien oftmals ausschließlich auf Untersuchungen hinsichtlich eines rein physikalisch-technischen Funktionsrahmens. Das hat katastrophale Folgen, weil gegenüber einer immer stärker werdenden Verflechtung von Mensch und Maschine die nötige Distanz zum Medium und menschenwürdige Unterbrechung als lebensnotwendige Atempause, z.B. durch Rückzugs-Angebote heilsamer Geborgenheit und Zuflucht der Kirche, nicht mehr vollzogen und die philosophische Relevanz des Mediums vielfach verkannt und unterschätzt wird. Daher ist die Eröffnung der Fernsicht einer philosophischen Perspektive erforderlich, die weit über ausschließliche Erörterungen rein technischer Verwendungsmöglichkeiten hinausgeht, um der Bedeutsamkeit der sogenannten neuen Medien wie Smartphone, Computer und Co. in ihrer Tiefenstruktur auf die Schliche zu kommen. Dabei ist nicht beabsichtigt, Papier und Stift gegen Smartphone mit Touchscreen und virtuellem Notizblock oder eine Telefonzelle gegen Internet-Telefonie mit Webcam auszuspielen; sondern die Schwierigkeit besteht darin, dass „der überwiegende Anteil von Technologie-Analysen (…) an ´Moralautomatismen´ (…)“[1] krankt, die ein simplifizierendes Aufrechnen „euphorischer Nützlichkeitsspekulationen versus verteufelnder Gefährlichkeitsspekulationen“[2] regelrecht inszenieren, ein differenziertes Abwägen nicht mehr gelingt und jegliche Betrachtungsweisen allenfalls aus naturwissenschaftlichem Blickwinkel Gestalt und Einfluss gewinnen. Solch ein eingeschränkter Blickwinkel wird aber aus philosophischer Sicht nicht als hinreichend empfunden, weil er Hintergründe, Wirkungsweisen und Bedingungen des Mediums außer Acht lässt, wobei sich die Wurzel des Präfixverbes ´bedingen´ auf das einfache Verb ´dingen´ im Sinne von ´anwerben´ und ´in den Dienst stellen´[3] zurückführen lässt. So ist zunächst die Fragestellung zu betonen, in welcher Weise Medien uns in ihren Dienst einbinden, wobei wir im Allgemeinen doch eigentlich davon ausgehen, dass Menschen Medien benutzen und nicht von diesen benutzt werden. Das breit gefächerte Kontingent technischer Verhaltensweisen ist somit in Bezug auf seinen suggestiven Mehrwert, d.h. über einen dem Kaufpreis und Nutzungsoptionen des technischen Mediums, Computers, Smartphones hinausgehenden Wert zu untersuchen, welcher bei der Verwendung unbewusst erwartet und in Anspruch genommen wird. Im Sinne ästhetischer Betrachtungsweisen geht es vielmehr um die Bildung von Wahrnehmungsqualitäten, die sich mit Auswirkungen des ins Medium investierten Vertrauenspotentials befassen und deshalb auch für jede Institution insbesondere der Kirche von Bedeutung sind. In einer Auseinandersetzung um mögliche Beeinflussungen und Konsequenzen lassen sich hierbei unterschiedliche Grade kritischer Positionen konstatieren:
Der Umgang mit Technik und Technologien innerhalb einer normierten, sachlich-naturwissenschaftlich-analytisch geprägten Weltsicht trägt ferner oftmals den überheblichen Anspruch in sich, das Leben möge doch um Himmels oder der Technik willen so, wie es der Mensch geplant hat, funktionieren und in Ordnung gehen. Da jede aktiv-logische menschliche Handlung die Bewegung des Vorwärtsgehens ausdrückt und in ihrem jeweiligen Fortschreiten als Weg einer Problemlösungsstrategie auf ein Ziel ausgerichtet ist, stellt sich nun die Frage, wohin sich die Sache mit der Technik eigentlich bewegt und welche Bedeutung ihr innerhalb des menschlichen Lebenskontextes im täglichen Umgang entgegengebracht wird: Moderne technische Medien scheinen in ihrer Benutzung eng mit Hoffnungen positiver, kommunikativ gestalteter Veränderungen des Lebens verknüpft zu sein. In einer zunehmend als unsicher und isolierend empfundenen Wirklichkeit stellen sie bei der Bildung real-virtueller Lebens(bau)pläne idealistische Ergänzungsversuche degenerierter Körperlichkeit psycho-sozialer Defizite, z.B. mangelnder Kontaktfähigkeit aus Gründen personeller (Be)-Hinderungsgründe des Ego dar, die durchs Gerät kompensiert und perfektioniert werden sollen. Das Medium fungiert hierbei nicht länger als reines Übertragungsmittel, das -wie es z.B. Handys vorgeben zu tun- einen textlichen oder sprachlichen Inhalt neutral ´weiterreicht´, sondern es tritt gleich eines Ver-Mittlers auf, übernimmt als in der Mitte zwischen zwei ursprünglich einander unmittelbar zugewandten menschlichen Individuen befindliche Schaltzentrale Funktionen eines lebendigen Gegenübers. Durch die Intensität seiner Allgegenwart strebt es oftmals sogar den hoheitlichen Rang einer gottähnlichen Stellung an. Dabei über-mittelt es nicht nur, sondern ver-mittelt, verändert durch die Art seines Gebrauches und bestimmter vorgegebener Funktionsweisen, die es täglich mit seinem Benutzer einübt, dessen zwischenmenschliches Verhalten, präzisiert, ja perfektioniert es und bettet durch diese vermittelnde Funktion menschliche Umgangsweisen in maschinelle ein. Durch die Gewöhnung an seine regelmäßige Benutzung wie z.B. dem täglichen Blick in eingegangene Nachrichten, aktuelle Tagesinformationen, Wetter-, Stau-, Navigationsdaten oder durch permanente Anfragen sozialer Netzwerke aus dem Internet erzeugt es gleichsam Riten heiliger Standardhandlungen. Es ist in der heutigen Zeit nicht mehr auf einen festgelegten Ort der Kontaktaufnahme beschränkt, sondern bombardiert den modernen Menschen auf allen seinen Wegen mit einem ´Dauerfeuer´ von Erwiderungen und Bestätigungen. Deshalb brechen oftmals auch Welten, begleitet von sturmartiger Entrüstung der ´User´, zusammen, wenn diese heiligen Handlungen einmal nicht mehr Zugang schaffen, Passwörter nicht erkannt, ganze Netze und Server zusammenbrechen, gar Handyverbot herrscht, der Akku verendet, das System hängt oder abstürzt, weil dann ein ´Rückfall´ auf die unmittelbare Wahrnehmung der eigenen Person und Körperlichkeit[15] nicht mehr zu ertragen ist. Eine überraschend auftretende, plötzlich wegfallende technische Bestimmtheit des Geistes erzeugt oftmals Schmerz und Pein, da das Zurückgeworfensein auf sich selbst und damit verbundene eigene quälende Bilder, belastende Erfahrungen oder Gedankengänge nicht mehr durch vernebelnde technisierte Kommunikationsangebote des Gerätes überlagert werden und in der nun auftretenden Schärfe und Prägnanz in ihrer Unmittelbarkeit nicht mehr zu ertragen sind. Durch Mobilität und ununterbrochene Verfügbarkeit von Laptop, Smartphone und Tablett-PC erhöht sich aufgrund der mobilen Stellung die personelle Dimension und persönliche Beziehung zum Gerät auf elementare Weise. In ihrem ´smarten´, engl. ´schlauen, pfiffigen´ anpassungsfähigen und leicht zu händelnden Auftreten schaffen sie unterstützt durch die Welt der ´Adds´ und ´Apps´[16] auf vorurteilsfreie Art unwiderstehliche, genau auf den jeweiligen Menschen und seine Bedürfnisse zugeschnittene Angebote der Kommunikation: damit scheinen ihre Qualitäten als Mittler besonders gefragt zu sein, weil sie kommunikativen Handlungsbedürfnissen des zunehmend in seiner Vereinzelung versinkenden Subjektes in geradezu idealer Weise entsprechen. Als konterkarierender Gegensatz zum Anspruch einer durch das Medium erzeugten eindeutigen, oftmals simplifizierten Idealwelt stehen die als zu unsicher empfundenen, vielschichtig-problematischen Lebensumstände des posttraditionalen Menschen entgegen, der im Grunde an der Unverbindlichkeit und ´Wahrheitslosigkeit´ postmoderner Gestaltungsvielfalt erkrankt ist und sich deshalb durch Kompensationshandlungen an technische Medien klammert. Dabei sind etwaige Sehnsüchte und Erwartungen, die bei der Benutzung des Gerätes eine Rolle spielen und auf dieses transferiert werden, von größter Bedeutung. Der Mensch lechzt gleichsam nach Liebe, Verständnis und Achtung und hat panische Angst davor, Einsamkeit und Bedeutungslosigkeit gleich(ermaßen) -gültiger Lebensentwürfe aushalten zu müssen, die ihn in ihrer Sinn- und Bedeutungslosigkeit quälen und möchte Gedanken an Schicksalshaftigkeit und (Vor-) Verurteilung entgehen. Genau diesem Wunsche nach einer tragfähigen, sinnerfüllten Lebenssicherung entsprechen moderne Kommunikationstechnologien mit eindeutigen, vordefinierten Angeboten technischer Erlösung in unnachahmlicher und unwiderstehlicher Weise, indem sie reale Räume der Geborgenheit, z.B. der Kirche, virtuell erschaffen, wie anhand des Lego-Nachbaus eines Gottesdienstraumes erkennbar wird: Innerhalb jeglichen Glorifizierungswahnes virtueller Nachbauten im Rahmen eines durchaus gerechtfertigten Nützlichkeits- und Fortschrittsdenkens erscheint es deshalb neben aller positiven Problemlösungskapazität immens wichtig zu sein, immer wieder das mitschwingende, beeinflussende und evtl. den Menschen vereinnahmende Element von Technik wahrzunehmen, eine ausschließliche Beschränktheit auf diese mediale Welt zu kritisieren und gemeinschaftliches Ein- und Abtauchen als bewusst praktizierten dynamischen Vorgang von Nähe und gleichzeitiger Distanz zum Medium zuzulassen. Ansonsten bleiben Chancen natürlicher, unvermittelter Gemeinschaft ungenutzt. Hinsichtlich des gesamten Auftretens erscheint das Medium insofern problematisch, als es in seiner vom Menschen selbst gewählten Relevanz omnipotent wirkt und sich mit einer erstaunlichen Selbstverständlichkeit an die Schaltstelle zwischen Sender und Empfänger setzt, um an dieser Stelle ersatzweise eine künstliche und technisierte Ich-Du-Beziehung zu suggerieren, an der sich normalerweise eine Interaktion zwischen zwei real existierenden, sich gegenseitig in liebevoller Art unmittelbar erfahrenden Menschen etablieren sollte, wie es in Kirchenwahrnehmungsoptionen des theologischen Menschenbildes immer schon seinen Ausdruck fand und auch bei M. Buber literarisch brillant und gleichzeitig philosophisch-pädagogisch behutsam eingefordert wurde: „Stehe ich einem Menschen als meinem Du gegenüber, spreche das Grundwort Ich-Du zu ihm, ist er kein Ding unter Dingen und nicht aus Dingen bestehend (…), nicht eine Beschaffenheit, (…) lockeres Bündel benannter Eigenschaften. Sondern (…) fugenlos <,d.h. in seiner Gesamtheit, A.d.V.> ist er Du und füllt den Himmelskreis. Nicht als ob nichts anderes wäre als er: aber alles andere lebt in seinem Licht.“[17], in der Qualität unmittelbar erfahrener menschlicher und nicht maschinengenerierter Beziehungen. Einer von heutigen postmodernen Individualisten oftmals schmerzlich vermissten sofortigen verbalen Erwiderung und Bestätigung des Ich wird in der vom Medium erzeugten virtuellen Welt auf beinahe unwiderstehliche Weise entsprochen; sei es nun in Form von Zustimmung, Ablehnung, Begeisterung oder Diskussionen, im medialen Kosmos scheint es keine langen Strecken der Einsamkeit oder des Zweifels zu geben. So rücken bei der virtuellen Kontaktaufnahme eventuell erfahrene Ablehnungen aufgrund eigener physischer oder psychischer Defizite in den Hintergrund - und genau hier setzt technische Kompensation an: Man ist und denkt online, live dabei, eingebettet in, ja geliebt und geschätzt von einem riesigen durch das Medium vermittelten Freundeskreis, angeschlossen, ´connected´ an das bewegte und auch belebte große Ganze, der Idealmaschine, und lässt sich pausenlos ergänzen, updaten und erneuern. Die alles entscheidende Frage, die am Schluss übrig bleiben wird, lautet deswegen auch nicht ´Wieviel Technik benutzen wir?´, sondern ´Wieviel Technik benutzt uns´? Welcher Geist einer unangefochtenen Relevanz des Mediums, der gnadenlosen Effizienz inhumaner Präzision verdrängt am Ende menschliche Qualitätsvariablen der Nachsicht, Vergebung, Güte oder des Mitleids, wofür die Kirche in ihrer Kunst, mit Menschen umzugehen ja in beispielhafter Weise Vorbild ist. Damit erlangt Kirche und der mit ihr verbundenen ästhetisch-humane Anspruch auch insofern Bedeutung, Fähigkeiten auszubilden, hinter vielfach vernebelnden Medienwolken menschliche Momente (wieder) zu entdecken, zu Tage zu fördern, festzuhalten und nicht in Vergessenheit geraten zu lassen. So wird es letztlich entscheidend sein, ob wir als Menschen bei diesem ´Update-´ und ´Upgrade-Speed-Racing´[18] mitrennen, mithetzen, mithalten möchten - vielleicht aber sogar auf der Strecke bleiben und diese Chance nutzen zu erlernen, Medien richtig einzuschätzen, uns aus der ´Internet Cloud´, der vernebelnden Wolke technisierter Interfacebeziehungen zu befreien und uns nicht von einer allgegenwärtigen Relevanz des Mediums in den Dienst stellen zu lassen, indem wir es unangebracht überhöhen, sondern in dem Rahmen, den es verdient, nutzen und wertschätzen. Dafür müssten wir aber gemeinsam mit Institutionen und Kirchen in der Lage sein, die Idee eines Gegenentwurfs zu etablieren, der dieser rationalen und effizienten Technikwelt Alternativen gegenüber zu stellen wagt, gleichsam behutsame humane Atempausen einzuplanen, damit bei aller äußerlicher Perfektion das Menschliche nicht auf der Strecke bleibt, denn: „Der Horror eines elektronisch Denkenden sind Abstürze des Systems. Ignorieren? Neustarten? Weitermachen? Neuinstallieren? Die naheliegende Idee, mit einem Rückgriff auf ältere, <menschenwürdigere, A.d.V.> Kulturtechniken die Arbeit zu erledigen“[19] wird verneint. Dabei könnte die Möglichkeit zur Unterbrechung als hoffnungsvolle Ausdrucksform wieder zu (er)finden und zu etablieren, einen wenngleich idealistisch gedachten Neuanfang bewirken, Chancen zu eröffnen, aus dem Meer der allesumgebenden Technik aufzutauchen, Luft zu holen und einen Blick auf den Sonnenuntergang eines versinkenden Mythos freier, nicht virtualisierter Wirklichkeitswahrnehmung zu wagen und zukunftsweisende Visionen zu entfachen, um die Seele ein wenig von den letzten verblichenen Sonnenstrahlen untergehender Humanität der Güte, Gnade und Barmherzigkeit[20] bescheinen zu lassen und der Hoffnung auf Offenbarung eines neuen Morgens Raum zu geben, aus der dann das eigentlich Menschliche wieder hervorleuchten kann. Literatur
Anmerkungen
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Artikelnachweis: https://www.theomag.de/75/mag3.htm
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