"Einsichtslos will jeder laut das Nichts verheißen"

Literarische Sentenzen

et alii

Der Blick in die Deutsche Literatur zum Thema Nichts zeigt eine Fülle widerstreitender Motive. Das Nichts kann die Metapher für den Tod sein, aber ebenso für Gott oder den Teufel. Vor allem aber ist das das, was den Abgrund darstellt, das Formlose, Ungestaltete. Die Literatur zeigt aber auch, dass man zur Not dem Nichts etwas abgewinnen kann, wenn man es in Form bringt. Und daher zeigt sich beim kursorischen Blick in die Deutsche Literatur die alte philosophische Einsicht: „Das Nichts existiert ebenso sehr wie das Ichts.“ (Demokrit)

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Das Nichts, die Kreatur, wenn sichs Gott vorgesetzt,
Gilt nichts; stehts hinter ihm, dann wird es erst geschätzt.

Angelus Silesius:
Cherubinischer Wandersmann

Ich glaube an keine Fortdauer der Seele, und an kein Jenseits, und darum genieß' ich auch das Leben als das einzig wahre Gut, das wir besitzen, das jeder Augenblick vernichtend in das Nichts zurückstürzen kann, aus dem es entstand.

Ahlefeld:
Erna

Wann winkst du Oase,
Du Mährcheninsel,
Voll paradiesischer Auen,
Dem Wüstenpilger,
Der müde des Kampfes
Des irdischen Kampfes
Ohne Rettungsstern
Hinsinkt, in das Nichts starrt?

Arent:
Moderne Dichter-Charaktere

Gebreitet liegt auf Berg und Auen
Das schattende Gewand der Nacht,
Auf alle Augen niederthauen
Des Traumes Bilder, süß und sacht;
Nur mich allein will's nicht umschlingen,
Dies selige Sinken in das Nichts:
Ich will erkennen, will erringen,
Erringen einen Strahl des Lichts.

Arent:
Moderne Dichter-Charaktere

Wir können nicht für das Nichts empfinden.

Arnim:
Dies Buch gehört dem König

Ist das Nichts die Wahrheit? Und ist das All nur des Einzelnen Wahnvorstellung?

Bleibtreu:
Größenwahn

Gott hat die Erden und alle Welt-Cörper aus nichts hervorgebracht, nun, wie man in den Schulen sagt, Nihili nula sunt accidentia, das Nichts kömmt nicht unter die Sinnen, noch unter die Einbildung, man kan darinn nichts erkennen noch unterscheiden. Wenn also der Poet das Nichts vorstellen wollte, mußte ers vor allen Dingen zu etwas erschaffen, und ihm Sachen zulegen, die darinn wären. Das Recht dieses zu thun hatte er von seinem Ammt, es ist keine grössere Kühnheit das Nichts als etwas vorzustellen, als es ist, das Mögliche vor würcklich vorzubilden; denn das Mögliche ist eben sowohl noch nichts, und was ist, was etwas ist, war zuvor nur möglich.

Bodmer:
Kritische Abhandlung von dem Wunderbaren in der Poesie

Das Nichts hat sich ermordet, die Schöpfung ist seine Wunde, wir sind seine Blutstropfen, die Welt ist das Grab, worin es fault. – Das lautet verrückt, es ist aber doch was Wahres daran.

Büchner:
Dantons Tod

Einsichtslos will jeder laut das Nichts verheißen!

Däubler:
Das Nordlicht

Wohin mein Blick fiel, wölbte sich das Firmament, breitete ein Stück Erdenwelt sich aus. Wohin aber mein Blick nicht drang, da war das Nichts, die Leere. Vor mir die Welt, hinter mir das schreckliche Nichts, grau, stumm, tot. Oh, wie brannte ich darauf, ihm einmal auf die Spur zu kommen, diesem Nichts! Unheimlich war's und häßlich, sich immer sagen zu müssen: Es gähnt hinter dir her, macht sich breit in seiner grenzenlosen Armut und unaussprechlichen Langweiligkeit.

Ebner-Eschenbach:
Meine Kinderjahre

Und jetzt, nur noch gequält vom Strahl des Lichts,
Matt, trostlos, reulos starr' ich in das Nichts.

Geibel:
Neue Gedichte

Und dennoch konnte ich über die eine Klippe nicht hinweg, daß das Denken gleich sein sollte dem realen Sein! Ich bewunderte einige leidenschaftliche Adepten der neuen Lehre, denen diese Fähigkeit vollkommen innezuwohnen schien. Sie konnten das Nichts ordentlich festhalten, das Sein und Werden wie mit Fingern greifen

Gutzkow:
Das Kastanienwäldchen in Berlin

Nein! das Leben muß etwas anderes sein, als ein Ringen aus dem Nichts, für das Nichts, in das Nichts!

Hahn-Hahn:
Maria Regina

Das Nichts, das nie und nirgendwo,
Suchst du vergeblich zu beweisen;
Es ist und bleibt nun einmal so:
Du grübelst und die Sterne kreisen!

Holz:
Buch der Zeit

So geriet er zuletzt in einen unerträglichen Zustand der Ungewißheit und verlor gänzlich sein dummes Selbstvertrauen. Er räumte den Platz, um anderwärts das Nichts zu finden, das ihm beschieden war.

Keller:
Martin Salander

Im donnernden Gesang des Lichts
Im dunklen Spiegel des Gesichts:
 Das Nichts
 das Nichts
 das Nichts
 das Nichts.

Klabund:
Das heiße Herz

Wie ein Mensch
Wie ein Gott
Und ich sitz und schwitz und freß und sauf
Und ich denk und träume
Nichts
Träum und denk das Nichts vom Nichts des Nichtses
Bin am Ende meiner Kräfte
Und am Anfang aller Seeligkeit.

Klabund:
Die Harfenjule

In unsrem Land ist alles, ja auch das Nichts geschätzt

Logau:
Sinngedichte

Das Nichts war um mich her; das absolute Schweigen, die Öde ohne Ende.

Meysenbug:
Memoiren einer Idealistin

An seiner Seele fraß das Nichts.
Umsonst griffen die Pranken
seines wühlenden Schaffenswahnsinns
hinaus in die unsägliche Leere.

Morgenstern:
In Phanta's Schloss

Ich sah durch ein hohes, großes Loch.
Ist nichts darin? – Doch! scholl es. – Doch!
Und ich suchte und suchte und grub nach dem Nichts.
Da quoll aus dem Loch eine Garbe Lichts. –
Ich habe das Nichts gefunden –
und mir um die Stirn gewunden.

Mühsam:
Sammlung 1898-1928

Er weiß, daß hinter diesem Höhepunkt notwendig der Abstieg beginnen muß, erst in kaum merkbarer Senkung, dann immer jäher und jäher und schließlich senkrecht abfallend in das Nichts.

Rilke:
Aufsätze und Rezensionen

Nichts soll werden das Etwas, daß Nichts sich zu Etwas gestalte?
Laß das Etwas nur sein! nie wird zu Etwas das Nichts.

Schiller:
Xenien und Votivtafeln

Das Wort »Teufel« dient häufig dazu, um das Nichts zu bezeichnen.

Schönwerth:
Aus der Oberpfalz

Doch, unerbittliches Licht dringt ein;
Und vor mir dehnt es sich,
Öde, voll Entsetzen der Einsamkeit;
Dort in der Ferne ahn ich den Abgrund;
Darin das Nichts.

Storm:
Gedichte

Das schweigende Entsetzen
Sitzt auf den Trümmern und gebiert das Nichts.

Wildenbruch:
Die Karolinger

Artikelnachweis: https://www.theomag.de/77/ea01.htm
© Andreas Mertin, 2012