Kirchenräume heute

Alexander Röder

Meine sehr verehrten Damen und Herren,

herzlich willkommen zu diesem Podiumsgespräch über die Frage der Nutzung von Kirchenräumen. Es ist ein teilweise sehr emotional besetztes Thema, wie die Diskussion um das Wirtschaftsforum der ZEIT im vergangenen Dezember gezeigt hat. Natürlich soll auch darüber heute Abend noch einmal gesprochen werden. Doch möchten wir das Thema breiter fassen und auch differenzierter diskutieren als es im Dezember geschehen ist: Was ist möglich in einer Kirche und was beschädigt ihre Heiligkeit? Ist ein Kirchengebäude überhaupt heilig?

Im 18. Jahrhundert untersagten die Hauptpastoren der Hauptkirchen den Musikern, geistliche Oratorien aufzuführen. Sie galten den Theologen als zu opernhaft und darum dem Glauben abträglich. Die Musiker wichen in den Hamburger Dom aus, der nicht zur Landeskirche gehörte und in dem das Geistliche Ministerium, die Kirchenregierung Hamburgs, kein Weisungsrecht hatte. Das Volk teilte damals die Bedenken der Pastoren offensichtlich nicht. Es kam gern in den Dom, der auch eine Kirche war, und hörten die Oratorien mit Freude – vielleicht sogar mit Gewinn.

Ende der 60er Jahre des 20. Jahrhunderts kam es zu Tumulten an St. Michaelis, als Professor Thielicke predigen wollte. Grölen, schreien, pfeifen – damit die Predigt verhindert würde. Sie wurde mehr als einmal verhindert – wurde dadurch die Heiligkeit des Raumes beschädigt?

Aus meiner Studentenzeit erinnere ich heftige Diskussionen an St. Michaelis darüber, welchen Wert geistliche Konzerte hätten. Sind sie Verkündigung, haben sie einen religiösen Wert, wenn in ihnen nicht zugleich das Wort Gottes von einem Pastor verkündet wird? Ist die Matthäuspassion am Palmsonntag einem Gottesdienst gleich zu achten?

Vorangegangen war am 13. November 1980 die Uraufführung von Skizzen der getanzten Matthäus-Passion der Hamburger Balletttruppe unter John Neumeier in St. Michaelis. Trillerpfeifen und wüste Drohungen begleiteten damals dieses Experiment. Das Wort „Skandal“ wurde mehr als einmal schon damals bemüht. Im nächsten Jahr plant John Neumeier eine Wiederaufnahme des Balletts in der Kirche. Was wird dann geschehen, wenn die Eintrittskarten, die auf den besten Plätzen mehr als 100 € kosten werden, innerhalb von Stunden ausverkauft sein werden?

1995 entschied der Kirchenvorstand von St. Katharinen, einem musikalischen Experiment zuzustimmen, einem Konzert, in dem Gregorianik und Techno miteinander verbunden wurden. Auch dagegen wurde lautstark protestiert; es wurde von Entweihung des Raumes und Zerstörung seiner Heiligkeit gesprochen. Die Kirche würde zum Partyraum schrieb ein Hamburger Journalist und rechnete vor, dass die Einnahmen von rund 120.000 DM schon mehr seien als die übliche Kollekte.

Damit ist ein Punkt angesprochen, der beim Wirtschaftsforum der eigentliche Auslöser der Empörung war, aber in der Diskussion mehr und mehr in den Hintergrund trat: der Veranstalter nahm mit 1600 € Eintritt ein für ein Wirtschaftsforum mit solch prominenter Besetzung (und entsprechenden Honoraren) sehr moderates Entgelt, eines aber, das für kirchliche Verhältnisse exorbitant hoch ist und viele Menschen einfach ausschließt.

Lange schon vermietet St. Michaelis die Kirche für Fremdveranstaltungen. Dazu gehören im Dezember große Firmenkonzerte etwa der Haspa, des Deutschen Rings, der Generali Versicherung, von Airbus, Philipps und der Flughafen AG, die allesamt keine öffentlich zugänglichen, sondern geschlossene Veranstaltungen sind und mit denen St. Michaelis Geld verdient, um den Haushalt, der noch zu knapp 8 % aus Kirchensteuermitteln besteht, ausgleichen zu können.

In dieselbe Kategorie gehören Veranstaltungen des Hamburger Abendblatts im Michel wie ‚Märchen im Michel‘ oder ‚Kinder singen für Kinder‘, die selbstverständlich auch als Werbeveranstaltungen für die Zeitung genutzt werden. Müssen sie im Michel sein – dürfen sie eigentlich im Michel sein? Und warum ja oder nein?

Kirchen waren über Jahrhunderte die einzigen öffentlichen Räume in den Orten und Städten. Darum auch fand früher viel mehr in Kirchen statt als heute: Gerichtstage und Bürgerversammlungen, Versammlungen der Zünfte und anderes mehr. Im Michel findet einmal im Jahr die Meisterfeier der Handwerkskammer statt, in der die jungen Meisterinnen und Meister ihre Meisterbriefe erhalten. Am Ende dieser ganz und gar weltlichen Veranstaltung wird die Nationalhymne gesungen.

Ist das legitim oder angemessen in einer Kirche? Ist der Michel nicht bloße „location“ für diese schöne Stunde?

Als vor einigen Jahren – und das sei mein letztes Beispiel – Senat und Bürgerschaft ihre Gedenkveranstaltung zum Volkstrauertag mit dem Volksbund Deutsche Kriegsgräberfürsorge zusammenlegten, gab es keinen angemessenen öffentlichen Raum, der groß genug war, um die Anzahl der geladenen Gäste zu fassen. St. Michaelis wurde angefragt und wird nun Jahr für Jahr angemietet, obwohl es sich um eine staatliche bzw. Veranstaltung des Volksbundes handelt.

Dazu ein kurzes Erlebnis aus meiner Zeit als Vikar  Ende der 80er Jahre: als ich mein erstes Traugespräch führte, fragte mich der Bräutigam sehr vorsichtig, ob er in Uniform heiraten dürfte. Als ich bejahte, erzählte er von einem Kollegen, der ihm wegen dieser Frage die Tür gewiesen hatte mit dem Hinweis, dass potentielle Waffenträger und –nutzer in Kirchen unerwünscht seien.

In mehreren Mails, die ich zum Wirtschaftsforum erhielt, wurden Wut und Empörung darüber geäußert, dass der Michel für – ich zitiere – „solche Verbrecher und Teufel“ – seine Tore öffnete.

Es sind nur Schlaglichter aus der jüngeren Geschichte und der Gegenwart der Kirchennutzung an den Hauptkirchen und der Reaktionen darauf. Sie zeigen vielleicht, wie vielfältig und vielschichtig ist, worüber wir heute Abend diskutieren wollen.

Artikelnachweis: https://www.theomag.de/79/ar1.htm
© Alexander Röder, 2012