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sic transit gloria mundiNeue Deutsche Weinerlichkeit zwischen Krieg, Kommerz und KitschAndreas Mertin Gunnar Anger vom Münsteraner Forum für Theologie und Kirche machte mich freundlicher Weise auf den Videoclip zu Joachim Witts Singleauskopplung „Gloria“ vom Album „DOM“ aufmerksam noch bevor der Clip durch den Protest der Bundeswehr wegen der dort enthaltenen Darstellung einer Vergewaltigung durch Bundeswehr-Soldaten in die unverdiente öffentliche Aufmerksamkeit geriet. Joachim Witt das war Der goldene Reiter bevor er Tri tra trullala in der Flut unterging und als Rammstein-Klon der Vergessenheit anfiel. Zu Recht wie sich nun bei der Betrachtung des Videos zu „Gloria“ herausstellt. Denn dieses Stück ist bloß die popmusikalische Variante der Kastelruther Spatzen mit ihrem Hit „Ich schwör“. Das beginnt mit dem Rauschen des Windes in den Bergen und setzt sich fort im Pathos der Bildgestaltung nur dass die Kastelruther 1997 noch nicht im Breitbildkino gedreht haben. Aber ansonsten stimmen die Zutaten: Das pathetische Tremolo (Engel singen Lieder ---- Immer, immer wieder Gloria), die weinerliche Innerlichkeit (Die Welt verändert sich Ich seh’ mein Herz, wie’s auseinander bricht), der pseudo-erhabene Naturkontext, der Schicksalsschlag bzw. die Verfehlung, der sich anschließende Gotteszweifel (Es führt kein Weg zurück zu Dir) kein Klischee wird ausgelassen. Was früher beim Grafen von Unheilig mit „Der Himmel über mir“ schon eine merkwürdige Schieflage hatte, wird hier noch einmal gesteigert und kippt in vollendeten Kitsch um. Gemacht ist das Video vom „Star-Regisseur Specter“, von dem ich in diesem Kontext zum ersten Mal etwas höre, obwohl ich seit einem viertel Jahrhundert über Videoclips schreibe. Ist man heute schon Star-Regisseur nur weil man Clips für Sido oder Bushido gedreht hat? Das kann wohl kaum ernst gemeint sein. Es gibt tausende von Videoclip-Regisseuren, aber herausragende Regisseure gibt es nur eine Handvoll und Specter gehört ganz sicher nicht dazu. Nur ein paar drastische Szenen zu drehen ist keine Kunst. Die Bilderkultur, auf die wir bei „Gloria“ stoßen ist konventionell bis ins Letzte. Aber nun zum Video und seiner Art der visuellen Kommunikation. Es setzt ein mit einem Blick auf die Berge und inszeniert sich im Vorspann wie ein abendfüllender Kinofilm. Nachdem die Kamera im Rechtsdreh von den Berggipfeln in der Ebene angelangt ist, zeigt sie uns eine kleine überschaubare Pilgerschar, die auf einer simulierten Karfreitagsprozession ist. Angeführt wird diese Gruppe vom singenden „Priester“ Joachim Witt. Diese Prozession erweist sich als tragende visuelle Sinnschicht des Clips, die die zentralen Gedanken und Impulse des Sängers symbolisiert. Das erinnert an Oberammergau aus dem 19. Jahrhundert, ist wenig gebrochen oder gar reflektiert. Zwischen die Szenen der einsamen Prozession im Niemandsland werden nun drei narrative Bildebenen eingefügt:
Alles zusammen führt Joachim Witt zur Schlussfolgerung, dass es keine Wege zurück zum traditionellen Gottesglauben gibt (Ich trag Dein Bild noch bei mir - doch die Welt verändert sich). Das ist die Witt’sche Version der Säkularisierungsthese bei fortdauernder Verantwortungsabwälzung auf einen allmächtigen Gott, an den man zugleich nicht mehr glauben mag. Weshalb Witt die Karfreitagsprozession dann auch konsequent in einem seichten Gebirgsbach untergehen lässt. So viel pubertärer Slapstick muss sein. Die Blut weinende Madonnenfigur nicht zu vergessen. Die ersten beiden narrativen Schichten kann man mit Fug und Recht zur Kategorie des „geborgten Leids“ zählen. In einem gewissen Sinne haben wir es hier mit einer Verschwörungstheorie des 19. Jahrhunderts unter einer veränderten Thematik zu tun: Dem Lobpreis der verinnerlichten Spiritualität bei gleichzeitiger Denunziation der Institution Kirche als Nichtverhinderer des Bösen in der Welt. Und dass so etwas für manche auch noch nachvollziehbar erscheint, kommt daher, weil es mit für den Zuschauer vertrautem Material spielt.
Diese entsetzlichen Tatsachen sind dem Zuschauer nur allzu gut vertraut. Aber die daraus gezogenen Schlussfolgerungen sind dann doch prekär. Es ist ja nicht Gott, der Kriege im Irak, in Afghanistan, in Syrien oder Sudan führt, wir Menschen sind es, Joachim Witt eingeschlossen, die Kriege führen und damit zulassen, dass weiter eine Kultur des Todes diese Erde beherrscht. Und es ist nicht Gott, der Meere und Wälder verschmutzt, es sind die Menschen der Industrienationen, zu denen eben auch Joachim Witt zählt. Und das Böse kommt nur zum Tragen, wenn wir es als Macht zur Geltung bringen. Und Witt wird uns ja nicht ernsthaft den Gedanken antragen, wir seien zwar die Verursacher, aber Gott könnte es doch verhindern und deshalb müssten wir Gott und nicht uns anklagen. Über diese anti-religiöse Verdrängungsstrategie sollte man mit der Pubertät hinaus sein, alles anderes ist mehr als unreif, heute ist es nur noch billig. Die visuelle Kommunikation des Clips (und auch von Joachim Witt im Mediengespräch) ist aber die der Verschwörungstheorie: nicht ich, sondern Gott ist verantwortlich für die Schweinereien der Menschen. So leicht funktioniert die vulgärmaterialistische Auflösung der Theodizeefrage aber im Zeitalter einer aufgeklärten Gesellschaft nicht mehr. Auf die religiöse Kommunikation kann Witt kaum zielen. Das Gloria, falls Witt dies vergessen haben sollte, fügt dem Lob des Kabod, der Herrlichkeit Gottes, gleich die Sehnsucht nach dem Frieden und dem Ende der Sünde auf der Erde hinzu. Zugleich stellt es aber nie in Frage, dass wir Menschen es sind, die für die Sünde Verantwortung tragen:
In der evangelisch-lutherischen Liturgie heißt es regelmäßig:
Damit ist deutlich ausgedrückt, dass all das, was an Schaden auf dieser Erde ist, kein Wohlgefallen Gottes hat. Aber vermutlich gibt man Witt zu viel Ehre, wenn man ihn in seiner Kommunikation theologisch ernst nimmt. Aber dass die kirchliche Haltung in den von ihm angesprochenen Fragen immer eine dezidiert andere war, kann ihm und den Machern des Clips nicht entgangen sein. Kontrafaktisch ordnet Witt hier der Kirche Positionen zu, die mit den real eingenommenen nichts zu tun haben. „Nichts ist gut in Afghanistan“ dieser Satz von Margot Käßmann ist inzwischen zum Common Sense selbst der bundesdeutschen Politik geworden. Und der konziliare Prozess der christlichen Kirchen unter dem Motto „Gerechtigkeit, Frieden und Bewahrung der Schöpfung“ datiert in Zeiten, als Witt noch vom Goldenen Reiter träumte. Da muss er noch dreißig Jahre Nachholarbeit leisten, bevor er sich kritisch zur gegenwärtigen Rolle der Kirche in Fragen von Gerechtigkeit, Schöpfung und Frieden äußern kann. Das ist eine simple Frage seiner (fehlenden) Glaubwürdigkeit. Die Diskussionsteilnehmer in den diversen Internetforen agieren in dieser Frage illusionsloser, sie interpretieren das Musikvideo von Specter als primitive Medienstrategie, also als bewusste vorgenommene Verletzung von gesellschaftlichen Tabus (insbesondere im Blick auf die dargestellte Vergewaltigung), aber nicht mit der Intention, die Welt zu verändern, sondern bloß um möglichst schnell mediale Aufmerksamkeit zu erzielen. Sie sagen: Joachim Witt ist ein Fame Hooker, also wie Lady Gaga eine am Kommerz orientierten Ruhm-Nutte, die jeden noch so trivialen Gag einsetzt, um öffentliche Aufmerksamkeit zu erhaschen und den Umsatz anzukurbeln. Und wenn man sich die Musikkarriere von Witt anschaut, dann spricht viel dafür: sie ist charakterisiert durch das eitle Haschen nach dem Wind, nach Aufmerksamkeit und (kommerziellem) Erfolg. Er orientiert sich am Markt und prüft, was geht: Rammstein dann machen wir auch ein bisschen Neue Deutsche Härte; Unheilig dann wabern wir auch zurück ins popkulturell aufgehübschte Gothic-Mischmasch der Schwarzen Szene, etwas bedeutungsschwanger und schwermütig, zugleich leicht eingängig. Und wie alle schlechten Künstler kommt Witt immer etwas zu spät, aber nicht so spät, um nicht doch wenigstens noch auf der abebbenden Erfolgswelle mitzureiten. Er ist eben ein Goldener Reiter oder möchte es doch zumindest gerne wieder sein. Weshalb Gloria dennoch in dieser Kolumne aufgegriffen wird? Das liegt darin begründet, dass es in mehrfacher Hinsicht paradigmatisch ist: für eine bestimmte Form der dummdreisten und billigen Kirchenkritik; und ebenso eine bestimmte Form der besinnungslos in Anspruch genommenen und daher verantwortungslosen Spiritualität; und vor allem für eine verbreitete Form der kommerziellen Oberflächlichkeit, der es nicht um Inhalte, sondern um den Erfolg geht.
Die Versatzstücke des Religiösen sind in allen Fällen nur Elemente einer Medienstrategie. In diesem Falle hat niemand von der Kirche protestiert, weil Witt einer anderen Gruppe noch heftiger auf die Füße getreten ist: die deutschen Soldaten. Sie verwehren sich dagegen, pauschal visuell denunziert zu werden. Witt entgegnet: er als „deutscher Künstler“ (wie kann man das nur in den Mund nehmen?) dürfe das machen, das sei Kunst und von der Freiheit des Künstlers gedeckt. Nein, die Darstellung von Bundeswehrsoldaten als Vergewaltiger ist noch keine Kunst, das wäre erst die künstlerische Durchdringung dieses brisanten Themas. Und genau daran scheitert es bei Witt und Specter. Es ist nur schlechte Kunst: Gossentheater, Klischee, Kitsch. |
Artikelnachweis: https://www.theomag.de/80/am415.htm
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