Kunst und Kultur des Islam

Eine Rezension

Andreas Mertin

Es gehört zu den tragischen Momenten der Gegenwart, dass man immer dann, wenn man sich mit der Kunst und Kultur des Islam beschäftigen will, zur Vergewisserung noch einmal nachschlagen muss, ob das betreffende Kunstwerk oder Gebäude überhaupt noch existiert oder nicht zwischenzeitlich einem kriegerischen oder binnenreligiösen Gewaltakt zum Opfer gefallen ist. Das gilt nicht nur für die unersetzbaren islamischen Kunstwerke im Irak wie etwa in Samarra, sondern auch für Objekte und vor allem Architekturen in Syrien oder in Mali.

Die Gruppe „Geier Sturzflug“ sang in den apokalyptisch fieberverseuchten Jahren am Anfang des vorletzten Jahrzehnts des 20. Jahrhunderts den NDW-Hit „Besuchen Sie Europa, solange es noch steht“. Um wie viel mehr könnte man Analoges heute im Blick auf die muslimische Kultur und ihre Monumente sagen. In Zeiten, in denen nicht einmal die heiligsten muslimischen Stätten vor Raketenangriffen der eigenen Glaubensbrüder sicher sind, ist die Dokumentation der Kunst und Kultur des Islam immer auch ein politischer Akt, weil sie auf das Unersetzliche aufmerksam macht.

Auf der anderen Seite wäre es in den aufgeregten Debatten des bundesdeutschen Feuilletons manchmal ganz gut, man würde weniger über die aggressiven Ideologien schreiben, die sich heute öffentlichkeitswirksam mit dem Islam verbinden, als vielmehr über die Kultur, die der Islam in Verlauf der Jahrhunderte hervorgebracht hat.

Hattstein / Delius (Hg.) (2011): Islam. Kunst und Architektur. [Potsdam]: Ullmann.

Mehr als 600 großformatige Seiten umfasst die Kunst- und Architekturgeschichte des Islam, die Markus Hattstein und Peter Delius herausgegeben haben. Im Rahmen der an sich schon ansehnlichen „Kunst-und-Architektur-Reihe“ des Verlages h.f.ullmann ist dieser Band ein Juwel, weil er mit zahlreichen großen Fotos ein bedeutsames und zugleich extrem gefährdetes Menschheits-Erbe anschaulich macht. In sechzehn Kapiteln wird zunächst grundsätzlich und dann regional sortiert und nach den verschiedenen Epochen gegliedert in die Entwicklung der muslimischen Kultur eingeführt. Ausgewiesene Fachleute steuern dabei jeweils ihre Erkenntnisse bei. Vor allem aber beeindruckt die Materialfülle des Buches, auch wenn nicht alles aus dem kulturellem Bestand des Islam Berücksichtigung finden konnte. So habe ich die Weltkulturerbe-Stätten in Mali schmerzlich vermisst, weil sie gerade Thema der aktuellen Berichterstattung waren und ich mich gerne über dieses Weltkulturerbe anhand guter fotografischer Vorlagen informiert hätte. Aber dazu ist der vorzustellende Schatz sowohl regional wie zeitlich einfach zu umfassend.

Für die Leserinnen und Leser ist das Buch zunächst einmal eine Einführung, eine Dokumentation des Reichtums des Themas. Es ist ein Werk in dem man immer wieder stöbern und Entdeckungen machen kann. Manches kennt man von eigenen Besuchen – wie etwa die Alhambra in Spanien -, anderes kennt man nicht, aber es spielt im Rahmen der aktuellen Berichterstattung eine Rolle und man kann sich den kulturgeschichtlichen Rahmen aneignen. Ich begreife das Buch als einen Beitrag dazu, den kulturellen Reichtum des Islam durch die Jahrhunderte hindurch und über die Grenzen hinweg wahrzunehmen.

Nun bin ich kein Experte auf dem Gebiet der islamischen Kultur, so dass ich evtl. fehlerhafte Darstellungen nicht auf den ersten Blick erkennen kann. Einer Kritik einer früheren Auflage bei Amazon aus dem Jahr 2000 (!) durch einen Fachmann entnehme ich freilich, dass es einige Unkorrektheiten in der Darstellung gibt. Das kommt bei so umfangreichen Werken natürlich immer wieder mal vor. Nicht einsichtig ist freilich, warum 12 Jahre später dieselben Fehler nachprüfbar immer noch vorhanden sind. Rezensionen sind schließlich ein probater Weg für den Verlag, derartige Mängel bei späteren Auflagen ausmerzen zu können. Es mag für den Durchschnittsnutzer egal sein, ob eine Anlage nun in Cefalù oder in Cefalà Diana liegt, wenn es nicht eben sowohl Cefalù wie Cefalà Diana gäbe, das eine 20 km von Palermo entfernt im Landesinneren, das andere 60 km an der Küste. Spätestens nachdem der Rezensent im Jahr 2000 auf den Fehler aufmerksam machte, hätte man es umgehend ändern müssen. Das soll aber der positiven Wertung des Buches keinen Abbruch tun. Wer also auf der Suche nach einer anschaulichen Darstellung der Kultur des Islam ist, sollte hier zugreifen.

Artikelnachweis: https://www.theomag.de/80/am418.htm
© Andreas Mertin, 2012