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KrimiEin Bild und ein BuchAndreas Mertin Man könnte jenes berühmt-rätselhafte Bild aus der Steinzeit-Höhle Lascaux in der Nähe des Brunnenschachtes als Skizzenblatt eines prähistorischen Kriminalfalls lesen. Opfer und Täter sind seit gut 15.000, wenn nicht sogar 25.000 Jahren tot, das einzige, was wir vom Geschehen noch haben, ist eine Skizze, die ein Dritter an der Felswand angebracht hat. Der Ort, am den sich die Skizze findet, ist ganz offenkundig nicht der Tatort, sondern an dieser Stelle im vier Meter tiefen Schacht ein enges Höhlensystem, in dem insgesamt etwa 1900 Skizzen und Malereien zu finden sind. Die populärkulturelle Wikipedia beschreibt die fragliche Geschehens-Skizze so: „... ein Mann mit Vogelkopf scheint nach hinten umzufallen, sein Penis ist erigiert. Er scheint offensichtlich von einem von rechts heranpreschenden Wisent umgeworfen worden zu sein, in dessen Unterleib ein Speer steckt und dessen Eingeweide bereits hervortreten. Neben dem Mann liegt ein länglicher Gegenstand, an seinem Ende ein Vogel möglicherweise handelt es sich hier um eine Speerschleuder. Links entfernt sich ein (Woll-) Nashorn. Es fallen ferner folgende Symbolzeichen in dieser Komposition auf: Zwischen Mann und Nashorn sind drei doppelpunktartige Zeichen angebracht, welche auch im Seitengang der Raubkatzen, dem entlegensten Teil der Höhle, zu sehen sind. Unterhalb des Mannes und des Wisents lässt sich ein gestricheltes Symbol mit einseitiger Spitze und zwei Widerhaken am Ende erkennen. Dieses Symbol wurde auch an anderen Wänden angebracht; es befindet sich außerdem auf gefundenen Speeren und auf der in der Nähe des Brunnens entdeckten Öllampe.“ Und damit hätten wir schon alle Ingredienzien eines prähistorischen Kriminalfalls (oder doch nur eines Jagdunfalls?), bei dem nur noch geklärt werden muss, wer eigentlich Opfer und wer Täter ist, und welche Rolle die Religion als Symbolsystem (Mann mit Vogelkopf und verzierter Speer) bei dem Ganzen gespielt hat. Aufgabe des Kriminalisten könnte nach so langer Zeit kaum noch die Herstellung von Gerechtigkeit sein, eher ist es eine Art kriminalistischer Fingerübung, verschiedene Deutungen des Geschehens auszuprobieren. [Zu diesem konkreten Krimi am Ende des Artikels noch etwas mehr.] Nicht nur im Blick auf die Höhlenmalerei liegen am Anfang der (visuellen) Erzählwelten Kriminalfälle, ein Blick in die Bibel zeigt, dass auch hier die Erzähler den Beginn der religiösen Überlieferung mit zahlreichen Verbrechen, beginnend mit der einfachen, aber folgenreichen Gesetzesübertretung über Inzest bis hin zu Mord und Totschlag, garniert haben. Und diese Verwandtschaft gilt natürlich nicht nur für die jüdisch-christliche Erzählwelt, sondern findet sich in der hellenistischen ebenso wieder wie in der ostasiatischen. Religion und Kriminalerzählung verbindet die Suche nach den Ursachen und den Abläufen jener Geschehen, die vom Guten abweichen. Zwar steht in der Religion selten das „Whodunit“ im Vordergrund, allzu bekannt sind erzählerisch die Übeltäter, aber ihre Motive stehen in grundsätzlicher Perspektive ebenso auf dem Prüfstand wie die Frage, ob es gelingt, im weiteren Verlauf der Geschichte so etwas wie Gerechtigkeit herzustellen. Mit dem Verhältnis von Religion und zeitgenössischer Kriminalliteratur beschäftigt sich auch ein Sammelband, den Andreas Mauz und Adrian Portmann herausgegeben haben, und der fünfzehn wissenschaftliche Beiträge versammelt: Mauz, Andreas; Portmann, Adrian (Hg.) (2012): Unerlöste Fälle. Religion und zeitgenössische Kriminalliteratur. Würzburg: Königshausen u. Neumann. Damit wird einen Themenfeld erschlossen, das an sich im Bewusstsein der Menschen durchaus präsent ist, für das eine intensivere wissenschaftliche Aufarbeitung aber noch aussteht (obwohl die zitierte Literatur durchaus auch schon beeindruckend ist; es gibt Kulturbereiche, die schlechter in religiöser bzw. theologischer Perspektive erschlossen sind). Im einleitenden Aufsatz „Religion und zeitgenössische Kriminalliteratur“ von Andreas Mauz und Adrian Portmann wird daher zunächst einmal aufgearbeitet, unter welchen verschiedenen Gesichtspunkten das Thema angegangen werden kann. Deutlich wird dabei, wie stark die Analyse von den zugrunde gelegten Definitionen von Kriminalliteratur und von Religion abhängt (S. 9f.). Zweitens muss berücksichtigt werden, ob man über „einzelne Texte, Textgruppen oder über die Gattung“ forscht (11). Und drittens muss man unterscheiden, ob man religiöse Elemente in den Krimis sucht oder die religiösen Strukturen von Krimis untersucht. Dem entsprechend kann man derartige Funde identifizieren oder eben vergleichen (13). Und schließlich kann man die Untersuchung vom Text auf die Rezeption erweitern. Das ist das „Tableau“ mit dem das Themenfeld erschlossen werden kann. Und das geschieht im Folgenden mit vierzehn unterschiedlich akzentuierten Beiträgen, die eigentlich jeder für sich einer ausführlichen Vorstellung bedürften, hier aber nur summarisch aufgeführt werden können:
Deutlich wird allein schon an dieser Übersicht, wie ergiebig das Untersuchungsfeld ist, so dass man nur auf Fortsetzungen dieses Unternehmens hoffen kann. Maßstab einer solchen Weiterarbeit aber wäre das, was Folkart Wittekind in seinen lesenswerten Ausführungen festhält: „Es ist die Freiheit der Kunst zur Autonomie anzuerkennen und auch nicht durch nachgelagerte Wiedereinholung in theologische Denkmuster wieder zu kassieren. Die Freiheit zeigt sich darin, dass religiöse Themen und Strukturen im Krimi auftauchen und behandelt werden, ohne dass sie aber noch in einer erkennbaren Weise religiös gemeint sind. Die christliche Tradition wird im Spiel der Kunst zu einem Gegenstand unter anderen, an denen ästhetische Selbstbezüglichkeit und humane Deutungshoheit sich bewähren. Das Vorkommen der christlichen Gehalte ist religiös bedeutungslos, gerade wenn und weil es ästhetisch zum Teil hochartifiziell eingesetzt wird.“ (98f.) Wittekinds Beschreibung leuchtet mir deshalb unmittelbar ein, weil es sich mit meinen Erfahrungen im Gebiet von Religion bzw. Theologie und Bildender Kunst deckt, wo ja dieselben Herausforderungen bestehen. Die Suche nach dem Eigenen im Fremden ist immer unbefriedigend, wenn sie schon als Lösung des Entfremdungsproblems gesehen wird. Wenn aber die Lösung nicht darin bestehen kann, im bloßen Vorkommen religiöser Elemente im untersuchten Gegenstand schon Erfüllung zu finden, was bleibt dann? Hier folgert Wittekind: „Dann wäre nun insgesamt zu schließen, dass auf einer inhaltlichen Ebene die Autonomie von Religion und Krimi behauptet werden muss. Der gute Krimi steht für sich selbst und ist in seiner literarischen Form und Gestaltung ein Beitrag zur Frage, was eigentlich Funktion und Bedeutung der Gattung Krimi ausmacht. Zugleich wäre aber zu behaupten, dass auf einer reflexiven Ebene beide Sprachen ihre eigene Kraft und Fähigkeit selbstbezüglich formulieren können. Und dann ergeben sich im Vergleich beider doch wieder zeitbedingte Analogien und Parallelen, die zu erkennen eine reizvolle Aufgabe der kulturhermeneutisch verfahrenden Literaturtheologie darstellt.“ (99) Die Antwort wäre also die Zeitgenossenschaft von Krimi und Religion. Da bin ich gespannt, ob die am Thema forschenden Kolleginnen und Kollegen sich damit zufrieden geben oder ob sie ähnlich wie viele Kollegen im Bereich der Bildenden Kunst auf einer substantiellen Verbindung beider beharren. PostskriptumIn seinem Buch „Die Höhlenbilder von Lascaux oder die Geburt der Kunst“[1] beschreibt Georges Bataille die durch verschiedene Forscher vorgenommenen Deutungen des eingangs vorgestellten Ereignisbildes aus dem Brunnenschacht von Lascaux.
Mit Bataille kann man davon ausgehen, dass das Rätsel dieser Szene im Brunnenschacht von Lascaux weiterhin ungelöst ist und vermutlich ungelöst bleibt. Bisher hat aber jeder, der über diese Höhle geschrieben hat, seine Deutung der Abbildung und des Geschehens vorgelegt. Anmerkungen[1] Bataille, Georges (1983): Die Höhlenbilder von Lascaux oder die Geburt der Kunst. Gütersloh: Bertelsmann. |
Artikelnachweis: https://www.theomag.de/81/am420.htm
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