Eine kurze Notiz zur Schwierigkeit, nicht nur ‚Am Anfang‘ zu sagen,
sondern auch am Anfang zu beginnen

Andreas Mertin

Zwei biblische Wortfolgen scheinen dem Christentum die Besinnung auf den Beginn der konkreten Bild-Geschichte des Menschen vor mindestens 40.000 Jahren schwer zu machen. Der eine Text steht in Genesis 1 und lautet:

 
„Am Anfang schuf Gott Himmel und Erde“

oder wie die Bibel in gerechter Sprache so poetisch schreibt:

So bildgewaltig diese Textstelle auch implizit ist und so viele Bilder sie in der Folge über den beschriebenen Sachverhalt in Gang gesetzt hat, so sehr hat sie andererseits aber auch den Blick in die menschliche Frühgeschichte und die Bedeutung der Bilder darin erschwert. Bis in die Gegenwart suchen fundamentalistische Kreise jede andere Lesart der Entstehung der Menschheit zu bekämpfen und meinen, wenn die Schöpfung als konkreter Akt Gottes sich vor 6000 oder 8000 Jahren ereignet hat, schlecht Menschen schon vor 40.00 Jahren Bilder geschaffen haben können. Aber selbst bei Theologen, die in der Tradition der Theologie seit der zweiten Hälfte des 20. Jahrhunderts der Evolutionslehre positiv gegenüber stehen, fällt ein merkwürdiges Schweigen zur Frühgeschichte des Menschen auf, so als ob daraus keine theologischen Schlussfolgerungen gezogen werden könnten. Dass am Anfang der Geschichte des Homo sapiens sapiens das Bild und nicht der Text oder die Schrift steht, ja dass das Bild konstitutive Bedeutung für das hat, was wir heute Mensch nennen, ist noch nicht ausreichend reflektiert.

Der andere, in dieser Frage noch wirkungsmächtigere Text steht in Johannes 1,1 und lautet

Ἐν ἀρχῇ ἦν ὁ λόγος - Im Anfang war das Wort.

Es erscheint irgendwie naheliegend, dass aufgrund der Formulierung hier zunächst an Worte, Sprache und Schrift gedacht wird und nicht an Bilder als Ausdrucksmittel der Sprache oder gar als eigenständige Sprache. Insbesondere in der evangelischen Kirche wurde dies zu einer Art ostentativer Selbstcharakterisierung. Man sei eben „Kirche des Wortes“, geprägt durch Lesen und Schreiben, Reden und Hören. In Zentrum stehe seit Martin Luther die Predigt.

Ich will nicht behaupten, dass beide Texte notwendig gegen die Erkenntnis der Bedeutung der Bilder am Beginn der menschlichen Geschichte stehen, sondern nur, dass sie de facto so gewirkt haben und wirken. Am Anfang der Menschheit steht ein konkreter Schaffensakt Gottes oder Gott als Wort selbst.

Selbstverständlich kann man diese Einsätze auch miteinander verbinden und selbst als Bild deuten und darstellen, wie wir es de facto in den Vorsatzblättern zur so genannten Bible moralisée finden (links das wohl bekannteste Bild aus der Ausgabe des Codex Vindobonensis 2554 um 1250, die heute in der Österreichischen Nationalbibliothek ist). Dabei sehen wir in einer Verknüpfung von Gen 1 und Joh 1 den präexistenten Christus bei der Erschaffung der Welt, den Logos, der die Welt konstruiert. Davon offenkundig beeinflusst ist das Schöpfungsbild des Meisters MS aus der Cranach-Schule in der Lutherbibel von 1534, das aber schon mehr auf das Wort und weniger auf das Machen Wert zielt, aber im Bild bleibt.

Aber die Anerkennung der visuellen Kultur der Menschen in der Frühzeit und die m.E. notwendige Distanz zu allen Versuchen, sie wieder vorschnell unter dem Aspekt der Magie in religiöse Konstruktionen einzubinden, stehen noch aus. Die Zeit zwischen 100.000 und 10.000 vor Christus spielt in der Theologie noch eine zu geringe Rolle. Eine Kulturtheologie der Gegenwart müsste aber mit den Anfängen anfangen.

Soweit ich es sehe, taucht nur in wenigen theologischen Büchern eine substanzielle Reflexion der Frühzeit des bildschaffenden Menschen auf. Etwa bei dem von Birgit Weyel und Wilhelm Gräb herausgegebenen Buch zur „Religion in der modernen Lebenswelt. Erscheinungsformen und Reflexionsperspektiven“ unter dem Stichwort „Religion und Kulturtheorie“. Allerdings ist es hier kein Theologe, sondern der Kultur- und Literaturwissenschaftler Hartmut Böhme, der diesen Gesichtspunkt einbringt.[1] Die Verknüpfung von frühgeschichtlicher Kunst und Religion sieht er im Moment der Magie, bei dem ich nun wieder Zweifel anmelden würde. Es gibt gerade für die älteste Kunst von Chauvet kaum Indizien, die dafür sprechen. Aber Böhme verweist wenigstens auf die Notwendigkeit, für eine Kulturtheorie mit einer Deutung der frühesten kulturellen Errungenschaften der Menschen beginnen zu müssen.

Bei dem von Reinhard Hoeps herausgegebenen Sammelband „Religion aus Malerei? Kunst der Gegenwart als theologische Aufgabe“ geht Gerhard Larcher ebenfalls auf diese Fragestellung ein, allerdings rekurriert er eher auf späte Ausdrucksformen der Höhlenmalerei ganz am Ende der Epoche: „Zunächst könnte man im Blick auf eine erste Reflexionsebene schon in der kulturgeschichtlichen Frühzeit von einer Einheit von Bild und Religion sprechen: Man denke an die Höhlenmalerei der Steinzeit von Altamira oder Lascaux (zwischen 15000 und 10000 v. Chr.) bzw. an Malerei bei den so genannten Primitiven. Hier sind die kultisch-mythische und die malerische Geste wohl gleich ursprünglich, etwa in der Beschwörung, d. h. Verehrung bzw. Bannung der Lebens- und Tötungsmacht, veranschaulicht durch Büffel - oder sonstige Tierherden bzw. Jagdszenen. Eine erstaunliche Frische und Lebendigkeit zeichnet diese archaischen Malereien aus. Malerei aus Religion oder Religion aus Malerei? - Prioritäten sind nicht zu entscheiden. Der Maler ist noch Magier oder Priester, Handwerker, Jäger, Künstler in einem.“[2] Nun ist es gerade das Interessante, das genau diese Bilder nicht am Anfang stehen, sondern erst am Ende der frühgeschichtlichen Kunst, so dass man durchaus mit einigem Recht von einer Entwicklung vom Bild zum Kult sprechen kann.

Die bei einigen Theologen vorausgesetzte These, alle Kultur gehe vom Kultus aus, sehe ich dagegen durch die beobachtbaren ältesten Artefakte nicht gedeckt. Es ist eine bloße Setzung, durch Argumente nicht untermauert. Wer „Am Anfang“ beginnen will, muss mit den vorhandenen ältesten Artefakten argumentieren. Die Diskussion darüber steht theologisch noch aus.

Anmerkungen

[1]    Böhme, Hartmut (2006): Religion und Kulturtheorie. In: Weyel, Birgit; Gräb, Wilhelm (Hg.): Religion in der modernen Lebenswelt. Erscheinungsformen und Reflexionsperspektiven: Vandenhoeck & Ruprecht, S. 208–230.

[2]    Larcher, Gerhard (2005): Kunst aus Malerei? Spurensuche in Moderne und Gegenwart. In: Hoeps, Reinhard (Hg.): Religion aus Malerei? Kunst der Gegenwart als theologische Aufgabe. Paderborn: Schöningh (IKON Bild + Theologie), S. 49–74. Hier S. 51.

Artikelnachweis: https://www.theomag.de/81/am421.htm
© Andreas Mertin, 2013