Politik mit Zahlen

Wie idea den Protestantismus mit Hilfe des Kommunismus kleinmacht

Andreas Mertin

Vertraue keiner Statistik, die du nicht selbst gefälscht hast, sagt der Volksmund und dieser Meinung sind viele, die sich statistische Daten für ihre ideologischen Zwecke nutzbar machen. Ein gutes Beispiel für diese Vorgehensweise bot Anfang März Helmut Matthies, seines Zeichens Leiter der Evangelischen Nachrichtenagentur idea in Wetzlar, in einem Kommentar zum Rücktritt des Papstes, den auch die katholische Plattform kath.net veröffentlichte. Er schrieb:

„1950 hatte die Evangelische Kirche in Deutschland (EKD) 42,2 Millionen Mitglieder, 2011 waren es noch 23,6 Millionen. Sank die EKD um 44,1%, schrumpfte die römisch-katholische Kirche nur um 0,8% auf 24,4 Millionen.“

O Gott, o Gott muss da der Protestant denken, 44% Verlust in gut 60 Jahren, da sind es dann vermutlich 2070 nur noch 13,2 Millionen Protestanten und 2130 nur noch 7 Millionen. Und bei den Katholiken, die ja so gut wie gar nicht schrumpfen, sind es immer noch 24 Millionen. Da kann man ja gleich katholisch werden. Und so packte das Portal kath.net die Story auch unter die Überschrift „Ist Deutschland katholisch geworden?“

Nun ahnt jeder, der diese Zahlen liest, dass etwas mit ihnen nicht stimmen kann. Man hat nicht einmal ansatzweise das Gefühl, die katholische Kirche würde in Deutschland die Überhand gewinnen, während die evangelische unter die 5%-Klausel fiele. Und tatsächlich macht sich Helmut Matthies im Grunde die antichristliche Strategie des DDR-Kommunismus zu eigen. Denn der Verlust, den er beschreibt, ist nahezu ausschließlich auf die der DDR-eigentümliche Variante des cuius regio eius religio zurückzuführen. Weil im Stalinismus der DDR die Christen – und das sind nun mal im überwiegenden Teil Protestanten – handfest verfolgt und mit gesellschaftlichen Sanktionen belegt wurden, sank ihre Zahl in der Bevölkerung drastisch. In der DDR blieben nach 40 Jahren Diktatur nur 33% der ursprünglichen Zahl an Protestanten übrig.

Und von den Katholiken? Raten Sie einmal! Wenn Sie das Textzitat von Matthies gelesen haben, wie groß waren wohl die Verluste bei den kirchentreuen Katholiken in der DDR? 1% oder 2%? Nein, die Katholiken verloren 63% ihrer Mitglieder, das heißt nach 40 Jahren DDR-Diktatur blieben nur 37% der ursprünglichen Zahl! Sie finden, das kommt verdammt nah an den Schwund der Protestanten heran? Finde ich auch. Wie kommt es dann aber zur grotesken Darstellung von Matthies? Nun ganz einfach: 1949 waren 80,5% der DDR-Bürger Protestanten, 1991 nur noch 27%. 1949 waren 15% der DDR-Bürger Katholiken, 1991 nur noch 5,6%. Wenn man das statt in %-Zahlen in Personenzahlen vorrechnet, scheint es so zu sein, als ob die Protestanten maßlos verloren und die Katholiken nur minimal geschrumpft seien. Nur ist es nicht so. Und wenn man diese Zahlen unzulässiger Weise mit den Zahlen der BRD vermischt – was keine seriöse Statistik auf der Welt macht -, dann kommt man zu den genannten Werten im Kommentar auf idea, weil in der Statistik des Katholizismus in Gesamtdeutschland die wenigen Katholiken der DDR keine Rolle spielen.

Aber selbst bei den Zahlen für die katholische Kirche hat Helmut Matthies noch getrickst, indem er einen Ausgangswert nimmt, der konfessionell absolut einseitig ist. Denn der „Fall“ der katholischen Kirche kommt erst nach 1990, also mit Johannes Paul II. und Benedikt XVI.

1990 besaß die römisch-katholische Kirche in Deutschland 28,5 Millionen Mitglieder. Und 2011 besaß sie weniger als 24 Millionen Mitglieder. Das sind allein seit 1990 16% Verlust (in der gleichen Zeit hatte die EKD einen Verlust von 19%). Würde man seriös arbeiten und argumentieren, käme man auf eine Kurve wie die unten abgebildete.

Wenn Sie als Leserinnen und Leser auf diese Kurve blicken, hätten Sie den Eindruck die Evangelische Kirche wäre am Ende, während die Katholische Kirche gerade Deutschland erobert? Ist Deutschland also katholisch geworden? Ganz sicher nicht!

Matthies geht aber mit seinem Zahlenspiel noch einen Schritt weiter, indem er schreibt:

„Warum also sollte Benedikt XVI. seine weltweit wachsende Kirche (weit über 100 Millionen Katholiken mehr allein in seiner achtjährigen Amtszeit) annähern an protestantische Kirchen, die in Deutschland stark zurückgehen?“

Gemerkt? Eine weltweit wachsende katholische Kirche gegenüber einer stark zurückgehenden Evangelischen Kirche in Deutschland. Schon wieder so ein Schocker. Aber das wird keiner glauben, denn jeder weiß, dass in Deutschland beide Großkirchen unter Verlusten zu leiden haben.

Theologisch interessant finde ich übrigens das Argument, man müsse sich nur stark wachsenden Gruppierungen und nicht schwächelnden annähern. Ob das wohl christlich ist?

Aber einmal angenommen, man ließe sich auf diese sozialdarwinistische Argumentation ein, was ist dann mit den Pfingstlern? Denn nach dieser statistischen Logik gehört den Pfingstlern die Zukunft: 1970 gab es weltweit 63 Millionen Pfingstler, im Jahr 2012 schon 628 Millionen. Eine Verzehnfachung der Mitgliederzahlen. Es war übrigens Idea selbst, die derartige Zahlen Anfang 2013 veröffentlichte, Matthies hätte nur die eigenen Meldungen lesen müssen. Aber man sucht sich eben die Statistik danach aus, was man gerade belegen will. Der Anteil der Christen der Großkirchen blieb dagegen in dieser Zeit weltweit nahezu konstant. Man vermutet, schon 2025 dürften 11% aller religiösen Menschen und 31% aller Christen weltweit Pfingstler sein. Papst Benedikt XVI. hat in seiner Regensburger Rede nicht umsonst als neueste Gefahr für den Katholizismus den Subjektivismus der Pfingstler benannt. Reformation – Aufklärung – Pfingstler lautet sein apokalyptischer Dreischritt der Bedrohung der katholischen Kirche. Nach der Logik von Matthies müsste sich der Papst den Pfingstlern annähern, weil diese eine stark steigende Gruppierung sind. Die werden sich aber wundern.

Aber das Szenario einer pfingstlerischen Übernahme Deutschlands besteht natürlich nicht, so wenig wie das einer katholischen Übernahme. Es ist zwar heute schon so, dass der Katholizismus in Deutschland die größte religiöse Minderheit darstellt. Aber das hat gesellschaftlich wenig zu bedeuten, so lange Deutschland so deutlich konfessionell nach Regionen gespalten ist.

Wozu also dieses merkwürdige politische Spiel mit Zahlen? Es dient einzig und allein der Denunziation der EKD. Diesem Ziel wird alles untergeordnet. Und wenn einem der Kommunismus dabei hilft, ist es auch recht. Aber es ist schon ein starkes Stück, sich die Verfolgung der Christen in der und durch die DDR im Interesse der Propaganda gegen die EKD zu eigen zu machen. Darauf muss man erst einmal kommen.

Artikelnachweis: https://www.theomag.de/82/am436.htm
© Andreas Mertin, 2013