Kunstpolitik der Kirchen

Eine Rezension

Eckhart Marggraf

Kirche und Kunst. Kunstpolitik und Kunstförderung der Kirchen nach 1945, hg. von Regine Heß, Martin Papenbrock und Norbert Schneider (Kunst und Politik. Jahrbuch der Guernica-Gesellschaft, Band 14/2012). Göttingen 2012, 179 S.

Unter dem Namen „Guernica-Gesellschaft“ wirkt um den emeritierten Karlsruher Kunsthistoriker Norbert Schneider eine Gruppe von Wissenschaftlern, die sich der Bearbeitung der Wechselwirkung von Politik und Kunst verschrieben haben. Neben einer seit 1989 mit bisher 17 Titeln belegten Schriftenreihe erscheint seit 1999 unter dem Titel „Kunst und Politik“ ein Jahrbuch dieser Gesellschaft. Der Schwerpunkt liegt dabei auf dem 20. Jahrhundert. Der vorliegende Band dokumentiert eine Tagung vom November 2011, die die Gesellschaft zusammen mit dem Fachgebiet Kunstgeschichte am Karlsruher Institut für Technologie (KIT, früher: Universität Karlsruhe) durchführte.

Mit diesem Unternehmen wollte die Guernica-Gesellschaft „die exemplarische Untersuchung des Verhältnisses von Kirche und Kunst, genauer: des Verhältnisses beider Konfessionen zur aktuellen ästhetischen Praxis“ in Angriff nehmen. Als Ergebnis fasst Norbert Schneider ein Nebeneinander von im wesentlichen zwei Parallelsystemen fest. Das eine bezeichnet er als „Dominanzsystem im Zeichen der Avantgarde oder, was erreicht zu haben sie sich selbst einredete, im Zeichen der 'Autonomie'“. Parallel dazu beobachtet er Systeme „für ästhetisch wenig bedeutend geltende Kirchenkunst“.

In einem ersten Hauptbeitrag stellt Norbert Schneider „Modernisierungen in Kirchenkunstkonzeptionen seit den 1970er Jahren“ dar. Nach einem Rückblick auf vorwiegend protestantische Tendenzen, sich auf die Herausforderungen der modernen Kunst einzulassen, für die exemplarisch Paul Tillichs Auseinandersetzung mit dem Expressionismus steht, und der Phase der Nachkriegszeit nach 1945, die er als Nachwirkungen der ästhetischen Diskussionen der katholischen Kirche der 20iger Jahre und der Vorbehalte in der Bevölkerung gegen das Paradigma der abstrakten Kunst diagnostiziert, beobachtet er in der kirchlichen Kunstrezeption einen Einschnitt im Jahr 1968.

„Gesellschaftskritische, tendenziell linke Orientierung“ wird hier festgestellt, die mit der Befreiungstheologie, der Frankfurter Schule gekennzeichnet und vor allem mit den Personen Johann Baptist Metz und Günter Rombold verknüpft und denen Rainer Volp und Horst Schwebel zur Seite gestellt werden. Deutekategorien seien hier der Existentialismus und die Mystik, „welche die tiefendimensionale Selbsterfahrung als Kommunikation mit Gott begreift.“ Mit der Person Friedhelm Mennekes werde seit Mitte der 80er Jahre „eine Öffnung der katholischen Kirche zu aktuellen Kunst“ verbunden, dessen Einsatz der „Kirche viele Sympathiewerte verschafft“ habe, „gedankt hat sie es ihm nicht immer“. Gleichzeitig habe Papst Johannes Paul II.die Autonomie „primär theologisch“ gedeutet und „erst sekundär...daraus die Autonomie der Kultur und Kunst deduziert“. Für Mennekes konstatiert Schneider ein „unterschwelliges Credo“, gewissermaßen eine Weiterführung der „Genietheorie“, „die Künstler werden für ihn zu Zeugen des Christentums“. Mennekes Existentialismus verbinde sich „mit einer Option für den Expressionismus der Nachkriegszeit. Hier bricht seine Darstellung auch überraschend ab, ohne weitere Linien in die Gegenwart auszuziehen oder auch nur den Blick in die Welt des Protestantismus hinein zu öffnen. Er konstatiert: „Man entdeckt hier die geheimen Querverbindungen der kurrenten Bildwissenschaft zur Theologie“ und stellt fest, „dass die Kunstgeschichte seit dem Iconic Turn in ihrer zur Bildwissenschaft mutierten Form der Theologie sogar noch neue dogmatische Fundamente liefert.“

Seine Parameter der Urteilsbildung lässt Schneider allerdings erst in einer Rezension am Ende des Bandes ganz deutlich werden, wo er die „Periode der Postmoderne“ charakterisiert und den Vorwurf erhebt, in ihr hätten eine „verquaste Metaphysik“ die Szene beherrscht oder „dekonstruktivistische Modelle mit lateralem Denken und potenzierter Selbstreferentialität den Begriff von Kunst“ definiert. Nach dem Kollaps der Finanzbrache habe man den Realismus wieder neu entdeckt. „An die Stelle der ästhetischen Selbstreferentialität, die ebenfalls fortgesetzt Simulakren gebar, trat nun nicht zufällig das neu belebte Interesse am Realen.“

Ergiebiger sind in diesem Jahrbuch die darauf folgenden Einzelbeiträge. Darunter eine Kurzfassung ihrer Karlsruhe Dissertation über Harald Duwe von Alexandra Axtmann unter dem Titel „Säkularisierte Abendmahlsdarstellungen als Skandal an Beispielen von Harald Duwe und Matthias Koeppel.“ Mit ihrer Interpretation würdigt sie gleichzeitig die Begleitausstellung der Evangelischen Kirche zur documenta VII 1982 „als positive Annäherung von Kunst und Kirche, da sie eigenständige künstlerische Positionen präsentierte und in die Betrachterdiskussion geworfen hat, die nicht das gängige Klischee von kirchlichem oder illustrativem Kunstwerk erfüllen.“

Claudia Pohl, Lehrbeauftragte am Karlsruher Institut, geht der Entstehungsgeschichte und den ersten Reaktionen auf „Gerhard Richters Fenster im Kölner Dom“ nach. Ihr Fazit: „Bei Richters Domfenster steht nicht mehr die Heilsnotwendigkeit der christlichen Lehre im Vordergrund, sondern die Anerkennung der ästhetischen Dimension des Kunstwerks als Äußerung des freien Subjekts“. Sie beobachtet ein „Interesse der Kirche an den bereits anerkannten Stars des Kunstbetriebs, denen sie einen geschützten, sakralen Raum für ästhetische statt religiöse Erfahrung zur Verfügung stellt.“

Besonders bemerkenswert scheint mir die Tatsache, dass sich das Jahrbuch mit dem Beitrag von Ulrike Scholz „Der Kunstdienst der Evangelischen Kirche in der DDR“, einem Themenfeld zuwendet, das größere Aufmerksamkeit in der westdeutsch dominierten kirchlichen Kunstdiskussion verdient hat. Die Verfasserin ist sächsische Stipendiatin des Zentralinstituts für Kunstgeschichte (München) und arbeitet an einer Dissertation über Markt, Kunst- und Museumspolitik während der Weimarer Republik und im Nationalsozialismus am Beispiel des Chemnitzer und später Düsseldorfer Galeristen Wilhelm Großhennig. Sie bietet einen ersten Einblick in dieses viel zu wenig beachtete Feld der kulturellen Arbeit der evangelischen Kirchen in der DDR, der den Blick für die klassische Moderne eröffnete und zugleich Ort für Präsentation von zeitgenössischer Kunst in überwiegender Selbstbestimmung und „unabhängig von dem staatlich geförderten Sozialistischen Realismus“war. Darüber hinaus bot der Kunstdienst auch Ausstellungen mit Werken westdeutscher Künstler. Er fungierte darüber hinaus „als Nische und alternativer Ausstellungsraum für ein vorwiegend christliches und somit staatlich benachteiligte Publikum und Künstlerklientel.“

Ergänzt wird diese Darstellung durch eine Studie von Gisela Schirmer über  die „Umdeutung christlicher Motive im Dienst der Gesellschaftskritik bei Willi Sitte.“ Die Schülerin von Kurt Bauch und Promovendin bei Jutta Held, der Gründerin der Guernica-Gesellschaft, hat sich in den vergangenen Jahren der Geschichte der Kunst in der DDR zugewandt und untersucht in dem vorliegenden Beitrag exemplarisch an Willi Sitte und Bernhard Heisig das Verhältnis des Kunstdienstes zu den vom sozialistischen Staat anerkannten Künstlern und erweitert so die Diskussion um das Verhältnis der protestantischen Kirche zur Kunst überzeugter Marxisten. Sie schließt damit an eine Arbeit von Gerd Brüne über Fritz Cremer (Bd. 15 der Schriftenreihe der Guernica-Gesellschaft) an und zieht die Linien auch bis in die Zeit nach 1989 aus.

Martin Papenbrock, Lehrstuhlvertreter am Karlsruher Institut und Mitherausgeber des vorliegenden Bandes, erweitert den zeitlichen Horizont der Beiträge durch eine Miszelle zur Ausmalung der katholischen Maria-Hilf-Kirche in Kehl-Goldscheuer unter dem Titel „Graffiti als Kirchenkunst“. Der Beitrag führt vor allem das Defizit des Jahrbuches vor Augen, das in dem Fehlen einer sachkundigen Darstellung gegenwärtiger Entwicklungen des Verhältnisses von Kunst und Kirche besteht. Auch der Beitrag von Regine Heß über „Brutalismus, Multifunktionalismus, 'forma materna'. Katholischer Kirchenbau zwischen Zweitem Vatcanum und Postmoderne kann diese Lücke nicht füllen, da er sich zu eng auf Peter Zumthors Kapelle Sogn Benedtg auf der Folie der Diskussion in der Zeitschrift „Das Münster“ bezieht. Ein interessantes Fallbeispiel für das Zusammenwirken von Architekten, Kirchenleitung, Gemeindemitgliedern und Öffentlichkeit beim Bau einer Kirche entfaltet mit großer Sorgfalt und intensiver Recherche Ulrich Kuder, emeritierter Kunsthistoriker in Kiel. Er vereint in seiner Person Theologie und Kunstgeschichte und kann daher den interdisziplinären Anforderungen des Themas voll genügen, was für die übrigen Beiträge nur sehr partiell zu beobachten ist. „Die Herz-Jesu-Kirche in München-Neuhausen als Neuinszenierung eines antiquierten Patroziniums“ schildert den Prozess des Wiederaufbaus einer abgebrannten Nachkriegskirche, in dem „Kompetenz und Professionalität die Oberhand gewannen“ und der zeigt, „dass die Kirche kein hierarchisch organisierter Konzern ist, dessen Spitze allein entscheidet, sondern eine öffentliche Institution, die sich ihrer Verantwortung bewusst ist.“  Wieweit diese Aussage gilt, muss sich allerdings immer wieder auch im Verhältnis Kunst und Kirche neu erweisen. Für Herz-Jesu in München-Neuhausen gilt: „Die Qualität dieses Baus liegt in der Gestaltung des Lichts.“ Dadurch wurde ein Raum geschaffen, „der sich allen Menschen öffnet.“

In einem Anhang sind neben einem Beitrag von Detlef Hoffmann, „Der Kniefall des Kanzlers der Bundesrepublik Deutschland Willy Brandt am 7. Dezember 1970 in Warschau. Die vieldeutige Stillstellung eines historischen Ereignisses“, ein Artikel von Hans-Ernst Mittig „Über den gegenwärtigen und zukünftigen Umgang mit Kunst aus der NS-Zeit“ am Beispiel der Berliner Martin-Luther-Gedächtniskirche und eine Reihe von Rezensionen und eine „Kommentierte Bibliographie“ zu Kirche und Kunst nach 1945 abgedruckt.

Bei allen Grenzen ist die Thematisierung des Verhältnisses von Kunst und Kirche im Horizont des Publikationszusammenhangs von Kunst und Politik bemerkenswert. Bei einer wünschenswerten Fortsetzung und Vertiefung wäre stärker auf eine interdisziplinären Ausrichtung und Verbreiterung der Fragestellungen zu achten.

Artikelnachweis: https://www.theomag.de/82/em1.htm
© Eckhart Marggraf, 2013