Paradigmen theologischen Denkens II |
Paradigmen theologischen Denkens - Auf der Suche nach einem für mich heute tragfähigen und sagfähigen GlaubenTeil IV: Weitere Verhältnisbestimmungen und GrenzziehungenStefan Schütze 5. Komplextheologisches Denken und verschiedene „Entwicklungsmodelle“ des „Gottesbewusstseins“Lektürebasis: Miles, Jack: God. A Biography, New York 1996 Edinger, Edward F.: Transformation of the God Image. Elucidation to Jung’s „Answer to Job“, Toronto 1992 Edinger, Edward F.: The New God-Image: A Study of Jung's Key Letters Concerning the Evolution of the Western God-Image, Wilmette (Illinois) 1996 Schaller, Fritz P.: Die Evolution des Göttlichen, Ostfildern 2006 Wright, Robert, The Evolution of God, New York 2009 Küstenmacher, Marion / Haberer, Tilman / Küstenmacher, Werner: Gott 9.0. Wohin unsere Gesellschaft spirituell wachsen wird, Gütersloh 42012 Ebert, Andreas: Wachstum heißt Wandel. Wie sich Individuen und Gesellschaften spirituell entwickeln. Rezension zum Buch „Gott 9.0“ im „Evangelischen Sonntagsblatt“, online veröffentlicht unter http://www.stmartin-muenchen.de/blog-extern/97-gott90.html am 29. 10. 2010 Dass Gott, bzw. das menschliche Bild von Gott nicht statisch, sondern dynamisch sind, und sich vielfach verändern und entwickeln, zeigt bereits ein grober Blick in die jüdische und christliche Bibel. Manchmal ist eine Selbstkorrektur der Gottheit, aus der sie verändert hervorgeht, geradezu die Pointe einer biblischen Geschichte. So ist es am Ende der Sintflutlegende derselbe Gott, den es erst „gereut“ hat, dass er die Menschen geschaffen hat, den es nun „reut“, dass er die „Strafe“ der Flut über sie gebracht hat, und der seine damit verbundene Selbstveränderung (der eine entsprechende Korrektur in Israels Gottesbild entspricht) feierlich so deklariert: „Ich will hinfort nicht mehr die Erde verfluchen um der Menschen willen; denn das Dichten und Trachten des menschlichen Herzens ist böse von Jugend auf. Und ich will hinfort nicht mehr schlagen alles, was da lebt, wie ich getan habe. Solange die Erde steht, soll nicht aufhören Saat und Ernte, Frost und Hitze, Sommer und Winter, Tag und Nacht.“ (Gen 8, 21f.) Und im Hoseabuch verkündet derselbe Gott, der Israel zuerst bestraft hat, seine Sinnesänderung mit den Worten: „Ich will nicht tun nach meinem grimmigen Zorn noch Ephraim wieder verderben. Denn ich bin Gott und nicht ein Mensch und bin der Heilige unter dir und will nicht kommen, zu verheeren.“ (Hos 11, 9) Diese immense schon biblische „Veränderlichkeit“ Gottes hat in einer originellen Weise Jack Miles in seinem Buch „God: A Biography“ herausgearbeitet, in dem er die Hebräische Bibel wie einen Roman zu lesen versucht, dessen Hauptfigur, Gott, sich von Beginn bis Ende der erzählten Geschichte vielfach verändert, teils gegensätzliche Pole miteinander verbindet, und dabei ständig dazulernt. Dabei geht die Bewegung vom „Handeln“ Gottes in der „Tora“ zu seinem „Reden“ durch die „Propheten“ und schließlich zu seinem zunehmenden „Schweigen“ in den „Schriften“.[1] Diese Bewegungsrichtung unterscheidet die „Hebräische Bibel“, so Miles, deutlich vom christlichen „Alten Testament“, das den „TaNaCh“ in seiner Reihenfolge umgedreht hat und der „Tora“ erst die „Schriften“ und abschließend die „Propheten“, also dem „Handeln“ Gottes erst sein „Schweigen“ und am Ende sein „Reden“ folgen lässt, wohl, um die prophetische Ankündigung des Messias als Ziel und Spitze des „Alten Bundes“ darzustellen.[2] Dass das Göttliche in der Geschichte der Menschen und ihres Verständnisses von ihm einem erheblichen Wandel unterliegt, wird noch in umfassenderer und anderer Weise deutlich, wenn man die Bibel nicht wie Miles synchron, d.h. in ihrer abgeschlossenen kanonischen Reihenfolge liest, sondern diachron, in den geschichtlichen Phasen ihrer Entwicklung, und diese diachrone Lektüre in die kulturelle Evolution der Menschheit und ihres Gottesbezuges insgesamt hineinstellt. Wie das aussehen kann, zeigen die unterschiedlichen auf die Evolutionen und Transformationen des menschlichen Gottesgedankens bezogenen Bücher, auf die ich im Folgenden genauer eingehen und deren Beitrag zur Deutung der Entwicklungsgeschichte des Gottesbildes ich hier auswerten möchte. Die Reihenfolge meiner Darstellung ist dabei nicht chronologisch, sondern gemäß der zunehmenden Globalität der religiösen Perspektive geordnet, von einer Konzentration der Aufmerksamkeit auf die Entwicklung des Gottesbildes in der jüdisch-christlichen Tradition, über die Hinzuziehung auch der islamischen Perspektive, bis zur Erweiterung des Horizontes auf die Einbeziehung aller Religionen und Kulturen der Menscheit. a) Der erste Beitrag zur geschichtlichen Entwicklung des Gottesbildes, den ich hier aufgreife, stammt von Edward F. Edinger bzw. Carl Gustav Jung. Edinger skizziert in seiner 1992 veröffentlichten Monographie „Transformation of the God Image“ in Auslegung von Carl Gustav Jungs „Antwort auf Hiob“ Jungs Entwicklungsmodell des menschlichen Gottesbildes innerhalb des jüdisch-christlichen Kulturkreises, das er in seinem 1996 veröffentlichten Folgebuch „The New God-Image“ weiter differenziert und entfaltet. In „Transformation of the God Image“ beschreibt Edinger Jungs Deutung der Entwicklung des westlichen Gottesbildes in vier Stadien: (1) Am Anfang stand „the polymorphous confusion of early Greek pantheism which gradually unified loosely under the hegemony of Zeus“. Die griechischen Götter waren nicht an den Menschen interessiert und behandelten sie nicht ethisch, sondern willkürlich. Die Menschen mussten die Folgen der vielfältigen „conflicts of the gods“ ertragen „who were perpetually interfering with human affairs on earth“. Dabei erfuhren sie sich als Opfer der Willkür dieser Götter „without the compensation of redemptive meaning to explain what was going on“.[3] (2) Doch mit dem „arrival of Yahweh as the tribal god of a small band of Semitic herdsmen“ kam es zu einer ersten „radical transformation“ des menschlichen Gottesbildes.[4] Dieser neue Stammesgott machte einen „Bund“ mit den israelitischen Stämmen und band sie exklusiv an sein göttliches Recht. „(T)hus monotheism was born“, und der jüdische Stammesgott wurde bald zum „universal Creator God whose scope included the whole universe“. Dieser neue Gott war „a mixture of opposites: he was both loving and wrathful, creative and destructive.“ Er forderte Recht und Barmherzigkeit, aber gleichzeitig auch blutige Opfer und unbedingte Verehrung.[5] (3) Mit der Hiobgeschichte kam es zu einer neuen „major transformation“ des Gottesbildes. Die Ungerechtigkeit des alten Willkürgottes, der wegen einer Wette mit dem Teufel den gerechten Hiob leiden ließ, wurde offenbar, und in der Folge war Gott gezwungen, in Christus Mensch zu werden, um sein früheres Verbrechen zu beheben. Die Ambivalenz des israelitischen Stammesgottes verschwand, und Gott wurde zum „loving father in whom there is no darkness“.[6] Diese zweite „Transformation des Gottesbildes“ hat sich für Jung christlich in der Entwicklung der Trinitätslehre und ihrer Erweiterung zu einer „Quaternität“ im Dogma von der „Himmelfahrt Marias“ vollendet. (4) Schließlich kam es in der Moderne zu einem neuen, tiefenpsychologischen Verständnis der menschlichen Gottesbilder: sie sind nach Jung archetypische Strukturen des kollektiven Unterbewussten. Die Götter werden zum archetypischen Symbol von Dingen „‘which cross my willful path violently and recklessly‘“[7]; alle biblischen Gottesbilder werden als gleichzeitige „‘utterances of the soul‘“[8] auf dem Weg zur Integration ihrer unbewussten Tiefen reinterpretiert. Die letzte Stufe der biblischen Entwicklung der Gottesrede, die Transformation des ethisch noch zweideutigen Bundesgottes Israels zum ethisch eindeutigen menschgewordenen Gott des Christentums steht dann tiefenpsychologisch gedeutet für die psychologische Integration der widerstrebenden Anteile des menschlichen Unterbewussten, für den Weg vom „Ego“ zum „Selbst“, den auch Sölle als Ziel der mystischen „Hinreise“ wieder aufgegriffen hat[9]: „‘God acts out of the unconscious of man and forces him to harmonize and unite the opposing influences to which his mind is exposed from the unconscious.‘“[10] b) In „The New God-Image“ teilt Edinger Jungs Deutung der Entwicklung des westlichen Gottesbildes dann nochmals anders in sechs Stadien ein, und gibt ihnen eine noch weitergehende Interpretation, die er einleitend so beschreibt: „The history of Western Man can be viewed as a history of its God-images, the primary formulations of how mankind orients itself to the basic questions of life, its mysteries. It was Jung‘s phenomenological discovery that the Western God image has undergone a whole series of transformations in the course of its evolutionary and historical development, and that we are now on the verge of another such evolutionary leap in the development of the God-image. We are right on the verge of witnessing the birth of a new God-image as a result of Jung’s work. It is an idea Jung developed most explicitly in his book Answer to Job.“[11] Für Jung ist das menschliche Gottesbild keine statische, sondern eine dynamische Größe, dessen Entwicklung tief verwurzelt ist im menschlichen Unterbewussten, und also nicht nur in der Kultur, sondern auch in der Biologie des Menschen. „The archetype of the God-image … is part of a dynamic process. It means that in the course of the evolution of the human species and in the historical-cultural development of the human species, the God-image is a living entity, a living process, that moves, unfolds, that develops and undergoes transformations.“[12] Edinger unterscheidet dann diesmal konkret folgende sechs Stadien der Entwicklung des Gottesbildes nach Jung, denen sechs Stadien der Entwicklung der menschlichen Psyche entsprechen: (1) Das animistische Stadium der „Jäger- und Sammler“ Kulturen, in dem „the primitive psyche experiences autonomous spirits everywhere: in animals, in trees, in places, in rivers“. Die gesamte Umgebung des Menschen ist belebt mit Projektionen der menschlichen Psyche.[13] (2) Das matriarchale Stadium der frühen „settled, agricultural communities“[14] der menschlichen Geschichte. Hier war „the great nourishing earth-mother“ die entscheidende religiöse Vorstellung des sich entwickelnden menschlichen Bewusstseins.[15] (3) Das Stadium eines hierarchischen Polytheismus in den ersten menschlichen Königreichen in Mesopotamien, Ägypten und Griechenland. Die Götter dieser ersten menschlichen Großkulturen waren nicht nur poetische Konstruktionen, sondern „experiental realities“ der sich entwickelnden menschlichen Pyche.[16] (4) Das Stadium der monotheistischen Stammesreligionen: Diese dritte große Transformation des Gottesbildes geschah in der Kultur des Nahen Ostens: „Out of the many deities of the ancient Near East, Yahweh emerged as the single, all-encompassing One for this little tribe of nomads, the ancient Hebrews.“[17] Dieser frühe Monotheismus ist aber noch religiös ambivalent und integriert weiter einen „latent dualism“ zwischen Gottes Bundestreue und Gottes Herrschaftswillkür.[18] (5) Das Stadium des Universalen Monotheismus: Das Christentum hat den Monotheismus der hebräischen Stammesreligionen dann universalisiert und auf alle Völker ausgeweitet. Der latente Dualismus des frühen jüdischen Monotheismus wird hier zunächst radikalisiert und in zwei widerstrebende Hervorbringungen des Göttlichen aufgeteilt. Der jüdische „Vatergott“ bekommt im Christentum zwei Söhne, „Christ and Satan“. „In order for Yahweh to turn into the all-good Christ-Son, he had to split off the all-bad Satan-Son“; dieser innere Konflikt im Göttlichen selbst hat die weitere Geschichte des Christentums bestimmt.[19] (6) Das Stadium moderner psychologischer Individuation, das die menschlichen Gottesbilder als „the phenomenology of the objective psyche“[20] reinterpretiert. Diese neue Sicht des menschlichen „God-image, as it lives itself out in one’s own individual psychology, as well as in the psychology of the collective“ führt zu einer „awareness of what the individual can do to help the process of transformation“, in dem die menschlichen Gottesbilder in einen „process of continuing incarnation“ in der Integration der widerstrebenden Anteile der menschlichen Psyche überführt werden.[21] In der weiteren Ausführung seines Buches arbeitet Edinger den engen Bezug von Jungs Konzept der Psyche und ihrer Entwicklung zum epistemologischen Denken Kants heraus: Kant, so Edinger, vollzog in der Geschichte der Epistemologie den entscheidenden Schritt „toward elaborating the nature of the reality of psychic subjectivity. Here again his basic discoveries are not so much philosophy as revelation. They are visions. He saw more deeply than anybody previously.“[22] Edinger erklärt Kants „transzendentalen Idealismus“ in folgendem, wie ich finde sehr aussagekräftigen Bild: „By analogy, it is as though one were looking through various peepholes in an enclosed room, peepholes composed of stained glass that have certain structures superimposed on them and with various images and colours imposed on them. Everything that reaches the inside from the outside must go through these little windows. All one can see is what the window lets through in the form it lets it through. What is on the other side is ultimate reality. One cannot know it without breaking the window. Since the window is the organic structure of one’s being, it is impossible as a living organism to break that window to find out. Therefore the thing in itself is essentially unknowable.“ Diese Erkenntnis Kants hat für Jung unmittelbare psychologische Konsequenzen: „Although Kant did not formulate it psychologically, as psychology had not reached that level yet, it means that all experience is psychic experience.“[23] Für Jung war Kant darum „the turning point for the modern psyche. Although not a philosopher“, so Edinger, „Jung may be seen in a pschological sense as a successor to Kant. Jung’s epistemological premise has its starting point in Kant … Kant by differentiating subjective factors from objective ones, established the basis of the scientific approach to the psyche.“[24] Edingers Bild für Kants epistemologische Erkenntnis erklärt m.E. auch sehr eindrücklich, warum für Kant (anders als noch für Thomas von Aquin, der zwar ebenfalls schon formulierte, dass alles menschliche Erkennen nur „secundum modum recipientis“ erfolgen kann, aber diese Einsicht dann nicht konsequent zu Ende dachte) eine göttliche Offenbarung, selbst wenn es sie gäbe, vom Menschen niemals als solche "erkannt" werden könnte: Alles, was Gott übernatürlich offenbart, könnte ebenfalls nur durch die engen Fenster mit ihren Glasstrukturen zu den Menschen in ihrem abgeschlossenen Raum gelangen, und würde deshalb ebenfalls vollständig die Gestalt dieser Filterstrukturen annehmen, und in seiner Unterschiedenheit von unseren sinnlichen und begrifflichen Wahrnehmungsstrukturen völlig unerkennbar bleiben. D.h., die epistemologische Struktur der menschlichen Psyche schließt die Möglichkeit übernatürlicher Offenbarungen tatsächlich faktisch aus. Insofern müssen auch die menschlichen „transformations of the God image“, egal ob man Jungs oder einer anderen Darstellung von ihnen folgt, tatsächlich evolutionär, kulturell und psychisch, und nicht durch Berufung auf (unmögliche) „übernatürliche“ Erkenntnisquellen gedeutet werden. c) Der zweite Beitrag zur geschichtlichen Entwicklung des Gottesbildes, den ich hier aufgreife, stammt von dem amerikanischen Wissenschaftsjournalisten und Bestsellerautor Robert Wright. Wright beschreibt in seinem 2009 erschienenen Buch „The Evolution of God“ eine Evolution des menschlichen Gottesgedankens innerhalb der drei großen „abrahamitischen“ Religionen Judentum, Christentum und Islam in fünf jeweils nochmals in sich differenzierten Phasen: (1) „The Birth and Growth of Gods“ (S. 9ff.): Diese erste Phase umfasst die frühen Stammesgottheiten der menschlichen „Jäger- und Sammler“ Periode, die Gottheiten der schamanischen Religionen, der ersten größeren „Chiefdoms“ und schließlich der antiken Stadtstaaten. (2) „The Emergence of Abrahamitic Monotheism“ (S. 99ff.): Diese zweite Phase umfasst die Entwicklung des Gottesglaubens im Alten Israel vom anfänglichen Polytheismus über die josianisch-deuteronomische Monolatrie, den frühen „imperialen Monotheismus“ Deuterojesajas bis zum „philosophischen Monotheismus“ des die Weltgeschichte durchwaltenden göttlichen Logos bei Philo von Alexandrien. (3) „The Invention of Christianity“ (S. 245ff.): Diese dritte Phase, die an der transethnischen Universalisierung des monotheistischen Gottesglaubens bei Philo anknüpft, reicht vom Reformjudentum des historischen Jesus, über die Zeit der frühen Kirche mit der ethischen Universalisierung des Gottesgedankens bei Johannes und Paulus, über die Zeit der großen trinitarischen und christologischen Streitigkeiten bis zur globalen Durchsetzung des christlichen Gottesbildes durch die römische Staatsreligion nach der „Konstantinischen Wende“. (4) „The Triumph of Islam“ (S. 329ff.): Diese vierte Phase umfasst das Leben des historischen Mohammed, der den jüdischen und christlichen Monotheismus für die arabische Welt adaptierte, vom „Empfang“ des Koran über Mekka und Medina bis zur Weiterentwicklung des islamischen Gottesbildes nach Mohammeds Tod. (5) „God goes global (or doesen’t)“ (S. 409ff.): Diese fünfte Phase umfasst die weitere weltweite, vielfach miteinander verwobene Entwicklung des monotheistischen Gottesgedankens bis in die Gegenwart. Durch die zunehmende Globalisierung aller menschlichen Kultur wurden auch die drei großen abrahamitischen Religionen gezwungen, in einen Dialog mit den anderen großen Glaubensrichtungen der Menschheit zu treten, und ihr eigenes Gottesbild ethisch zu refigurieren in die Richtung eines menschheitlichen moralischen Wachstums, für das „Gott“ zum Ausdruck des Glaubens an „a higher purpose, a transcendent moral order“ wird: „So if the God of the Abrahamitic faiths is to keep doing what he has often done before evolve in a way that fosters positive-sum outcomes and non-zero-sum games he has some growing to do. His character has to develop in a way that permits, for starters, Muslims, Christians and Jews to get along as globalization pushes them closer together.“[25] Mit dieser Entwicklung hin auf eine zunehmend ethische Grundorientierung menschlichen Wirklichkeitsbezugs ist der Gottesglaube in seiner Evolution weit über seine anfänglichen abergläubischen Wurzeln hinausgewachsen. Was einmal „as illusion(s)“ begann, ist in der „subsequent history of the idea of god“ immer mehr zu einer Ahnung von etwas geworden, was man „can meaningfully call divinity“. Anders gesagt: die ursprünglich weitgehend illusionäre menschliche Konstruktion einer Götterwelt, „in the course of evolving, has gotten streamlined in a way that moved it“ zunehmend näher an eine „less and less illusory“ Tiefendeutung der Welt[26]. Die gegenwärtige Situation der religiösen Geschichte der Menschheit, so Wright, gibt Anlass sowohl zum Pessimismus wie zum Optimismus im Blick auf die weitere ethische Entwicklung menschlicher Gottes- und Absolutheitskonzepte. Es kann sein, dass der Gottesglaube wieder in fundamentalistische und inhumane Richtungen abgleitet. Aber die bisherige Kraft des Gottesgedankens, sich immer wieder in eine moralischere und ethischere Richtung zu entwickeln, gibt auch Hoffnung für eine andere, positive Vision der Zukunft der Religion. d) Der dritte Beitrag zur geschichtlichen Entwicklung des Gottesbildes, den ich hier aufgreife, stammt von dem Schweizer Philosophen, Theologen und Buchautor Fritz P. Schaller, den ich im Dritten Teil meiner „Paradigmen Theologischen Denkens“ bereits ausführlicher besprochen habe.[27] Schaller nimmt in seiner 2006 veröffentlichten Monographie „Evolution des Göttlichen“ die gesamte Entwicklung des menschlichen Gottesdenkens in den Blick, konzentriert sich also nicht nur auf die drei „westlichen“ Traditionen von Judentum, Christentum und Islam, sondern auch auf die „östlichen“ Religionen von Hinduismus, Buddhismus und Taoismus. Dabei beschreibt er folgende Entwicklungsstufen des menschlichen Gottesbildes in der Folge der Veränderungen der grundlegenden menschlichen „Gesellschaftstypen“ und der mit ihnen verbundenen „Rahmenbedingungen menschlichen Lebens“: (1) Archaische Religionen der „Jäger und Sammler“. Das Göttliche manifestiert sich im Numinosen und in der Rätselhaftigkeit der Welt, deren der Mensch im Unterschied zum Tier, von dem er sich evolutiv abhebt, erstmals ansichtig wird. (2) Religionen der Agrarier und Hirten (Vedische Religion, Religion der Stämme Israels), die im „Übergang des Menschen zur Sesshaftigkeit und Argrargesellschaft“ entstehen. Das Göttliche manifestiert sich in vielfältigen Stammes- und Clangottheiten. (3) Religionen der Antiken Hochkulturen (Gottkönigsreligionen in Mesopotamien, Ägypten, Griechenland, und bei den Azteken, Maya, Inka), die sich im Übergang von der Argrargesellschaft zur frühen Städtebildung herausbilden. Das Göttliche manifestiert sich jetzt entsprechend der neuen hierarchischen Gesellschaftsordnungen dieser ersten „Hochkulturen“ in der Gestalt monarchischer Stadt- und Landgötter. (4) Religionen der Monistischen Zivilisationen des Ostens (Upanishaden, Buddhismus, Konfuzianismus, Taoismus). Die ursprünglich polytheistischen Konzepte des Göttlichen mutieren hier zur Vorstellung einer alles durchdringenden göttlichen Grundwirklichkeit, die sich in den einzelnen Gottheiten der Vergangenheit lediglich unterschiedlich manifestiert hat. (5) Religionen der Monotheistischen Zivilisationen des Westens (Judentum, Christentum, Islam). Die ursprünglich polytheistischen Konzepte des Göttlichen mutieren hier zur Vorstellung des einen universalen Schöpfer- und Erlösergottes, wie sie geschichtlich im Übergang von Israels Volksgott Jahwe zur monotheistischen Gottesvorstellung des Judentums Gestalt gewinnt. (6) Religionen der multikulturellen demokratischen Gesellschaften (Religionen der Moderne und Postmoderne): Das Göttliche manifestiert sich mehr und mehr global im Horizont des „Unbedingt Menschlichen“, vor dessen Hintergrund die bisherigen Gottesvorstellungen heute überprüft und angepasst werden müssen. „Im Prinzip dürfte ein globaler Konsens darüber bestehen, dass die Erde als Lebensraum für die künftigen Generationen von Lebewesen, die Vegetation, die Fauna, die Menschheit zu erhalten ist. Nicht mehr bloß für das Dorf oder die Ethnie oder die Nation oder das Reich. Nein für alle, in Frieden und Gerechtigkeit und Solidarität. Eine Utopie vom Unbedingt-Menschlichen zeichnet sich ab.“[28] e) Schließlich greife ich als letzten Beitrag zur geschichtlichen Entwicklung des Gottesbildes hier nochmals den Inhalt des 2012 in 4. Auflage erschienenen „heimlichen“ deutschen populärtheologischen Bestseller „Gott 9.0. Wohin unsere Gesellschaft spirituell wachsen wird“ von Marion und Werner Küstenmacher und Tilman Haberer auf, den ich in meinem Beitrag „Gott 9.0. Eine Rezension“[29] bereits ausführlicher rezensiert habe. Die drei Autor/inn/en entwerfen in im Anschluss an die entwicklungspsychologischen Arbeiten des amerikanischen Psychologen Clare Graves und die sog. „Integrale Spiritualität“ des amerikanischen Bestsellerautors Ken Wilbers eine Theorie der Entwicklung des menschlichen Gottesbewusstseins in bisher neun Stufen der menschlichen Bewusstseins-, Kultur- und Religionsgeschichte, die die Menschheit aus Sicht der drei Autoren in ihrer Geschichte durchlaufen hat, und die jeder Mensch (zumindest teilweise) in seiner individuellen Entwicklung nachvollzieht. Wie Schaller richten sie dabei ihr Augenmerk ebenfalls auf die gesamte Entwicklung der Menschheit und beschränken es nicht auf die drei westlichen Monotheismen, auch wenn auf diesen ihr Hauptaugenmerk liegt. Die neun religiösen Entwicklungsstufen nach „Gott 9.0“ hat Andreas Ebert in seiner Rezension dieses Buches für das „Evangelischen Sonntagsblatt“ so zusammengefasst: „Stufe 1.0, Beige, Individuum, Existieren: Das nackte kreatürliche Überleben eines Menschen oder einer Gruppe am Anfang (und oft am Ende) des Daseins. Die älteste Menschheitskultur vor 100 000 Jahren. Gott hat noch keine Gestalt und keinen Namen. Wenn es etwas "Göttliches" gibt, dann ist es die nährende Mutterbrust. Der Säugling (und der Greis). Stufe 2.0, Purpur, Kollektiv, Sicherheit. Purpur ist die magische Stufe. Thema ist die Zugehörigkeit zur Gruppe, böse Mächte müssen abgewehrt, gute Geister beschworen werden. Märchenalter in der Kindheit, Schamanismus, Ahnenkult, Stammesgötter (Abraham), die nur für den eigenen Clan zuständig sind. Stufe 3.0, Rot, Individuum, Macht. Ausbruch aus dem Clan, Eroberung, Aggression, Selbstbehauptung. Wer ist stärker? Biographisch das Trotzalter. Religiös: Machtgötter und Machtkampf der Götter, Jahwe als Kriegsgott, der sich als stärker erweist als die anderen Götter. Stufe 4.0, Blau, Kollektiv, Ordnung: Moral, Regeln, Gewissen, hierarschische (sic!) Struktur (oben und unten), Sündenbewusstsein und Ausgrenzung der Sünder, Könige, Beamte, Priester. Der eine und allmächtige Gott, der Richter. Dualistisches Weltbild: ‚drinnen‘ und ‚draußen‘ Stufe 5.0, Orange, Indviduum, Freiheit: Ich-Bewusstheit, Vernunft, Technik, Effizienz, Aufklärung. Gott geht entweder verloren (Atheismus) oder wird zum persönlichen Gott (Pietismus), Reformation, Rationalismus, Erfolgsstreben. Stufe 6.0, Grün, Kollektiv, Gleichheit: Konsens, Integration, Sensibilität, Gewaltlosigkeit, Teams, Therapeuten, menschenfreundlicher und mütterlicher Gott, der nicht verurteilt, Gott auch außerhalb der eigenen Religion. Abschaffung von Sklaverei. Feminismus, Rassengleichheit, Naturschutz. Stufe 7.0, Gelb, Individuum, Zusammenschau: Vereinigung von Gegensätze, Paradoxes und Komplementäres aushalten (Jesus ist Mensch UND Gott), Intuition, vernetztes (systemisches) Denken, Eigenverantwortung. Stufe 8.0, Türkis, Kollektiv, Universalität: Alles ist mit allem verbunden, Weltethos, global agierende Gemeinschaften, Gott als Prozess und Poet der Welt, Harmonie. Stufe 9.0, Koralle, Individuum: Noch nicht beschreibbar, Gott als ‚Werdenkönnen‘.“[30] f) In zusammenschauender Auswertung dieser unterschiedlichen Entwicklungsmodelle für das Göttliche bzw. das menschliche Gottesbild will ich hier noch folgende Überlegungen zur Verhältnisbestimmung zwischen ihnen und dem Gesamthorizont meiner „Paradigmen theologischen Denkens“ anschließen: Die Einordnung menschlicher Religion und ihrer Transzendenzkonzepte in ein evolutionäres Rahmenkonzept entspricht einem Grundanliegen meiner „Suche nach einem für mich heute sagfähigen und tragfähigen Glauben“, das ich im ersten Teil meiner „Paradigmen“ als die „erste ‚Rekonstruktionsaufgabe‘“ für ein heute plausibles theologisches Denken bezeichnet habe, nämlich „die Einordnung theologischer Aussagen in unsere heutige wissenschaftliche Kosmologie, unser Verständnis der Entwicklung des Universums als ganzem, und der Entwicklung des Lebens auf unserer Erde im Besonderen“.[31] Dazu gehört es, wie es Gerd Theißen formuliert hat, „die Entstehung der biblischen Religion in den Rahmen einer naturwissenschaftlichen evolutionären Weltinterpretation einzuzeichnen“[32], und also auch nach der evolutionären Dynamik in der Geschichte der Entwicklung von Gottesvorstellungen wie den „monotheistischen“ der jüdisch-christlichen Tradition zu fragen. Dass unser Gottesbild sich wandelt, kann man theologisch auch als Teil der menschlichen Antwort auf eine zunehmende Selbstoffenbarung des Göttlichen interpretieren. Gott als lebendig und wandelbar zu begreifen, unterscheidet zudem die biblische Rede vom „Gott Abrahams, Isaaks und Jakobs“ von einer am Gedanken der „Unwandelbarkeit“ orientierten „philosophischen“ (griechisch-aristotelischen) Gottesrede.[33] Versteht man zudem mit Gordon Kaufman alles menschliche Reden von Gott konsequent geschichtlich, als „through-and-through human work, a constructive activity of the imagination [34], dann wird die Perspektive eines fortschreitenden evolutionären Werdens für jedes menschliche Gottesbild erst recht unabweisbar. „Konstruktion“ heißt dabei nicht beliebige „Erfindung“; Menschen entwerfen ihre grundlegenden Konstruktionen der Wirklichkeit nicht „nach Lust und Laune“, sondern, wie auch der postmoderne epistemologische „Konstruktivismus“ betont, immer gegen den Widerstand der konstruierten Wirklichkeit selbst; ihre Konstruktionen müssen „viabel“ und „plausibel“ sein, wenn sie sich im Leben bewähren und über den Augenblick hinaus Bedeutung haben sollen. Darum sind menschliche „Werte“, wie Hilary Putnam in seinem Buch „Jewish Philosophy as a Guide to Life“ schreibt, zwar sicherlich menschlich konstruierte Größen, aber keine freien „Erfindungen“, denn die Menschen antworten mit ihrer Wertekonstruktion auf eine vorgegebene Struktur der Wirklichkeit selbst: „Values may be created by human beings and human cultures, but I see them as made in response to demands that we do not create. It is reality that determines whether our responses are adequate or inadequate. Similarly, my friend Gordon Kaufman may be right in saying that ‚the available God‘ is a human construct, but I am sure he would agree that we construct our images of God in response to demands that we do not create, and that it is not up to us whether our responses are adequate or inadequate.“[35] Die Realität Gottes ist also für Putnam im Anschluss an Dewey „the reality of an ideal“; Gott ist, mit Dewey gesprochen, „a human projection that embodies our highest ideals“. Das heißt aber eben nicht, dass unser menschlicher Gottegedanke „merely subjective“ und beliebig wäre. Unsere Werte und Ideale sind zwar tatsächlich die Werte und Ideale von „Subjekten“, „of human individuals and communities. But which values and ideals enable us to grow and flourisch is not a mere matter of ‚subjective opinion‘; it is something one can be right or wrong about“. In einem pragmatischen Sinne können unsere Werte und Ideale also tatsächlich „objectively right“ sein, wenn auch immer in einem „reappraisable and revisable“ Sinn. Das macht unsere Ideale aber nicht blass und unwirklich, jedenfalls, wenn sie „lebendige Ideale“ sind: „Think how often such ideals as equality and justice have called forth deeds of great courage and dedication. If these ideals had not at times been overwhelmingly ‚real‘ to some individuals … this would be a far more intolerable world than it is.“[36] Man kann also auch bei einem Verständnis von Theologie als „imaginativer menschlicher Konstruktion“ den Horizont einer zunehmenden „Offenbarung“ oder „Erschließung“ des Göttlichen in der Geschichte seiner sich verändernden Konzeptualisierung durch die Menschen insofern theologisch rekonstruieren, dass man sagt: In der „Evolution des Göttlichen“ spiegelt sich eine zunehmende evolutionäre „Adaption“ unserer menschlichen Leitvorstellungen an die Wirklichkeit selbst, auf die die unterschiedlichen Gottesbilder der Menschen in ihren „Mutationen“ immer neu geantwortet haben. Religion als kulturelle Symbolisierung einer übergreifenden Wirklichkeitsdeutung, ist so Gerd Theißen, immer auch ein Bemühen um „Entsprechung zu einer letzten Wirklichkeit“[37], und in der „kulturellen Evolution“ des Menschen können die sich wandelnden Gottesbilder der Religionen als „kreative Mutationen“ verstanden werden, die eine immer bessere Anpassung der Menschen an die sie umgebende Wirklichkeit zur Folge hatten.[38] Was bedeutet das nun konkret für den Umgang mit den hier dargestellten unterschiedlichen Entwicklungsmodellen des menschlichen Gottesbewusstseins? Es kommt hier, wie ich meine, nicht so sehr darauf an, welchem Entwicklungsmodell wir am Ende tatsächlich folgen, als dass wir lernen, Gott, Welt und Mensch insgesamt als vielfach ineinander verwobene Prozesse des Werdens, und damit evolutiv, adaptiv und dynamisch zu verstehen. Bei allen Unterschieden haben alle hier rezipierten Modelle einer Beschreibung der Evolution menschlicher Gottesvorstellungen dabei m.E. doch eine vierfache Grundtendenz im Blick auf die Entwicklungsrichtung menschlichen Gottesdenkens gemeinsam: (1) eine Tendenz zur Globalisierung des Gottesglaubens: „God goes global“, so formuliert es Roberg Wright[39]. Dieser Gedanke an eine zunehmende Globalisierung des menschlichen Gottesbewusstseins kann u.a. an den Gedanken einer werdenden „World-Theology“ von Wilfred Cantwell-Smith anknüpfen[40], den Gedanken einer neuen „konvergenten Spiritualität“ von Keith Ward[41], und den Gedanken einer neuen „global …. and humanistic future“ der religiösen Menschheitsentwicklung nach Lloyd Geering: „The radically new age we have entered is requiring us to migrate from the supposed certainties of our own cumulative tradition to the much larger, but as yet fluid and unformed global culture encompassing all of humankind. All of us today, whether we be Christians, Muslims, Hindus, humanists, agnostics or whatever, are living in an era of transition from our own particular cultural tradition to the coming global culture of humankind“.[42] Das bedeutet, dass das menschliche Gottesbewusstsein in seiner Evolution tatsächlich zunehmend global geworden ist. (2) eine Tendenz zur Humanisierung des Gottesglaubens: „Eine Utopie vom Unbedingt-Menschlichen zeichnet sich ab“, so formuliert es Fritz Schaller in seiner Darstellung der „Evolution des Göttlichen“.[43] Diese Tendenz zur Humanisierung des Gottesbildes entspricht nach Robert Wrights „Evolution of God“ der evolutionärem Tendenz zur Entwicklung altruistischer und kooperativer „non-zero-sum games“[44] in der menschlichen Kultur überhaupt: „(C)ultural evolution leads more and more people to play non-zero-sum games at greater and greater distances.“[45] Und: „It’s pretty remarcable: natural selection’s invention of love in some anonymous animal many millions of years ago was a prerequisite for the moral imagination, whose expansion, here and now, could help keep the world on track.“[46] Nach Gordon Kaufman ist für unsere heutige Rekonstruktion des Gottesgedankens die Einsicht in die relativierende und humanisierende Bedeutung aller menschlichen Gottesrede entscheidend: „I think it can be argued that the conception of an ultimate point of reference for human existence and the world … performs two indispensable functions for human life, what we may call a ‚relativising‘ function and a ‚humanising‘ function.“[47]. Entsprechend ist für ihn die Kraft zur „humanisation“ menschlicher Kultur das zentrale Kriterium zur Deutung aller religiösen Entwicklung.[48] Das entspricht der zweiten hier festgehaltenen Grundtendenz, dass das menschliche Gottesbewusstsein in seiner Evolution tatsächlich zunehmend human geworden bzw. humanisiert worden ist. (3) eine Tendenz zur Spiritualisierung des Gottesglaubens: Die verschiedenen evolutionären Entwicklungskonzepte des Gottesbewusstseins und überhaupt die verschiedenen von mir in meinen „Paradigmen“ untersuchten Rekonstruktionen menschlicher Gottesrede im Rahmen eines evolutionären Geschichts- und Weltbildes betonen immer wieder stark die Bedeutung der mystischen und apophatischen Traditionen der menschlichen Religionen. Für sie ist Glauben ein in allen Religionen zu findender innerer Weg, nicht die äußere Verpflichtung auf die propositionalen Dogmen einer bestimmten Religion. In diesem Sinne hat etwa Dorothee Sölle formuliert: „Mystik taucht in den verschiedensten Religionen aber auch außerhalb als Erfahrung und gemeinsame Bewegung auf. In einem Bild gesprochen, stelle ich mir die Weltreligionen in einem Kreis vor, der sein Zentrum im Geheimnis der Welt, in der Gottheit hat.“[49] Dem entspicht, dass das menschliche Gottesbewusstsein in seiner Evolution tatsächlich zunehmend mystisch und spirituell geworden ist. (4) Eine Tendenz zur „Integrativierung“ des Gottesglaubens: Nach Keith Ward ist die Entwicklung menschlicher Religion heute in eine dritte, integrative Phase einer „convergent spirituality“ und eines „Socratic faith“[50] eingetreten. Gordon Kaufman spricht von einem „empowerment for radical inclusiveness rather than exclusiveness“, das die heute nötigen Rekonstruktionen des Gottesgedankens bestimmen muss, „an empowerment that encourages gratitude and respect for the humanity of every person and community, not only to those who happen to agree with us.“[51] In diesem Gedanken liegt auch eine gewisse Übereinstimmung meiner „Paradigmen theologischen Denkens“ mit der „Integrale Spiritualität“ Ken Wilbers, auf die das theologische Entwicklungskonzept von „Gott 9.0“ hinausläuft, ohne dass ich mir die panpsychistische Tendenz dieser spezifischen Deutung des evolutionären Denkens insgesamt zu eigen machen könnte.[52] Dem entspricht die Einsicht, dass das menschliche Gottesbewusstsein in seiner Evolution tatsächlich zunehmend „integral“, oder, wie ich selbst es lieber ausdrücken würde, integrativ geworden ist. Diese evolutionär zunehmend globale, humane, mystische und integrative Ausrichtung menschlichen Gottesglaubens beschreibt dabei keine lineare Entwicklung, und ihre Behauptung verneint nicht die in unserer Gegenwart z.T. ebenfalls noch stark ausgeprägten Gegentendenzen zur weiteren partikularisierenden, dehumanisierenden, politisierenden und polarisierenden Wirkung mancher religiösen Weltorientierungen und Gotteskonstruktionen, wie ja die Ereignisse um die und nach den Anschläge(n) vom 11. September 2001 deutlich gezeigt haben. „Evolution meanders more than it progresses“ haben Michael Murphy und George Leonard zur Frage eines „Fortschritts“ in den evolutionären Prozessen von Natur und Kultur formuliert[53], und Carter Phipps formuliert in seinem Buch „Evolutionaries“ entsprechend: „Every step forward presents its own unique challenges. Evolution is not a simplistic all-or-nothing affair. It meanders more than it progresses, but it does progress.“[54] Entsprechend fügt Robert Wright seinem optimistischen „God goes global“ sogleich ein relativierendes „or doesn’t“ hinzu[55]. Insofern geht es bei diesen vier Zielbstimmungen für die „Evolution des Göttlichen“ in der menschlichen Kultur weniger um den Ausweis einer eindeutigen Teleologie der Entwicklung menschlicher Religiosität als um die Formulierung einer Hoffnung in Bezug auf „the overall direction of future human history“, wie Gordon Kaufman es augedrückt hat, einer Hoffnung auf „truly creative movements toward ecologically and morally responsible, pluralistic human existence …, grounded on the mystery of creativity in the world“[56] Auch wenn es keine Garatie für einen ethischen „Fortschritt“ in der Religiosität der Menschheit gibt, gibt es, meine ich, doch in der geschichtlichen Gesamtperspektive auf die „Transformations of the God Image“, die die menschliche Kultur hervorgebracht hat und noch hervorbringt, Anlass, eine „Bewegungsrichtung“ auf eine evolutionär zunehmend globale, humane, mystische und integrative Ausrichtung menschlichen Gottesglaubens zumindest „regulativ“ (Kant) zu beschreiben und herauszuarbeiten.
Anmerkungen[1] Miles, God, 10-12 [2] Miles, God, 17f. [3] Edinger, Transformation, 130 [4] Edinger, Transformation, 130f. [5] Edinger, Transformation, 131 [6] Edinger, Transformation, 131 [7] Edinger, Transformation, 14 [8] Edinger, Transformation, 132 [9] s. oben, den Abschnitt „2. Komplextheologisches Denken und Dorothee Sölles mystische Schriften“ [10] Edinger, Transformation, 134 [11] Edinger, New God-Image, XIII [12] Edinger, New God-Image, XIV [13] Edinger, New God-Image, XVI [14] Edinger, New God-Image, XVIII [15] Edinger, New God-Image, XVII [16] Edinger, New God-Image, XVIII [17] Edinger, New God-Image, XIX [18] Edinger, New God-Image, XX [19] Edinger, New God-Image, XXf. [20] Edinger, New God-Image, XXI [21] Edinger, New God-Image, XII [22] Edinger, New God-Image, 6 [23] Edinger, New God-Image, 7 [24] Edinger, New God-Image, 8 [25] Wright, Evolution of God, 437 [26] Wright, The evolution of God, 4 [27] vgl. „‘Gott‘, ‚Welt‘ und ‚Mensch‘ im 21. Jahrhundert, 217-222 [28] vgl. meine ausführlichere Darstellung dieser Entwicklungsstufen des Göttlichen nach Schaller in „‘Gott‘, ‚Welt‘ und ‚Mensch‘ im 21. Jahrhundert, 220ff.; dort sind auch alle Originalzitate Schallers belegt. [29] In: Tà katoptrizómena. Das Magazin für Kunst, Kultur, Theologie, Ästhetik. Heft 81, Jahrgang 15/2013, https://www.theomag.de/81/sts7.htm [30] Rezension von Andreas Ebert im „Evangelischen Sonntagsblatt“; s. Literaturverzechnis [31] „‘Gott‘, ‚Welt‘ und ‚Mensch‘ im 21. Jahrhundert, 24 [32] Theißen, Zur Bibel motivieren, 40 [33] vgl. Blaise Pascals „Mémorial“ mit seinem berühmten Ausruf: „FEUER Gott Abrahams, Gott Isaaks, Gott Jakobs, nicht der Gott der Philosophen und Weisen“; zitiert nach Hailer, Glauben und Wissen, 39; vgl. zum Zusammenhang 37ff. [34] Kaufman, Creativity, 120 [35] Jewish Philosophy, 6; vgl. Dorothee Sölles oben im Abschnitt „2. Komplextheologisches Denken und Dorothee Sölles mystische Schriften“ zitierte ganz ähnliche Gedankenführung: „„Nicht, dass wir projizieren, ist zu kritisieren, wenn erst verstanden ist, dass Religion eine wesentliche Form menschlicher Kreativität darstellt; aber was wir inhaltlich als Ziel, Wert, letzte Größe entwerfen und ansehen, ist entscheidend.“ (Sölle, Hinreise, 87) [36] Jewish Philosophy, 101f. [37] Vgl. Theißens Definition von Religion in „Die Religion der ersten Christen“, 19: „Religion ist ein kulturelles Zeichensystem, das Lebensgewinn durch Entsprechung zu einer letzten Wirklichkeit verheißt.“ [38] vgl. meine Darstellung von Theißens Gedanken im Zusammenhang in „‘Gott‘, ‚Welt‘ und ‚Mensch‘ im 21. Jahrhundert, 25f. [39] Wright, Evolution of God, 409ff. [40] vgl. meine Darstellung der entsprechenden Gedanken von Cantwell-Smith in „‘Gott‘, ‚Welt‘ und ‚Mensch‘ im 21. Jahrhundert, 72ff. [41] vgl. meine Darstellung der entsprechenden Gedanken von Ward in „‘Gott‘, ‚Welt‘ und ‚Mensch‘ im 21. Jahrhundert, 58ff. [42] vgl. meine Darstellung der entsprechenden Gedanken von Geering in „‘Gott‘, ‚Welt‘ und ‚Mensch‘ im 21. Jahrhundert, 250ff.; alle Belege dort. [43] Schaller, Evolution des Göttlichen, 303f. [44] Wright, Evolution of God, 437 [45] Wright, Evolution of God, 457 [46] Wright, Evolution of God, 458 [47] Kaufman, Nuclear Age, 33 [48] vgl. Kaufman, Diversity, 40f. [49] Sölle, Mystik und Widerstand, 76; vgl. insgesamt meine Behandlung des Themas Mystik bei Kant und Sölle im Abschnitt „2. Komplextheologisches Denken und Dorothee Sölles mystische Schriften“ [50] Ward, Vision, 134 [51] Kaufman, Mystery, xiii [52] vgl. dazu insgesamt meine Überlegungen in meinem Aufsatz „Gott 9.0. Eine Rezension“ In: Tà katoptrizómena. Das Magazin für Kunst, Kultur, Theologie, Ästhetik. Heft 81, Jahrgang 15/2013, https://www.theomag.de/81/sts7.htm [53] zitiert nach Phipps, Evolutionaries, 90 [54] Phipps, Evolutionaries, 97 [55] Wright, Evolution of God, 409 [56] Kaufman, In the beginning, 48
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Artikelnachweis: https://www.theomag.de/84/sts08.htm
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