rähtselaft

Ein Projekt

Andreas Mertin

Ein Projekt des Künstlers Thom Barth in der Klinik für Psychiatrie, Psychosomatik und Psychotherapie Friedrichshafen stellt das hier anzuzeigende Buch mit dem schönen Titel „Schüssel, Latten und Vitrine“ vor. Und mit diesem Titel sind unterschiedliche Kunst- und Denk-Objekte des Künstlers bezeichnet, die er vor der Klinik installiert hat.

Ich kenne wenige Kunstobjekte, die derart präzise und reflektiert auf den Ausstellungsort bezogen sind, wie dieses. Vor der Front des Flachbaus hat Thom Barth eine Vitrine aufgestellt, die zahlreiche scheinbar zufällige, in Wirklichkeit aber höchst sorgfältig konstellierte Objekte zeigt. Es könnte sich um Fundstücke handeln oder um Elemente einer Haushaltsauflösung, aber es könnte auch das Ergebnisd einer Sammlertätigkeit sein, die wir in den mittelalterlichen Wunderkammern der Klöster repräsentiert finden, in denen noch das Unzusammenhängste in einen Zusammenhang gebracht wurde. Bei Thom Barths Vitrine finden wir durchbohrte Bücher zur Erblehre, Medizinampullen, aufgestapelte Kaffeetassen, Plüschtiere, Folienrollen und –Kuben, elektronische Bauteile und vieles mehr. Auf den Untergrund der einzelnen Ebenen eingezeichnet finden sich Schiffe, die höchst komplexen Routen folgen und die einzelnen Fragmente der Installation wie Inseln ansteuern. Das klingt wie Jean-François Lyotards Absage an den alles übergreifenden Rationalismus, seine Aufgabe verbindlicher „großer Erzählungen“. Statt dessen gibt es eine Vielfalt von Diskursen, „die mit je eigenen Regeln der Konstitution und Verknüpfung von Aussagen folgen und mit eigenen Kriterien der Rationalität und Normativität einhergehen können.“ Erkennen heißt hier bei Thom Barth Kombinieren, Konstellationen herstellen, Verknüpfungen nachgehen.

Ist die Vitrine auf der einen Seite des Zugangs zum Klinikum, so finden sich die Latten auf der anderen Seite, aber auch an anderen Stellen des Gebäudes. Im Vergleich zur Kompaktheit eines Flachbaus vermitteln die Latten eine Einsicht in die Konstruktivität, aber auch die Fragilität des Ganzen. Sie bilden einen unsystematischen Bruch in der Anschauung des Gesamtgebäudes.

Schüsseln sind als offene Gefäße ein unentbehrlicher Bestandteil unserer Lebenswelt, zugleich aber irgendwie auch emotional positiv besetzt. Wir denken an Reisschüsseln, an Trinkschalen und ans morgendliche Müsli. Vergrößert sind sie als Satellitenschüsseln Bestandteil unserer Städte. In aller Regel denken wir beim Wort Schüssel aber an den Haushalt. Das etymologische Wörterbuch informiert uns: „Schüssel für ‘offenes Gefäß mit flachem Boden’, ahd. scuʒʒila (9. Jh.), mhd. schüʒʒel(e), asächs. skutala, mnd. schȫtel(e), mnl. scōtele, scottel, nl. schotel, aengl. scutel, engl. scuttle ‘Kübel, Eimer, Kasten’, anord. (aus dem Aengl.) skutill sind Entlehnungen aus lat. scutella ‘kleine Trinkschale’, Deminutivum zu lat. scutra ‘flache Schüssel, Schale, Platte’, das als ‘Gefäß aus Leder’ zu lat. scūtum ‘Schild’ gehört. Das lat. Deminutivsuffix hat sich an das fem. Suffix für Gerätebezeichnungen germ. -ilō angepaßt und Umlaut bewirkt. Das Wort wird mit anderen Küchenwörtern und Gefäßbezeichnungen (s. Becken, Kessel, Pfanne) noch vor dem 6. Jh. von den Germanen aufgenommen.“ Bei Thom Barth sind es aber riesige Metallschüsseln, die neben und auf dem Flachbau stehen, geradezu dysfunktional, wie Fragmente eines Ufos, das an einem merkwürdigen Ort gelandet ist und nun eine eigen Ausstrahlung entwickelt.

Das Faszinierende der Arbeiten von Thom Barth ist ist assoziativer Reichtum, das Spiel mit Verbindungen und Wucherungen, das Aufbrechen rationalistischer Käfige. M.a.W. die Fähigkeit, neue Perspektiven zu ermöglichen. Er bietet dem Betrachter Frei-Räume zum Wahrnehmen, für eigene Gedanken und Kombinationen.

Insofern passt diese Arbeit wirklich an diesen Ort, weil sie ebenso vom Fragmentarischen wie von Möglichkeiten handelt. Das kleine Buch über dieses Projekt eröffnet mit dem gezeichneten Wort „rähtselaft“ (und der Widmung: wir, die wir alles richtig machen) und es beschließt mit der ebenfalls gezeichneten Feststellung: „amende gut“.

Das findet der Rezensent auch.

Artikelnachweis: https://www.theomag.de/85/am450.htm
© Andreas Mertin, 2013