Kirchliche Kunstpreise

Ein Einwurf

Andreas Mertin

Friedrich Overbeck: Der Triumph der Religion in den Künsten

Ich habe eine tief sitzende Skepsis gegenüber sogenannten kirchlichen Kunstpreisen. Schon Kunstpreise an sich finde ich problematisch, geschieht die Auswahl der zu prämierenden Künstler doch allzu oft nach dem Prinzip des Geschachers: förderst Du meinen Künstler, fördere ich Deinen Künstler. Nicht das Interesse an der Qualität und der Innovation steht im Vordergrund, sondern die Frage, welcher der Juroren sich am entschiedensten durchsetzt.

Noch problematischer ist das bei kirchlichen Kunstpreisen. Der Name Kunstpreis legt eigentlich die Vermutung nahe, dass man sich an den Kriterien des „Betriebssystems Kunst“ orientiert. Dass man also Gesichtspunkte zur Geltung bringt, die auch im Kulturbereich der Bildenden Künste in Anschlag gebracht werden könnten. Und bei der Auswahl der so gewonnenen Künstlerpositionen könnten dann in einem zweiten Schritt solche ausgewählt werden, die das Adjektiv „kirchlich“ des Kunstpreises rechtfertigen – es sei denn, man meint einfach einen durch die Kirche verliehenen Kunstpreis.

Mein erster Verdacht ist, dass es spezifisch im kirchlichen Bereich um eine Art verlagertes Helfersyndrom geht. Man möchte Künstlerinnen und Künstlern, von denen man meint, sie würden im Kunstsystem nicht zureichend gewürdigt, etwas Gutes tun. Wenn dieser Verdacht zutrifft, wäre das ein Schaden für die Künstler.

Mein zweiter Verdacht lautet, es geht gar nicht um die Künstler, sondern um den Akt des Kunstpreis-Verleihens. Die Macht, die in der Position steckt, über die Arbeiten von Künstlern urteilen zu dürfen, wird genossen. Dafür spricht, wie oft man als erste Reaktion auf mögliche kirchliche Aktivitäten in Sachen Bildender Kunst den Vorschlag hört, doch einen Kunstpreis einzurichten. Und diesen Vorschlag hört man gerade von solchen Leuten, deren Kunstpraxis sich nun gerade nicht durch ein Gespür für die Entwicklung der Bildenden Kunst auszeichnet. In diesem Falle gibt der Kunstpreis mehr vom Geschmack der Urteilenden als vom Zustand des Kunstsystems Auskunft.

Mir liegt gerade das Ergebnis einer solchen Kunstpreis-Ausschreibung einer kirchlichen Einrichtung vor. Vorgestellt werden 23 Künstlerinnen und Künstler, von denen dann zwei prämiert wurden. Namentlich kannte ich nur drei der vorgestellten Künstler, für seriös im Sinne der weiteren Entwicklung des Kunstsystems halte ich zwischen zwei und fünf der Positionen. Aber das kann an meinem subjektiven Kunsturteil liegen.

Nach den im Kunstsystem Verwendung findenden Kriterien wie Zahl der seriös zu nennenden Ausstellungen in Kunstvereinen, Kunsthallen usw., publizierten Katalogen, Werken in Museumsbesitz, Galerien etc. kommen von den 23 Künstlern nur fünf Positionen überhaupt ernsthaft in Frage, alle anderen eher nicht. (Und das liegt nicht daran, dass sie zu jung wären.) Von diesen fünf Positionen ist eine etablierte anerkannte Kunstposition, die seit Jahren sowohl im weiteren Kunstsystem wie auch im Bereich der Kirche tätig ist. Die vier weiteren Positionen würde ich als solche der Peripherie bezeichnen, aber sie sind offenkundig Teil des Kunstsystems.

Als die Jury nun zusammen getreten ist und den Kunstpreis vergab, nach welchen Kriterien ist sie da wohl vorgegangen? Ist sie der Meinung, dass die letztlich ausgezeichnete Position ein bedeutender Beitrag in der Kunst darstellt, die unsere Wahrnehmung dessen, was Kunst ist, beeinflusst? Ist die Jury der Meinung, dass im Betriebssystem Kunst diese Position, sagen wir in 10 Jahren, eine bedeutende Position ist?

Oder hat man sich gedacht, der oder die hat was Nettes, Interessantes in einer Kirche gemacht, das uns gefällt und deshalb zeichnen wir ihn/sie vor allen anderen aus? Es wäre ja ein Kunstpreis denkbar, der etwa alle drei Jahre unter allen Kunstwerken, die im Kontext der Kirche präsentiert werden, die besten bzw. vorbildlichsten Arbeiten auswählt und herausstellt. Er dürfte aber nicht nach dem Gießkannenprinzip vorgehen, sondern müsste begründet(!) das Beste zeigen. Ich glaube, dass etwa der Kunstpreis der bayrischen Landeskirche so etwas versucht. Im vorliegenden Fall ist das aber nicht so.

Wenn die Kirche die moderne Diskursdifferenzierung anerkennt, also in der Spezialisierung der Kulturbereiche einen Gewinn sieht, dann sollte sie dieser Entwicklung auch folgen. Es kann dann nicht sein, dass in den Kunstausstellungen der Kirchen und bei den von ihr vergebenen Preisen weitgehend nur Künstler vorkommen, die im außerkirchlichen Kunstbereich keine Rolle spielen. So fördert man langfristig nicht Kunst, sondern religiöse Kunsthandwerker oder öffnet der Willkür Tür und Tor.

Es ist ja beileibe nicht so, dass es nach den Kriterien des Systems Kunst keine herausragenden Kunstpositionen gäbe, die auch im Blick auf die Zukunft Bedeutsames versprechen und zugleich auch gut im Kontext Kirche gezeigt werden könnten. Mir fallen gleiche 20 derartige Positionen aus der Malerei und der Medienkunst, der Performance und der Installationskunst ein, bei denen ich als Kurator meine Hand dafür ins Feuer legen würde, dass diese auch künftig eine wichtige Rolle spielen werden. Und keineswegs nur Positionen, die schon so etabliert sind, dass bei der Prognose kein Risiko besteht.

Das ist doch die implizite Wette, die man als Jury eingeht, dass die ausgezeichnete Position ein Potential im Blick auf die Zukunft enthält und deshalb der Kunstpreis ein Signal an die Gesellschaft ist, auf diese Position zu achten und sich mit ihr zu beschäftigen.

Die faktische Signalwirkung derartiger kirchlicher Kunstpreise ist nicht zu unterschätzen. Weniger im Blick auf das System Kunst (da ist sie nahezu folgenlos) als vielmehr im Blick auf das System Kirche. Dort wird man sich an den Standards, die mit so einer Auszeichnung etabliert werden, orientieren. Wenn ein derartiger Preis nur Namedropping betreibt, werden auch Kirchengemeinden Namedropping betreiben. Wenn ein solcher Preis religiöses Kunsthandwerk auszeichnet, werden auch Kirchengemeinden kaum Ehrgeiz haben, mehr als nur religiöses Kunsthandwerk auszustellen. Und wenn trivialer Schund ausgestellt wird, dann wird irgendwann der triviale Schund auch die Kirchengemeinden überfluten. Die Verantwortung der kirchlichen Institutionen ist hier enorm hoch. Sie können durch überlegtes Handeln Tendenzen und Standards setzen und die bisher gewohnte Beliebigkeit der Kunstpräsentationen verhindern.

Im Augenblick scheint mir der Anspruch in diesen Fragen bei beiden großen Konfessionen eher niedrig zu sein. Kirchliche Kuratoren, die ihre eigenen Werke oder die ihrer Ehefrau ausstellen (und dafür auch noch öffentliche Gelder der Kirche verbraten und damit an der Grenze zur Korruption handeln), scheinen nicht einmal mehr die Ausnahme oder ein Ausrutscher zu sein, ebenso wenig wie kirchliche Aussteller, die einfach den Künstler ausstellen, der sie gerade angesprochen hat, wobei man sich um Kriterien der Qualität und der Kunst gar nicht mehr kümmert.

Nicht, dass ich missverstanden werde: es spricht überhaupt nichts dagegen, menschliche Kreativität zu fördern. In seiner gerade erschienen Ethik spricht Wolfgang Huber in diesem Sinne von Kultur als menschlichem Grundnahrungsmittel – ich würde meines Erachtens zutreffender von der Kultur als einem menschlichen Lebensmittel sprechen. Die menschliche Kreativität sollte auch die Kirche entschieden fördern – und tut dies zumindest im Bereich der Musik ja auch.

Aber man muss das nicht gleich mit dem Begriff der Kunst zu etikettieren und zu veredeln suchen. Nicht alles, was gemalt, aufgeführt, gespielt, geschrieben oder in der Küche zusammengemixt wird, ist schon Kunst. Die Freude daran, als Mensch Bilder, Töne, Texte, Gestalten zu schaffen, sollte Selbstzweck genug sein. Die dazu gesetzten Orientierungsmarken stammen dann tatsächlich von Künstlerinnen und Künstlern, die sich diese Tätigkeit zur Profession gemacht haben. Wenn in der Kirche aber Kunst ausgestellt und ausgezeichnet wird, sollte es auch Kunst nach den Kriterien des Kunstdiskurses sein.

Grundsätzlich würde ich allerdings eher vorschlagen, auf kirchliche Kunstpreise ganz zu verzichten und lieber so etwas wie Förderstipendien für Junge Kunst auszuschreiben. Und bitte nicht mit den unsäglichen Vorgaben christlicher Themen, die dann bloß zu religiöser Illustration führen. Das ist doch schrecklich und nicht mehr Stand der Auseinandersetzung mit Kunst.

Wenn wir in und mit der Kunst etwas über die Welt erfahren, wenn wir die Welt neu sehen lernen, wenn vertraute Wahrnehmungsmuster durchbrochen und neu perspektiviert werden, dann sollte das doch Grund genug sein, Künstlerinnen und Künstler einzuladen und ihnen z.B. ein temporäres Stipendium anzubieten. So wie der Staat dies ja auch mit dem Villa-Romana-Stipendium oder dem Villa-Massimo-Stipendium macht, ohne gleich staatstragende Kunst zu erwarten.

Artikelnachweis: https://www.theomag.de/85/am451.htm
© Andreas Mertin, 2013