Wozu geht der Theologe ins Kino?


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Notizen III

Ein Blogsurrogat

Andreas Mertin

Hölle, Hölle, Hölle / 09.11.2013

Morgens, wenn ich den PC anschalte, werfe ich ab und zu einen Blick auf die traditionalistische katholische Internetszene, dorthin also, wo Protestantismus noch ein Schimpfwort und Moderne ein Verbrechen ist. Das mache ich nicht, um mir den ganzen Tag zu vergällen, wie einige meiner Freunde vermuten, sondern weil ich wirklich fasziniert bin von einem Denken, in dem Antisemitismus, Anti-Islamismus, unaufgeklärtes Denken und Verschwörungstheorien ohne irgendwelche Probleme mit erzkatholischem Denken eine Symbiose eingehen können. Und selten wird man enttäuscht, man findet immer wieder beeindruckende Thesen, die man nicht für möglich gehalten hätte.

Wie jüngst, als ein Autor auf einer dieser Plattformen sich mal wieder mit dem muslimisch bedingten Niedergang des Christentums beschäftigte. Er tat dies am Beispiel von Schweden, was ihm die Gelegenheit gab, heftig auf die Lutheraner einzuschlagen. Man stelle sich einmal vor, in Schweden ist die Säkularisierung so weit fortgeschritten, dass sich nur noch 90% der Staatsbürger kirchlich beerdigen lassen! Und nur 3/4 der Schweden sind in der lutherischen Kirche getauft und 2/3 der lutherischen Schweden heiraten in der Kirche. Was für ein Abgrund an Gottlosigkeit!

Was der Autor eigentlich bemängelt, ist, dass nur 2% der Lutheraner den Gottesdienst besuchen, aber das ist insofern erklärbar, als dass es bei Protestanten keine Sonntagspflicht gibt. Nach Luther leistet auch der einen Gottesdienst, der ordentlich im Vertrauen auf Gott seinem Beruf nachgeht. Und das machen die Schweden wie man weiß durchaus erfolgreich. Unser erzkatholischer Forschungsreisender in Sachen Verfall der Welt möchte aber unbedingt sein katholisches Weltbild als normative Größe angewandt wissen.

Und deshalb beunruhigt es ihn, dass die Schweden ab 2014 eine Frau zur Erzbischöfin gewählt habe, eine deutsche liberale Theologin zumal. Und angesichts dieses Umstandes vollbringt er eine Volte, die wirklich atemberaubend ist. Er macht nämlich die nächstes Jahr(!) ihr Amt antretende Bischöfin verantwortlich für Phänomene, die vor ihrem Amtsantritt liegen. Das ist eine sozusagen anamnetische Fähigkeit, über die selbstverständlich nur Liberale und Progressive verfügen. Zudem glaubt die Erzbischöfin nicht einmal mehr an die Hölle, was sie besonders fragwürdig und verdächtig macht.

Aber, so teilt uns der Reisende mit, es gibt in Schweden eine Gruppe von Menschen, die glauben noch treu an die Hölle. Das sind die Muslime, die – folgt man dem Autor – gerade dabei sind, Schweden zu überrollen. Gut, Schweden hat zwar nur 2,7% muslimischer Mitbürger, aber die bilden eben gefühlte 62% der Bevölkerung. Und ganz falsch ist das nicht, wenn man nämlich nur die Katholiken (150.000) und die Muslime (250.000) in Schweden ins Verhältnis setzt und, wie es für Erzkatholiken selbstverständlich ist, die 6.500.000 Protestanten außen vor lässt. Die gehen ja eh‘ nicht in die Kirche.

Moslems aber glauben fest an Himmel und Hölle. Und hier taucht nun wieder so etwas Merkwürdiges auf, was nur der verdrehten Gedankenwelt eines Traditionalisten entspringen kann (oder eines Anhängers von PI oder Pro Köln). Moslems glauben nicht nur an Himmel und Hölle, sie vergewaltigen auch. Wortwörtlich: „Der weitaus größte Teil der Vergewaltiger (77%) sind Moslems“. Nun zeigt ein Blick auf die genannten Statistiken sofort, dass sie Äpfel mit Birnen vergleichen. Der Begriff der Vergewaltigung wird in Schweden ganz anders gefasst als etwa in Deutschland (wie nicht zuletzt der Fall von Julius Assange gezeigt hat, der nach einvernehmlichem Sex wegen Vergewaltigung angezeigt wurde, weil er kein Kondom benutzte).

Aber wie dem auch sei, als aufmerksamem Leser fiel mir gleich ein merkwürdiger Umstand auf, der mich zu der Frage reizte: Wenn der Autor Recht hätte, müssten dann nicht Glaube an die Hölle und das Verbrechen der Vergewaltigung etwas miteinander zu tun haben? Wenn die, die nicht an die Hölle glauben, unterdurchschnittlich viele Sexualdelikte begehen, und die, welche an die Hölle glauben, überdurchschnittlich viele, was sagt uns das über die moralischen Folgewirkungen des Höllenglaubens? Dass dieser Glaube das Verbrechen fördert?      Und tatsächlich wurden ja auch im Kontext des Höllenglaubens unzählige Verbrechen an Menschen im Namen der christlichen Religion vollzogen. Der katholische Kollege sollte seine Argumente aber doch noch mal sichten, sonst erweist er seinen Tradi-Kollegen einen Bärendienst. Frau könnte auf die Idee kommen, in einer Welt ohne Hölle(nvorstellung) lebe es sich sicherer. Womit sie vermutlich nicht Unrecht hätte.

Zu liberal / 10.11.2013

Es gibt Allianzen und Gegnerschaften, die man sich auf den ersten Blick kaum erklären kann. So etwa die Allianz zwischen manchen Evangelikalen und manchen Traditionalisten und Konservativen im katholischen Bereich. Vielleicht ist die Gemeinsamkeit beider weniger der Glaube als vielmehr das rechte Denken, sprich die Junge Freiheit. Zumindest für kath.net und Idea trifft das zu. Beide haben eine gemeinsame Schnittstelle in dieser rechten Publikation. Und kath.net übernimmt ausgewählte idea-Meldungen umstandslos ins eigene Programm (so lange sie nicht auf den Protest der eigenen anti-protestantischen Klientel stoßen).

Vermutlich ist es so, wie ein Diskutant in der katholischen Blogger-Szene schrieb: dies folge einer bestimmten „Linie einer Annäherung zwischen dem konservativen katholischen Flügel und dem evangelikalen Milieu auf der Basis gemeinsamer weltanschaulicher Werte. Glaubensdifferenzen treten hierbei zugunsten eines sehr konservativen Gesellschaftsbildes, das beiden Gruppierungen gemeinsam ist, zurück. Das Ganze beruht auf der Idee, der Bruch durch die Christenheit sei im Wesentlichen nicht mehr konfessionell, sondern weltanschaulich, sodass sich nicht Katholiken und Protestanten, sondern konservative Christen und ‚Liberale‘ gegenüberstünden.“ Ich glaube, dass er Recht hat.

Das macht auch verständlich, wieso Vertreter der internationalen Evangelikalen den Papst wegen seiner (man höre und staune) „liberalen Theologie“ angegriffen haben. “‘Francesco mescola un linguaggio evangelico, la devozione mariana e le idee liberali‘. Questo è il cuore di una lettera firmata dai presidenti delle Alleanza Evangeliche italiana, spagnola, francese e polacca e rivolta ai leaders delle Alleanze Europea e Mondiale.“ Zwar spreche dieser Papst durchaus eine evangelische Sprache wenn er die persönliche Beziehung zu Christus betone, aber er fördere zugleich die schon tot gewähnte liberale Theologie, wenn er vom individuellen Gewissen als letzter Instanz der Wahrheit spreche, die Gnade in allen Menschen verkörpert sehe und das Proselytenmachen ablehne („la coscienza individuale quale ultima istanza della verità, la presenza della grazia in tutte le persone indipendentemente dalla loro fede in Gesù Cristo, la condanna anche grossolana del ‚proselitismo‘“). Offenkundig übertreibt es dieser Papst nicht nur in den Augen der katholischen Traditionalisten, sondern auch der evangelikalen.

Allerdings sollte man sich nicht zu früh freuen. Diese Art des Liberalismus hatten amerikanische Evangelikale auch schon der katholischen Kirche unter Benedikt XVI. vorgehalten. 2012 hieß es, es „seien auch die größten Kirchen in den USA – noch vor den Südlichen Baptisten die römisch-katholische Kirche mit 68,2 Millionen Mitgliedern – Versuchungen ausgesetzt, ‚das verblassende Ethos des liberalen Protestantismus nachzuahmen‘.“ Liberal, das meint ja bei den Evangelikalen nicht etwa die Liberale Theologie des 19. Jahrhunderts im Gefolge Adolf Ritschls, als liberal gilt schon, wer nicht evangelikal ist oder nicht missionarisch bekenntnisorientiert auftritt. Sich nur pastoral zu orientieren und ein Evangelium mit sozialen Konsequenzen zu verkünden ist den Traditionalisten beider Lager entschieden zu wenig.

Artikelnachweis: https://www.theomag.de/86/am460.htm
© Andreas Mertin, 2013