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1914 – die Avantgarden im Kampf

Zur Ausstellung in der Bundeskunsthalle Bonn

Hans-Jürgen Benedict

Im Jahr 2014 wird es viele Ausstellungen zum Beginn des 1. Weltkriegs geben. Kluge Ausstellungsmacher haben schon 1913 damit angefangen, um in der Konkurrenz der Aufarbeitungen die Nase ein wenig vorn zu haben. Der große Erfolg von Florian Illies‘ Buch 1913 - der Sommer des Jahrhunderts zeigte, wie das funktionieren kann. Man nehme den Leser mit in die vielfältige Gleichzeitigkeit der künstlerischen Aufbruchsbewegungen dieses Jahres, Strawinskys Sacre du Printemps, Duchamps erstes Readymade, Kirchners Gemälde vom Potsdamer Platz, die alle noch nicht wissen, dass im August 1914 mit dem Kriegsausbruch alle diesen schönen Aufbrüche mit einem Schlag beendet sein werden durch die Verfeindung der europäischen Völker.

Oder aber, wie jetzt in der großen Ausstellung der Bonner Bundeskunsthalle mit dem Titel: 1914 – die Avantgarden im Kampf. Man zeige, wie durch den großen Krieg das Zusammenspiel europäischen Avantgarden, die einen engen Austausch untereinander pflegten, auf brutale Weise zerstört wurde. Sei es, dass einige Künstler begeistert ins Feld ziehen, manche von ihnen fallen bald wie Franz Marc, sei es, dass andere beginnen, patriotische Bilderbogen anzufertigen (der Franzose Dufy und der Russe Malewitsch) oder sich an Propaganda zu beteiligen (wie Max Liebermann), sei es, dass die italienischen Futuristen in ihrem Manifest den Krieg als gewaltiges explosives Kunstwerk loben, sei es, dass Künstler wie August Macke die avantgardistische Formensprache bei der militärischen Camouflage einsetzen, indem sie Kriegsobjekte mit Tarnfarben versehen. Ein zuvor schuldlos avantgardistisches Gemälde von Fernand Leger über den 14. Juli, das Menschen, Straßen und Fahnen in bunte rechteckige Felder auflöst, kann so als patriotisches Bild gelesen werden.

Schon bald zerbrechen Künstler an der grausamen Realität des Massenvernichtungskrieges, andere finden noch in den Kriegsjahren zu neuen Themen und Formen, sprechen das auch unverblümt aus. Kirchners Selbstbildnis als Soldat mit einer Zigarette lässig im Mundwinkel, einer nackten Frau im Hintergrund, aber mit blutigem Armstumpf, zeigt schon den kurz darauf erfolgenden Zusammenbruch an. Beckmanns Selbstbildnis als Krankenpfleger verrät im Blick die ganze Irritation durch das Grauen der Lazarette. Ein Höhepunkt ist Wilhelm Lehmbrucks Der Gestürzte, ursprünglich sollte es der tote Soldat heißen. Es steht in der großen Tradition der gefallenen Krieger und Amazonen der Antike, von denen sich die eindrücklichsten Exponate im Archäologischen Museum in Neapel befinden.

Nicht als Bild, aber in einer bewegenden Video-Präsentation ist Beckmanns unvollendetes großes Gemälde Die Auferstehung präsent. Zwar richten sich einige Gestalten in diesem grauenhaften Bild auf, aber insgesamt ist Trost und Auferstehung so fern wie der Mars. (In seiner Trostlosigkeit erinnert es an die Grablegung Jesu Carpaccios in der Berliner Gemäldegalerie.) Eine Bilderwand mit den letzten Fotos der gefallenen Künstler gibt dazu das biographische Pendant. Grausam abgebrochenes Künstler-Leben hat keine andere Dignität als der Tod der Millionen unbekannten Soldaten auf allen Seiten, und berührt doch stärker, weil das unvollendete Werk den Schmerz auf Dauer stellt. Künstler, die in die Schweiz emigrieren konnten, gründen dort 1916 Dada als internationale Protestbewegung. Auch der Surrealismus hat Wurzeln in dem Kriegsgeschehen. So ist wider Willen der Krieg der Vater auch künstlerisch neuer Entwicklungen. Fast erschlagen von den vielen Bildern des Grauens kann man bei einem Spaziergang am Rhein mit Blick auf das Siebengebirge aufatmen. Wie können wir doch froh sein, nach dieser „Urkatastrophe des 20.Jahrhunderts“ und der folgenden noch größeren zu leben!

Artikelnachweis: https://www.theomag.de/87/hjb25.htm
© Hans Jürgen Benedikt, 2014