Resonanzen & Kompetenzen |
Resonanzen IIEin Briefwechsel über Religion und Theologie, Film, Sinn und DeutungJörg Herrmann / Werner Schneider-Quindeau Lieber Werner, ich bin Dir dankbar für Deine Thesen in der letzten Ausgabe des Magazins, denn sie helfen, die Differenzen unserer Sichtweisen noch präziser in den Blick zu nehmen. Und die polemischen Zuspitzungen fordern zusätzlich heraus, Dir zu antworten und Deine Thesen aus meiner Sicht noch einmal zu kommentieren und zu kritisieren. Die Polemik kulminiert in gewisser Weise im Titel Deiner Ausführungen, den Du Dir bei den Talking Heads ausgeliehen hast: „Stop Making Sense!“ Das signalisiert einen Gegenprogramm zu meinem Buch „Sinnmaschine Kino“. Und damit sind wir auch gleich bei einer fundamentalen Differenz. Denn ich halte den Sinnbegriff nach wie vor für einen Schlüsselbegriff der Kultur- und damit auch der Filmhermeneutik aus theologischer Perspektive. Bevor ich darauf eingehe, eine grundsätzliche Bemerkung.Mir hat an der evangelischen Theologie immer gefallen, dass sie keine Denkverbote aufstellt, dass sie sich als theologische Reflexion eines „denkenden Glaubens“ (Karl-Heinz Ratschow) versteht und sich dabei einer wissenschaftlichen Rationalität verpflichtet weiß, d. h. also keine Abkapselung in einer Sonderwelt betreibt, sondern die Arbeit mit den Erkenntnissen der Wissenschaften, insbesondere der Sozial- und Kulturwissenschaften gutheißt. Und in diesen Kontexten hat der Sinnbegriff eine zentrale Bedeutung. Dabei handelt es sich zunächst um einen recht nüchternen, formalen Begriff. Einen emphatischeren Sinnbegriff findet man z.B. bei Paul Tillich, der unter anderem sagen konnte: „Religiös zu sein, bedeutet, leidenschaftlich nach dem Sinn unseres Lebens zu fragen.“ [Paul Tillich, Die verlorene Dimension. Not und Hoffnung unserer Zeit, Hamburg 1962, 8.] Und an anderer Stelle: „Die Philosophie beschäftigt sich mit der Struktur des Seins an sich, die Theologie mit dem Sinn des Seins für uns.“ [Ders., Systematische Theologie, Bd. 1, Stuttgart 5/1977, 30.] In formaler Hinsicht ist der Sinnbegriff weitgehend mit dem der Bedeutung synonym. Dies kann man schon in Hegels Ästhetik nachlesen. Darin grenzt Hegel den Bedeutungssinn vom Sinn im Sinne der Sinnlichkeit ab. „Sinn (...) ist dieses wunderbare Wort, welches selber in zwei entgegen gesetzten Bedeutungen gebraucht wird. Einmal bezeichnet es die Organe der unmittelbaren Auffassung, das andere Mal aber heißen wir Sinn: die Bedeutung, den Gedanken, das Allgemeine der Sache.“ [Georg Friedrich Wilhelm Hegel, Vorlesungen über Ästhetik I, Werke, Bd. 13, Frankfurt/M. 1970, 173.] Sinn im Sinne von Bedeutung ist ein Produkt menschlicher Symbolisierungstätigkeit. Der Mensch als animal symbolicum (Ernst Cassirer) schafft sich Bedeutungsstrukturen. Das ist die basale Funktion des menschlichen Geistes, mit der die mangelnde Instinktleitung des Menschen kompensiert wird. Der Mensch braucht und schafft sich Sinnzusammenhänge, symbolische Ordnungen, die perspektivierende und handlungsorientierende Funktionen haben: Kultur. „Kultur ist das, was der menschliche Geist über das Gegebene hinaus schafft“ [Paul Tillich, Über die Grenzen von Religion und Kultur, in: Ders., Gesammelte Werke Bd. IX, hrsg. von Renate Albrecht, Stuttgart 1959ff., 94-99, 94.]. Clifford Geertz sprach von einem selbstgesponnenen Bedeutungsgewebe. Seine Grundelemente sind Zeichen oder Symbole. Aus ihrer Kombination entstehen: Sprache, Bilder, Zeitungen, Romane, Videoclips usw. usf. Auch das Kino ist so ein von Menschen geschaffenes Bedeutungsgewebe. In der Hinsicht sind Filme Sinnangebote. Natürlich, was denn sonst. Und natürlich sind sie auch Emotionsmaschinen, wie Ed Tan gesagt hat. [Et Tan, Emotion and the Strukture of narrative Film. Film as an Emotion Machine, Mahwah 1996.] Oder, in Deinen Worten: Affektmaschinen. Aber das ist ja kein Entweder-Oder, sondern ein Sowohl-Alsauch. Das Mischungsverhältnis ist variabel. Das hängt nicht zuletzt vom Genre ab. Zwischen „Die nackte Kanone“ und „Licht im Winter“ liegen Welten, beides sind allerdings Texte im Sinne einer Kombination von Zeichen, die Gedanken und Gefühle auslösen. Nichts Anderes ist auch die Theologie. Sie produziert Texte. Und das läuft in jedem Fall über das Subjekt und seine Bedeutungsproduktion (wir wollen ja nicht zurück zur Verbalinspiration!). Insofern: das Reden von Gott läuft über das religiöse Bewusstsein des Menschen. Wie sollte es sonst gehen? Gott ist, wissenschaftlich gesehen, ein Gedanke von Menschen. Und Religion (in kognitiver Hinsicht) ein System von Gedanken über Gott und die Welt. Natürlich eignet dem Religionsbegriff eine gewisse Allgemeinheit. Klar, es geht ja auch darum, das Phänomen Religion zunächst allgemein zu beschreiben. Dabei hat die aktuelle religionstheoretische Diskussion mit der vorneuzeitlichen Begriffsgeschichte nicht mehr viel zu tun. Auch geht es ihr nicht um Vereinnahmung, sondern um Verstehen. Dabei wird ein ziemlich breiter Konsens von religionssoziologischen, religionsphilosophischen, religionswissenschaftlichen und theologischen Überlegungen deutlich. Danach sind Religionen kulturelle Systeme zur Bearbeitung menschlicher Sinn- und Kontingenzprobleme. [Ich verweise hier auf eine Darstellung und Zusammenfassung der einschlägigen Debatten im Rahmen meiner Habilitationsschrift, Medienerfahrung und Religion. Eine empirisch-qualitative Studie zur Medienreligion, 36ff.] Die theologische Rezeption des religionstheoretischen Diskurses außerhalb der Theologie folgt Einsichten und Argumenten und hat mit dem Wunsch nach Deutungshoheiten nichts zu tun. Arrogant wäre es vielmehr, eine besondere Deutungshoheit der Theologie in Religionsfragen zu behaupten! Die Spezifik der Theologie leidet unter der Bezugnahme auf den Religionsbegriff nicht, im Gegenteil: Evangelische Theologie bleibt das Nachdenken über den christlichen Glauben, seine besonderen Quellen, Traditionen und Praktiken und ist damit so oder so von Religion unterschieden. Denn Religion ist die kulturelle Praxis, Theologie aber die kritische Reflexion dieser Texte und Praktiken. Allerdings, eine Theologie, die den religionstheoretischen Diskurs rezipiert, versteht das Christentum als eine Religion unter Religionen. Das ist für bestimmte Denkrichtungen der Theologie u.U. eine Kränkung. Das heißt aber nicht, dass eine solche Religionstheologie nicht zwischen lebensdienlicher Religion und destruktiver Religion unterscheiden kann, dass sie nicht auch zu prophetischer Religionskritik fähig wäre (siehe Tillichs „protestantisches Prinzip“ oder auch seinen Begriff des „Dämonischen“). Auch prophetische Religionskritik ist ein Produkt menschlichen Bewusstseins! Was sonst? Der Abschied vom Supranaturalismus gehört doch zu den Grundvoraussetzungen heutigen Denkens. Jeder Text ist Menschenwerk. Auch Barths Theologie. Eine Rückkehr zum Dualismus von Natur und Übernatur wäre ein Rückfall in die Vormoderne. Doch hinter die Aufklärung möchteich nicht zurück. Darum schätze ich auch die neuzeitlichen Autonomisierungsschübe. Nicht zuletzt als Protestant in Zeiten der Lutherdekade! Ja, das Subjekt darf selbst denken und die Bibel lesen, verstehen und sich einen Reim darauf machen. Es hat sich von einer imperialen Kirche befreit, zum Glück. Es ist im Blick auf die letzten Fragen nicht mehr abhängig von kirchlichen Autoritäten. Es regelt das selbst und macht sich einen eigenen Reim auf die Sinnangebote religiöser Traditionen. Wie auch auf die Sinnangebote von Filmen! Natürlich wollen Filme unterhalten. Aber nicht nur. Insbesondere der künstlerisch ambitionierte Film hat sich nie als reine Unterhaltungsmaschine verstanden.Da ging und geht es immer auch um Ästhetik und Erkenntnis. Filme produzieren dabei im Übrigen unwillkürlich Sinn, bilden ein Gewebe von Bedeutungen, um mit Geertz zu sprechen. Klar, Film sind Bildergeschichten, es geht also auch um Blicke und Bilder. Aber das Alles folgt einer von langer Hand geplanten Struktur, einem Sinnnarrativ, um es in Deinen Worten zu sagen. Vielleicht liegt Deine Abneigung gegenüber dem Sinnbegriff auch daran, dass Du ihn zu hoch hängst. Wie auch immer. Dass es bei der Filmrezeption auch um Sinn geht, bestätigt nicht zuletzt die Medienrezeptionsforschung. Was Kinobesucher erwarten, fasst Dirk Blothner im Rahmen einer wirkungspsychologischen Untersuchung so zusammen: „Vom Kino erwarten die Menschen ein außergewöhnliches Erlebnis. Sie wollen frische Bilder sehen und sie wollen intensive Erfahrungen machen. Die einen erwarten Spannung und Thrill, die anderen eine vertiefte Einsicht in die Grundprobleme des Lebens.“ [Dirk Blothner, Filminhalte und Zielgruppen. Wirkungspsychologische Untersuchung zur Zielgruppenbestimmung von Kinofilmen der Jahre 1998 und 1999 auf der Basis des GfK-Panels, Berlin 2000, 11.] In einer Fortführung der Studie unterstreicht Blothner das Interesse der Kinobesucher an der Reflexion von Lebensfragen im Film und das kulturelle Deutungspotential desselben: „In unseren Analysen haben wir auch herausgearbeitet, dass viele der großen Filmhits weit davon entfernt sind, rein oberflächliche Unterhaltungsbedürfnisse zu befriedigen. Bei Filmen wie Titanic, American Beauty, ja sogar bei American Pie konnten wir im Gegenteil feststellen, dass sie sensibel auf Entwicklungstendenzen antworten, die in der westlichen Kultur einen Ausdruck suchen.“ [Ders., Filminhalte und Zielgruppen 2. Fortführung der wirkungspsychologischen Untersuchung zur Zielgruppenbestimmung von Kinofilmen des Jahres 2000 auf der Basis des GfK-Panels, Berlin 2001, 49.] Hinsichtlich des Interesses an Lebensdeutung stellt Blothner fest, dass es mit steigendem Alter ebenfalls ansteigt, dass also Zuschauer über 30 deutlich weniger an „Spaß“ interessiert sind, dafür umso mehr an einer Vertiefung der Inhalte. [A.a.O., 48.] Unterhaltung ist natürlich, so wird man hinzufügen können, weiterhin ein wichtiges Motiv. Was sich aber ändert, ist das Mischungsverhältnis. In einer zusammenfassenden Studie spricht Blothner auch von einem wachsenden „Hunger nach Inhalten“ als Ausdruck eines modernisierungsbedingt wachsenden Orientierungsbedürfnisses. [Dirk Blothner, Erlebniswelt Kino. Über die unbewusste Wirkung des Films, Bergisch-Gladbach 1999, 9.] Dieser Hunger nach Sinn Blothner spricht u.a. von „Sinnvakuum“ und „Sinninflation“ [A.a.O., 247, 264.] - findet Nahrung in der Medienkultur: „Mit Inhalten versorgen sich die Menschen heute über das Fernsehen und das Kino. Besonders Kinofilme eröffnen in sich geordnete und geschlossene Welten, die unaufdringlich Antworten geben auf die großen Fragen des Lebens.“ [A.a.O., 10.] Filme geben diese Antworten nun nicht nur auf der kognitiven Ebene, sie geben sie vielmehr in einer dramatischen Form. Sie bieten dem Zuschauer für die Dauer eines Films das an seine Erfahrungen anknüpfende und sie steigernde Erlebnis einer Verwandlung an. [A.a.O., 16ff.] Blothner findet fast religiöse Formulierungen, um diese lebenssteigernde Funktion des Kinos zu beschreiben: „Wir möchten im freieren Raum der fiktionalen Unterhaltung ausprobieren, was wir uns im realen Leben nicht (zu)trauen. Wir benutzen das Kino, um zu erfahren, was uns lieb und teuer ist, und um unsere Grenzen kennen zu lernen. Der Alltag hat sich das Kino geschaffen als den ‚anderen Ort’, dessen Verheißungen und Versprechungen in den unruhigen Tagesläufen aufleuchten und verlocken. Wir wissen es intuitiv: Das Kino ist nicht das Leben, und es ist es doch. Das Kino strahlt einen Glanz aus. Es ist das Leben in einer gesteigerten und intensivierten Form.“ [A.a.O., 23.] Und weil das Kino das Leben in intensivierter Form zur Darstellung bringt, vermag es die Selbsterfahrung der Zuschauer zu vertiefen, ihren Hoffnungen und Ängsten Ausdruck zu verleihen, ja, sogar Anstöße für Veränderungen zu geben. [A.a.O., 36ff.] Blothner erläutert seine Thesen immer wieder an Beispielen so etwa, wenn er zeigt, wie der Film „Dead Man Walking Sein letzter Gang“ (Tim Robbins, USA 1995), in dem ein zum Tode Verurteilter um seine Begnadigung kämpft, als memento mori wirken kann, das seine Zuschauer aufrüttelt und auf eindringliche Weise mit dem Tod konfrontiert. [A.a.O., 51f.] „In seltenen Fällen“, so Blothner, „kann ein Film den Wendepunkt eines Lebens markieren.“ [A.a.O., 36.] Auch Rezeptionsforscher halten den Film, so verstehe ich Blothner, für eine Sinnmaschine. Sie interpretieren das Leben, geben Denkanstöße, vermitteln existenzielle Erkenntnisse. Dazu bedarf es keiner komplexen religiösen Deutung. Das zeigen auch meine eigenen Interviews mit ZuschauerInnen. [Siehe auch die Ergebnisse meiner Medien- und Religionsbiographischen Interviews, Verf., Medienerfahrung und Religion, 173ff., siehe auch die Ergebnisse einer Rezeptionsstudie zu „Titanic“, Andreas Hepp, Waldemar Vogelgesang, „Ich hab’ einfach nur geheult.“ Zur emotionalen Aneignung des Medien-Events Titanic aus Rezipierentenperspektive, in: Texte Nr. 2, Sonderheft der Zeitschrift medien praktisch, Filmerleben. Zur emotionalen Dramaturgie von „Titanic“, 9/1999, 30-40.] Sie bestätigen auf diese Weise zudem die Plausibilität religionshermeneutischer/theologischer Filmanalysen (die immer nur Lesarten unter anderen darstellen, das ist ja klar). Mit dem Begriff des Gleichnisses kann ich in diesem Zusammenhang wenig anfangen. Was soll es bringen, Filme als Versprechen eines Gleichnisses des Lebens zu deuten? Nun sind Filme auf einmal doch Medien der Offenbarung? Wo sie zuvor nur Unterhaltungs-, Affekt- und Imaginationsmaschinen sein sollten? Die Rede von Filmen als Gleichnissen des Lebens halte ich für eine ziemliche Nebelkerze. An dieser Stelle, lieber Werner, neige ich dann auch etwas zur Polemik, denn hier scheinst Du mir ein Begriff aus einem bestimmten theologischen Diskurs auf den Film anwenden zu wollen, der darauf nicht recht passen will. Um in einen Film hineingezogen zu werden, um herausgefordert zu werden, brauche ich keinen Gleichnisbegriff. Und Sinn: extra nos angeboten, von der Filmkultur zum Beispiel. Geschenkt, wenn Du so willst. Aber doch zugleich auch produziert. Von Filmen und ihren Rezipienten. Natürlich. Sinn ist ja nichts Überweltliches, sondern Lebensinterpretation mit Hilfe von Zeichen. Denn ohne Zeichen gibt es keinen Sinn. Er schwebt nicht irgendwo in einer Überwelt, sondern konstituiert sich in der Interaktion von Zeichen und ihren Rezipienten. Das ist keine besonders aufregende Einsicht. Aber eine elementare. So weit meine Überlegungen. Ich hoffe, sie können meine Position nachvollziehbarer machen. Jörg
vielen Dank für Deine Entgegnung auf meine Thesen in der letzten Ausgabe von „theomag“. Du hast noch einmal die Argumente wiederholt, die Du bereits in Deiner Dissertation über die „Sinnmaschine Kino“ vorgetragen hast und auf die ich in meinen Thesen zu reagieren beabsichtigte. Zunächst möchte ich versuchen, festzustellen, um was es in unserer Kontroverse nicht geht.
Worum geht es also? Im Kern zielt meine Kritik auf eine sich selbst überhöhende und zum Dogma werdende Rationalität, die glaubt, dass es angesichts der Grenzen der Vernunft keine anderen Quellen von Erkenntnis und Verstehen gibt. Phantasie und Glaube, Hoffnungen und Träume, Visionen und Emotionen müssen ihre Legitimität vor einer Vernunft verantworten, die in den Sozial- und Kulturwissenschaften eine Art Deutungsgenerator entwickelt hat, der über Sinn und Unsinn meint entscheiden zu können. Stutzig machte mich Deine zweimalige rhetorische Frage „Was sonst?“ im Blick auf die menschliche Sinnproduktion. Eine selbstkritische Aufklärung, die sowohl den instrumentellen Charakter der Vernunft erkennt, d.h. die Vertauschung von Mittel und Zweck, ich könnte auch sagen, von Mittel und Sinn, und die sich ihrer eigenen Dialektik zwischen Freiheit und Herrschaft bewusst ist, weiß um ihre Täuschungen und Grenzen, um ihre Sackgassen und totalitären Deutungsansprüche. Mit den Zivilisationsbrüchen des 1. und 2. Weltkriegs und der Shoah in der 1. Hälfte des 20. Jahrhunderts gibt es keine ungebrochene Rückkehr zu Aufklärung und Idealismus. Auf Grund der Diskreditierung ganzer Deutungs- und Sinnsysteme, beispielsweise des moralischen Fortschritts in der menschlichen Geschichte, entdeckt die Vernunft an ihren selbst erkannten und offensichtlichen Grenzen noch ganz andere Dimensionen von Sinn, die sich gerade nicht in rationalistischen Deutungskategorien bannen lassen: Musik, bildende Kunst, Intuition, vielfältige Formen, in denen Sinn auch nicht sprachlich Menschen begegnen kann, z. B. in der elementaren Form von Essen und Trinken in der Tischgemeinschaft. Selbstkritische Aufklärung hält sich auch den Sinn für Gott offen und reduziert ihn nicht auf einen Gedanken des menschlichen Selbstbewusstseins. Denn wenn über das menschliche Selbstbewusstsein hinaus nichts gedacht werden kann, dann gibt es entweder keinen Gott oder der Mensch selbst erklärt sich zum alleinigen Schöpfer seiner Welt. Gebete sind dann nichts anderes als intensive Selbstgespräche. Das Reden von Gott ist für mich nicht mit supranaturalistischen Vorstellungen verbunden, sondern ergibt sich auch als eine mögliche Alternative zum totalitären oder dem sich nicht selbst begrenzenden Rationalismus. Eine funktionalistische Religionstheorie kann ja selbst kaum noch zwischen Sinn und Unsinn unterscheiden, weil auch der größte selbst produzierte Unsinn Kontingenzbewältigung und die Reduktion von Komplexität zu leisten vermag. „Auch Unsinn kann nur als Sinn erzeugt werden.“ (so Niklas Luhmann, Funktion der Religion, S. 21). Deshalb sind fundamentalistische Schreckensmänner selbstverständlich auch Produzenten religiösen Sinns, indem sie als Selbstmordattentäter Gott spielen. Wenn Gott nur ein Gedanke ist, dann muss auch der Fundamentalismus als Kind einer Moderne verstanden werden, die in einem hybriden Autonomieanspruch selbst Gott spielen möchte. Doch könnte es nicht sein, dass an den Grenzen des Verstehens Gott sich in seiner Unverfügbarkeit zeigt und dass die biblischen Texte noch eine andere Dimension für den Glauben besitzen als literarische Produkte, die so oder so gedeutet werden können. Zeigt sich in diesen Texten und in den Geschichten des Glaubens nicht noch etwas anderes als das Zeichen, was wir in Form des Textes vor uns haben? Immerhin: eine selbstkritische Moderne, wie sie von Th. W. Adorno, W. Benjamin, Bernhard Waldenfels oder Emmanuel Levinas und jüngst Gunnar Hindrichs („Das Absolute und das Subjekt“, Frankfurt 2008) entworfen wurde, ist mit Gott nicht so schnell fertig, wie eine von Hegelscher Deutungsmacht geprägte Religionshermeneutik. Eine selbstkritische Vernunft weiß um die gleichgewichtige Bedeutung von Subjektivität und Alterität im Prozess des Erkennens. Gegen Hegel halte ich es da mit Kant, der wusste, dass die primäre Aufgabe der Philosophie in der Erkenntnis ihrer eigenen Grenzen besteht, während bei Hegel im Prozess von Sein, Nichts und Werden, der Grenzenlosigkeit des Denkens der Weg bereitet wurde. Um die Grenzen des Verstehens zu wissen, bedeutet auch den Nebel wahrzunehmen, der den Menschen auf seiner Suche nach Sinn ständig umgibt. „Nebelkerzen“ können in einer solchen Lage ausgesprochen hilfreich sein, um wenigstens ein wenig Licht ins Diffuse und Verschwommene zu bringen. Filme partizipieren in jeder Form an vorgängigen Sinnbezügen und brauchen überhaupt keinen eigenen Sinn zu produzieren, weil sie in der Teilnahme am Sinn ganz und gar mit ihrem Publikum verwoben sind. Wenn wir Filme theologisch interpretieren, dann sollten wir über das spannungsreiche Verhältnis von Glaube und Vernunft Auskunft geben können. Mit dem Hinweis, dies alles sei doch nur symbolische Wirklichkeitsdeutung, ist es nicht getan. Denn Wirklichkeit ist immer sehr viel mehr als ihre Deutung und begegnet uns auch unbegriffen und unverstanden in vielerlei Gestalt. Mir geht es hier vor allem um die Unterscheidung von Religion und Theologie, weil diese Differenz produktiv ist, wenn es um das Verstehen von Gott und Welt geht. Die Formulierung „Religionstheologie“ verwischt diese Unterscheidung und verwandelt die Theologie in eine Form der Religionswissenschaft als Kulturwissenschaft, wobei ich auch gerne noch zwischen Religion und Kultur unterscheiden würde. Also: Vive la difference, damit das Leben so multiperspektivisch wie möglich angeschaut werden kann. Filme tun dies, mal weniger gelungen, mal besser. Auch im Blick auf sie gilt „Vive la difference“, denn der Geschmack und das Verstehen kommen beim genauen und aufmerksamen Hinsehen. Wo es um Unterscheidungen geht, spielen Gleichnisse eine entscheidende Rolle. Wer das Himmelreich oder Gott nicht auf den Begriff bringen kann, wer nicht davon ausgeht, dass dies alles nur Gedanke, Einbildung, Illusion oder Unsinn ist, der wird nach einer Gestaltungs- und Ausdruckform suchen müssen, die auf das schwer Beschreibbare, das Nichtidentische und Unverfügbare verweist. Deine Metapher vom Gleichnis als „Nebelkerze“ gefällt mir, denn es stellt sich immer wieder heraus, dass dichter Nebel die Fülle der Sinnangebote umgibt, aus denen wir nun die vernünftigen auswählen sollen. Wer den Nebel allzu schnell denunziert, muss sich die Rückfrage gefallen lassen, wie er Licht in den Nebel bringen will, der auch schon manchen Aufklärer am Ende verschluckt hat. Die Geschichte des 19. und 20. Jahrhunderts liefert dafür zahlreiche Beispiele. Eine Nebelkerze, die funktioniert, könnte dann schon ein bescheidener, aber wichtiger Richtungsgeber sein. Das Schöne am Gleichnis ist, dass es in genauer Beobachtung, mit Vernunft und Phantasie, mit Kopf und Herz und in ähnlichen Bildern und Geschichten den Unterschied zwischen Gott und Mensch, aber auch zwischen Mensch und Welt, zwischen Ich und Anderem wahrt und doch intensive Beziehungen zwischen dem Verschiedenen zu vermitteln vermag. Vielleicht sind auch die Geheimnisse, die gehütet werden, im Kino wie in Kirche und Theologie viel wichtiger als es der sogenannte aufgeklärte analytische Blick wahrhaben will. Das gilt übrigens auch für Dirk Blothners Beschreibungen der „Erlebniswelt Kino“: Wer über die unbewusste Wirkung des Films schreibt, sollte sich über den performativen Selbstwiderspruch klar sein, der ihm schnell unterlaufen kann. Der Verfasser nimmt an diesen „unbewussten“ Wirkungen genauso teil wie jeder andere Zuschauer. Will er uns aber über das „Unbewusste“ aufklären, also sein Wissen über das, was wir nicht wissen können, mitteilen, dann widerspricht er sich selbst. Die psychoanalytischen Debatten über das „Unbewusste“ hätten ihm eine Lehre sein können. Denn der Therapeut/die Therapeutin sind nicht der Herr/die Herrin über das Unbewusste, welche die Deutungshoheit über das Unbewusste besitzen, sondern nehmen genauso daran teil wie ihre Patienten. Sie arbeiten in Übertragung und Gegenübertragung gemeinsam am Unbewussten, das sich auch nicht einfach in Wissen überführen lässt, sondern durch schwierige Abwehrprozesse hindurch ein wenig undurchdringlicher wird. Der Nebel lichtet sich ein wenig, aber verschwindet nicht. Stattdessen wirkt das Buch über weite Strecken wie eine Werbung der Kinobranche, die immer schon mit dem Slogan „Bigger than life“ auf sich aufmerksam zu machen suchte. Woher nimmt die prophetische Religionskritik ihre Kriterien zwischen lebendiger und destruktiver Religion unterscheiden zu können? Aus der Vernunft oder aus der Offenbarung?Wie verhalten sich Vernunft und Offenbarung zueinander? Woher stammt der Sinn, für das Leben und gegen die Mächte des Todes eintreten zu können? Aus göttlicher Vollmacht oder unter Berufung auf das Naturrecht und die damit gegebenen Rechte des Menschen? Nach wie vor bewegen wir uns an den Grenzen der Vernunft und unserer Deutungsmöglichkeiten. Es gibt noch etwas anderes als eine dogmatische Rationalität, die meint alles unter ihre Deutungsgewalt zu zwingen. Für mich bleibt dies eine Überschätzung der Vernunft und trägt imperiale Züge. Wenn am Ende einer Predigt der Satz aus dem Philipperbrief„Und der Friede Gottes, der höher ist als alle Vernunft, bewahre eure Herzen und Sinne in Jesus Christus“ auf eine umfassende Dimension dieses Friedens verweist, der mit unseren Worten nicht festgehalten werden kann, dann ist der Satz nicht gegen die Vernunft gerichtet, sondern thematisiert ihre Grenze. Solche Grenzen gilt es in Kirche und Kino zu ziehen, damit Gott sich zu Wort zu melden vermag, der nur sehr beschränkt in unseren Gedanken und Deutungen zu fassen ist. So erschließt und eröffnet sich Sinn, der nun gerade nicht gemacht worden ist. An dieser Grenze des Verstehens arbeitet die Theologie mit Vernunft. Und die Filme führen uns geradezu in dieses Grenzland des Verstehens, indem sie unsere Affekte, unsere Sehnsüchte, unser Begehren und unsere Träume und Alpträume evozieren. Damit sind grundsätzliche Fragen des Verhältnisses von Theologie und Ästhetik berührt, an denen noch viel Arbeit auf uns wartet. Vielleicht ermutigt unser Disput auch andere Interessierte mitzumachen. Ich würde mich freuen und grüße Dich in alter Verbundenheit Werner |
Artikelnachweis: https://www.theomag.de/87/hsq1.htm
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