Paradigmen theologischen Denkens


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Mit Gott auf du und du

Die Rede von Gott in heutigen Predigten

Markus Beile

I)

Ich gestehe es freimütig: Das Predigen ist mir in meiner Tätigkeit als Pfarrer nicht leicht gefallen. Die Schwierigkeit des Predigens bestand für mich weniger darin, die richtigen Formulierungen zu finden oder auf der Kanzel zu stehen im Angesicht vieler Menschen. Nein, da gab es eine grundsätzliche Schwierigkeit, vor allem, was das Reden von Gott anbetrifft: Wie kann man angemessen von Gott reden? War das nicht eine unmögliche Möglichkeit? „Gott als das Geheimnis der Welt“, so lautet der Titel eines berühmten Buches von Eberhard Jüngel. Wie soll man von etwas reden, das im Letzten ein Geheimnis ist und bleibt? Im Studium hatten wir den berühmten Vortrag von Karl Barth besprochen, der die grundsätzliche Schwierigkeit, von Gott zu sprechen, folgendermaßen auf den Punkt gebracht hat: „Wir sollen als Theologen von Gott reden. Wir sind aber Menschen und können als solche nicht von Gott reden. Wir sollen Beides, unser Sollen und unser Nicht-Können, wissen und eben damit Gott die Ehre geben.“ Diese Worte erleichterten mir - wie man sich denken kann - das Predigen nicht gerade. Nun, mit den Jahren habe ich mich etwas leichter getan. Aber - trotz aller hilfreichen Routine - blieb das Predigen dennoch immer auch ein Wagnis, ein Ringen, ein Kampf, eine große Herausforderung - jedes Wochenende neu.

II)

Zum Glück hat sich das in den letzten Jahren alles verändert. Im Nachhinein ärgere ich mich, dass ich mir das Predigen völlig unnötig so schwer gemacht habe. Die Rede von Gott ist nämlich viel einfacher, als ich dachte. Das konnte ich anhand von Predigten lernen, die Kolleginnen und Kollegen gehalten und veröffentlicht haben. Im Folgenden möchte ich mit Ihnen anhand von Zitaten ein wenig spazierengehen durch einige Regionen der modernen Predigtlandschaft (ich beziehe mich dabei auf Predigten im Buch „Gottesdienstpraxis: Taufe, Gütersloh 2010“ und in den Arbeitshilfen „Von Glückskeksen und Überraschungseiern. Vier Konfirmationspredigten“ bzw. „Gott segnet, was wir brauchen. Ansprachen zu Einweihungen“, beide herausgegeben vom Gottesdienstinstitut Nürnberg) und Sie dabei mit Gott bekannt machen. Ich kann Ihnen jetzt schon verraten: Es ist ein netter Kerl, der liebe Gott. Vielleicht ist er auch eine nette Frau – da gibt es noch letzte Unsicherheiten. Aber ansonsten ist alles völlig klar und einfach:

Sie sind bisher Gott noch nicht begegnet, sagen Sie? Das kann eigentlich gar nicht sein. Denn er ist mit Ihnen unterwegs. Und zwar überall hin: „Ich gehe mit dir, wenn du zu deinen Freundinnen und Freunden gehst, wenn du in die Schule gehst, wenn du in Ferien fährst“[1]. Das ist Ihnen bisher noch nicht so aufgefallen? Kaum zu glauben! Denn Gott ist schließlich kein stummer Begleiter. Er spricht zu Ihnen: „Manchmal ruft er den Namen ganz sachte, manchmal vielleicht auch laut und deutlich: Kind, pass auf! Kind, komm zurück!“[2]. Manchmal spricht Gott, wie es meine Mutter früher getan hat: „Du brauchst nicht schmutzig herumlaufen“[3].

Ja, Gott begleitet Sie und mich. Jeden Menschen begleitet er, durch dick und dünn. Er hat immer tolle Ideen für uns: Zum Beispiel „wenn du traurig bist, verspricht Gott, sende ich dir einen Engel, der dich zum Lachen bringt.“[4]. So gesehen kann’s einem nie schlecht gehen.

Und weil er immer bei Ihnen ist, siezt er Sie auch nicht (mehr). „Wir duzen ihn ja auch. Gott sagt zu mir nicht: Pfarrer N. Sondern er nennt mich bei meinem Vornamen: N.“[5]

Und das Tollste: Wenn du was ausgefressen hast… Kein Problem! Gott hat dich immer lieb.[6] „Gott hält ohne Vorbehalte zu jedem von uns.“[7] Ist das nicht einfach nur klasse?

Über konfessionelle Unterscheidungen ist Gott dabei erhaben: „Gott schaut, soweit ich informiert bin, nicht zuerst in der Liste nach: Ist die katholisch? Ist der evangelisch?“[8]

Und jetzt kommt das Beste: Das Ganze kostet nicht einmal etwas! Jedenfalls nicht direkt: „Gott bittet dich… nicht zur Kasse. Das macht für ihn die Kirche mit der Kirchensteuer“.[9] Aber das muss es dir schon wert sein. Die Kirchensteuer ist ja nicht alle Welt!

Jetzt willst du vielleicht wissen, sein wann dein Freund „Gott“ dich begleitet. Das ist ganz eindeutig: Seit der Taufe. „Bei der Taufe ist Gott erstmals in deinem Leben aufgekreuzt“[10]. Ohne Taufe geht nix! Das ist nun mal so. Nun, kennen tut er dich schon vorher. Aber ab der Taufe „kann Gott sich den Namen merken.“[11]. Nun, dafür muss man Verständnis haben. Gott ist ja schon ein bisschen älter. Aber die Feier der Taufe. Die vergisst er trotz seines fortgeschrittenen Alters nicht. Da hat er ja auch seinen Auftritt. Bei der Taufe sagt Gott nämlich „ja“[12]. Sonst nichts. Nur „ja“. Nun, das klingt vielleicht ein wenig einsilbig. Aber später in deinem Leben wird er dann redseliger, wie wir ja schon wissen. Und das Wörtchen „ja“ hat ja auch etwas Elementares!

Seit der Taufe weicht dann Gott nie mehr von deiner Seite: „Gott steht zu dir seit deiner Taufe und alle Tage bis ans Ende der Welt. ‚DEN’ haut nix um. Wenn du die Christus-Grenze übertrittst, kannst du immer wieder zurück zu ihm, wenn du merkst: Eigentlich war’s bei ihm besser.“[13]

Ja, so ist das mit Gott: Er ist einfach ein Lieber, Netter, der immer bei uns ist und uns nichts krumm nimmt. Manchmal ist er ein bisschen vergesslich, aber, nun ja, nobody is perfect. Insgesamt ist er ein toller Typ. Was er alles kann! „Bei den Israeliten damals gab’s das Wunder, dass Gott den wilden Fluss, der einen ins Verderben reißt, einfach angehalten hat!“[14] So einer ist Gott! Und was er alles für uns bereithält! „Gott bietet dir in seinem ‚Supermarkt’ an, was er hat und womit du deine Basis-Suppe richtig aufpeppen kannst.“[15]

Übrigens wissen wir auch, was Gott denkt. Zum Beispiel, als er die Welt geschaffen hat. Da war es so: „So, dachte Gott, jetzt ist es Zeit, den Menschen zu machen. Denn dafür ist Platz jetzt.“[16].

Auch über seine Geschmäcker und Vorlieben wissen wir vielleicht nicht komplett, aber doch ziemlich gut Bescheid. Zum Beispiel dies: „Gott findet Feuerwehrautos … vermutlich auch toll“[17].

Mit Gott auf du und du! So ist das mit Gott! Dass das der alte Karl Barth nicht wusste! Ist schon komisch! Und auch Eberhard Jüngels Buchtitel „Gott als Geheimnis der Welt“ wirkt angesichts des Wissens, das wir inzwischen von Gott haben, merkwürdig deplaziert!

III)

Entschuldigen Sie diese Ironie. Aber ich kann einfach nicht anders reagieren, um meinem Ärger Luft zu machen: Ich finde, wir machen uns mit dieser Art von Predigten einfach nur lächerlich.

Da ist zum einen eine unerträglich anbiedernde, gewollt muntere und saloppe Sprache. Mich stößt diese Art der Sprache in der Predigt grundsätzlich ab und ich weigere mich, mich im Gottesdienst auf dieses Niveau herabführen zu lassen. Ich weiß sehr wohl, dass es unterschiedliche Milieus gibt und dass man zu Menschen unterschiedlichen Alters unterschiedlich sprechen muss. Aber muss das heißen, in eine verniedlichende Sprache zu verfallen oder Jugendsprache zu imitieren? Was will man mit Formulierungen wie „Gott bietet dir in seinem ‚Supermarkt’ an, was er hat und womit du deine Basis-Suppe richtig aufpeppen kannst“ eigentlich erreichen? Will man Nähe suggerieren? Oder den Jugendlichen gefallen? Ich glaube nicht, dass man den Jugendlichen damit einen Gefallen macht. Ich bezweifle sogar, dass diese die bemühte Jugendsprache in der Predigt wirklich honorieren.

Unerträglich sind für mich auch die Plattitüden und die Vielzahl von theologischen Fehlern, von denen manche Predigten geradezu strotzen. Um noch einmal eines der genannten Beispiele aufzugreifen: Ich empfinde eine Aussage wie „Ich meine übrigens, dass Gott uns Deutsche nicht siezt. Wir duzen ihn ja auch“ einfach nur als peinlich und albern. Dämlichkeiten dieser Art tun einfach nur weh.

Aber der Kern des Problems, das ich sehe, ist noch einmal ein anderer. Nämlich das Gottesbild, das mit Predigten dieser Art transportiert wird. Hier geht es um nicht mehr oder weniger als um das Zentrum unseres theologischen Denkens und Arbeitens. Ich nehme wahr, dass sich – und die vorgestellten Predigten sind für mich ein Indikator dafür - vermehrt ein platter Theismus breitmacht, als ob es die theologischen Diskussionen und Erkenntnisse der letzten Jahrzehnte, ja Jahrhunderte nie gegeben hätte. Gott wird (wieder) unbefangen als Weltraummensch vorgestellt, eine Art älterer Onkel, der uns duzt, manchmal ein wenig vergesslich ist, aber immer lieb bleibt, was wir auch ausgefressen haben. Man mag sich bei dieser Art von Gottesbild auf alles Mögliche berufen, aber bitte nicht auf die Bibel! Darum soll es im Folgenden gehen. Gestatten Sie mir also ein paar biblisch-theologische Anmerkungen zur Rede von und über Gott.

IV)

Ich sehe bei der Art, von Gott zu reden, wie die oben zitierten Predigten es tun, fünf Problemhorizonte, die sich auftun. Ich gehe diese der Reihe nach durch.

1)

„Gott sagt bei der Taufe ‚ja’ zu dir“. Dieser Satz ist bei Taufansprachen häufig zu hören[18]. Nichtsdestotrotz wirkt er ein wenig bizarr, als ob Gott bei der Taufe unmittelbar anwesend sei und sein „Ja“ zum jeweiligen Täufling hauchte. So ist der Satz sicherlich nicht gemeint. Es geht nicht um ein unmittelbares, wörtlich verstandenes Reden Gottes bei der Taufe. Wie ist dieser Satz aber dann zu verstehen oder anders gefragt: Wie kommt es zu diesem Satz?

Es handelt sich um eine komplexe Ableitung aus der Taufgeschichte Jesu. Die Evangelien erzählen, dass sich bei der Taufe Jesu der Himmel öffnet und Gottes Stimme zu vernehmen ist: „Das ist mein lieber Sohn, an dem ich Wohlgefallen habe“ (Mt 3, 16). Pfarrerinnen und Pfarrer beziehen diese Aussage Gottes über Jesus auf den Täufling. Das kann man tun. Man sollte dies aber als Ableitung einer Aussage aus einer biblischen Geschichte, die eigentlich einem anderen galt, kenntlich machen. Sonst wird der Zusammenhang nicht mehr deutlich und die Aussage „Gott sagt bei der Taufe ‚ja’ zu dir“ wird unverständlich oder wirkt gar eigenartig-bizarr.

Ich glaube, viele Predigten leiden unter der Vielzahl von nicht mehr kenntlich gemachten Ableitungen oder dogmatischen Summierungen. Dietrich Ritschl schreibt: Wenn „Summierungen nicht mehr im direkten Bezug zu den ursprünglichen Stories verstanden werden, sondern Anlass zu ‚Ableitungen’, wie ich sie nenne, geben, und sogar Ableitungen von Ableitungen’ möglich werden – also Ableitungen von Ableitungen von summierten Stories – dann sind einerseits dem Missverstehen und andererseits dem Aberglauben Tür und Tor geöffnet. Dies ist die Situation der Theologie und Kirche seit der Zeit der Alten Kirche. Denn nun kann man sagen: ‚Das Blut Jesu rettet’, ‚Das Kreuz nützt’ (auch als Zeichen aus Holz und Metall, das man dem Feind oder einer Krankheit entgegenhält), ‚Die Bibel will’, ‚Der Glaube glaubt’, und ungezählte andere, in sich völlig unsinnige Formulierungen“[19].

2)

Der biblischen Tradition, auf die sich Predigten berufen, wird von Seiten der Christen Offenbarungscharakter zugesprochen. Egal wie man „Offenbarung“ auch fasst, immer handelt es sich bei der biblischen Tradition zugleich um Texte, die Menschen ersonnen und aufgeschrieben haben. Die Bibel ist nicht Gottes Wort. Theologischer richtiger wäre die Glaubensaussage: „In der Bibel ist Gottes Wort“, verhüllt, verdeckt, immer vermittelt durch menschliche Worte, immer umstritten. Diese Erkenntnis ist wichtig. Sie bewahrt uns davor, jedem Text in der Bibel die gleiche Dignität zuzuschreiben (was wir in der Praxis auch nicht tun). Nicht wenigen Texten in der Bibel werden wir heute sogar in aller Entschiedenheit widersprechen müssen (vgl. z.B. 1. Sam 15, wo Gott zu Saul sagt: „Töte ohne Erbarmen Männer und Frauen, Kinder und Säuglinge, Rinder, Schafe, Kamele und Esel.“). Weil Texte von Menschen aufgeschrieben sind, die in einer bestimmten Zeit gelebt haben, die ihre Werte und Haltungen in die Texte eingetragen haben und ihr Verständnis von Gott, ist es wichtig, diese Texte auch zu kennzeichnen als menschliche Deutungen[20]. Ich habe immer mehr Schwierigkeiten damit, wenn Predigende unbefangen sagen, was Gott möchte und wie er denkt. Aussagen wie „Gott möchte, will“ usw. sind theologisch stimmiger, wenn sie bezogen werden auf die Person, die eine solche Aussage trifft (also: „Der Prophet Jeremia ist sich sicher, was Gott von ihm will“ oder „Ich glaube, dass Gott…“). Dann kann man sie entsprechend einordnen und notfalls auch kritisieren. Würden wir Predigende dazu übergehen, in dieser indirekten Form von Gott zu sprechen, würden wir uns in der Kirche viele Probleme ersparen.

3)

Die biblische Rede von Gott ist immer metaphorisch-symbolisch. „Gott“, behauptet der evangelische Theologe Eberhard Jüngel, „ist ein sinnvolles Wort nur im Zusammenhang metaphorischer Rede“[21]. Der Theologe Paul Tillich hat die symbolische Redeweise als die authentische und unhintergehbare Sprache aller Religion bezeichnet. Diese theologische Erkenntnis – habe ich den Eindruck – droht immer mehr zu verschwinden.

Was heißt metaphorisch bzw. symbolisch? Metaphorisch meint einen Vergleich. Wir sagen zum Beispiel: Elvira ist eine Schlange. Damit meinen wir, dass bestimmte Eigenschaften einer Schlange übertragen werden können auf Elvira. Wichtig ist, sich klarzumachen, dass Elvira nicht im wörtlichen Sinne eine Schlange ist.

Das Symbol ist die Region des Doppelsinnes, hat der Philosoph und Theologe Paul Ricoeur einmal gesagt. Ein Herz hat nicht nur eine Bedeutung für sich, es steht auch für etwas, zum Beispiel für die Liebe. Der Ring kann Zeichen sein für die Ehe oder die Freundschaft.

Die biblische Rede von Gott ist immer metaphorisch-symbolisch. Das heißt: Alles, was in der Bibel über Gott gesagt wird, will im übertragenen Sinne verstanden werden, ist nur ein Vergleich.

Gott ist kein Vater. Er ist wie ein Vater. Gott hat keine Augen im wörtlichen Sinne. Denn sonst könnten wir weiterfragen: Wie groß sind die Augen Gottes? Gott spricht nicht im wörtlichen Sinne. Denn sonst könnten wir weiterfragen: In welcher Sprache spricht Gott? Kann man seine Stimme auf Band aufnehmen?

Die Gefahr, die biblische Rede von Gott wörtlich misszuverstehen, ist immer gegeben. Der Psychologe Tilmann Moser erzählt in seinem Buch „Gottesvergiftung“ davon, wie ihn die anthropomorphe Rede von Gott, die er als Kind wörtlich genommen hat, krankgemacht hat. Um Missverständnisse zu vermeiden, muss der Gefahr, die biblische Rede von Gott wörtlich misszuverstehen, aktiv entgegengewirkt werden.

Bei fast allen Predigten, die ich oben zitiert habe, wird der metaphorisch-symbolische Horizont, in den biblische Gottesrede eingebettet ist, nicht mehr deutlich. Die Gefahr des wörtlichen Missverständnisses ist hoch. Wollen wir das wirklich?

4)

Wir haben die personalen Gottesbilder der Bibel als metaphorisch-symbolische Redeweise bezeichnet. Wichtig ist nun aber auch, dass die Gottesbilder in der Bibel nur teilweise personalen Charakter haben. Es gibt eine Menge von Gottesbildern in der Bibel, die apersonal sind (Gott als Quelle, als Burg, als Fels usw.). Diese korrigieren ein einseitig personal-anthropomorphes Gottesbild. Diese Korrektur durch apersonale Gottesbilder findet in den Predigten, die ich angeführt habe, nicht mehr statt. Hier gibt es nur noch personale Gottesbilder. Und selbst hier findet eine Engführung statt. Es gibt in der Bibel nämlich auch personale Gottesbilder, die – uns verstörend – das Bild des fürsorglichen, lieben Vaters in Frage stellen (z.B. Gott als Kriegsmann).

Die vielen unterschiedlichen Gottesbilder in der Bibel ergänzen sich gegenseitig und stellen sich zugleich wechselseitig in Frage. Hinzu kommt das Bilderverbot, das in der Bibel eine Zentralstellung innehat. Wie anders als wir Christen reden die Juden von Gott, mit viel mehr Ehrfurcht, Respekt und Zurückhaltung! Sie trauen sich nicht einmal, den Namen Gottes auszusprechen!

5)

Predigten beziehen sich einerseits auf die biblische Tradition. Andererseits beziehen sie sich auf Menschen aus heutiger Zeit, den Predigthörenden. Die Situation der Predigthörenden in der Postmoderne ist geprägt durch die Erkenntnisse der Naturwissenschaften und einem religiösen Markt, auf dem sich eine Vielzahl von Religionen präsentieren. In der Theologie hat man das Gespräch mit den Naturwissenschaften und mit den anderen Religionen längst aufgenommen. Das hat zu spannenden Diskussion geführt[22], die Pfarrerinnen und Pfarrer nicht ignorieren sollten, wollen sie ihre Predigthörenden wirklich ernstnehmen. Davon ist jedoch in den von mir zitierten Predigten nichts zu sehen. Nähe zu den Hörenden wird allein über eine anbiedernde Sprache hergestellt. Das kann nicht gut gehen!

V)

Fassen wir zusammen: Ich sehe in zumindest einigen modernen Predigten eine immer ungehemmtere Tendenz, von Gott in einer läppischen, banalen und biblisch-theologisch höchst fragwürdigen Art zu sprechen.

Was ich mir von Predigenden stattdessen wünsche, ist ein mehr tastendes, ahnendes, metaphernreiches und symbolisch verschlüsseltes Reden von Gott. Vielleicht ist es genau das, was die Predigthörenden in heutiger Zeit von uns erwarten und was wir ihnen verweigern.

„Gott - das Geheimnis der Welt“: Vielleicht muss man wieder mehr theologisch ringen um die richtige Art und Weise, von Gott zu reden. Aber ein solches Ringen aktiviert auch die theologischen Gehirnmuskeln. Und das hat noch niemandem geschadet!

Anmerkungen

[1]    Gottesdienstpraxis Taufe 2010, S. 81

[2]    Gottesdienstpraxis Taufe 2010, S. 89

[3]    Gottesdienstpraxis Taufe 2010, S. 23

[4]    Gottesdienstpraxis Taufe 2010, S. 83

[5]    Gottesdienstpraxis Taufe 2010, S. 88

[6]    „Gott, der dich immer lieb haben wird“ (in: Gottesdienstpraxis Taufe 2010, S. 79)

[7]    Gottesdienstpraxis Taufe 2010, S. 122

[8]    Gottesdienstpraxis Taufe 2010, S. 70

[9]    Von Glückskeksen und Überraschungseiern. Vier Konfirmationspredigten, S. 9

[10]   Von Glückskeksen und Überraschungseiern. Vier Konfirmationspredigten, S. 19

[11]   Gottesdienstpraxis Taufe 2010, S. 88

[12]   Gottesdienstpraxis Taufe 2010, S. 75

[13]   Von Glückskeksen und Überraschungseiern. Vier Konfirmationspredigten, S. 9

[14]   Von Glückskeksen und Überraschungseiern. Vier Konfirmationspredigten, S. 9

[15]   Von Glückskeksen und Überraschungseiern. Vier Konfirmationspredigten, S. 9

[16]   Gottesdienstpraxis Taufe 2010, S. 65

[17]   Gott segnet, was wir brauchen. Ansprache zu Einweihungen, S. 8

[18]   Vgl. z.B. Gottesdienstpraxis Taufe 2010, S. 75

[19]   Dietrich Ritschl, Zur Logik der Theologie, München 1984

[20]   „Alles Anschauen“, schreibt der evangelische Theologe Friedrich Schleiermacher (mit „Anschauen“ meint er die Wahrnehmung der uns umgebenden Wirklichkeit), „geht aus von einem Einfluss des Angeschauten auf den Anschauenden, von einem ursprünglichen und unabhängigen Handeln des ersteren, welches dann von dem letzteren seiner Natur gemäß aufgenommen, zusammengefasst und begriffen wird“ (in: Friedrich Schleiermacher, Über die Religion, Göttingen 61967, S. 52)

[21]   Eberhard Jüngel, Thesen zur theologischen Metaphorologie, in: Jean Pierre von Noppen (Hg.), Erinnern, um Neues zu sagen, Frankfurt 1988, S. 53

[22]   Vgl. hierzu beispielhaft das Buch „Gott“, „Welt“ und Mensch“ im 21. Jahrhundert meines Studienkollegen Stefan Schütze

Artikelnachweis: https://www.theomag.de/88/mabe1.htm
© Markus Beile, 2014