Technik und Religion

Eine Buchvorstellung

Andreas Mertin

Der erste mit der freien Software Blender erstellte Kurzfilm „Elephants Dream“ führt uns in eine surreale und zugleich technoide Traumwelt: "The film tells the story of Emo and Proog, two people with different visions of the surreal world in which they live. Viewers are taken on a journey through that world, full of strange mechanical birds, stunning technological vistas and machinery that seems to have a life of its own." Zugleich zeigt uns der Kurzfilm mit den Protagonisten Proog und Emo zwei als antagonistisch geschilderte Welten: die Welt der Technik, der Programme, der Rationalität und der Mechanik auf der einen Seite und die Welt der Emotionen und des Begehrens, der Ängste und der Hoffnungen auf der anderen Seite. Dass Technik und Religion quasi „natürliche“ Gegensätze seien, gehört zu den scheinbar unvermeidbaren Stereotypen der Neuzeit. Und doch ist nichts weniger wahr. Das wird schon in Elephants Dream deutlich, denn die Welt der Apparate kann eben auch mit der Welt der Dogmatik verbunden werden und die Welt der Gefühle mit der Fuzzylogik.


Wie aber verhalten sich Technik und Religion in theologischer Perspektive zueinander? Einen nur auf den ersten Blick überraschenden Zugang zu dieser Frage hat Christian Schwarke in seinem in diesem Jahr erschienenen Buch „Technik und Religion“ gewählt.

Schwarke, Christian (2014): Technik und Religion. Religiöse Deutungen und theologische Rezeption der Zweiten Industrialisierung in den USA und in Deutschland. Stuttgart: Kohlhammer.

Schwarke untersucht zunächst unter dem Stichwort „Technik als Mission“ (23-74) vor allem die religiös inspirierte Technikdarstellung in den 20er und 30er Jahren des 20. Jahrhunderts. An der konkreten und vor allem visuellen Rezeption der Weltausstellung 1933 in Chicago und der Weltausstellung 1939 in New York wird gezeigt, wie sich Technik in Szene setzt und wie Fortschritt unter Rückgriff auf religiöse Bild- und Erzählschemata sinnenfällig wird. Das für mich Interessanteste dabei war, dass Schwarke konsequent (und sehr überzeugend) auf die bildliche Vergegenwärtigung setzt. Er begründet das so: „Da es sich bei religiösen Dimensionen und Verweisen auf das Transzendente stets um solche Kontexte handelt, die zwar reflektiert werden, in ihrer Kommunikation aber auf vorreflexive Ebenen zielen und aus diesen gespeist werden, wird über sie stets in Bildern und Symbolen kommuniziert ... Gleichwohl werden Bildinhalte und ihre Gestaltung von Künstlern selbstverständlich nicht unreflektiert eingesetzt. Gerade in Kontexten, die auf Öffentlichkeit zielen, geschieht dies in der Regel auf ihre Akzeptanz. Daher können Bilder zugleich als Ausdruck öffentlicher Wahrnehmung und als Gestaltungsversuch dieser Wahrnehmung verstanden werden.“ (14/15)

So kann Schwarke zeigen, wie etwa die Künstlerin Louise Lentz Woodruff (1893-1966) in ihrer Plastik "Science Advancing Nature" zur Weltausstellung 1933 unmittelbar auf die biblische Urgeschichte zurückgreift. [Es gibt übrigens ein fantastisches Fotodetail aus dem gleichen Jahr, das die dargestellte Bewegung vom Roboterengel auf das erste Menschenpaar noch einmal weiterführt auf die Künstlerin selbst – und diese bildliche Konstellation ist erkennbar nicht zufällig erstellt. Da Louise Lentz Woodruff auch religiöse Werke geschaffen hat, ist diese Beziehung vielleicht sogar naheliegend.]

Im nächsten Kapitel „Technik-Transzendenzen – Religiöse Deutungen der Technik im Bild“ (75-179) geht Schwarke den „Transzendenzverweisen“ nach, „mit denen Technik in den Jahren zwischen den Weltkriegen belegt wurde“. Dabei zeigt sich: „Das Phänomen, dass sich die Transzendenzverweise der Industrietechnik auf (fast) alle loci der klassischen Dogmatik beziehen lassen, belegt dabei erstens die tatsächlich enge Verflochtenheit der Wahrnehmung von moderner Technik und Transzendenz bzw. religiöser Tradition ... und zeigt damit zweitens, dass für die Bewältigung der umfassenden Veränderung, die mit den Techniken der Zeit verbunden war, bewährte Systeme religiöser Deutungskategorien bemüht werden mussten, um zentrale Punkte individueller und sozialer Weltdeutung neu fassen zu können.“ (20) Das betrifft nicht nur Begriffe wie Fortschritt, Licht („als Offenbarungstechnik“), sondern auch die konkreten Mythen der Technologien (Schöpfung, Garten Eden) und nicht zuletzt deren teleologische Ausrichtung (Heilsmechanik, Erlösung, Heilswege, Die neue Welt). Jeweils geht Schwarke so vor, das er aussagekräftige Bilder dieser Zeit einer genaueren Analyse unterzieht.

Im nächsten großen Kapitel geht es um „Rezeptionen – Technik in der Theologie“ (197-237). Die Frage lautet: Wie ist die Theologie in Amerika und Deutschland mit den Transzendenzbezügen der Technik umgegangen? „Es ist verschiedentlich beobachtet worden, dass explizite Auseinandersetzungen der Theologie mit der Technik im 20. Jahrhundert selten sind ... Man gewinnt zunächst den Eindruck, als hätte die Theologie das ‚Machine Age‘ verpasst“ (197f.). Dabei müsse man jedoch unterscheiden zwischen der Haltung zur Technik allgemein und der Haltung zu ganz spezifischen Techniken: „Beziehen sich solche Äußerungen auf bestimmte Techniken, sind sie in den USA überwiegend positiv gefärbt. Betrachtet man jedoch Äußerungen zur Technik allgemein, so sind diese überwiegend negativ. Technik wird auch in den USA zum Gegenpol der Religion. Damit verbinden sich implizite Verschiebungen in der Konzeption des Transzendenten, die Religion in der technischen Moderne jenseits der Technik als bleibend gültig auszuweisen suchen.“ (21) Ironischerweise hat die Kirche konsequent letztlich aber nur einen Gedanken wirklich übernommen: den der Effizienz (206ff.), was wir aktuell dann in den Gemeinden zu spüren bekommen. Ansonsten bleibt es bei eine grundlegenden Ambivalenz.

Das abschließende Kapitel „Christentum in einer technischen Welt – Ein Ausblick“ zieht noch einmal Konsequenzen aus dem zuvor Erhobenen. Die Frage lautet: was die Technik der Theologie eröffnen könnte (239). Hier sieht Schwarke für die gegenwärtige Theologie noch viel Erkenntnispotential und vor allem ungerechtfertigte Schranken. So sei zu beobachten „dass Kirche und Theologie jene Form gegenwartsbezogener Bildproduktivität, die früheren Epochen offenbar eigen war, abhanden gekommen ist. Erfreuen wir uns einerseits hochkulturell an Renaissancegemälden, die das biblische Geschehen ungeschützt und unverfroren in das 14. und 15. Jahrhundert versetzen, neigen wir andererseits dazu, gegenwärtige Versuche der Aktualisierung entweder für kitschig (etwa bei neuen Liedern) oder für einen Skandal zu halten (etwa bei Werbungen). Ganz in diesem Sinne hielten viele Diego Riveras Fresken der Automobilproduktion für einen Affront des religiösen Geschmacks, obwohl sie in Formsprache, Bildaufbau und der Einblendung der Gegenwart eng an die Kunst der Renaissance angelehnt sind (Man vergleiche etwa Benozzo Gozzolis Fresken in der Cappella di Magi, Palazzo Medici Riccardi, Florenz). Mit anderen Worten: Dass die technische Welt im religiösen Haushalt der Gegenwart nicht vorkommt, und wir uns bis in die religiöse Praxis hinein von dieser Welt möglichst weit entfernen müssen, um den Eindruck der Gegenwart des Göttlichen zu gewinnen, liegt vielleicht nicht an der Technik, sondern an unserem Konzept davon, was Religion genannt zu werden verdient.“ (245f.)

Gerade im Bereich des Protestantismus wünschte man sich viel mehr derartige Studien, die anhand der visuellen Kommunikation theologische Topoi beleuchten und neue Bildwelten aufscheinen lassen. Eine Buchempfehlung.

Artikelnachweis: https://www.theomag.de/89/am471.htm
© Andreas Mertin, 2014