Starb Jesus auch für die Bewohner fremder Welten?

Christian Weidemann

Der Sohn Gottes, unser Herr Jesus Christus, ist ein einziger, der, nachdem er in dieser Welt erschienen war, nur einmal gestorben und auferstanden ist. Nirgendwo anders hat er sich gezeigt, nirgendwo anders ist er gestorben oder auferstanden. So ist es unvorstellbar, dass es viele Welten gibt, weil es weder vorstellbar ist, dass Christus mehrmals gestorben und auferstanden ist, noch denkbar, dass in irgendeiner anderen Welt ohne Bekanntschaft mit dem Sohn Gottes den Menschen das ewige Leben zurückgegeben wird. Auch wenn diese Argumente nicht physikalischer Art sind, so müssen wir sie doch berücksichtigen, damit nicht viele Welten erdichtet, noch andere Religionen oder eine andere Menschengattung erträumt werden.
(Philipp Melanchthon)[1]

1. Einleitung

Die Frage, ob wir allein sind, und welche Folgen es für unser Selbstverständnis hätte, falls andere intelligente Spezies[2] im Universum existierten, hat Philosophie und christliche Theologie seit ihren Anfängen begleitet.[3] Doch während sich noch im 18. und 19. Jahrhundert viele bedeutende Vertreter der Zunft an den Debatten um die Vielzahl der Welten und die Wahrscheinlichkeit außerirdischen Lebens beteiligten,[4] sind Theologie und Philosophie heute weitgehend verstummt. Während die Implikationen von Quantenmechanik, Big-Bang-Kosmologie oder Evolutionsbiologie in zahlreichen Publikationen diskutiert werden, datierte bis vor Kurzem[5] die letzte Monographie eines deutschsprachigen Theologen, in der die Frage außerirdischen intelligenten Lebens ausführlich behandelt wird, aus dem Jahre 1884.[6]

Der kopernikanische Schauer, der Philosophen wie Pascal und Kant oder religiöse Dichter wie Klopstock und Brockes umtrieb, gehört, so scheint es, längst vergangenen Zeiten an. Und die Ansicht, die Ablösung des geozentrischen Weltbildes bedrohe zentrale christliche Glaubensinhalte, ist nach heute allgemein akzeptierter Auffassung nichts als ein großes Missverständnis gewesen. Als beispielhaft für die „Kosmosvergessenheit“ (Werner Bröker)[7] der Theologie des 20. Jahrhunderts mögen folgende beiläufige Äußerungen zweier berühmter Vertreter des Fachs gelten:

Als die Rheinische Post 1954 unter deutschen Theologen eine Umfrage zu den theologischen Implikationen der Bejahung außerirdischer Intelligenz veranstaltete, beschied Friedrich Gogarten die Redakteure, er sei auf dem Weg in den Urlaub, die Marsmenschen könnten sich ja ggf. dort bei ihm melden.[8] Im selben Geiste konstatierte Karl Rahner in einem Lexikonartikel die „existentielle Bedeutungslosigkeit“ der Frage nach außerirdischen Spezies, da, selbst falls es solche Wesen gäbe, sie doch „voraussichtlich nie in einen konkreten geschichtl. Kontakt mit uns treten können“.[9]

Aber Gogarten und Rahner irren sich, wenn sie meinen, dass nur die Begegnung mit außerirdischen intelligenten Lebewesen uns vor existentielle Herausforderungen stellen würde. Schon das Wissen oder die gut begründete Annahme, dass außerirdische Zivilisationen überhaupt existieren, genügte vielmehr, um die christliche Soteriologie in eine schwere und vermutlich unüberwindliche Krise zu stürzen.

2. Die Häufigkeit außerirdischer Intelligenz

Nach einer frühen Schätzung Carl Sagans, eines der Pioniere der SETI-Forschung (Search for Extraterrestrial Intelligence), befinden sich allein zum jetzigen Zeitpunkt eine Million intelligenter Zivilisationen in unserer Milchstraße.[10] Beispiele für einen derartigen „Optimismus“ sind zwar in den letzten Jahren seltener geworden,[11] doch der schottische Astrophysiker Duncan H. Forgan bezifferte 2009 im International Journal of Astrobiology anhand von Modellrechnungen die Anzahl derzeit bestehender technischer Zivilisationen in unserer Galaxie auf im günstigsten Fall knapp 38.000, selbst seine vorsichtigste Schätzung ergab immerhin noch eine Zahl von 360 Zivilisationen.[12]

Wenn wir nun annehmen, dass die anderen mehr als 100 Milliarden Galaxien des sichtbaren Universums im Durchschnitt entweder genauso viele intelligente Spezies enthalten wie unsere Milchstraße oder zumindest nicht wesentlich weniger als sie (sagen wir, nicht weniger als 0,1% der Anzahl der Spezies unserer Galaxie),[13] so läge – Forgans Schätzungen vorausgesetzt – die gegenwärtige[14] Anzahl technisch hoch entwickelter Zivilisationen im sichtbaren Universum irgendwo zwischen 36 Milliarden und 3,8 Billiarden! Dabei sind Zivilisationen, die sich auf einem vortechnologischen Stand befinden, noch gar nicht berücksichtigt, ebenso wenig wie die Myriaden weiterer intelligenter Spezies, die entweder bereits ausgestorben sind oder noch entstehen werden, bevor in etwa 1012 Jahren der letzte wärmespendende Stern erlischt. Außen vor geblieben sind auch Spekulationen, denen zufolge es sich bei unserem Universum nur um eines von vielen (möglicherweise unendlich vielen) Universen handelt (Multiversumshypothese).[15]

Wenn ich im Folgenden für mein Hauptargument voraussetze, dass die tatsächliche Anzahl intelligenter Zivilisationen die Zehnmilliardengrenze weit überschreitet, so handelt es sich dabei also um eine eher konservative Annahme. Im letzten Teil des Aufsatzes komme ich aber noch einmal kurz auf die durchaus fragliche Stichhaltigkeit von astrobiologischen Schätzungen wie derjenigen Forgans zurück.

3. Der universale Charakter des Christentums

Wenn es von Christus heißt, er sei für alle (ὑπὲρ πάντων) gestorben (2 Kor 5,15) und gekom­men, die Welt (κόσμος) zu retten (z.B. Joh 3,17), oder wenn am Ende des Markusevangeliums der Missionsauftrag ergeht „Verkündet das Evangelium der gesamten Schöpfung (πάσῃ τῇ κτίσει)!“ (Mk 16,15), so liegt es nahe anzunehmen, dass mit solchen Äußerungen nicht nur die Bewohner des Planeten Erde gemeint sind.[16] Auf der anderen Seite droht jedoch der universale Heilsanspruch des Christentums angesichts von möglicherweise Billionen weiterer intelligenter Spezies im All erheblich an Glaubwürdigkeit einzubüßen, er erscheint als Ausdruck einer kaum noch zu überbietenden geo- und anthropozentrischen Hybris.

„Wie konnte“, so fragt Thomas Paine, einer der amerikanischen Gründerväter, in seiner deistischen Streitschrift Age of Reason (1794/95), „der beschränkte und wunderliche Einfall entstehen, dass der Allmächtige, der Millionen seiner Obhut ebenso bedürftiger Welten hatte, die Fürsorge für alle übrigen aufgegeben habe und auf unsere Erde gekommen sei, um zu sterben, weil – wie es heißt – ein Mann und eine Frau einen Apfel gegessen hatten?“[17]

Meines Erachtens hat das zugrundeliegende Problem bis heute niemand präziser auf den Punkt gebracht als der anonyme Herausgeber des völlig vergessenen Theologische[n] Briefwechsel[s] eines Laien: über die Versöhnung unsers Planeten und anderer Welten mit Gott durch Christum (Leipzig 1782).[18]

Ich werde im Folgenden zunächst in zwei Schritten das Argument rekonstruieren und diskutieren, das der Herausgeber für die Inkompatibilität von traditioneller christlicher Soteriologie und zahlreichen außerirdischen Zivilisationen vorgebracht hat (4.). Dabei werden auch einige der teils namhaften Kontrahenten des Briefwechsels zu Wort kommen. Anschließend schlage ich dann eine im Lichte der Kritik verbesserte Version des ursprünglichen Arguments vor und verteidige sie gegen Einwände (5.). Zuletzt erörtere ich die für (rationale) Christen verbleibenden Optionen, auf das Dilemma zu reagieren (6.).

4. Das Argument des Herausgebers des Theologischen Briefwechsels

Das Argument, das in zwei Teile zerfällt, hat den Charakter einer reductio ad absurdum. Die Wahrheit des Christentums und das zahlreiche Vorkommen intelligenten außerirdischen Lebens werden versuchsweise angenommen, um aus diesen Annahmen widersprüchliche oder höchst unwahrscheinliche Folgerungen abzuleiten. Das Argument soll zeigen, dass, um besagte inakzeptable Konsequenzen zu vermeiden, entweder zentrale Gehalte des Christentums oder die Alien-Hypothese aufgegeben werden müssen.

Ich behaupte nicht, dass meine Rekonstruktion des Arguments die einzig mögliche ist, meine aber, dass sie ebenso naheliegend wie religionsphilosophisch interessant ist. Ich werde meine interpretativen Entscheidungen nicht im Einzelnen anhand des Textes begründen – der Leser mag sich darüber eine eigene Meinung bilden – mein Hauptinteresse in diesem Beitrag ist systematischer Natur:

4.1 Erster Schritt des Arguments: Erlösungsbedürftigkeit und Erlösung der Außerirdischen

1.    Theistische Annahme: Es existiert ein allmächtiges, allwissendes und moralisch vollkommenes Wesen. Dieses Wesen nennen wir „Gott“.

2.    Alien-Hypothese: Es gibt intelligentes außerirdisches Leben an unzähligen Orten des Universums.

3.    Hamartiologische Annahme: (Fast) alle Menschen sind Sünder.[19]

4.    Anwendung des Kopernikanischen Prinzips: Falls außerirdisches intelligentes Leben existiert, nimmt die irdische Menschheit im Vergleich zu extraterrestrischen Zivilisationen sehr wahrscheinlich keine moralische oder soteriologische Sonderstellung ein.

5.    Es gibt unzählige außerirdische Sünder. [folgt mit sehr hoher Wahrscheinlichkeit aus 2, 3 & 4]

6.    Rechtfertigungstheologische Annahme: Nur wer gänzlich ohne Sünde ist, ist von sich aus vor Gott gerecht, alle anderen bedürfen zuvor der „Versöhnung“ mit Gott.

7.    Unzählige Außerirdische bedürfen der Versöhnung mit Gott. [aus 5 & 6]

8.    Soteriologische Annahme: Gott „will, dass alle Menschen [intelligente Wesen] gerettet werden und zur Erkenntnis der Wahrheit gelangen.“ (1Tim 2,4)

9.    Es gibt unzählige intelligente außerirdische Wesen, die Gott retten will. [aus 4, 7 & 8]

10. Es gibt unzählige intelligente außerirdische Wesen, die Gott tatsächlich rettet. [folgt mit hoher Wahrscheinlichkeit aus 1 (Allmacht Gottes) & 9]

4.1.2 Erläuterungen

Die meisten Prämissen des Arguments ergeben sich aus seinem bereits erwähnten reductio-Charakter. Prämisse (2) ist die Alien-Hypothese, deren Annahme in Verbindung mit dem traditionellen Christentum auf eine inakzeptable Folgerung führen soll. Die Prämissen (1), (3), (6) und (8) geben Kernaussagen besagten (traditionellen) Christentums wieder.

Was die theistische Annahme (1) betrifft, so ist es nicht nötig, sich hinsichtlich der umstrittenen Allattribute auf eine bestimmte Deutung festzulegen. Für den Gang des Arguments genügt es z.B. anzunehmen, dass Gottes Macht groß genug ist, um die Rettung aller Sünder bewerkstelligen zu können. Auch für die rechtfertigungstheologische Annahme (6) kann vorerst offen bleiben, wie die Erlösung des Sünders im Einzelnen zu denken ist; es muss lediglich vorausgesetzt werden, dass sie sich nicht ohne Gottes Zutun erreichen lässt.

Dass der Heilswille Gottes sich auch auf außerirdische Sünder bezieht (9), folgt vermutlich bereits aus seiner Allgüte oder moralischen Vollkommenheit. Es mag zwar sein, dass es moralisch nicht geboten ist, jemanden aus einer selbst verschuldeten Notlage zu befreien: Auf die Gnade Gottes – oder auch auf das Geschenk ewigen Lebens – besteht kein moralischer Anspruch. Doch andererseits kann Gottes moralische Vollkommenheit sich schwerlich in der Befolgung moralischer Pflichten erschöpfen, sie muss – und zwar in unübertrefflicher Weise – supererogatorische Akte umfassen.[20] Wir können also von einem (essentiell) moralisch vollkommenen Wesen durchaus erwarten, dass es alles tut, was in seiner Macht steht, um sämtliche menschliche und nicht-menschliche Sünder zu bessern und zu erlösen. Da dies jedoch in der Theologiegeschichte vielfach bestritten worden ist (z. B. von Augustinus), verwende ich in dem Argument stattdessen das Kopernikanische Prinzip, das die Behauptung, unter den Billionen intelligenter Spezies im All wolle Gott ausgerechnet und ausschließlich Menschen Gnade oder ewiges Leben zuteilwerden lassen, hochgradig unplausibel erscheinen lässt.

Daraus dass Gott einen Sünder retten „will“, folgt freilich nicht notwendigerweise, dass er ihn auch tatsächlich rettet. Erstens mögen manche Sünder so schreckliche Taten begangen oder einen derart irreversibel verderbten Charakter entwickelt haben, dass ein ewiges Leben in inniger Gemeinschaft mit Gott für sie unmöglich geworden ist. Es könnte zweitens sein, dass vonseiten des Sünders eine in freier Weise getroffene Zustimmung zum Heilsangebot erforderlich ist, die selbst ein allmächtiges Wesen nicht einseitig erzwingen kann. Drittens könnte es höhere Güter geben, die der Errettung aller Sünder im Wege stehen, und die dafür sorgen, dass, obwohl Gott mit seinem „vorhergehenden Willen“ alle retten will, er mit seinem „nachfolgenden Willen“ nur wenige rettet.[21] Während die ersten beiden Kautelen beachtet werden müssen, scheint mir die dritte eher theoretischer Natur zu sein. Denn welches höhere Gut sollte dem Heil der Sünder entgegenstehen? Für den Schluss auf (10) reicht es aber in jedem Fall aus anzunehmen, dass, obschon nicht alle irdischen und außerirdischen Sünder gerettet werden mögen, ein beträchtlicher Teil von ihnen das Heil erlangt.

Das bisher Gesagte scheint mir wenig kontrovers zu sein und wird auch, soweit ich sehe, von keinem der Briefpartner bestritten. Anders verhält es sich jedoch mit Prämisse 4.

4.1.3 Zwei Einwände gegen Prämisse 4 (Keine Sonderstellung der Menschheit)

A) Wir können nichts über die Erlösungsbedürftigkeit oder die Art der Erlösung Außerirdischer (und damit über eine etwaige menschliche Sonderstellung) wissen:

„[I]ch behaupte, dass dasjenige, was Sie zu wissen verlangen, dass wir solches, wenn unser Verstand nicht so uneingeschränkt wird, wie der göttliche, nicht wissen können, ja, dass es Gott selbst unmöglich seie, uns solches bei unserer gegenwärtigen wesentlichen Einrichtung zu offenbaren.

Ich will den Fall setzen, Gott hätte Ihnen das, was sie zu wissen verlangen, in Absicht auf den Mond und die Einwohner desselben geoffenbaret, würden Sie damit zufrieden sein? Würden Sie es nicht auch von den übrigen Planeten wissen wollen? Würden Sie nicht in die andern Welten übergehen und kaum bei der letzten stella nebulosa aufhören? Und wo wollen Sie den Raum für alle daher entstehende Ideen in ihrer Seele hernehmen? [...]

Hätte [Gott] Sie in einen Engel verwandeln, und in den Stand setzen sollen selbst eine Reise durch das unermessliche Weltgebäude zu tun, und alles selbst zu beobachten?“ (Johann Melchior Goeze, TB 96)[22]

B) Die Menschheit steht am unteren Ende der Stufenleiter intelligenter Wesen und daher ist es plausibel anzunehmen, dass sie als einzige Spezies „gefallen“ ist:

„Was bei uns Menschen geschieht, und notwendig ist, das ist darum noch nicht auch bei allen andern Geistern nötig. Wahrscheinlich sind wir Menschen nur die unterste Klasse im Geisterreiche. Denn wir grenzen unmittelbar an die Tiere. Wir haben einen Tierkörper, aus grobem Erdenstoff gebaut. Wir stammen alle nur von Einem Paare ab, und werden durch die körperliche Zeugung fortgepflanzt – Vielleicht, oder vielmehr wahrscheinlich, ist keine einzige andere Geisterklasse uns hierinnen völlig gleich. Denn die ganze um uns lebende Natur zeigt eine unendliche Mannigfaltigkeit. Also ist es gar wohl möglich, dass außer uns keine einzige andere Geisterordnung in Sünde gefallen ist [...].“ (Gottfried Leß, TB 66)[23]

Meines Erachtens verkennt Einwand (A) den Witz des Kopernikanischen Prinzips, während Einwand (B) spätestens nach Darwin jede Plausibilität verloren hat.

Aber der Reihe nach. Was ist das „Kopernikanische Prinzip“? Ich gehe von folgender Arbeitsdefinition aus:

(KP) Solange einem Beobachter keine Anhaltspunkte für das Gegenteil bekannt sind, sollte er immer so schlussfolgern, als handelte es sich bei ihm um eine zufällige Stichprobe aus der Menge der Beobachter der jeweils relevanten Gruppe.[24]

Wenn wir uns fragen, wie andere intelligente Spezies im Universum beschaffen sein mögen, sollten wir – solange wir keine Anhaltspunkte für das Gegenteil haben – davon ausgehen, dass unsere eigene Spezies gegenüber den anderen nicht in besonderer Weise ausgezeichnet ist. Falls von den Myriaden intelligenter Spezies im Universum z.B. nur eine einzige einen auditiven oder olfaktorischen Sinn ausgebildet, oder nur eine einzige Literatur, Mathematik, Religion, Raumfahrt etc. entwickelt hätte, so wäre es außerordentlich unwahrscheinlich, dass wir uns ausgerechnet als Mitglied eben dieser Spezies wiederfänden. Der anonyme Herausgeber des Briefwechsels hat ein solches Prinzip im Auge, wenn er schreibt: „Soll ich glauben, dass alle andere Menschen anderer Weltkörper uns beschämen? Soll ich annehmen, dass von zehntausend Welten nur die unsrige gegen Gott rebellisch ist? Wie unwahrscheinlich!“ (TB 8). Um – (KP) vorausgesetzt – berechtigterweise zu diesem Schluss zu kommen, braucht es, anders als Goeze unterstellt, weder göttliche Offenbarung noch ein Raumschiff mit WORP-Antrieb.

Doch könnte man, so ein naheliegender Einwand, mit einem ähnlichen Argument nicht auch zu völlig absurden Schlussfolgerungen gelangen? Z.B. zu dem Ergebnis, dass wahrscheinlich einige intelligente Spezies auf anderen Planeten Gehörknöchelchen (Ossicula auditus) besitzen, den Don Quijote oder Beethovens Heroica hervorgebracht, arabische Ziffern entwickelt und den Ottomotor erfunden haben? Denn wäre der Don Quijote im gesamten Universum nur auf einem einzigen Planeten verfasst worden, wäre es nicht erstaunlich und ein großes Glück, dass wir uns ausgerechnet auf eben diesem Planeten befinden? Nichts dergleichen folgt aus (KP). Wir haben Anhaltspunkte dafür, dass die biologische, kulturelle und technologische Evolution von so vielen kontingenten Faktoren beeinflusst wird, dass so gut wie ausgeschlossen ist, dass sie sich irgendwo im sichtbaren Universum in genau derselben Form wiederholt (Dollos Gesetz).[25] Das Zeitalter der Dinosaurier ist unwiederbringlich verloren. Sie werden nicht zurückkehren, selbst dann nicht, wenn auf der Erde (oder anderswo im Universum) noch einmal eine Lebenswelt entstünde, die derjenigen bei Entstehung der ersten Dinosaurier vor 230 Millionen fast völlig gliche. Wir sind daher durchaus berechtigt anzunehmen – darin hat Leß recht – dass die Details unserer biologischen, kulturellen und technologischen Entwicklung einzigartig sind, selbst dann wenn Billionen anderer intelligenter Spezies das All bevölkern. Dies heißt aber nicht, dass keine interplanetarischen und -galaktischen Konvergenzen zu erwarten sind. Das Auge ist allein im Laufe der Erdgeschichte mehr als 40mal unabhängig voneinander entstanden, Ichthyosaurier, Fische und Wale weisen, obschon nur weitläufig miteinander verwandt, ähnliche Anpassungen an ihren Lebensraum auf, ebenso wie der Wolf und der ausgerottete Tasmanische Wolf. In analoger Weise mögen zwar Gehörknöchelchen, der Don Quijote und arabische Ziffern im Universum einzigartig sein, es ist jedoch – falls außerirdische Zivilisationen überhaupt existieren – deshalb noch lange nicht plausibel anzunehmen, dass etwas Ähnliches auch für auditive Sinnesorgane, Literatur oder Mathematik gilt.[26]

Die folgenden Beispiele mögen verdeutlichen, warum KP als ein universal gültiges epistemisches Prinzip anerkannt werden sollte:

Lotterie: Peter ist einer von 100 Teilnehmern einer Tombola. Er weiß, dass die Lostrommel ausschließlich weiße und schwarze Kugeln enthält und dass die Gewinnerkugel die einzige ihrer Farbe ist. Er weiß aber nicht, welche Farbe die Siegerkugel hat. Er zieht einen schwarzen Ball. Daraufhin nimmt Peter an, dass die Lostrommel wahrscheinlich 99 schwarze und einen weißen Gewinnerball enthielt.

Amnesie: Frau X wacht in einem fensterlosen Raum ohne Spiegel auf. Sie hat alle ihre persönlichen Erinnerungen verloren. Sie weiß nicht einmal, welche Sprache sie spricht, ihr geographisches und demographisches Gedächtnis ist aber intakt. Sie überlegt, aus welchem Land sie wohl kommen mag. Außer ihren demographischen Kenntnissen verfügt sie über keinerlei Informationen. Sie schließt, dass die Chance, dass sie Chinesin oder Inderin ist, recht hoch ist, während Liechtenstein oder Nauru als ihr Herkunftsland praktisch ausgeschlossen werden können.[27]

Es ist klar, dass Frau X und Peter rationale Schlüsse aus ihrer jeweiligen Situation ziehen. Wenn man etwa sämtliche 100 Teilnehmer der Tombola aufforderte in Unkenntnis der 99 anderen Ziehungen auf die Verteilung weißer und schwarzer Bälle zu wetten, so würde die Wettmaxime „Setze darauf, dass die Mehrheit der anderen Bälle von der Farbe deines Balles ist“, in 99 von 100 Fällen einen Gewinn erbringen.

In ganz ähnlicher Weise ist auch die Maxime „Wenn Du selbst Sünder bist, nimm an, dass die Mehrheit [oder zumindest eine erhebliche Minderheit] anderer intelligenter Wesen im Universum ebenfalls sündigt“, gerechtfertigt, jedenfalls solange man keine Anhaltspunkte dafür hat, eine besonders ungewöhnliche Position einzunehmen.

Gibt es nun aber Anhaltspunkte dafür, dass es sich bei unserer Fähigkeit zur Sünde oder bei unserem unmoralischen Verhalten um seltene Ausnahmen unter den intelligenten Spezies des Universums handelt? Gottfried Leß behauptet genau das: Im möglichen Spektrum intelligenter Wesen „grenzen wir unmittelbar an die Tiere“ (TB 66). Da die Natur sich ungern wiederholt, ist auf anderen Planeten die Existenz völlig anderer geistiger Wesen zu erwarten, die körperlich-sinnlichen Neigung entweder in weit geringerem Maße als wir oder gar nicht unterliegen. Und es ist nicht klar, warum solche Wesen „gefallen“ und damit erlösungsbedürftig sein sollten.

Das Hauptproblem dieses Einwands besteht darin, dass er nach Darwin gänzlich unglaubwürdig geworden ist.[28] Falls es Leben auf anderen Planeten im Universum geben sollte, so wird man sich seine Entwicklung nämlich auch dort kaum ohne das Prinzip der natürlichen Selektion verständlich machen können. Die natürliche Selektion begünstigt aber die Herausbildung eines Verhaltens, das den eigenen Fortpflanzungserfolg sowie den Fortpflanzungserfolg naher Verwandter (Angehöriger der eigenen Gruppe)[29] ohne Rücksicht auf konkurrierende Arten und Artgenossen erstrebt. Da intelligente Spezies vermutlich überall im Universum das Produkt eines durch natürliche Selektion bestimmten evolutionären Prozesses sind, ist folglich auch zu erwarten, dass sie alle als Erbe ihrer phylogenetischen Entwicklung eine Tendenz zu unmoralischem Verhalten (vor allem gegenüber ihnen fremden Mitgliedern der eigenen Spezies und Angehörigen anderer Arten) aufweisen. Nicht ein solches Verhalten, sondern vielmehr eine Lebensweise ganz ohne Sünde, die sich von sämtlichem stammesgeschichtlichen Ballast emanzipiert hätte, erschiene erklärungsbedürftig.

Die Konklusion, dass Gott, im Falle seiner Existenz, unzählige intelligente außerirdische Wesen erlöst, ist gleichwohl natürlich nicht das Ergebnis eines deduktiven Beweises, sondern „nur“ das Resultat eines Wahrscheinlichkeitsarguments. Weder aus dem Kopernikanischen Prinzip (4) noch aus evolutionsbiologischen Erwägungen lässt sich ableiten, dass es unmöglich ist, dass die Menschheit als einzige unter Milliarden oder Billionen intelligenter Spezies sündigte und „fiel“, wohl aber, dass eine solche Annahme äußerst unwahrscheinlich ist.

4.2 Zweiter Schritt des Arguments: Das Mittel zur Erlösung der Außerirdischen

10. Es gibt (unzählige) intelligente außerirdische Wesen, die Gott rettet.

11. Satisfaktionstheoretische Annahme: Eine Versöhnung (Erlösung) der Sünder ist nur möglich durch das stellvertretende Leiden und Sterben einer Inkarnation Gottes. „Ohne dass Blut vergossen wird, gibt es keine Vergebung“ (Hebr 9, 22).

12. Prämisse der Unmöglichkeit interplanetarischer Erlösungstaten: Die Sünder eines Planeten können nicht durch ein auf anderen Planeten geschehenes Opfer „versöhnt“ werden.

13. Reductio ad absurdum: Gott hat sich mehrmals inkarniert, ist mehrmals geboren worden, hat mehrmals gelitten, ist mehrmals gestorben etc. [aus 10, 11 & 12].

14. „Wir wissen [jedoch], dass Christus [die irdische Inkarnation Gottes], von den Toten auferweckt, nicht mehr stirbt“ (Röm 6,9).

15. Wesen des Christentums–Prämisse: Bei den Annahmen 11., 12. und 14. handelt es sich um Kernaussagen des Christentums. Sie aufzugeben, hieße das Christentum aufzugeben.

16. Konklusion: Die Annahme (10) ist inkompatibel mit dem Christentum. [aus 13, 14 & 15]

Dieser zweite Teil des antichristlichen Arguments des anonymen Verfassers des Theologischen Briefwechsels ist weit weniger überzeugend als der erste, worauf bereits viele der damaligen Briefpartner hingewiesen haben. Es gibt insbesondere wenig Grund anzunehmen, ein Christ sei verpflichtet, den Prämissen (11) und (12) – und damit auch (15) – zuzustimmen.

4.2.1 Die satisfaktionstheoretische Annahme (11)

Zunächst ist es wichtig, sich klar zu machen, dass es sich bei (11) um eine Modalaussage handelt: Es wird nicht nur behauptet, dass die Erlösung menschlicher Sünder de facto durch Leiden und Sterben einer Inkarnation Gottes geschah, sondern auch, dass sie gar nicht anders geschehen konnte. Eine solche, mit einer Notwendigkeitsbehauptung verknüpfte, Satisfaktionslehre wurde in der christlichen Tradition allerdings tatsächlich nur von einer Minderheit vertreten. Ihr klassischer Verfechter ist Anselm von Canterbury.[30]

Thomas von Aquin leugnet hingegen einen notwendigen Zusammenhang zwischen der Erlösung der Sünder und der Menschwerdung: Gott hätte „einzig aufgrund seines Willens alle jene Vorteile im Menschengeschlecht [...] erwirken können, von denen wir sagen, sie seien ein Resultat der Inkarnation Gottes“.[31] Im selben Sinne äußert sich auch Johannes Calvin in seiner Institutio: Dass der Mittler zwischen uns und Gott wahrer Mensch und wahrer Gott gewesen sei, beruhe „nicht, wie man sagt, auf einer ‚einfachen‘ oder ‚absoluten‘ Notwendigkeit, sondern es ergibt sich aus dem himmlischen Rathschluß, von dem das Heil der Menschen abhing. Der Vater hat eben in seiner Freundlichkeit beschlossen, was nach seiner Festsetzung für uns das Beste war!“[32]

Während es Thomas und Calvin vor allem darum geht, Gottes freie und souveräne Wahl eines geeigneten Heilsmittels zu betonen,[33] ist von einigen Korrespondenten des Theologischen Briefwechsels geltend gemacht worden, dass das Mittel des Opfertods Jesu eine Reaktion auf die besondere historische Situation im Nahen Osten vor 2000 Jahren darstellte (Akkomodationstheorie). Andere Situationen auf anderen Planeten hätten Gott dagegen vermutlich ganz andere Wege der Erlösung ratsam erscheinen lassen. Einer der wichtigsten Wegbereiter der historisch-kritischen Bibelforschung, Johann Salomo Semler, stellt z.B. fest:

„[Wenn] geschieht und kann geschehen Vergebung ohne Blutvergießung in andere Planeten, warum alsdann bei uns mit Blutvergießung? [...] Eben weil auf der Erde eine lange Zeit (Reihe) von Opfern unter allen Völkern eingeführt gewesen sind, musste das rechte vollkommene geistliche Opfer bekannt und dargestellt werden, damit die Feindschaft zwischen Juden und Heiden durch diesen Tod Christi aufgehoben würde, mit allen Scheingründen der Juden, deren Gesetz und Zeremonien Christus selbst aufgehoben hat. Christus ist nun ein recht vollkommenes Opfer worden, woran die geistliche Art Gott zu verehren sich geoffenbart hat, für alle Menschen. Wenn nun in Ihren 2 bis 3 Welten keine Juden und keine solche gehassten Heiden waren, wozu sollte dann Christus dort auch wieder sterben?“ (Johann Salomo Semler, TB 18f)

Im Hebräerbrief (9, 22) werde, so auch Ch. W. F. Walch, nicht gesagt, „was geschehen kann, oder nicht geschehen kann, sondern was geschiehet und nicht geschiehet.“ (TB 72)[34]

4.2.2 Interplanetarische Erlösungstaten (12)

Es ist nicht klar, warum Jesu Tod, so er denn überhaupt eine soteriologische Funktion hat, nicht auch für die Bewohner anderer Welten heilswirksam werden könnte. Allenfalls aus zwei Gründen ließe sich das bezweifeln. Zum einen könnte man meinen, dass Leiden und Tod der Inkarnation Gottes nur insofern für einen Sünder heilswirksam werde, als Gott die Gestalt der biologischen Spezies des jeweiligen Sünders angenommen hat. Eine solche Auffassung ist allerdings wenig plausibel: Entscheidend ist, dass der inkarnierte Gott gelitten hat und für unsere Sünden gestorben ist (wie auch immer man das genau verstehen mag), nicht jedoch, ob er dies in Gestalt eines homo sapiens oder eines Bewohners von Alpha Centauri getan hat. Man stelle sich vor, die zweite intelligente (und vermutlich ebenfalls sündigende) Menschenart, der Neandertaler, wäre nicht ausgestorben und Gott hätte sich vor 2000 Jahren als homo neanderthalensis inkarniert, wäre gekreuzigt worden und am dritten Tage auferstanden: Hätte das etwa keine Heilsbedeutung für den homo sapiens gehabt? Hätte Gott sich für ihn ein zweites Mal inkarnieren müssen? [35]

Zum anderen ließe sich einwenden, dass Jesu Tod für Bewohner anderer Welten nur unter der Voraussetzung Heilsbedeutung erlangen könne, dass er diesen auch zur Kenntnis gelangt. Mit vielen Milliarden Lichtjahren von uns entfernten Galaxien zu kommunizieren, sei jedoch unmöglich. Auch dieses Argument ist aus zwei Gründen wenig schlagkräftig. Erstens könnte der Kreuzestod Jesu den Bewohnern fremder Welten ja auf übernatürlichem Wege, etwa durch Engel oder Propheten, die im Besitz göttlicher Offenbarung sind, bekannt gemacht werden. Dies ist von zahlreichen Autoren des Briefwechsels eingewandt worden. So stellt Johann Peter Miller fest:

„So wie wir Europäer, itzt auch die Amerikaner, bloß auf das unumstößliche Zeugnis ehemaliger Augenzeugen eine vor 1800 Jahren in einem abgelegenen Winkel von Asien vorgefallenen Begebenheit stärker glauben können, als kaum die Schlacht von Roßbach [...], eben so ist es möglich, dass in den andern Provinzen der Monarchie Gottes Sünder zum Glauben an den einzigen großen Weltversöhner durch die ehemaligen Herolde dieser großen Botschaft gebracht werden können, so dass auch wohl viele Zungen von Zeit zu Zeit bekennen: dass Jesus auch ihr Herr sei [...].“ (Johann Peter Miller, TB 81)

Zweitens partizipieren die Bewohner der Erde, die vor Jesu Tod gelebt haben oder (wie die amerikanischen oder australischen Ureinwohner) lange Zeit nicht von ihm erfuhren, nach heutiger[36] katholischer wie protestantischer Auffassung am durch Christus gewirkten Heil.[37] Warum sollte das dann nicht auch für extraterrestrische intelligente Wesen gelten? Ein „ungenannter Theologe“ schreibt im Briefwechsel:

„Es sind ja so unzählige Menschen auf dem Erdboden gewesen, und sind noch, die von Christo und seinem Wege zur Seligkeit nie etwas vernommen haben, noch haben vernehmen können. [...] Sollen alle diese Millionen verdammt werden, weil sie nicht glauben, weil ihnen Christus nicht ist gepredigt worden? [...] Wird [Gott] sie, wie manche Theologen meinen, den Zorn über Adams Sünde ewig fühlen lassen? Ich glaube es von dem Gott nicht, der sich in der Natur und der Schrift so wohlwollend gegen das menschliche Geschlecht geoffenbart hat.“ (ungenannter Theologe, TB 41f.)

5. Eine verbesserte Version des Arguments

Der zweite Schritt des Arguments des Theologischen Briefwechsels lässt sich allerdings, wie ich nun zeigen werde, unter Auslassung der problematischen Prämissen (11) und (12) erfolgreich reformulieren:

10. Es gibt (unzählige) intelligente außerirdische Wesen, die Gott rettet.

17. Christologische Prämisse: Jesus war eine Inkarnation Gottes auf Erden. Durch ihn wurden (zumindest) viele menschliche Sünder mit Gott versöhnt.

18. Trilemma: Die außerirdischen Sünder, die Gott rettet, werden von Gott erlöst entweder (a) durch Leiden und Tod einer Inkarnation Gottes auf der Erde oder (b) durch Leiden und Tod einer Inkarnation Gottes außerhalb der Erde (auf ihrem Heimatplaneten) oder (c) durch ein anderes Mittel als Leiden und Tod einer Inkarnation Gottes.

19. Zu a): Falls unzählige außerirdische Wesen durch eine Erlösungstat auf dem Planeten Erde gerettet werden, so kommt der Erde eine soteriologische Sonderstellung zu, was höchst unplausibel ist. [wg. 4]

20. Zu b): Falls unzählige außerirdische Wesen durch den Tod einer anderen Inkarnation Gottes (auf ihrem Heimatplaneten) gerettet werden, so hätte Gott sich mehrmals inkarniert, wäre mehrmals gestorben etc.

21. „Wir wissen [jedoch], dass Christus, von den Toten auferweckt, nicht mehr stirbt“ (Röm 6,9).

22. Sehr wahrscheinlich wird kein (so gut wie kein) erlösungsbedürftiger Außerirdischer durch Leiden und Tod einer Inkarnation Gottes errettet. [aus 18–21]

23. c) Sehr wahrscheinlich werden zwar unzählige außerirdische intelligente Wesen von Gott gerettet, nicht jedoch vermittelst des Leidens und Sterbens einer Inkarnation Gottes. [aus 10 & 22]

24. Dass Gott sich inkarniert, leidet und stirbt, ist aber der größtmögliche (ja vielleicht einzig mögliche) Beweis seiner Solidarität mit der Schöpfung.

25. Der Menschheit kommt eine äußerst unwahrscheinliche, inakzeptable Sonderstellung zu. [aus 4, 17, 23 & 24]

26. Wesen des Christentums–Prämisse: Bei den Annahmen 17., 21. 24. handelt es sich um Kernaussagen des Christentums. Sie aufzugeben, hieße das Christentum aufzugeben.

27. Konklusion: Die Annahme (10) schwächt die Wahrscheinlichkeit/Plausibilität des Christentums sehr stark.

5.1 Diskussion

Bei (10) handelt es sich um die Konklusion des gut begründeten ersten Schritts des Arguments (s. oben). Die christologische Prämisse (17) stellt eine im Vergleich zur kritisierten satisfaktionstheoretischen Prämisse (11) sehr viel harmlosere Annahme dar: Sie besagt lediglich, dass Jesus als inkarnierter Gott faktisch eine Rolle für das Heil menschlicher Sünder spielt. Wer eine solche Rolle bestreitet, scheint mir den Boden des christlichen Theismus (26) klarerweise zu verlassen. Die Behauptung eines Trilemmas in (18) ist gleichfalls unschuldig, es werden bloß die logisch möglichen Alternativen aufgezählt.

Angreifbar sind daher nur die Anwendung des Kopernikanischen Prinzips in (19) und (25) und die Einstufung der Prämissen (21) und (24) als Kernaussagen des Christentums.

5.1.1 Wäre eine etwaige Sonderstellung der Menschheit tatsächlich inakzeptabel (19,25)?

Einige Autoren fahren trotz und eingedenk der möglicherweise unermesslich großen Anzahl extraterrestrischer Zivilisationen fort, eine soteriologische Sonderstellung für die Menschheit zu beanspruchen. Eine solche Auffassung sollte nicht voreilig als „intergalaktischer Chauvinismus“ oder als Zeichen menschlicher Selbstüberschätzung kritisiert werden. Lavater etwa betont gerade umgekehrt:

„Es gehört zum dramatischen Genie Gottes, aus dem Kleinsten das Größte zu machen – durch das Kleinste auf das Größte, durch einen unbeträchtlichen Punkt auf die Unermesslichkeit zu wirken. Vielleicht ist unsere Erde das Nazareth des Universums.“ (Johann Caspar Lavater, TB 101f.)

In ähnlich pathetischer Weise beschließt Joseph Pohle sein Buch über Die Sternenwelten und ihre Bewohner:

„Wenn Gott auf diese Erde herabgestiegen, obschon sie kosmisch eine der unscheinbarsten und verächtlichsten Weltkörper zu sein scheint, so zeigt sich gerade hierin nur der wahrhaft göttliche Charakter dieses großen Heilsschrittes, indem Gott nicht das Große und Mächtige bevorzugt, sondern eher auf das Schwache und Winzige liebevollen Auges blickt. Nicht in einem Königspalast ward das fleischgewordene Wort geboren, sondern in einem Stalle; nicht auf einem herrlichen Planeten irgendeines stattlichen Doppelsternsystems ward Gott Mensch, sondern auf dem winzigen Sandkörnlein der Erde.“[38]

Laut Pohle und Lavater besteht also keineswegs Anlass, uns auf die soteriologische Sonderstellung der Menschheit etwas einzubilden, es ist vielmehr gerade die Nichtigkeit des Menschen gewesen, die Gott veranlasst hat, die Erde als Bühne für seine Heilstat zu wählen.

Das eigentliche Problem der Hypothese einer soteriologischen Sonderstellung der Menschheit ist daher auch nicht moralischer, sondern erkenntnistheoretischer Natur. Sie verstößt in eklatanter Weise gegen das Kopernikanische Prinzip, das uns anhält, unsere eigene Position für durchschnittlich zu halten. Das epistemologische Gewicht des Kopernikanischen Prinzips verringert sich freilich, umso mehr Informationen das jeweilige Erkenntnissubjekt über die eigene Lage besitzt. Ein Beobachter sollte nur dann so schlussfolgern, als handelte es sich bei ihm um eine „zufällige Stichprobe aus der Menge aller Beobachter der relevanten Gruppe“, solange ihm keine starken Anhaltspunkte für das Gegenteil bekannt sind. Wenn ein Lottospieler am Samstagabend die Ziehung der Lottozahlen verpasst hat, sollte er bis auf weiteres davon ausgehen, eine durchschnittliche Position unter allen Mitspielern einzunehmen, d.h. zu den Verlierern der Ziehung zu gehören. Wenn er jedoch die von ihm getippten Zahlen am nächsten Tag in der Zeitung liest, ihm ein Mitarbeiter der Lottogesellschaft den Gewinn telefonisch bestätigt und schließlich ein Millionenbetrag auf seinem Konto eingeht, hat er allen Grund, seine Lage für ungewöhnlich zu halten.

Gibt es analoge und hinreichende Anhaltspunkte dafür, dass auf der Erde das Unwahrscheinliche tatsächlich Ereignis wurde und Gott sich dort (und nur dort) inkarnierte? Bei Beantwortung dieser Frage ist zunächst zu beachten, dass die Wahrscheinlichkeit dafür, sich unter Milliarden oder Billionen bewohnter Planeten ausgerechnet auf demjenigen wiederzufinden, den Gott für seine einmalige Inkarnation gewählt hat, noch weit geringer ist als ein Sechser im Lotto.[39] Nun hat es zwar immer wieder Versuche gegeben, aufgrund von antiken Quellen und anhand anderer empirischer Belege induktiv plausibel zu machen, dass Jesus von den Toten auferstand.[40] Doch wie auch immer es um die Meriten solcher Versuche bestellt sein mag, sie können bestenfalls ein wundersames Geschehen im Nahen Osten vor 2000 Jahren plausibel machen, nicht jedoch, dass es sich bei dem damaligen Protagonisten Jesus von Nazareth um Gott selbst gehandelt hat! Bei der Inkarnationschristologie haben wir es vielmehr mit einer nachträglichen theologischen Rationalisierung der damaligen Ereignisse zu tun, bei der eben, jedenfalls soweit mir bekannt ist, niemals in Rechnung gestellt wurde, dass Gott neben der Erde möglicherweise „Millionen [anderer] seiner Obhut ebenso bedürftiger Welten“ (Th. Paine) als Inkarnationsschauplatz zur Verfügung standen.

Nun glauben die meisten Christen an Jesus als den „Sohn Gottes“ natürlich nicht aufgrund induktiver oder gar apriorischer Argumente, sondern in unmittelbarerer Weise. Dass Gott sich in Jesus inkarnierte, litt und auferstand, scheint ihnen – auch ohne elaboriertes Argument – einfach wahr zu sein. Die meisten Autoren des Briefwechsels betonen, dass die Lektüre der Heiligen Schrift hinsichtlich Erlösungstod und Auferstehung Christi Gewissheit stifte. Doch folgt daraus nicht zwingend, dass die Erde das soteriologische Zentrum des Universums ist, so unwahrscheinlich das im ersten Augenblick auch anmuten mag? Friedrich Samuel Zickler zieht diesen Schluss:

„Hat [der Gottmensch Jesus Christus einmal] eine unendliche Genugtuung geleistet, so hat er notwendig alle vernünftige Geschöpfe, die gegen Gott ungehorsam gewesen sind, mit ihm versöhnt, und ihnen das Recht und die Freiheit erworben, dass sie bei der Annahme seiner Genugtuungen in der von Gott bestimmten Ordnung wieder zu Gnaden können angenommen werden, und die Seligkeit erlangen. Denn wollte man die einmal geleistete Genugtuung Christi nur auf die vernünftigen Bewohner unsers Planeten einschränken, so müsste man annehmen, dass Christus für die vernünftigen Geschöpfe auf anderen Planeten entweder nicht habe können, oder nicht habe wollen genug tun [was absurd wäre].“ (Friedrich Samuel Zickler, TB 36f.)

Ich gebe nur zweierlei zu bedenken: Erstens ist es sehr fraglich, ob eine so komplexe und unanschauliche Eigenschaft wie „Inkarnation Gottes“ überhaupt als solche offenbart werden kann. Es mag sein, dass manche Personen eine Erfahrung des Numinosen machen oder dass sich jemandem während der Lektüre der Heiligen Schrift die (berechtigterweise basale, d. h. nicht weiter begründungsbedürftige) Überzeugung aufdrängt, dass Gott ihn liebt.[41] Aber lässt sich wirklich ernsthaft annehmen, dass so etwas wie das Folgende offenbart oder religiös erfahren werden kann?

„[Christus ist] vollkommen derselbe in der Gottheit, vollkommen derselbe in der Menschheit, wahrhaft Gott und wahrhaft Mensch, derselbe aus Vernunftseele und Leib, wesensgleich dem Vater der Gottheit nach, wesensgleich uns derselbe der Menschheit nach, in allem uns gleich außer der Sünde, vor Weltzeiten aus dem Vater geboren der Gottheit nach, in den letzten Tagen derselbe für uns und um unseres Heiles willen [geboren] aus Maria, der jungfräulichen Gottesgebärerin, der Menschheit nach, ein und derselbe ChristusSohn, Herr, Einziggeborener in zwei Naturen unvermischt, unverändert, ungeteilt und ungetrennt zu erkennen, in keiner Weise unter Aufhebung des Unterschieds der Naturen aufgrund der Einigung, sondern vielmehr unter Wahrung der Eigentümlichkeit jeder der beiden Naturen und im Zusammenkommen zu einer Person und einer Hypostase, nicht durch Teilung oder Trennung in zwei Personen, sondern ein und derselbe einziggeborene Sohn, Gott, Logos, Herr“ (Konzil von Chalkedon)

Bei Trinitäts- und Zweinaturenlehre handelt es sich um äußerst komplexe Theorien, die ohne weitere Prüfung zu glauben völlig irrational wäre, deren Für und Wider vielmehr sorgfältig gegeneinander abgewogen werden muss. Niemand würde isolierte Aussagen wie „Ich glaube, dass die Superstringtheorie falsch ist“ oder „Mir scheint der Universalienrealismus wahr zu sein“ als hinreichende Begründung entsprechender Überzeugungen akzeptieren. Warum sollte es sich bei der Inkarnationschristologie anders verhalten?

Zweitens gilt natürlich, dass die auf der Grundlage (tatsächlicher oder vermeintlicher) Offenbarung oder religiöser Erfahrung gewonnenen basalen Überzeugungen bezweifel- und korrigierbar sind. Dass dies auch von den meisten Christen im Grundsatz anerkannt wird, lässt sich leicht an ihrem Verhalten in extremen Fällen religiöser Verblendung ablesen. Wenn jemand im angeblichen Auftrag Gottes die Schulen Ungläubiger in die Luft sprengt, würde ja eine überwältigende Mehrheit aus Atheisten wie Theisten verlangen, dass der Attentäter seine vermeintlich geoffenbarten basalen Überzeugungen korrigiert bzw. in einer geschlossenen Anstalt dazu gebracht wird, sie zu korrigieren.

Wenn dem aber so ist, scheint es auch keinen Grund zu geben, der Christen berechtigte, von vornherein auszuschließen, dass die basale Überzeugung oder vermeintlich offenbarte Wahrheit, dass Gott sich auf Erden inkarniert hat, angesichts des Alien-Problems korrekturbedürftig und -fähig ist.

5.1.2 Warum keine multiplen Inkarnationen? (21)

„Wollen Sie [...] annehmen, dass der Sohn Gottes wirklich in mehreren Welten dasselbe Amt übernommen habe, das er in der unsrigen geführt hat: so sehe ich auch das Gott Unanständige nicht ab, welches Sie dabei zu finden glauben. Sie sind zu einsichtsvoll, als dass Sie sich durch Wörter sollten verführen lassen, und dass Sie deswegen eine Sache für Gott unanständig halten sollten, weil der Ausdruck, den Sie oder andere dabei brauchen könnten, unanständig ist. [...] Sagen Sie also nicht, dass der Sohn Gottes aus einem Planeten in den anderen wandere, oder dass er die nämliche Rolle mehrmalen spielen müsse: sondern sagen Sie, dass er so wie auf Erden sich mit einem Menschen innigst vereinigt, und mit demselben gewirkt hat, um Menschen zu erlösen, er auch in andern Weltkörpern sich mit einem ihrer vernünftigen Bewohner habe vereinigen, und mit ihm wirken können, um dieses Geschlecht glücklich zu machen, und Sie werden in dieser Idee nichts Befremdendes finden. – Der Gedanke, dass Christus alsdann zugleich im Stande der Erhöhung und der Erniedrigung würde sein müssen, wäre ohne Zweifel so gleich von ihnen verworfen worden, wenn Sie sich erinnert hätten, dass ja nicht die göttliche Natur Christi erhöht noch erniedrigt worden.“ (Christian Garve, TB 108f.)

„Gesetzt denn nun aber, es gäbe zwischen diesen beiden Gattungen noch viele andere vernünftige Wesen, die sündigten, so wäre es Gott gewiss nicht unanständig gewesen, seinen Sohn auch ihnen zum besten auf andere Weltkörper zu senden, um sie zu recht zu bringen, wenn dies durch kein anderes Mittel hätte geschehen können.“ (Georg Friedrich Seiler, TB 118)

Die in Prämisse (21) angeführte Stelle aus dem Römerbrief – „Wir wissen, dass Christus, von den Toten auferweckt, nicht mehr stirbt“ (Röm 6,9) –, lässt sich natürlich auch so auslegen, dass Christus auf der Erde nicht noch einmal sterben wird. Es scheint immerhin ziemlich klar zu sein, dass Paulus als Adressaten nicht die Bewohner fremder Welten vor Augen hatte. Nicht nur Garve und Seiler, auch eine Reihe weiterer christlicher Autoren haben daher kein grundsätzliches Hindernis für die Annahme multipler Inkarnationen gesehen.[42]

Aus der Zweinaturenlehre, wie sie das Konzil von Chalkedon (451) formuliert hat und wie sie für die großen christlichen Kirchen bis heute maßgeblich geblieben ist, ergibt sich jedoch, unter Zuhilfenahme einiger, wie ich meine, harmloser Zusatzannahmen, dass zumindest simultane Inkarnationen an verschiedenen Orten des Universums ausgeschlossen sind. Das Konzil von Chalkedon hat die berühmte Formel geprägt, nach der Jesus Christus „wahrhaft Gott und wahrhaft Mensch“ (Θεὸν ἀληθῶς, καὶ ἄνθρωπον ἀληθῶς) gewesen sei und zwar „als derselbe“ (τὸν αὐτὸν), wenn auch „in zwei Naturen“ (ἐν δύο φύσεσιν). Unterstellen wir nun, dass für etwaige Inkarnationen auf anderen Planeten analoge Aussagen gelten, dass also auch sie „wahrhaft Gott und wahrhaft Alpha Centaurianer“ o. Ä. sind, so ergibt sich folgendes Problem: Jesus von Nazareth ist personal identisch mit der zweiten Person der Trinität[43] und diese ist wiederum identisch mit dem Erlöser des Sternbilds Alpha Centauri usw. Da die Relation der Identität jedoch transitiv ist, ist Jesus von Nazareth offenbar personal identisch mit dem „Jesus von Alpha Centauri“ und unzähligen weiteren Inkarnationen der zweiten Person der Trinität. Nun erscheint die Behauptung, Exemplare zweier völlig verschiedener biologischer Spezies („wahrhaft Mensch“, „wahrhaft Alpha Centaurianer“) könnten personal identisch miteinander sein, bereits für sich genommen skandalös genug.[44] Noch problematischer wird die Situation jedoch, wenn wir uns klar machen, dass aufgrund der immensen Anzahl von außerirdischen sündigen Zivilisationen (5), Gott kaum umhin konnte, sich nicht nur nacheinander, sondern auch gleichzeitig an mehreren Orten des Universums zu inkarnieren. Bei zwei oder mehr gleichzeitig, an weit auseinander liegenden Orten des Universums lebenden körperlichen Wesen, kann es sich aber unmöglich um dieselbe Person handeln.[45] In die Form eines Arguments gebracht:[46]

28. Eine körperhafte Person kann sich nicht zugleich an zwei (oder mehr) weit voneinander entfernten Orten aufhalten.[47]

29. Die göttlichen Inkarnationen sind körperhafte Personen. (Konzil von Chalkedon)

30. Die Inkarnationen einer göttlichen Person sind miteinander personal identisch. (Konzil von Chalkedon; Transitivität der Identität)

31. Bei 1011 erlösungsbedürftigen intelligenten außerirdischen Zivilisationen,[48] einer durchschnittlichen Inkarnationszeit von ca. 30 Jahren und einem Zeitraum von knapp 12 Milliarden Jahren (seit der ersten Entstehung lebensfreundlicher Planeten) müsste Gott – um bis heute alle intelligenten Zivilisationen „versorgt“ zu haben – zu jedem Zeitpunkt dieses Zeitraums in durchschnittlich 250 verschiedenerlei Gestalt inkarniert gewesen sein.

32. Die große Mehrzahl außerirdischer intelligenter Zivilisationen ist (noch) nicht Zeuge einer Inkarnation geworden. [aus 28–31]

Wenn wir annehmen, dass die Lebensdauer der meisten Zivilisationen begrenzt ist – sagen wir die Dauer von einer Milliarde Jahren nicht überschreitet[49] –, folgt, dass die große Mehrzahl intelligenter Spezies vor ihrem Verschwinden nicht Zeuge einer Inkarnation wird/wurde.

5.2.3 Warum keine andere Art der Erlösung für Außerirdische? (24)

Die ersten beiden Alternativen des oben aufgeworfenen Trilemmas (18) sind also für einen traditionellen Christen verstellt: Die außerirdischen Sünder werden sehr wahrscheinlich nicht durch Jesus von Nazareth erlöst, da in diesem Fall der Menschheit eine kaum glaubliche soteriologische Sonderstellung zukäme. Sie werden aber ebenso wenig vermittelst einer göttlichen Inkarnation auf ihrem Heimatplaneten erlöst, da dies zu einem unüberwindlichen Konflikt mit der klassischen Zweinaturenlehre und/oder dem Begriff personaler Identität führte. Bleibt als letzte Möglichkeit also nur, dass Gott ein anderes Mittel zu ihrer Erlösung vorgesehen hat. Die meisten Autoren des Briefwechsels haben diese Alternative favorisiert und in ihr kein Problem für den christlichen Glauben zu entdecken vermocht. Jede intelligente Zivilisation habe eben ihre eigene Art, erlöst zu werden. Johann Joachim Spalding etwa mutmaßt:

„[Gott sind] in dem unermesslichen Umfange seines Verstandes andere Mittel bekannt [...], die vielleicht andern vernünftigen Kreaturen, welche sich etwan auch in dem Falle befanden, oder befinden, dass sie einer Errettung bedürfen, angemessener und zuträglicher sind.“ (Johann Joachim Spalding, TB 62)[50]

Vorausgesetzt Gott wollte die Menschheit überhaupt retten, musste er irgendein Mittel wählen. Dass seine Wahl gerade darauf fiel, sich im Nahen Osten vor 2000 Jahren zu inkarnieren, war a priori genauso unwahrscheinlich wie jede andere seiner soteriologischen Alternativen. Daher, so ließe sich argumentieren, gibt es hier auch nichts zu erklären.

Verhält sich der auf Grundlage des Alien-Arguments operierende Kritiker nicht wie jemand, der zunächst die außerordentlich geringe Wahrscheinlichkeit dafür berechnet, dass die eigenen Eltern gerade ihn mit seiner spezifischen DNA zeugten, und der dann mit sich überschlagender Stimme von den Molekulargenetikern eine Erklärung für das vermeintliche Rätsel seiner Existenz verlangt? Es ist klar, dass ein solches Ansinnen fehlgeleitet ist: Wenn überhaupt ein Kind gezeugt wird, muss es irgendwelche Gene von seinen Eltern mitbekommen. Bei dem tatsächlich resultierenden Genom handelt es sich um eine der unzähligen möglichen Kombinationen. All diese Kombinationen waren jedoch vor der Zeugung (mehr oder weniger) gleich wahrscheinlich oder unwahrscheinlich. Dass das Genom gerade so beschaffen ist, wie es beschaffen ist, ist aus diesem Grund auch keiner besonderen Erklärung bedürftig. Genauso bei der Soteriologie: Irgendein Mittel der Erlösung des Menschen musste ein gütiger Gott schließlich wählen. Dass es gerade dieses geworden ist, liefert uns keinen Anlass zu besonderer Verwunderung.

Doch wandeln wir das Genombeispiel ein wenig ab: Nehmen wir an, eine bestimmte Person, sagen wir: Anna, habe nicht nur die geringe Wahrscheinlichkeit ihres Genoms berechnet, sondern auch, nachdem sie sich Zugang zu einer Gendatenbank verschafft hat, festgestellt, dass ihre Erbanlagen nahezu identisch mit dem Genom einer ihr völlig unbekannten Petra sind. Anna verlangt nun von besagter Datenbank Aufklärung. Dieses Ansinnen ist alles andere als abwegig, sondern im Gegenteil wohlbegründet. Man kann Anna sicherlich nicht mit der Auskunft abspeisen, dass ein Genom eben einmal irgendwie beschaffen sein müsse und dass jeder andere mögliche Ausgang des Zeugungsakts ihrer Eltern (mehr oder weniger) gleich unwahrscheinlich gewesen sei wie der tatsächliche, über den sie jetzt Aufklärung verlange. Eine solche Ausflucht ist verstellt, weil Annas Genom im zweiten abgewandelten Fall nicht mehr nur einfach unwahrscheinlich ist, sondern auch (aufgrund der Übereinstimmung mit dem Datenbankeintrag) in bestimmter Weise „ins Auge sticht“ und nach einer Erklärung geradezu „schreit“.[51] Ein bloßer Zufall erscheint nicht mehr glaubwürdig, vielmehr drängt sich eine der folgenden Erklärungen auf: Anna und Petra sind eineiige Zwillinge, die bei der Geburt getrennt wurden, oder Klone, oder Annas Gensequenz wurde ohne ihr Wissen analysiert und unter falschem Namen in der Datenbank abgespeichert.

Sticht die Inkarnation Gottes unter all den anderen möglichen Mitteln Gottes, das Heil seiner Geschöpfe zu bewirken, in ähnlicher Weise hervor? Mit Prämisse (24) wird behauptet, dass dies in der Tat der Fall ist: Bei der einmaligen Inkarnation Gottes handelt es sich nicht einfach um ein beliebiges unter den vielen, Gott zu Verfügung stehenden, Mitteln, menschliches Heil zu bewirken, sondern um etwas, das „aus dem Rahmen fällt“. Die Behauptung, dass es ausgerechnet auf der Erde zu einem solch einzigartigen Ereignis kam, wäre – die Wahrheit der Alien-Hypothese vorausgesetzt – nur unter mindestens einer der beiden folgenden Bedingungen glaubwürdig: Es müsste uns für Gottes Auswahl der Erde ein sehr guter Grund bekannt sein; oder es müsste außerordentlich starke Anhaltspunkte dafür geben, dass Gott sich tatsächlich – ob nun aus gutem Grund oder völlig zufällig – ausgerechnet auf der Erde inkarniert hat. Keine der beiden Bedingungen ist jedoch – wie wir gesehen haben – erfüllt.

Warum fällt die (sich an keinem anderen Ort wiederholende) Inkarnation Gottes nun aber, wie ich behauptet habe, „aus dem Rahmen“?

Der Grund hierfür ist nicht darin zu suchen, dass es sich bei Leben, Leiden und Sterben des inkarnierten Gottes um einen besonderen Beweis seiner Liebe handelte. Gott ist moralisch vollkommen, alles, was er tut, ist ein nicht zu übertreffender[52] Ausdruck moralischer Heiligkeit. Es mag zwar sein, dass nicht alles, was Gott tut oder unterlässt, für uns auch gleichermaßen als Liebesbeweis erkennbar ist (Theodizeeproblem). Doch sollte es Gott um Eindeutigkeit gegangen sein, so standen ihm gewiss unmissverständlichere „Zeichen“ der Liebe zu Gebote als Leben, Sterben und Auferstehung des (zumindest für die Nachwelt) nicht unmittelbar als seine Inkarnation erkennbaren Jesus von Nazareth. Christen hoffen sogar, dass sie in eschatologischer Zeit solche unmissverständlichen Beweise an sich erfahren werden.

Die Inkarnation Gottes fällt aus einem anderen Grund aus dem Rahmen: Gott hätte keine Welt mit freien, zu Leid und Sünde fähigen Wesen schaffen müssen. Eine solche Welt zu erschaffen war weder metaphysisch notwendig, noch moralisch geboten,[53] denn hätte Gott davon abgesehen, wäre niemandem Unrecht widerfahren.[54] Gott hat es dennoch getan und damit lastet die Verantwortung für Leid und Sünde der Welt mit voller Stärke auf ihm. Es scheint daher angemessen (und vielleicht sogar obligatorisch) für ihn zu sein),[55] das körperliche und seelische Leid, das er seinen Geschöpfen zumutet, bei zumindest einer Gelegenheit auch selbst zu teilen. Dazu bedarf es einer Inkarnation. Es ist dieser – angesichts der oben geschilderten Schwierigkeiten multipler Inkarnationen – vermutlich einmalige[56] Akt der Solidarität, der die Menschwerdung Gottes auf der Erde zu einem herausragenden, mit nichts im Universum vergleichbaren Ereignis machen würde. Wer trotzdem – und eingedenk der Alien-Hypothese – behaupten will, ein solches Ereignis sei auf der Erde geschehen, braucht außerordentlich starke Gründe für diese Behauptung.

6. Verbleibende Optionen

Wie oben bereits dargelegt, bezweifle ich, dass solche Gründe vorhanden sind: Ein soteriologischer oder inkarnationstheoretischer Geozentrismus ist genauso unplausibel wie ein kosmologischer. Angesichts der Herausforderung, vor die Christinnen und Christen das oben entwickelte Argument stellt, stehen ihnen, wie ich meine, nur zwei vernünftige Reaktionen offen:

Erstens: Er gibt die klassische Zweinaturenlehre des Konzils von Chalkedon auf. Dies kann auf zwei Weisen geschehen. Entweder wird geleugnet, dass Jesus „wahrhaft Gott“ gewesen ist, wie Arianer, Unitarier, Sozinianer, Deisten und andere Verlierer und Verfolgte der Kirchengeschichte das getan haben. Nach einer solchen Konzeption ist Gott weder personal identisch mit Jesus von Nazareth noch mit entsprechenden Erlösergestalten auf anderen Planeten.[57] Man wäre folglich auch nicht mehr genötigt anzunehmen, dass die verschiedenen Erlöser trotz ihrer Zugehörigkeit zu völlig unterschiedlichen biologischen Spezies personal identisch miteinander sind, geschweige denn, dass sich ein und dieselbe körperliche Person zur gleichen Zeit an mehreren Orten aufhalten kann.[58]

Oder es wird geleugnet, dass Jesus „wahrhaft Mensch“ gewesen ist, wie das die ebenfalls als Häretiker verschrienen Doketisten taten. Auf diese Weise ließe sich problemlos behaupten, dass Gott mit sämtlichen Erlöserfiguren des Universums personal identisch ist (und diese miteinander), denn Jesus und seine Entsprechungen auf anderen Planeten hätten nur scheinbar einen physischen Körper, litten und stürben nicht tatsächlich.[59] Für ein allgegenwärtiges Wesen wie Gott, für das, solange es keine zweite endliche „Natur“ besitzt, jede Art von Körper eine bloße Hülle ist, bedeutete es natürlich auch keine Schwierigkeit mehr, sich an mehreren Orten zur gleichen Zeit aufzuhalten.

Zweitens: Ein mit dem von mir entwickelten Einwand konfrontierter Christ könnte anstelle der Zweinaturenlehre auch leugnen, dass es außerirdisches intelligentes Leben gibt (oder zumindest behaupten, dass es sich bei ihm um ein äußerst seltenes Phänomen handelt). Auf diese Weise bliebe der Kernbestand traditioneller christlicher Lehre unangetastet. Es gibt durchaus interessante naturwissenschaftliche und philosophische Argumente, mit denen sich diese Strategie stützen läßt.[60] Allerdings wirft die Leugnung außerirdischer Intelligenz neue theologische Probleme auf, wie der Herausgeber des Briefwechsels gewohnt scharfsichtig erkannte: „Denn wozu Welten ohne Geschöpfe? Und wozu Welten ohne vernünftige, des Handelns fähige Geschöpfe?“ (TB 11).[61]

Anmerkungen

[1]    Initia doctrinae physicae (1549; in: CR 13, 1846, 220f [Übersetzung CW]).

[2]    Wenn ich im Folgenden von „außerirdischem intelligenten Leben“ o. Ä. spreche, so beziehe ich mich immer auf körperhafte Wesen. Ob es auch rein geistige Geschöpfe (z. B. Engel) gibt und was aus ihrer Existenz oder Nichtexistenz für das Christentum folgen würde, werde ich nicht erörtern. Den Ausdruck „intelligent“ verwende ich abweichend von seinem Alltagsgebrauch. Er soll sich nur auf Wesen mit Bewusstsein beziehen, die zumindest in beschränktem Maße über sich und ihr Verhältnis zu anderen reflektieren können. Rabenvögel, Kraken, Delfine, Schimpansen etc. sind also trotz ihrer zum Teil erstaunlichen kognitiven Leistungen nicht intelligent im hier vorausgesetzten Sinne; Neandertaler hingegen sehr wahrscheinlich schon.

[3]    Vgl. Stephen J. Dick, Plurality of Worlds. The Origins of the Extraterrestrial Life Debate from Democritus to Kant, Cambridge 1982.

[4]    Vgl. die exzellente Darstellung bei Michael J. Crowe, The Extraterrestrial Life Debate, 1750–1900: The Idea of a Plurality of Worlds from Kant to Lowell, Cambridge 1986; außerdem Karl S. Guthke, Der Mythos der Neuzeit. Das Thema der Mehrheit der Welten in der Literatur- und Geistesgeschichte von der kopernikanischen Wende bis zur Science Fiction, Bern / München 1983.

[5]    2011 erschien allerdings Armin Kreiners: Jesus, Ufos, Aliens. Außerirdische Intelligenz als Herausforderung für den christlichen Glauben, Freiburg i. Br. 2011. Kreiner kommt in seinen Kapiteln (11-14) zur Christologie zu recht ähnlichen – wenn auch vorsichtiger formulierten – Ergebnissen wie ich selbst und der Herausgeber des Theologischen Briefwechsels (vgl. den in dieser Ausgabe abgedruckten ersten Brief der Sammlung). Allerdings spielt bei Kreiner die Berufung auf das Kopernikanische Prinzip (s.u.) keinerlei Rolle, so dass mein Hauptargument, so hoffe ich, einige Originalität beanspruchen kann. Eine gebührende Würdigung des klar geschriebenen, interessanten und theologisch überfälligen Buchs Kreiners kann ich hier nicht bieten. Andreas Losch hat es für diese Ausgabe rezensiert.

[6]    Joseph Pohle, Die Sternenwelten und ihre Bewohner. Zugleich als erste Einführung in die moderne Astronomie (1884), 41906; eine siebte und letzte Auflage erschien 1922.
Auch im englischsprachigen Raum haben Theologie und Religionsphilosophie das Feld im Wesentlichen populärwissenschaftlichen Autoren überlassen. Zu den wenigen Ausnahmen gehören E. L. Mascall, Christian Theology and Natural Science, London 1956, 36–45, und Roland Puccetti, Persons. A Study of Possible Moral Agents in the Universe, London 1968, v. a. Kap. 5.

[7]    Werner Bröker, Kosmosvergessenheit der Schöpfungstheologie, Theologie – Grund und Grenzen. Festgabe für Heimo Dolch zur Vollendung des 70. Lebensjahres, hg. von H. Waldenfels, Paderborn 1982, 147–160..

[8]    Rheinische Post, 07.08.1954 (Institut für Zeitungsforschung Dortmund).

[9]    Karl Rahner, Art. Sternenbewohner: Theologisch, LThK2 9, 1061. In den späteren Aufsätzen: Zum Verhältnis von Naturwissenschaft und Theologie, in: Ders., Schriften zur Theologie XIV, Zürich 1980, 63–72; sowie: Naturwissenschaft und vernünftiger Glaube, in: Ders., Schriften zur Theologie XV, Zürich 1983, 24–62, äußert sich Rahner vorsichtiger. Vgl. zu Rahner auch: Thomas F. O’Meara, Christian Theology and Extraterrestrial Life, Theological Studies 60 (1999), 3–30, 16–20.

[10]   Carl Sagan, On the Detectivity of Advanced Galactic Civilizations, Icarus 19 (1973), 350–352. Sagans Schätzung ist zurückhaltender, als es auf den ersten Blick scheinen mag. Aus ihr ergibt sich, dass intelligentes Leben in unserer Galaxie – die mindestens 100 Milliarden Sterne enthält – nur in einem von Hunderttausend Sonnensystemen zu finden ist. Bei einer gleichmäßigen Verteilung intelligenter Spezies würden wir immer noch einige Hundert Lichtjahre überwinden müssen, um die nächstgelegene Zivilisation zu erreichen.

[11]   Zu einigen Gründen hierfür vgl. Anm. 60.

[12]   Vgl. D. H. Forgan, A numerical testbed for hypotheses of extraterrestrial life and intelligence, International Journal of Astrobiology 8 (2009), 121–131.

[13]   Eine gewisse Vorsicht ist hier angebracht, da unsere Milchstraße erstens zu den größeren Galaxien gehört, und wir uns zweitens, für den Fall, dass intelligente Zivilisationen nicht gleichmäßig über das Universum verteilt sein sollten, wahrscheinlich in einer Region des Universums befinden, die verhältnismäßig viele intelligente Zivilisationen beherbergt.

[14]   Ich ignoriere hier und im Folgenden Schwierigkeiten, die sich aus der Speziellen Relativitätstheorie für den Begriff kosmischer Gleichzeitigkeit ergeben. Vgl. aber z. B. die Beiträge Michael Tooleys und Richard Swinburnes in Einstein, Relativity and Absolute Simultaneity, hg. von William Lane Craig und Quentin Smith, Oxford 2008.

[15]   Vgl. z. B. die populären Darstellungen bei Martin Rees, Just Six Numbers, London 1999; Alexander Vilenkin, Many Worlds in One, New York 2006; Brian Greene, The Hidden Reality, New York 2011; Max Tegmark, Our Mathematical Universe, New York 2014.

[16]   Am unmissverständlichsten ist vielleicht der Christus-Hymnus des Kolosserbriefes (Kol 1, 15–20), der mit den Worten endet: „Alles im Himmel und auf Erden wollte er [Gott] zu Christus führen, der Friede gestiftet hat am Kreuz durch sein Blut“. Vgl. hierzu J. J. Davis, Search for Extraterrestrial Intelligence and the Christian Doctrine of Redemption, Science and Christian Belief 9 (1997), 21–34; 30–34.

[17]   Thomas Paine, The Age of Reason. Being an Investigation of True and Fabulous Theology (in: The Writings of Thomas Paine, Bd. 4, New York [1908] ND 1969) 1. Buch, 16. Kapitel, 73. [Die Übersetzung folgt der in Philadelphia erschienenen deutschsprachigen Werkausgabe von 1851.]

[18]   Im Folgenden abgekürzt als „TB“. Für genauere Informationen zu der Schrift und ihren Autoren vgl. die Einleitung und den Kommentar zum Brief des Herausgebers (in dieser Ausgabe). Eine komplette kommentierte Ausgabe ist in Vorbereitung.

[19]   Der Einfachheit halber verstehe ich unter einer „Sünde“ hier und im Folgenden „unmoralisches Verhalten“. Damit soll nicht geleugnet werden, dass zu einer vollständigen Bestimmung des Sündenbegriffs mehr gehört.

[20]   Manche ethischen Konzeptionen (wie z. B. der Handlungsutilitarismus) haben keinen Raum für die Unterscheidung von Pflichten und supererogatorischen Handlungen. Gemäß solchen Konzeptionen wäre Gott also vermutlich sogar verpflichtet, das Heil aller Sünder anzustreben.

[21]   Mit dem vorhergehenden Willen (voluntas antecedens) verhält man sich zum intrinsischen Wert oder Unwert von Zuständen oder Dingen – „man hält etwas für an sich wünschenswert“ –, während man mit dem nachfolgenden Willen (voluntas consequens) auch alle relevanten Folgen, die bestimmte Zustände oder Dinge haben, berücksichtigt. Allein der nachfolgende Wille ist ausschlaggebend für Handlungen. Dass Gott mit seinem vorhergehenden Willen das Heil aller Menschen will, ist also prinzipiell verträglich damit, dass er mit seinem nachfolgenden Willen nur das Heil weniger will. Zur Unterscheidung der beiden Willensarten vgl. z. B. Thomas Aquin, Summa Theologiae I, q. 19. a. 6, ad 1; Leibniz, Theodizee, 1. Buch, §§ 22f.

[22]   Rechtschreibung und Interpunktion habe ich hier und Im Folgenden aus Gründen der besseren Lesbarkeit heutigen Regeln angepasst.

[23]   Ähnlich auch Wilhelm Abraham Teller: „Millionen Welten, Millionen Geschöpfarten zu verschiedenen Zwecken, von verschiedenen Kräften, Fähigkeiten [...], die eine zu dumm, möchte ich sagen, auf eine solche Art wie unsere denkende Erdbewohner sich zu verschulden, die andere zu klug.“ (TB 56) Teller rechnet anders als Leß aber durchaus auch mit der Möglichkeit, dass Gott sein Erlösungswerk „stufenweise“ bei „Planeten geringerer Art“ beginnt und auf der Erde „vollendet“ (TB 55), was bedeuten würde, dass die Menschheit an der Spitze (und nicht am Ende) der Stufenleiter intelligenter Wesen im All steht. Vgl. auch meinen Kommentar zum Briefwechsel (diese Ausgabe), Anm. 40.

[24]   Diese noch nicht gänzlich befriedigende, für unsere Zwecke aber ausreichende Formulierung folgt Nick Bostrom, Anthropic Bias, New York, London 2002, 57, der das Prinzip abweichend als „self sampling assumption“ bezeichnet. Ähnliche Formulierungen finden sich u. a. bei den Astrophysikern Vilenkin (s. Anm. 16), der treffend vom „Prinzip der Mittelmäßigkeit“ (principle of mediocrity) spricht, und Richard Gott, Implications of the Copernican principle for our future prospects, in: Nature 363 (1993), 315–319, bei dem das Prinzip als „Copernican anthropic principle” firmiert.

[25]   Vgl. z. B. Stephen Jay. Gould, Double Trouble, in: Ders., The Panda’s Thumb. More Reflections in Natural History, New York 1980, 35–44.

[26]   Zum Phänomen der Konvergenz vgl. z. B. Simon Conway Morris, Life’s Solution. Inevitable Humans in a Lonely Universe, Cambridge 2003, vor allem die Kapitel 6–10.

[27]   Viele ähnliche Beispiele finden sich im Werk des kanadischen Wissenschaftstheoretikers John Leslie; vgl. z.B. The End of the World, London / New York 1996, Kap. 5f.

[28]   Trotzdem muss man dem Aufklärer Leß zugutehalten, ein (zu seiner Zeit keineswegs völlig abwegiges) Argument für die Sonderstellung des Menschen vorgebracht zu haben. Gleiches lässt sich vom Direktor der vatikanischen Sternwarte, José Gabriel Funes, nicht sagen, der in einem Interview mit dem Osservatore Romano vom 14. Mai 2008 mutmaßte, bei der Menschheit handle es sich möglicherweise um das „verlorene Schaf“ (Mt 18, 12–14) des Universums, das im Gegensatz zu sämtlichen anderen intelligenten Spezies der Erlösungstat Christi bedürfe. Eine englische Übersetzung des Interviews lässt sich nachlesen unter: http://padrefunes.blogspot.com/. Bis in den Wortlaut hinein ähnlich: C. S. Lewis: Religion and Rocketry [1958], The World’s Last Night and Other Essays, San Diego 2002,83–92, 87.

[29]   Der Ausgang des seit Jahrzehnten geführten und jüngst erneut heftig entflammten Streits zwischen Anhängern der Gen- oder Verwandtenselektion und Anhängern abweichender Auffassungen wie des Gruppenselektionismus, ist für meine Überlegungen hier nicht relevant.

[30]   Vgl. Anselm von Canterbury, Cur Deus Homo?, v. a. Buch I, Kap. 25 (Quod ex necessitate per Christum salvetur homo).

[31]   Thomas von Aquin, Summa contra gentiles, hg. und übersetzt von Karl Albert u. a., Darmstadt 20093, IV, 55.

[32]   Johannes Calvin, Unterricht in der christlichen Religion, übersetzt von Otto Weber, Neukirchen-Vluyn 61997, II, 12, 1.

[33]   Vgl. auch Johann Peter Miller (TB 78): „Wäre aber dieses Mittel nicht frei von Gott gewählt worden, sondern er hätte es notwendig anwenden müssen, so könnte die Schrift nicht durchgängig dasselbe als den höchsten Beweis der liebe darstellen.“

[34]   Diese Ansicht wird von den meisten Korrespondenten geteilt. Soweit ich sehe, haben nur Zickler und Lavater an der satisfaktionstheoretischen Annahme (11) festgehalten.

[35]   Der biologische Artbegriff ist heftig umkämpft, so dass nicht klar ist, ob homo sapiens und homo neanderthalensis wirklich als zwei verschiedene Spezies klassifiziert werden sollten, zumal DNA-Untersuchungen der letzten Jahre nahelegen, dass es zu Kreuzungen kam. Obiges Gedankenexperiment lässt sich aber ggf. so erweitern, dass angenommen wird, die geographische Trennung der beiden Menschenrassen habe so lange angedauert, dass bei der ersten Begegnung keine lebensfähigen gemeinsamen Nachkommen mehr gezeugt werden konnten.

[36]   Vgl. dagegen den berüchtigten Beschluss des Konzils von Ferrara/Florenz (1438/45): „Sie [die Kirche] glaubt fest, bekennt und verkündet, dass niemand, der sich außerhalb der Kirche befindet, nicht nur [keine] Heiden, sondern auch keine Juden oder Häretiker und Schismatiker, des ewigen Lebens teilhaftig werden können, sondern dass sie in das ewige Feuer wandern werden [...]“ (DH 1351).

[37]   In der dogmatischen Konstitution „Lumen Gentium“ des Zweiten Vatikanums heißt es z. B.: „Wer nämlich das Evangelium Christi und seine Kirche ohne Schuld nicht kennt, Gott aber aus ehrlichem Herzen sucht [...], kann das ewige Heil erlangen. Die göttliche Vorsehung verweigert auch denen das zum Heil Notwendige nicht, die ohne Schuld noch nicht zur ausdrücklichen Anerkennung Gottes gekommen sind, jedoch [...] ein rechtes Leben zu führen sich bemühen.“ (Lumen Gentium, Artikel 16; zitiert nach: Kleines Konzilskompendium, hg. von Karl Rahner und Herbert Vorgrimler, Freiburg i. Br. 1966).

[38]   Pohle, Sternenwelten, (s. Anm. 6), 504; sehr ähnlich auch C. S. Lewis: Religion and Rocketry (s. Anm. 28), 88.

[39]   Jedenfalls vorausgesetzt die Anzahl der intelligenten Bewohner des Planeten, auf dem Gott sich inkarniert, übersteigt die durchschnittliche Bewohnerzahl besiedelter Planeten nicht um ein Millionen- oder gar Milliardenfaches.

[40]   Vgl. zuletzt etwa: Timothy McGrew / Lydia McGrew, The Argument from Miracles: A Cumulative Case for the Resurrection of Jesus of Nazareth, Blackwell Companion to Natural Theology, Oxford 2009, 593–662.

[41]   Tatsächlich habe ich schon hier so meine Zweifel: Vgl. Christian Weidemann: Logischer Egoismus oder unvertretbare Individualität? Richard Schaeffler über religiöse Erfahrung, Gott und Vernunft. Neue Perspektiven zu Richard Schaefflers Transzendentalphilosophie, hg. von Bernd Irlenborn und Christian Tapp, Freiburg i. Br. 2013, 194–221.

[42]   Vgl. exemplarisch Mascall, Christian Theology (s. Anm. 6), 41. Vgl. auch Paul Tillich, Systematische Theologie, Bd. 2, 106: „Inkarnation ist einmalig für die besondere Gruppe, in der sie sich ereignet, aber sie ist nicht einmalig in dem Sinne, dass andere einmalige Inkarnationen in anderen Welten ausgeschlossen sind.“

[43]   Vgl. etwa Karl-Heinz Menke, Jesus ist Gott der Sohn. Denkformen und Brennpunkte der Christologie, Regensburg 2008, 30f.

[44]   Sich in diesem Zusammenhang auf das Konzept des „Glaubensgeheimnisses“ oder „Mysteriums“ zurückzuziehen, wie es Benedikt Göcke in seinem ansonsten höchst lesenswerten Beitrag in dieser Ausgabe (vgl. v. a. Anm. 24) tut, scheint mir letztlich auf eine anti-intellektualistische Immunisierungsstrategie hinauszulaufen. Vgl. auch Goeze TB 98: „Die Wahrheiten, welche uns am meisten interessieren, sollen wir am wenigsten begreifen, sondern sie zur Ehre Gottes und seiner Wahrhaftigkeit, glauben“. Armin Kreiner, Jesus, (s. Anm. 5), Kap. 13–14., v. a. 172, will sich mit dieser Art von Auskünften völlig zu recht nicht zufrieden geben.

[45]   Dies scheint mir übrigens ganz unabhängig von der Frage zu gelten, ob Menschen (oder Alpha Centaurianer) essentiell körperliche Wesen sind oder nicht: Auch ein bloß akzidentiell körperliches Wesen kann als körperliches Wesen nicht an mehreren Orten gleichzeitig sein.

[46]   Vgl. auch Puccetti, Persons (s. Anm. 6), v. a. 137f.

[47]   Ernan McMullin hat diese Prämisse als Ausdruck eines „linguistischen Fundamentalismus“ kritisiert. Nach notwendigen Kriterien für die wahrheitsgemäße Zuschreibung von Alltagsbegriffen wie „Person“ zu suchen, sei verfehlt; Ernan McMullin, Life and Intelligence far from Earth. Formulating Theological Issues, in: Many Worlds, Philadelphia, hg. von Steven Dick, London 2000, 151–175; 166. Im Übrigen hätten Theologen immer wieder den analogen Charakter des Begriffs „Person“ betont vgl. Ders., Persons in the Universe, Zygon 15 (1980), 69–89; 87f.
McMullin bleibt jedoch jede Antwort darauf schuldig, wie man sich das Verhältnis der gleichzeitig lebenden Inkarnationen denken und warum zumindest die „analoge“ Anwendung des Personenbegriffs auf sie berechtigt bleiben soll. Stattdessen verweist er auf die vermeintliche „Negativität unseres Wissens von Gott“ (ebd.). Mit der Strategie, sich immer dann, wenn es theologisch schwierig wird, auf den analogen oder gar negativen Gebrauch von Begriffen zu berufen, kann man aber so gut wie jede Aussage über Gott rechtfertigen.

[48]   Gemessen an den Hochrechnungen von Forgan (s. Anm. 12), die, wie oben bereits betont, nur die derzeit kommunikationsfähigen Zivilisationen betreffen, wäre dies selbst dann noch eine eher konservative Schätzung, wenn wir (unplausiblerweise) annähmen, dass die Hälfte aller intelligenten Spezies nicht „gefallen“ ist.

[49]   Was angesichts der bislang vergleichsweise kurzen Geschichte des homo sapiens und der Probleme, mit denen er in den nächsten Jahrtausenden und Jahrmillionen konfrontiert sein wird – eine äußerst großzügige Schätzung ist.

[50]   Sehr ähnlich übrigens C. S. Lewis, Religion and Rocketry (s. Anm. 28), 87: „To different diseases, or even different patients sick with the same disease, the great Physician may have applied different remedies.”

[51]   Notwendige und hinreichende Kriterien für das erklärungsbedürftige „Hervorstechen“ bestimmter unwahrscheinlicher Sachverhalte zu entwickeln, ist leider ein sehr schwieriges Unterfangen. Vgl. aber z.B. P. Horwich, Probability and Evidence, Cambridge 1982; J. Leslie, Universes, London, New York 1989; W. Dembski, The Design Inference, Cambridge 1998, v.a. Kap. 5; und Bostrom (s. Anm. 23), 23–41. Für meine Zwecke hier scheint mir ein intuitives Vorverständnis ausreichend.

[52]   Ich ignoriere hier einige logisch-metaphysische Spitzfindigkeiten, die sich um die Attribute der Allmacht und moralischen Vollkommenheit, sowie ihre Vereinbarkeit miteinander, ranken.

[53]   Nur wenige christliche Denker (z.B. Leibniz) haben das Gegenteil behauptet.

[54]   Denn es gibt keine Pflichten gegenüber bloß möglichen, aber niemals existierenden Personen. Übrigens: Auch wenn man meint, dass es in der Ethik weniger um die Befolgung von Pflichten als vielmehr um die Schaffung (objektiv) guter oder wertvoller Zustände geht, bleibt die Auffassung, es sei für Gott moralisch geboten gewesen, eine Welt wie die unsere zu erschaffen, wenig plausibel. Das gilt insbesondere, sobald man bedenkt, dass vieles dafür spricht, dass bestimmte Güter und Übel inkommensurabel miteinander sind, also gar nicht in eine moralisch verbindliche Rangordnung gebracht werden können. Es könnte für Gott daher z.B. gut gewesen sein, eine Welt mit Wesen zu schaffen, die ihren Charakter selbst in freier und gewichtiger Weise formen können und deshalb zu Leid und Sünde fähig sind, und genauso gut (oder jedenfalls nicht schlechter) gewesen sein, eine Welt ohne solche Wesen (aber auch ohne Leid und Sünde) zu schaffen.

[55]   So z. B. Richard Swinburne, Was Jesus God?, Oxford 2008, 40f.

[56]   Mir scheint, dass der Forderung nach Gottes Solidarität mit der Schöpfung bereits durch ein Inkarnationsereignis Genüge getan wäre, ganz unabhängig von der Anzahl intelligenter Zivilisationen im Universum. Nehmen wir an, eine Familie sei in finanzielle Schwierigkeiten geraten. Die Eltern beschließen, ihrem einzigen Sohn ein Opfer abzuverlangen, z.B. auf Süßigkeiten oder Kinobesuche zu verzichten. Dies verpflichtet sie sicherlich, auch selbst ein vergleichbares Opfer zu bringen. An ihrer grundsätzlichen Lage änderte sich jedoch nichts, falls sie statt eines Sohnes zehn Kinder besäßen. Es ist nicht so, dass nun von ihnen im Vergleich zum Fall zuvor das zehnfache Opfer gefordert wäre. Vorausgesetzt die Typen des Übels, unter denen intelligente Wesen im Universum leiden (körperlicher Schmerz, Frustration von Plänen und Bedürfnissen, seelische Grausamkeit, moralische Versuchung usw.), sind im Wesentlichen überall dieselben, genügte daher bereits eine Inkarnation Gottes, um sich als solidarisch mit all seinen Geschöpfen zu erweisen.

[57]   Evtl. mit einer einzigen Ausnahme, falls man annimmt, dass eine einmalige Inkarnation aus Gründen der Solidarität für Gott moralisch geboten ist.

[58]   Man kann selbstverständlich die These der personalen Identität zwischen innertrinitarischem Sohn und Jesus aufgeben, und zugleich versuchen, irgendwie an der Redeweise von der „Göttlichkeit“ Jesu festzuhalten; etwa indem man diese an der Qualität der Gottesbeziehung Jesu festmacht oder im vollkommenen Menschen Jesus einen besonderen Ausdruck der Manifestation Gottes in der Schöpfung sieht, als „die – vielleicht auch nur als eine – Erfüllung dessen, worauf die Schöpfung angelegt ist“ (Kreiner, Jesus [s. Anm. 5], 184); vgl. auch Ilia Delio, Christ and Extraterrestrial Life, Science and Theology 5 (2007), 249–265.
Man wird aber zugeben müssen, dass diese Ansätze schwerlich beanspruchen können, eine adäquate Interpretation der Konzilstexte von Ephesos (431) und Chalkedon zu bieten. Die Bedeutung des Wortes „göttlich“ wird hier überstrapaziert.

[59]   Für die klassischen Doketisten besteht auch keine Veranlassung zu einer solidarischen Tat, denn die (böse) physische Welt ist ihnen zufolge gar nicht Gottes Schöpfung.

[60]   Ich denke vor allem an 1) die Rare Earth Hypothesis: Peter Ward / Donald Brownlee, Rare Earth, New York 2000; 2) das Fermi Paradox: M. H. Hart, An Explanation for the Absence of Extraterrestrials on Earth, Quarterly Journal of the Royal Astronomical Society 16 (1975), 128–135; 3) „das anthropische Argument”: Brandon Carter, The anthropic principle and its implication for biological evolution”, Transactions of the Royal Society of London A (1983), 310, 347-363.

[61]   Winfried Schröders Ursprünge[n] des Atheismus verdanke ich den Hinweis auf den Theologischen Briefwechsel und ihm selbst ein interessantes Gespräch über Außerirdische beim Bier in einer Marburger Altstadtkneipe. Außerdem danke ich Christian Tapp für wichtige Hinweise zum logischen Aufbau meines Hauptarguments, sowie dem Auditorium des Instituts für Christliche Philosophie Innsbruck (und insbesondere Christoph Jäger) für die Diskussion verschiedener inhaltlicher Einwände. Verbleibende Irrtümer sind allein meine.

Artikelnachweis: https://www.theomag.de/89/cw2.htm
© Christian Weidemann, 2014