Noldes „Martyrium“

Versuch einer Deutung

Eckhart Marggraf

In den zurückliegenden Jahren wurde wiederholt im Rahmen großer Übersichtsausstellungen der Werke Emil Noldes ein Triptychon ausgestellt, das den Titel „Martyrium“ trägt und dessen drei Teile schlicht mit römischen Zahlen beziffert sind. Dieses Triptychon rechnet Nolde selbst zur Gruppe seiner „Religiösen Bilder“, die er in einer handschriftlichen Liste festgehalten und mit nachträglichen Korrekturen versehen hat.[1] Die Deutung der beiden Flügelbilder scheint recht eindeutig und einleuchtend. Dagegen fehlt bislang in der Literatur eine überzeugende Deutung des Bildinhalts des mittleren Bildes (Martyrium II, 1921).[2] Alle Interpreten, deren Versuche schriftlich vorliegen, beschränken sich auf einige Beschreibungen der malerischen Elemente, ohne zum Bildinhalt eine Interpretation zu wagen. In der Ermangelung einer erschließenden Idee[3] zitieren die meisten Äußerungen Noldes, die er selbst zu diesem Triptychon festgehalten hat.

„(...) ein grausiges Drama, die Figuren in übersinnlicher und auch verschiedener Größe gestaltend und in die Zeit der Christenverfolgungen zurückgreifend. (...) das mittlere Martyriumbild als Geißelung alles Hohlen und Falschen (...)“[4]

Noldes Worte bleiben im Blick auf eine Bilddeutung hermetisch. Sie geben zwar einen Einblick in den theologischen Kontext von Noldes Verständnis der Christologie und seiner Deutung des Kreuzes Jesu als Heilsgeschehen. Aber sie helfen kaum, das Mittelbild des Triptychons in seinen figuralen Elementen zu erschließen.

Die geistige Welt und der Horizont der „Religiösen Bilder“

Schon sehr früh haben sich Kunsthistoriker mit Noldes „Religiösen Bildern“ auseinandergesetzt. Der erste Versuch, den der spätere Direktor der Mannheimer Kunsthalle, Gustav Friedrich Hartlaub, im Jahr 1919 vorgetragen hat, ist von einem leidenschaftlichen Impetus getragen, in Noldes Bildern einen Neubeginn christlicher Kunst im 20. Jahrhundert zu erkennen.[5] Im Alter von 63 Jahren resümiert Nolde dagegen – auch von den Kirchen enttäuscht - eine breite Ablehnung und ein Unverständnis seiner intensiven Beschäftigung mit den religiösen Themen in seiner Kunst.[6] Viele Facetten sind in den vergangenen Jahrzehnten zusammengetragen und diskutiert worden, um den tragenden Elementen von Noldes „Religiösen Bildern“ auf die Spur zu kommen, zumal sie ein wesentliches Element seines Schaffens und einen bemerkenswert breiten Raum einnehmen, der es nicht erlaubt, dieses Thema als eine Marginalie in seinem Schaffen zu betrachten.[7]

Einer der jüngsten Versuche einer zusammenfassenden Interpretation stammt von Kyong-Mi Kim, die in ihrer Heidelberger Dissertation unter dem Titel „Die religiösen Gemälde von Emil Nolde“ auf dem Hintergrund der Interpretationsgeschichte alte und neue Einsichten in sehr anregender Weise zusammenführt[8]. Sie fasst ihre Einsichten so zusammen:

„Obwohl sein Verhältnis zum Judentum und seine verschlossene, aber doch aufbrausende Persönlichkeit seiner Kunst schaden, sollte die Kraft seiner religiösen Bilder nicht unterschätzt werden. Seine religiösen Bilder waren revolutionär ohne die Tradition zu zerstören. Wie Robert Rosenblum gesagt hat, lebt die romantische Bewegung des 19. Jahrhunderts fort und erneuert sich im 20. Jahrhundert. In dieser Tradition sind Noldes religiöse Bilder einzuordnen. Sein visionäres Christusbild und die Phantastik seiner religiösen Bilder mit den ekstatischen Elementen sind auch notwendiges Produkt des damaligen dynamischen Zeitgeistes. Wenn ein Künstler seine Zeit gut reflektiert, und es ihm zugleich gelingt, einen Ausdruck zu finden, der ganz seiner Persönlichkeit entspricht – ohne seine eigenen Zeit zu verleugnen – hat seine Kunst eine Bedeutung.“[9]

Im Blick auf die Interpretationsgeschichte fällt auf, dass zwar alle Interpreten sich der autobiographischen Aussagen Noldes über seine religiöse Kinderwelt annehmen, aber fast niemand hat die religiöse Welt und die Frömmigkeitsgeschichte näher herangezogen, in der Nolde aufgewachsen ist. Aber genau dies ist notwendig, wenn man Noldes Themenfeld der „Religiösen Bilder“ angemessen einordnen will. Zudem wird sich zeigen, dass hier auch der Schlüssel zur Deutung des Bildes Martyrium II liegt.

Wenn Nolde erklärt, dass für ihn neben der Bibel fast keine andere Lektüre existiert hat, ist dies nicht als Koketterie eines hochangesehenen Künstlers oder als understatement eines Gebildeten zu werten. In der bäuerlichen Welt, in der Nolde aufwächst, ist in der Tat die Bibel das entscheidende literarische Dokument, das das Aufwachsen und den Tages- und Jahreslauf in einem festen Rhythmus bestimmt. Wir haben es hier mit einem kulturellen Phänomen des Protestantismus zu tun, das schon den Kunsthistorikern des 20. Jahrhunderts weithin unbekannt ist, wenngleich seine Wirkungskraft auch an anderen Orten der kulturellen Welt dieses Jahrhunderts unübersehbar ist.[10]

Bisher ist niemand dieser religiösen Umwelt im süddänischen dörflichen Leben nachgegangen. Noch kennen wir die Pastoren nicht, deren Predigten Nolde gehört, deren Katechesen er in sich aufgenommen hat. Die Rolle der Erweckungsbewegung in dieser Lebenswelt ist nur ansatzweise zur Interpretation von Noldes Bilderwelten herangezogen worden.[11] Die lapidaren Aussagen Noldes selbst zu seiner „nordischen“ Prägung haben die Interpreten allzu pauschal aufgegriffen und mit Gedanken der völkischen Stereotype vom nordischen Charakter, der nordischen Mythologie usw. undifferenziert gleichgesetzt. Nolde selbst hat solche Gedanken verstärkt, wenn er sein eigenes Fremdheitsgefühl und sein Minderwertigkeitsempfinden, das ihn in der Begegnung vor allem mit Menschen überkam, die ihre humanistische und klassische Bildung oft mit Herablassung spüren ließen, mit seiner nordischen Herkunft und mit aus der Rassenlehre seiner Zeit entliehenen Kategorien zu deuten versuchte.[12]

Dahinter bleibt weithin verborgen seine Einbettung in die von Luthertum und Erweckungsbewegung geprägte volkstümliche Frömmigkeit der dänischen Landschaft, die das Kind und den Heranwachsenden in seinen einsamen Gedanken tief bestimmt und nach Ausdrucksformen sucht, die ihn schon früh zum Zeichnen und Malen drängen. In einer Umgebung, in der die Dramatik der Landschaft von Erde, Wasser und Himmel den Kontrast zum Gleichmaß der alltäglichen und sich rhythmisch wiederholenden lebenserhaltenden Verrichtungen den Alltag bestimmen, der zudem sich in der Abgeschiedenheit der Einzelgehöfte auf ihren insularen Warften abspielt, ist der Einfluss von Gottesdienst und Unterricht und der häuslichen Bibel in einer ansonsten reizarmen Welt nicht hoch genug einzuschätzen. Etwas von diesem Kontrast mag sich später für Nolde in dem Wechsel zwischen dem urbanen Leben in der Millionenstadt Berlin und der Einsamkeit von Seebüll wiederholt haben.

Zwei konstitutive Elemente einer lutherischen Volksfrömmigkeit lassen sich auf Anhieb in Noldes Bildern und seinen Äußerungen dazu festmachen. Ich trage sie hier in Form einer Hypothese vor, die darauf abzielt, Noldes Frömmigkeit, ihre Entwicklung und ihre Auswirkungen auf sein Werk weiter zu verfolgen. Das erste Element ist die durch anschauliche Erzählungen verlebendigte Welt der biblischen Geschichten. Im ganzen Protestantismus wird die biblische Tradition in der religiösen Erziehung mit dem Hilfsmittel der Erzählung der „Biblischen Geschichten“ Kindern und Jugendlichen nahegebracht. Zentral sind dabei die Erzählungen der Genesis von den Schöpfungserzählungen bis zu den Josefgeschichten, die besonders stark bei Nolde hervortreten.

Hinzu kommen die Geschichten aus dem Leben und der Verkündigung Jesu. In der katechetischen Tradition gehört dann auch die Apostelgeschichte mit den Berichten von den Christenverfolgungen hinzu, die durch Elemente aus dem Buch der Offenbarung angereichert werden. Seit der Reformationszeit war die Sprache der Kirche im ganzen Raum des Herzogtums Schleswig die Sprache der Luther-Bibel[13]. In dieser Sprache hat Nolde die biblischen Geschichten kennen gelernt. Das hat sich bis in die Bild-Titel seiner „Religiösen Bilder“ erhalten. Aus diesem Fundus schöpft Nolde seine Bildwelten. Das Besondere an seinem Umgang mit dieser Bilderwelt besteht darin, dass er sich der historischen und kulturellen Distanz bewusst wird, aus der diese Geschichten stammen. Genau dies aber verstärkt den Reiz der Erzählungen. Sie kommen aus einer exotischen Welt, der er Ausdruck zu geben versucht. Sie bilden eine Gegenwelt zu der von Industrialisierung und Urbanisierung gekennzeichneten Welt des ausgehenden 19. Jahrhunderts. Sie eröffnen auch eine Gegenwelt zu einer bildungsbürgerlichen Zivilisation, die Nolde lebenslang fremd bleibt oder in der er sich fremd fühlt. In Tagträumen vermag er sich in diese Gegenwelt hineinzuversetzen, die der metaphysische Lebensgrund für ihn war und blieb.

Das „Moderne“ an diesem Umgang mit der traditionellen Biblischen Geschichte liegt im Einfluss der zeitgenössischen historisch-kritischen Begegnung mit den altorientalischen Texten. Der Streit um die gerade erfolgreich betriebenen Ausgrabungen des alten Babel und seine Auswirkungen auf die Interpretation der biblischen Tradition mag dafür exemplarisch stehen.[14] Gegenüber dem kindlichen Bedürfnis nach bildlicher Darstellung der Biblischen Geschichten, tritt jetzt in der Phase kritischer Identitätsbildung in Noldes Leben die Betonung des Fremden, des „Jüdischen“, des Orientalischen, das sich abhebt von der Welt der gegenwärtigen Zivilisation. Es mag darin ein Stück Zivilisationskritik aufgenommen sein, die sich auf einen Fundus archaisch naturhafter Welterfahrungen beziehen kann. Ob nicht auch die Reise nach Neuguinea dieses Lebensgefühl genährt hat? Schon die Begegnung mit russischen Menschen auf der Fahrt nach Wladiwostok bringt die Darstellung solcher Personen in archaisch anmutender Lebenshaltung zur Darstellung. Und selbst die Sammlung von Skulpturen aus der Ozeanischen Welt mag mit in diesen Vorstellungszusammenhang gehören. Zur gleichen Zeit entwickelt, ohne dass es einen kausalen Zusammenhang gäbe, C.G. Jung seine Vorstellung von den Archetypen, die die Grundlage für seine tiefenpsychologische Deutung der Welt der Religion bildet. Bei Nolde werden die Biblischen Geschichten archetypisch wahrgenommen und bildnerisch gestaltet. Auslösendes Moment ist die tiefe seelische Verankerung der Geschichten, die geradezu einen Zwang zum Ausdruck in Form und vor allem in Farbe bei Nolde auslösen.

Es gibt eine weitere Gleichzeitigkeit in der Theologiegeschichte. Der aus der liberalen Theologie des 19. Jahrhunderts genährte Schweizer Karl Barth entdeckt in den Jahren des Ersten Weltkriegs vor allem im Gespräch mit seinem Freund Eduard Thurneysen und in Verarbeitung der Theologie und Philosophie des Dänen Sören Kierkegaard und der Roman-Literatur von Fjodor Dostojewski, dass Gott „ganz anders“ ist als es der „Kulturprotestantismus“ in seiner Verschmelzung von Christentum und Kultur wahrhaben wollte. Die dänische lutherische Volkskirche war von der Kirchenkritik Kierkegaards tief aufgewühlt, was bis in die dänische Erweckungsbewegung hineinwirkte. Es wäre wichtig, dem genauer nachzugehen. Dabei könnte sich zeigen, aus welcher Motivation die prägenden Dorfpfarrer in Noldes Heimat die Tradition der Biblischen Geschichte weiterführten. Auch wäre es hilfreich, mehr über Noldes Schwiegervater und die religiöse Sozialisation seiner Frau Ada zu erfahren. Hier bestehen erhebliche Desiderate der Nolde-Forschung.

Das zweite Element der Volksfrömmigkeit des dänischen Luthertums ist die Entfaltung der Kreuzestheologie des Paulus in Predigten, Welt- und Lebensdeutungen. Schon der Maler Lukas Cranach d.Ä. hat auf der Predella des Reformationsaltars in der Wittenberger Stadtkirche (1540/1547) Luther auf der Kanzel stehend dargestellt, der mit seiner rechten Hand auf den Gekreuzigten in der Bildmitte weist.

Seit seiner Disputation in Heidelberg 1518, in der Luther von der Unterscheidung einer theologia gloriae von einer theologia crucis ausgeht, hat Luther im Zentrum seiner Theologie den Gedanken entfaltet, dass Gott nur dort zu finden ist, wo ihn kein Mensch erwartet, nämlich in dem am Kreuz hingerichteten Jesus von Nazareth.

„Während die Theologie der Herrlichkeit nur die glänzende Außenseite (Gottes und des Menschen) zu sehen bekommt, tut die Theologie des Kreuzes einen Blick in das Herz Gottes und nimmt seine am Kreuz mitleidende Liebe wahr.“[15]

Diese Theologie des Kreuzes stützt sich im Wesentlichen auf die Briefe des Paulus und seine Theologie. Der Weg des Menschen, sich Gott gegenüber auf seine Leistungen zu berufen, ist hier zu ende. Menschliche Weisheit richtet angesichts der „Torheit“ des Kreuzes nichts mehr aus.

In dieser Gedankenwelt ist Noldes Weltsicht tief verankert. Hier kann er auch seine tiefe Skepsis gegenüber dem Weltwissen, das ihm im Bildungsbürgertum und ihrer Kunstwelt entgegentritt, begründen und legitimieren. In archaischer Figuration und in farblicher Explosion kann er dem Ausdruck verleihen, was ihn tief beseelt und seinen Blick auf die Welt bestimmt. Allerdings ist dieser Zusammenhang in einer zunehmend säkularen Gesellschaft, in der vor allem Bildung und Distanz zu Glaube und Religion nahe zusammen rücken, und in einer Welt der sich gerade von den Kirchen emanzipierten autonomen Kunst schwer verständlich zu machen. Das hat Nolde selbst persönlich schmerzlich erfahren. Und auch die überwiegende Hilflosigkeit der kunsthistorischen Deutungen von Noldes „Religiösen Bildern“ spiegelt diese Entfremdung, die den Zugang zur Frömmigkeit dieses Malers verdeckt.

Noldes Selbstaussagen zu seinen „Religiösen Bildern“

Es gibt eine ganze Reihe von Zeugnissen aus Noldes Mund, die für die Deutung seiner religiösen Bilder herangezogen werden können. So schreibt er in einem Brief vom 5. Juli 1916:

„Die biblischen Bilder sind intensive Jugenderinnerungen, denen ich als Erwachsener Form gebe. Die Legendenbilder traten als Stoff später an mich, die vorhingenannten sind ganz selbstgewordene. vielleicht gerade deshalb vielen so unzugänglich und manchen so unangenehm.“[16]

In seinen autobiographischen Schriften berichtet Nolde 1934[17]:

„In Abständen von jeweils einigen Jahren entstanden immer wieder Bilder mit biblisch religiösem Inhalt. Die Vorstellungen des Knaben von einst, als ich während der langen Winterabende tief ergriffen alle Abend in der Bibel lesend saß, wurden wieder wach. Es waren Bilder, die ich las, reichste orientalische Phantastik. Sie wirbelten in meiner Vorstellung immer zu vor mir hoch, bis lange danach der nun erwachsene Mensch und Künstler sie, wie in traumhafter Eingebung, malte und malte.“

„Oft saß ich oben im Heufach, denkend, träumend. Religiöse Probleme beschäftigten mich. Zuweilen bis zur Ekstase. Auch selbstgefundene Gedanken und erregte Pläne bewegten mich. Sollte ich Missionar werden?“[18]

„Im sechsten Jahr, mit Schulbeginn, war meine frühe und freieste Zeit beendet. Den Freund Mathis beneidete ich, der ein Jahr länger als ich die Freiheit genießen durfte. Die Schule war mir Zwang. Ich war unwillig und faul. Nur zu allem Unsinn und Schlechtigkeiten bereit. Lernen tat ich nichts. Katechismus, Bibelsprüche und Gesangvers, was auswendig gelernt werden mußte, war mir verhaßt. Abends saß ich fast regelmäßig nach. Einmal sogar bis in die Nacht hinein, bis der Lehrer den Vergessenen auf Schulbank liegend schlafen fand.“[19]

Noldes engster Freund und Förderer, Hans Fehr, schreibt über die Ablehnung, die Nolde vor allem auch von Seiten der Kirche erfahren habe:

„Es bedrückt ihn, daß nicht in einer einzigen Kirche ein religiöses Bild von seiner Hand zu finden war, und er fragt, ob wohl Gott nicht genügend dafür gesorgt habe oder ob die Menschen nicht wissen, wie gerne er sie dort sehen würde. Der Kirche wirft er vor, daß sie völlig untätig blieb. Es sei ihr eben nicht genehm gewesen, daß er die Apostel und andere heilige Männer, als Juden malte und nicht im alten Stile, mit klassisch ausgeprägten Gesichtern. In einem Brief von 1930 wirft er der Kirche vor, daß sie sich allzusehr um die Reichen und Vornehmen kümmere. Wo aber sind die Schwachen und Beladenen, Obdachlosen und die Armen, die Christus alle so liebte? Sie halten Gottesdienst in ihrer Art in Kaschemmen und Baracken. (...) Und etwas vom Rührendsten und Feinfühligsten, das ich je aus seinem Mund hörte, lautet: 'Als ich ein Kind war, acht oder zehn Jahre alt, habe ich innigst meinem Gott versprochen, daß, wenn ich groß werde, wollte ich ihm für das Gesangbuch ein Lied dichten. Das Gelübde ist nie erfüllt worden. Aber viele Bilder habe ich gemalt und wohl mehr als dreißig religiöse. Ob die wohl einen Ersatz bilden?' Wie stark muß der Gottesglaube in einem Menschen befestigt sein, wie innig die Hingebung an das höchste Wesen, wenn er so sprechen kann! Nolde fühlt, wie er mit seiner Kunst im Dienste Gottes steht. Das gab ihm immer wieder Sicherheit. Das half ihm hinweg über die vielen Hindernisse, welche ihm das leben aufbürdete. Wer weiß, ob er ohne dieses innere Zuversicht die Kraft gehabt hätte, uns diese beglückenden Bilder zu schenken?“[20]

Zu den Religiösen Bildern äußert sich Nolde:

„Sie waren ganz eigenem Instinkt folgend entstanden, die Menschentypen als Juden, Christus und die Apostel auch, wie er doch auch war, die Apostel als einfache jüdische Land- und Fischermenschen. Ich malte sie als starke jüdische Typen, denn es waren gewiß nicht die Schwächlinge, welche sich zur revolutionären neuen Lehre Christi bekannten (...) Daß während der Renaissancezeit die Apostel und Christus als arische, italienische oder deutsche Gelehrte gemalt wurden, mag in der Geistlichkeit die Meinung festgelegt haben, daß diese überlieferte Art immer bleiben müsse, daß mit diesem künstlerischen Betrug – scharf gesagt – weiter betrogen werden soll. (...) Während bald zwei Jahrtausenden haben wir uns dem Ideengang unrichtiger Darstellung gefügt. Ich habe den Glauben, daß eine erkannte Wahrheit nicht wieder ins Dunkel zurückfallen kann. (...) Auch meine religiösen Bilder bleiben Wahrheitszeichen für immer, weil sie Kunst und weil sie wahr sind.“[21]

Martyrium II

Nach all dem, was uns von Noldes Frömmigkeit und seiner Bibelkenntnis bekannt ist, erschließt sich die mittlere Tafel des Martyrium-Triptychons erstaunlich rasch, wenn man einen der zentralen Texte des Paulus heranzieht, in dem er seine Kreuzestheologie entfaltet und der in der protestantischen Theologiegeschichte eine zentrale Stellung einnimmt. Es ist das erste Kapitel des ersten Briefs des Paulus an die christliche Gemeinde in Korinth. In der Luther-Übersetzung in der Fassung zur Zeit von Noldes Kindheit lautet die Stelle so:

„18 Denn das Wort vom Kreuz ist eine Torheit denen, die verloren werden; uns aber, die wir selig werden, ist's eine Gotteskraft.
19 Denn es steht geschrieben (Jesaja 29,14): »Ich will zunichte machen die Weisheit der Weisen, und den Verstand der Verständigen will ich verwerfen.«
20 Wo sind die Klugen? Wo sind die Schriftgelehrten? Wo sind die Welt weisen? Hat nicht Gott die Weisheit dieser Welt zur Torheit gemacht?
21Denn die weil die Welt durch ihre Weisheit Gott in seiner Weisheit nicht erkannte, gefiel es Gott wohl, durch törichte Predigt selig zu machen, die daran glauben.
22 Sintemal die Juden Zeichen fordern und die Griechen nach Weisheit fragen,
23 wir aber predigen den gekreuzigten Christus, den Juden ein Ärgernis und den Griechen eine Torheit;
24 denen aber, die berufen sind, Juden und Griechen, predigen wir Christum, göttliche Kraft und göttliche Weisheit.“
25 Denn die göttliche Torheit ist weiser, denn die Menschen sind, und göttliche Schwachheit ist stärker, denn die Menschen sind.
26 Seht doch, liebe Brüder, auf eure Berufung. Nicht viele Weise nach dem Fleisch, nicht viele Gewaltige, nicht viele Edle sind berufen.
27 Sondern was töricht ist vor der Welt, das hat Gott erwählt, damit er die Weisen zuschanden mache; und was schwach ist vor der Welt, das hat Gott erwählt, damit er zuschanden mache, was stark ist;
28 und das Unedle vor der Welt und das Verachtete hat Gott erwählt, das, was nichts ist, damit er zunichte mache, was etwas ist,
29 auf dass sich vor ihm kein Fleisch rühme.
30 Von welchem auch ihr herkommt in Christus Jesus, welcher uns gemacht ist von Gott zur Weisheit und zur Gerechtigkeit und zur Heiligung und zur Erlösung,
31 damit, wie geschrieben steht (Jeremia 9,22-23): »Wer sich rühmt, der rühme sich des Herrn!«“

Soweit ich sehe gibt es in der christlichen Ikonographie keine vergleichbare Verbildlichung dieser zentralen Aussage des Paulus zur Theologie des Kreuzes, die er als „Wort vom Kreuz“ zusammenfasst. Die christliche Botschaft wird von Paulus in der Proklamation summiert, dass das rettende Handeln Gottes gegenüber dem Menschen in dem Skandal der Hinrichtung des Jesus aus Nazareth am Kreuz erkennbar wird. Dieser Skandal bedeutet eine Umwertung aller bisherigen Maßstäbe. Für das Judentum ein „Ärgernis“ - Paulus benutzt hier den Begriff „skandalon“, von dem sich das Lehnwort „Skandal“ ableitet - , weil es Gott in seiner „Herrlichkeit“ (im Judentum steht hierfür der Begriff der „schechina“ als Vorstellung, dass Gott unter uns in seiner Herrlichkeit wohnt) und nicht in der „Niedrigkeit“ sucht.

Die Griechen mit ihrer großen philosophischen Tradition können in einem solchen Gottesverständnis nur törichte Annahmen erkennen. Paulus meint, dass die ganze Weltweisheit vor der Weisheit Gottes, die sich in dem Geschehen der Kreuzigung verborgen zeigt, kapitulieren muss. Der Heilsweg des Judentums und der Erkenntnisweg der Philosophie sind zu Ende. Weder Reichtum, noch Macht oder Wissen oder gar edle Abkunft machen unser Sein aus. Wenn es um unsere Existenz geht, findet eine Umwertung aller Werte statt. Gott hat sich gerade das „Törichte“ und das „Schwache“ erwählt, das „Unedle“ und das „Verachtete“.

Angesichts der Erfahrungen der Katastrophen von Krieg, Inflation und politischen Umwälzungen[22] („ein grausiges Drama“) die er in den beiden Seitenflügeln unter Rückgriff auf die Zeit der Christenverfolgungen in Szene setzt („die Figuren in übersinnlicher und auch verschiedener Größe gestaltend und in die Zeit der Christenverfolgungen zurückgreifend“), wird die mittlere Tafel mit dem Blick auf das „Wort vom Kreuz“ zur „ Geißelung alles Hohlen und Falschen“[23]. Die wahre Sicht der Welt kommt erst aus der Perspektive des Kreuzes in den Blick.

Und nun erschließen sich auch die Figuren dieses Bildes, in dessen Mitte der Gekreuzigte steht, ein Selbstzitat aus seinem Zyklus „Leben Christi“ von 1912.

Die beiden Gestalten im Hintergrund deuten das Kreuz. Nach der Lektüre von 1. Korinther 1 wird schlagartig deutlich: Auf der linken Seite sehen wir, den Zeigefinger an die Stirn deutend, wie wir sagen „den Vogel zeigend“, den Repräsentanten der Griechen, denen das Kreuz angesichts ihrer philosophischen Weisheit als „Torheit“ erscheint. Zum Zeichen trägt er das Buch der griechischen Philosophie in seiner Rechten.

Nun ist auch klar: Auf der Rechten, dem Kreuz schon den Rücken zukehrend, mit dem Daumen der rechten Hand verächtlich zurückweisend in Protest gegen den „Skandal“ der Repräsentant des Judentums.[24] Beide Gestalten sind in der Darstellung am Kopf angeschnitten. Sie treten gewissermaßen zurück. Ihre falsche Sicht tritt in den Hintergrund, um den beiden Gestalten des Vordergrunds Aufmerksamkeit zu schenken. Damit wird das „Aber“ von 1. Kor. 1,18 anschaulich. „Uns aber, die wir selig werden, ist es (das Kreuz) eine Gotteskraft“.

Wer aber sind diese beiden grellen Gestalten, die sich gegenseitig zu umarmen scheinen? Ihre Gesichter sind sich im Profil zugewandt. Befremdliche Gestalten. Der fast kahlköpfige Mann auf der Linken mit den grellen Zähnen umrahmt von dem knalligen Rot der Lippen. Keine sympathische Gestalt, der man gerne begegnen möchte. Fast etwas Berserkerhaftes, wenn da nicht die Geste der Umarmung wäre, die durch die Hand des Mannes auf der Schulter der Frau angedeutet wird. Und an seiner Hand ein überraschendes Erkennungszeichen: Ein Ring.

In Lukas 15,11-32 wird Jesu Geschichte vom „verlorenen Sohn“ erzählt: Nachdem der eine Sohn eines wohlhabenden Landbesitzers sein Erbe gefordert und in ein „fernes Land“ gezogen war, wird berichtet „dort brachte er sein Erbteil durch mit Prassen.“ Mittellos muss er sich als Schweinehirt verdingen. „Und er begehrte, seinen Bauch zu füllen mit den Schoten, die die Säue fraßen; und niemand gab sie ihm.“ Da erinnert er sich an seinen Vater. Der reumütige Sohn findet das Erbarmen des Vaters. „Der Vater sprach zu seinen Knechten: Bringt schnell das beste Gewand her und zieht es ihm an und gebt ihm einen Ring an seine Hand und Schuhe an seine Füße und bringt das gemästete Kalb und schlachtet's; lasst uns essen und fröhlich sein!“ Der ältere Sohn, der brav zuhause geblieben war, ist empört über die Haltung des Vaters und wirft ihm vor: „All die Jahre diene ich dir nun, und nie habe ich ein Gebot von dir übertreten. Doch mir hast du nie einen Ziegenbock gegeben, dass ich mit meinen Freunden hätte feiern können. Aber nun, da dein Sohn heimgekommen ist, der da, der dein Vermögen mit Huren verprasst hat, hast du für ihn das Mastkalb geschlachtet.“ Der Ring am Ringfinger der rechten Hand, ist er vielleicht der Ring, den der Vater seinem „verlorenen Sohn“ angesteckt hat, nachdem er sein Vermögen „mit Huren verprasst“ hat. Sieht er nicht etwa so aus, als käme er gerade aus diesem Milieu? Es gibt in den Evangelien keine zentralere Gestalt, in der die Botschaft Jesu von Gottes Barmherzigkeit zum Ausdruck kommt als den „verlorenen Sohn“. Das Kreuz Christi ist Ausdruck dieser barmherzigen Liebe Gottes. Dies alles ist Nolde zutiefst vertraut.

In seinen Erinnerungen beschreibt er seine Empfindungen: „Zuweilen aber ging ich allein übers Feld von Gedanken und unbestimmten Gefühlen getrieben. Im hohen Kornfeld, von niemandem gesehen, legte ich mich hin, den Rücken platt zur Erde, die Augen geschlossen, die Arme starr ausgestreckt, und dann dachte ich: So lag dein Heiland Jesus Christus, als Männer und Frauen ihm vom Kreuz ablösten, und dann drehte ich mich um, in unbestimmbarem Glauben träumend, dass die ganze große, runde, wundervolle Erde meine Geliebte sei.“[25] Man könnte geradezu von einer „Christus-Mystik“ bei Nolde sprechen, in der er sich in den Gekreuzigten hineinversetzt, die Liebe des Christus zur Erde sich zu eigen macht und gleichzeitig die Erde als seine Geliebte empfindet. Diese Empfindungen erinnert er noch lebhaft als alter Mann im Jahr 1931. Er erfährt sich als einen, für den gilt: Das Wort vom Kreuz ist für uns, „die wir selig werden, eine Gotteskraft“. Das kann er nur in dieser Indirektheit aussprechen. Die intellektuelle Welt, der er gegenüber sich mit großer Zurückhaltung bis zum Gefühl der Unterlegenheit öffnet, würde solche Bekenntnisse missverstehen. Könnte das der Grund sein, warum uns dieses Bild bisher so verschlossen blieb?

Auf diesem Hintergrund gilt es weiter zu suchen, wer denn die Frau ist, die der „verlorene Sohn“ in seine Arme schließt. Ihr einziges Erkennungsmerkmal ist das schulterlange Haar, das schlohweiß geworden ist. Wenn Nolde auch hier eine der zentralen Gestalten der Evangelienberichte aus dem Umkreis der Botschaft Jesu ausgewählt haben sollte, so könnte es sich um die Frau handeln, die Jesus bei einem Gastmahl im Hause eines Simon überraschend die Füße mit ihren Tränen wäscht, sie anschließend mit ihren Haaren trocknet und schließlich mit einem kostbaren Duftöl salbt[26]. Das Lukas-Evangelium betont noch, dass die Frau eine bekannte Sünderin gewesen sei.[27] Daher wird Jesus vom Gastgeber und den übrigen Gästen kritisiert, dass er die Handlung der Frau an sich geschehen lässt, obwohl er doch ihre Vorgeschichte kennen muss.

Jesus reagiert darauf mit den Worten: „Siehst du diese Frau? Ich bin in dein Haus gekommen: Wasser für die Füße hast du mir nicht gegeben, sie aber hat meine Füße mit ihren Tränen benetzt und mit ihrem Haar getrocknet. Einen Kuss hast du mir nicht gegeben, sie aber hat, seit sie hereingekommen ist, nicht aufgehört, meine Füße zu küssen. Mit Öl hast du mein Haupt nicht gesalbt, sie aber hat mit Balsam meine Füße gesalbt. Darum sage ich dir: Ihre vielen Sünden sind vergeben, denn sie hat viel geliebt; wem aber wenig vergeben wird, der liebt wenig. Zu ihr aber sagte er: Dir sind die Sünden vergeben. Da begannen die Gäste untereinander zu sagen: Wer ist dieser, dass er sogar Sünden vergibt? Er aber sagte zu der Frau: Dein Glaube hat dich gerettet. Geh in Frieden! (Lukas 7, 44-50) Diese Erfahrung liegt Jahre zurück. Ihr Haar ist inzwischen weiß geworden. So malt sie Nolde.

Auch hier eine zentrale Gestalt der Evangelien, die zu denen gehört, die „gerettet“ werden und für die daher das Kreuz eine „Gotteskraft“ ist. Das alles dürfte die Annahme bestärken, dass Nolde hier zur bildlichen Darstellung der Botschaft des Paulus, dem „Wort vom Kreuz“ diese beiden Gestalten ausgewählt hat und sie den beiden Kritikern des Kreuzes entgegenhält. Die Parallelität der beiden Gestalten wird durch die am Ende des 19. Jahrhunderts dominante ethische Deutung, die die Sündhaftigkeit der beiden Personen vor allem mit ihrem sexuellen Verhalten moralisch definiert, noch intensiviert.

Eine letzte Beobachtung könnte unseren Deutungsversuch noch verstärken: Die beiden Gestalten im Vordergrund, die ja nur mit Kopf und Schulterpartie dargestellt sind, bilden den Umriss der Form eines angeschnittenen Herzens. Wenn dieses Symbol der Liebe gewissermaßen Ausfluss des Kreuzes ist, das mitten hineinragt, dann hätte Nolde eine Interpretation des Kreuzes Christi als Tat der Liebe Gottes zu den Verlorenen bildlich gestaltet. Erinnert das nicht an den Brief Noldes, von dem Hans Fehr berichtet: „In einem Brief von 1930 wirft er der Kirche vor, daß sie sich allzusehr um die Reichen und Vornehmen kümmere. Wo aber sind die Schwachen und Beladenen, Obdachlosen und die Armen, die Christus alle so liebte? Sie halten Gottesdienst in ihrer Art in Kaschemmen und Baracken.“[28] Bekommt auf diesem Hintergrund die Selbstaussage zu seinem Kreuzigungsbild von 1912 noch eine tiefere Schärfe und Deutlichkeit? „(...) dann mein großes Bild der Kreuzigung, wo der Heiland mit tiefgefurchtem Antlitz seinen menschlichen Erlösertod leidet. Den Tod am Kreuz, der schwer gewesen sein wird. - Aber muss es nicht auch ein unermesslich hohes Glück gewesen sein, im Glauben der Gewißheit , als Gottes- und Menschensohn die Millionen Menschen alle damit von ewigen Feuerqualen zu erlösen? Könnte es einen größeren, glücklicheren Tod geben? (…) Ist nicht der Tod eines jeden Menschen , in Leid und Not, in Krankheit oder Krieg, oder für nichts als nur das eigne Schicksal erfüllend, ein sehr viel schwerer Tod? - - Ich konnte es nicht lassen, diesen Gedanken zu folgen.“[29]

Anmerkungen

[1]    Eine faksimilierte Abbildung dieser Liste findet sich jetzt in: Manfred Reuther (Hg.), Emil Nolde. Die religiösen Bilder, (Ausstellungskatalog zur Ausstellung der Dependance Berlin der Nolde Stiftung Seebüll „Emil Nolde. Die religiösen Bilder – Tiefe Geistigkeit und reichste orientalische Phantastik“ 11.November 2011-15.April 2012), Köln 2011, S. 138f.

[2]    Manfred Reuther (Hg.), a.a.O., S.28f.

[3]    Manfred Reuther spricht von dem „schwierigen Triptychon 'Martyrium'“, a.a.O. S. 21

[4]    Emil Nolde, Reisen, Ächtung, Befreiung, Köln 1967, S. 28f.

[5]    Unter dem Titel „Versuch über die Möglichkeit neuer religiöser Kunst“. Vgl. dazu Manfred Reuther, „Reichste orientalische Phantastik“ - „Die biblischen und Legendenbilder“, in: Manfred Reuther (Hg.), Emil Nolde. Die religiösen Bilder, Köln 2011, S. 10.

[6]    Vgl. Hans Fehr, Emil Nolde: Ein Buch der Freundschaft, München 1960, S. 112. Diese Distanz von Seiten der Theologie hält teilweise bis heute an. Vgl. die jüngste Darstellung der „Ideengeschichte des Christentums“, Bd I Offenbarung, Vernunft und Religion, Tübingen 2012; Bd. II Schrift, Tradition und Bekenntnis, Tübingen 2013, in der der Theologe Jan Rohls breit auch auf den Bezug zwischen Kunst und Theologie im 20. Jahrhundert eingeht, die Namen deutscher Künstler dieser Zeit nennt, aber den Namen Noldes sucht man vergeblich. Vgl. dagegen die eingehende Würdigung von Noldes Zyklus „Das Leben Christi“ durch den Berliner Theologen Wilhelm Gräb bei der Tagung der Evangelischen Akademie zu Berlin „Emil Nolde. Die religiösen Bilder“ in der Nolde Stiftung Seebüll, Dependance Berlin am 24. März 2012.

[7]    Vgl. zuletzt Manfred Reuther (Hg.), Emil Nolde. Die religiösen Bilder, (Ausstellungskatalog zur Ausstellung der Dependance Berlin der Nolde Stiftung Seebüll „Emil Nolde. Die religiösen Bilder – Tiefe Geistigkeit und reichste orientalische Phantastik“ 11.November 2011-15.April 2012), Köln 2011

[8]    Universität Heidelberg, Institut für Europäische Kunstgeschichte, Wintersemester 2005/2006:
archiv.ub.uniheidelberg.de/volltextserver/6205/1/1_Textteil.pdf

[9]    A.a.O., S. 243 Ob die Verfasserin mit dieser Einordnung angemessen urteilt, mag man sehr in Frage stellen, da Nolde in der theologischen Deutung keineswegs in der romantischen Tradition steht und auch seine bildnerischen Mittel sich ganz anderen Quellen zu verdanken. Ihre Arbeit hat allerdings das Verdienst, den ganzen Komplex der Entstehungsgeschichte und der geistigen und gesellschaftlichen Welt von Noldes religiösen Bildern ans Tageslicht zu bringen. Mit der theologischen Interpretation hat sie allerdings erhebliche Schwierigkeiten, wenngleich sie manche bemerkenswerten Bezüge herstellt.

[10]   Man denke nur an die berühmte Antwort Bert Brechts auf die Frage nach dem Buch, das den stärksten Eindruck auf ihn in seinem Leben gemacht habe: „Sie werden lachen, die Bibel“. Der in konfessionell gemischter Ehe zwischen katholischem Vater und protestantischer Mutter aufgewachsene wird von der mütterlichen Großmutter in gut protestantischer, wenngleich sehr vom protestantischen liberalen Bildungsbürgertum geprägter Form mit den Geschichten der Bibel vertraut gemacht. Konfirmanden- und Religionsunterricht sowie Predigten des Augsburger Pfarrer Detzer und Krause tun das ihre.Vgl. Jan Knopf, Bertolt Brecht. Lebenskunst in finsteren Zeiten. Biografie. München 2012, S. 18

[11]   Die bedeutende Rolle der Erweckungsbewegung in Dänemark und im Schleswigschen Raum für Noldes religiöse Sozialisation lässt sich nicht nur aus der Tatsache erschließen, dass seine Brüder als Erweckungsprediger tätig waren, sondern vor allem auch aus dem eigenen Erleben, das er so schildert: „Einige Male bin ich dabei gewesen, wenn im Raum die Luft von Gottesgeist vibrierte“ (Emil Nolde, Das eigene Leben, 1931, 2. erweiterte Auflage, Flensburg und Hamburg 1949, S. 118)

[12]   Zu Noldes Antisemitismus und seiner Nähe zum Nationalsozialismus hat der amerikanische Kunsthistoriker James van Dyke einen Brief vom 6. Dezember 1938 an seinen Freund Hans Fehr gefunden (Getty-Institut, Sammlung der Briefe Nolde-Fehr), den er in der Zeitschrift „Kunstchronik“ veröffentlicht hat. Vgl. dazu den Bericht von Stefan Koldehoff, Noldes Bekenntnis, in: DIE ZEIT Nr.42, vom 10. Oktober 2013, S. 19

[13]   Der aus Lippstadt stammende Generalsuperintendent Stephan Klotz verfügte 1647, dass Gottesdienste nur noch auf Hochdeutsch zu halten seien und der Katechismusunterricht in der Schule ebenfalls auf Hochdeutsch stattfinden müsse. Im den heute zu Dänemark gehörenden Gebieten wurden aber wenigstens die Nachmittagsgottesdienste auf dänisch gehalten (Kröger, Heinrich: Plattdüütsch in de Kark in drei Jahrhunderten. Band 1: 18. und 19. Jahrhundert; Hannover 1996; S. 28)

[14]   Vgl. dazu Reinhard G. Lehmann: Friedrich Delitzsch und der Babel-Bibel-Streit. Freiburg (CH) u. a. 1994, (Orbis Biblicus et Orientalis 133), (Zugleich: Mainz, Univ. Diss., 1989).

[15]   Wilfried Härle, Warum Gott? Für Menschen, die mehr wissen wollen, Leipzig 2013, S.88.

[16]   Emil Nolde Briefe 1894-1926, hrsg. Von Max Sauerlandt, Neuausgabe, Berlin 1967, S. 120-121

[17]   Emil Nolde, Jahre der Kämpfe (1934), 2. Auflage Flensburg 1957, S. 20

[18]   Emil Nolde, Das eigene Leben, 1931, 2. erweiterte Auflage, Flensburg und Hamburg 1949, S. 53

[19]   Emil Nolde, Das eigene Leben, 1931, 2. erweiterte Auflage, Flensburg und Hamburg 1949 , S.55f.

[20]   Hans Fehr, Emil Nolde: Ein Buch der Freundschaft, München 1960, S. 112

[21]   Emil Nolde, Jahre der Kämpfe, 2. erweiterte Auflage, Flensburg 1957, S. 173

[22]   Man beachte das Entstehungsjahr des Triptychons: 1921!

[23]   Vgl. das Zitat oben S. 1, Anm. 4 aus: Emil Nolde, Reisen, Ächtung, Befreiung, Köln 1967, S. 28f.

[24]   Christoph Vogel bemerkt in einer Rezension der Hamburger Ausstellung in der Kunsthalle 2000/01, (in: Kritische Berichte, 29.Jg.. 2001 S. 54 zitiert nach: Kyong-Mi Kim, Die religiösen Gemälde von Emil Nolde, Diss.Univ.Heidelberg, WS 2005/06, Bd. 1 (Textteil), S. 163 online: archiv.ub.uniheidelberg. de/volltextserver/6205/1/1_Textteil.pdf ) „dessen gehässig grinsende Gesichter übelste Judenkarikaturen darstellen. (…) Noldes ambivalentes Verhältnis zum Judentum wäre ein wirklich spannendes Thema...“

[25]   Emil Nolde, Das eigene Leben, 1931, 2. erweiterte Auflage, Flensburg und Hamburg 1949., S. 53

[26]   Die Erzählung wird von allen synoptischen Evangelien mit einzelnen Abweichungen berichtet (Mt 26,6-13: Simon der Aussätzige in Bethanien als Gastgeber; so auch Mk.14,3-9; bei Lk. 7,36-50 fehlt die Ortsangabe und Simon wird als Pharisäer vorgestellt). Eine Variante enthält Joh. 12,1-8. Hier ist die Frau Maria, die Schwester der Martha und des Lazarus.

[27]   Seit dem Mittelalter wurden die unterschiedlichen Personen Maria von Bethanien, mit der wir es hier zu tun haben, Maria von Magdala (die zu den Frauen unter dem Kreuz und am Grab Jesu bei seiner Auferstehung) und die unbekannte Sünderin miteinander identifiziert und in der christlichen Ikonographie auch so dargestellt. Dadurch nahm diese integrierte Frauengestalt auch eine dominante Rolle ein.

[28]   Hans Fehr, Emil Nolde: Ein Buch der Freundschaft, München 1960, S. 112

[29]   Emil Nolde, Jahre der Kämpfe, 2. erweiterte Auflage, Flensburg, 1957, S. 170

Artikelnachweis: https://www.theomag.de/90/em2.htm
© Eckhart Marggraf, 2014