Globalisierung der Religionen |
Dezember 2014 Liebe Leserinnen und Leser, am Reformationstag 2014 hat die Evangelische Kirche in Deutschland im Rahmen ihrer Lutherdekade bis 2017 das Themenjahr „Bild und Bibel“ eröffnet. Wenn man einmal von dem offensichtlich eher touristisch motivierten Bezug zum sachlich kaum begründbaren Cranach-Jahr absieht, fragt man sich doch irritiert, was denn die EKD bewogen hat, diese Aspekte in einem Jahr zusammenzufassen: Bild und Bibel? Einerseits ist dem Protestantismus seit den letzten Lutherjubiläen 1983 offenkundig vollständig die Einsicht verloren gegangen, was denn die Reformation für die Bilder und die Kunst bedeutet hat und wie das protestantische Paradigma in Bildfragen aussieht. „Luther und die Folgen für die Kunst“ wird heute leider nicht einmal ansatzweise diskutiert, geschweige denn rezipiert. Dazu ist der Protestantismus zu anästhetisch geworden. Andererseits passt es zu dieser Form des sich petrifizierenden Protestantismus, dass er durch die Alliteration „Bild und Bibel“ die Religion auf ihre Vergangenheit und die Kunst auf deren Illustration festschreibt. Für die Verbandsprotestanten ist klar: Am Anfang war das Wort. Und das Bild illustriert das Wort. Jetzt wird also landauf, landab das passende Bild zur Bibel gesucht, während der Freiheitsakt des Protestantismus vor 500 Jahren doch gerade darin bestand, diese zwanghafte Zuordnung ein für alle Mal für obsolet zu erklären. Mit Kurt Marti gesprochen: Jesus Christus ist die Befreiung der Künste zur Profanität! Und in Folge der Reformation wurde das gesellschaftlich und kulturell ratifiziert und bis in die Moderne breitenwirksam umgesetzt. Den Event-Protestanten ist das entgangen. Sie feiern lieber den Illustrator Cranach d.J. und initiieren peinlichste Auftragskunst a la Cranach 2.0. Kultur-Protestanten sollten sich diese Verengung auf die Illustration nicht gefallen lassen. Das protestantische Paradigma ist und bleibt die Freiheit der Kunst. Das Magazin für Theologie und Ästhetik wird sich im kommenden Heft damit auseinander setzen und fragen, was denn von der kulturellen Offenheit und der GeistesGegenwart des Protestantismus übrig geblieben ist. Das aktuelle Heft des Magazins bringt zwei Phänomene zusammen, die nur auf den zweiten Blick zusammen gehören: Globalisierung und Religion. Globalisierung, so informiert uns die Wikipedia, bezeichnet den Vorgang, dass internationale Verflechtungen in vielen Bereichen zunehmen, und zwar zwischen Individuen, Gesellschaften, Institutionen und Staaten. Nun war das Christentum sozusagen von Anfang an eine international verflochtene Angelegenheit. Im Artikel der Wikipedia zum Stichwort kommt jedoch das Wort „Religion“ überhaupt nicht vor. Vielleicht kann man aktuell sogar davon ausgehen, dass der Rückgang der Bedeutsamkeit religiöser Institutionen in einem direkten Verhältnis zur Globalisierung der Welt steht. Umgekehrt taucht auch beim Artikel zum Stichwort Religion die Globalisierung nicht auf. Und trotzdem agieren inzwischen auch die religiösen Institutionen und Figuren nach den Mechanismen der Globalisierung. Die Globalisierung der Welt konfrontiert Menschen mit Religionen, die ihnen bisher nur durch Texte und Erzählungen bekannt waren. Nun aber sollen sie mit entscheiden, ob eine Moschee, eine Kirche, ein Tempel in ihrem Stadtteil gebaut werden darf. Und Religionen, die es sich gemütlich in der Auslegung ihrer heiligen Schriften eingerichtet hatten, müssen nun nicht nur zur Globalisierung, sondern auch zu globalen Konflikten und Auseinandersetzungen unter Einbezug der Religionen bzw. religiöser Sätze Stellung beziehen. Lange Zeit lief das unter dem Stichwort der „Protestantisierung der Religionen“, weil es das Subjekt zu Stellungnahmen herausforderte und die subjektive Wahl in den Vordergrund stellte. Es ist aber zu fragen, ob Globalisierung der Religionen nicht das bessere Stichwort ist, denn nach einer Protestantisierung der Welt sieht es zur Zeit nicht aus, eher nach der Zunahme eines globalen religiösen Fundamentalismus‘. Wir haben Reinhard Kirste, Leiter der Interreligiösen Arbeitsstelle (INTR°A) des Vereins zur Förderung interreligiöser Begegnungen und zum Verstehen anderer religiöser Traditionen, gebeten, uns einige Aspekte zum Thema zusammenzustellen. Unter VIEW finden Sie deshalb zunächst einmal Überlegungen von Reinhard Kirste zu interreligiösen Orientierungen im Kontext global sich erweiternder Glaubenstraditionen. Leonard Swidler schreibt über das Zeitalter des globalen Dialogs. Die „Ecumenical Association of Third World Theologians“ hat 2012 einen Vorschlag veröffentlicht, wie mit den weltweiten religiösen Veränderungen umgegangen werden kann. Reinhard Kirste stellt das Papier vor und kommentiert es. Darüber hinaus wendet er sich in einem weiteren Text dem Phänomen des Pilgerns zu. Andreas Mertin blickt unter dem Aspekt der Bedeutung der Religionen auf das gerade erschienene so genannte konvivialistische Manifest. Und schließlich dokumentieren wir zwei ältere Texte von Paul Schwarzenau aus dem Themenspektrum dieses Heftes. Unsere Rubrik RE-VIEW ist mit zahlreichen interessanten Beiträgen gefüllt: Es gibt Buch- bzw. CD-Besprechungen von Reinhard Kirste, Andreas Mertin, Harald Schroeter-Wittke und Eckhart Marggraf. Unter POST finden Sie die Notizen zu Themen der letzten zwei Monate, einen Kommentar und eine Glosse von Andreas Mertin.
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