Religion auf der Spur |
Grober Klotz, grober KeilBremer Religions-GeschichtenAndreas Mertin Im neuen Jahre Glück und Heil,
Erregung öffentlichen ÄrgernissesNicht nur in den Medien, sondern auch in der Evangelischen Kirche und unter evangelischen Theologen gibt es Anfang 2015 eine große Aufregung über einen sich fundamentalistisch gerierenden Prediger aus Bremen, der angeblich zum Unfrieden zwischen den Religionen angestiftet hatte. Nicht nur die Bremer Kirche distanziert sich, sondern auch das Bremer Parlament gab eine Erklärung ab und die Bremer Staatsanwaltschaft ermittelte sogar, ob hier nicht ein strafrechtlicher Tatbestand vorliege. Der Prediger Olaf Latzel an der Martini-Gemeinde in Bremen ist nun keinesfalls irgendein unbekannter Gemeindepfarrer, sondern ein schon notorisch zu nennender Provokateur des binnenkirchlichen Seelenfriedens, einer der es darauf anlegt, weniger das Evangelium zu verkünden als vielmehr den theologischen Grundkonsens der Evangelischen Kirche in Deutschland in Frage zu stellen, ob dieser nun Homosexualität, Interreligiosität oder die Ökumene betrifft. Bevor ich mich mit diesem Bremer Religions-Schelm auseinandersetze, sei für die Leserinnen und Leser kurz die Geschichte seines Wirkungsortes in Erinnerung gerufen, also jene legendäre Martini-Kirchengemeinde, die im Verlauf der Zeiten schon so manches Herausragendes und noch viel mehr Bizarres erlebt hat. Nur vor diesem Hintergrund wird der neueste Schelmenstreich als Treppenwitz der Geistesgeschichte verständlich. Kirche im Wind (Sunt Marten wo de Wind döer weit)St. Martini ist in vieler Hinsicht etwas Besonderes, es ist quer durch seine Geschichte betrachtet sozusagen ein Biotop religiöser Ansichten und ein Spielfeld neuer theologischer Experimente. Populärkulturell gesprochen: Würden die historischen Prediger und Predigerinnen von St. Martini einmal zusammenkommen, wäre es vermutlich so, als würde man einem Gespräch von Leslie Winkle, Barry Kripke und Sheldon Lee Cooper aus der Big Bang Theory über die String-Theorie lauschen. Die Geschichte in Kürze: Im 13. Jahrhundert beschweren sich die Bewohner des Viertels, dass sie durch die neu errichtete Stadtmauer von ihrer ursprünglichen Kirche abgetrennt sind. Papst Gregor IX. ordnet darauf eine Neufestsetzung der Kirchspielgrenzen an und so wird in der Folge eine Kapelle errichtet, die sich an die örtlichen Bewohner, vor allem aber an Schiffer und Kaufleute richtet. 1524 steht zum ersten Mal ein lutherischer Prediger auf der Kanzel, 1534 wird eine evangelische Kirchenordnung erlassen. Zur Zeit des Pietismus wirken hier Theodor Undereyck (1635-1693) und der Pastor und Kirchenlieddichter Joachim Neander (1650-1680). Letzterem verdanken wir u.a. das bekannte Kirchenlied „Lobe den Herren, den mächtigen König der Ehren“. Nach ihm wurde bei Düsseldorf das Neandertal benannt, in dem die ersten Skelette von „Neandertalern“ gefunden wurden. Im 19. Jahrhundert wurde an St. Martini u.a. ein strenger Biblizismus vertreten (Gottfried Menken und Georg Gottfried Treviranus). Im letzten Drittel des 19. Jahrhunderts wendet sich das Blatt und mit Moritz Schwalb (1833-1916) kam ein liberalprotestantischer Pfarrer mit jüdischen Vorfahren zum Zuge, der sich gegen den konservativeren Ernst Christian Achelis durchsetzte. Schwalb suchte eine engere Verbindung von Judentum und Christentum und „sah Jesus zwar als religiöse Leitfigur, der von ihm getragene ethischen Appell der Verkündigung sollte aber unabhängig von der historischen Gestalt Jesu gelten. Jesus wurde so, vor allem in Schwalbs späteren Werken, mehr und mehr zum hervorragenden Zeugen einer als universell gedachten Ethik anstatt der Bedingung für diese Ethik. Dementsprechend musste die Ethik aber auch unabhängig von der Person Jesu an die modernen Gegebenheiten, etwa dem Individualismus, angepasst werden.“ (Wikipedia) Sein Nachfolger Albert Kalthoff (1850-1906) vertrat linksliberale Ideen, gründete den „Arbeiterbildungsverein Lessing“ und in Bremen eine Ortsgruppe der Deutschen Friedensgesellschaft. „1904 lud er die erste weibliche methodistische Predigerin in den Vereinigten Staaten und Frauenrechtlerin Anna Howard Shaw ein, in der St. Martinikirche zu predigen. 1906 strengten sieben Bremer Pastoren ein Verfahren zu seiner ‚Amtsenthebung wegen Atheismus‘ an.“ (wikipedia) Emil Jakob Felden (1874-1959), sein Nachfolger, vertrat eine (Natur-)Religiosität, die jedes theologische Dogma ablehnte. Er setzte sich für die Rechte der Frauen und die Trennung von Staat und Kirche ein, bekämpfte den Antisemitismus und war Mitglied der SPD. Nach der Machtergreifung der Nationalsozialisten wurde er aus seinem Amt entlassen. Es folgte ein theologischer Vertreter der NS-Ideologie und diesem nach 1945 der religiöse Sozialist Johannes Oberhof (1905-1987), der dann wegen seiner Teilnahme am II. Weltfriedenskongress in Warschau vom Dienst suspendiert wurde. Mit der Wahl von Georg Huntemann (1929-2014) drehte sich das Pendel wieder in die andere Richtung. Er gab der Gemeinde jene theologisch-konservative Ausrichtung, die sie bis heute prägt. Nach der Wahl von Maria Jepsen zur Bischöfin fordert er seine Pastorenkollegen auf, ihr das Abendmahl zu verweigern. „Jepsen repräsentiere ‚das Modell eines gesellschaftlichen Anschlussverfahrens des Christentums an die gegenwärtige Realität dieser Gesellschaft‘ und pervertiere mit diesem Ziel das Neue Testament. ... ‚Frau Bischöfin Jepsen [werde] religionsgeschichtlich gesehen zum Totengräber einer Religion‘“ [wikipedia]. Dementsprechend lehnte Huntemann die Frauenordination ab. Sein Nachfolger Wolfgang Wehowsky (1912-1981), dem er nach dessen Ausscheiden wiederum nachfolgte, war ein Vertreter der Deutschen Christen in Bremen gewesen, was ihn nicht daran hinderte, nach 1949 in der Kirche Karriere zu machen. 1987 wurde Jens Motschmann (*1942) Pfarrer in Martini, Mitglied der „Evangelischen Notgemeinschaft in Deutschland“ („ein Zusammenschluss von nationalgesinnten deutschen Protestanten“) und Herausgeber des Rotbuches Kirche. Olaf Latzel (*1967) ist nun der letzte in der bunten Reihe der St. Martini-Pastoren, 2007 als Nachfolger von Motschmann ins Amt gewählt. Er gilt wie seine Vorgänger als Vertreter konservativer Positionen und lehnt sie Segnung gleichgeschlechtlicher Paare und die Frauenordination ab. „Im Juni 2008 verweigerte Latzels Gemeinde einer Pastorin, die eine Trauerfeier in der Martinikirche leiten sollte, im Talar aufzutreten und von der Kanzel zu predigen.“ (wikipedia) Man könnte lange darüber nachsinnen, warum eine Gemeinde im Querschnitt ihrer Geschichte immer wieder zu derartig radikalen Ausschlägen neigt. Ob Sozialismus oder Kommunismus, Faschismus oder rechter Rand der Gesellschaft in der Mitte der Gesellschaft ist St. Martini mit seinen Vertretern selten angekommen. Olaf Latzel SiebenkopfIn dieser St. Martini Gemeinde hat Olaf Latzel nun am 18. Januar 2015 eine die Öffentlichkeit verstörende Predigt gehalten. Er möchte den Griechen kein Grieche, den Juden kein Jude, den Moslems kein Moslem und den Katholiken kein Katholik sein, Toleranz ist ihm ein Fremdwort, er begehrt, ein Ketzer im ursprünglichen Wortsinn zu sein. Und die Frage, die er an uns als Menschen der um Harmonie bemühten Mehrheitsgesellschaft stellt, lautet: wieviel Ketzerei wollen wir uns in einer pluralistischen Gesellschaft eigentlich leisten? Übersetzt man "Ketzer" (griech. katharós: rein) als "Reiner", dann wird das Problem schlagartig deutlich: Wie viele auf ihre Reinheit Bedachte kann sich eine pluralistische und im Zeitalter der Globalisierung lebende Gesellschaft leisten? Und wann und wodurch wird die Reinheit des Einzelnen wie der Gesellschaft gefährdet? Und was können, was dürfen, was müssen Vertreter einer offenen Gesellschaft dagegen tun? Denn Reinheit und Offenheit schließen sich im Grunde aus. Nähern wir uns nun jener inkriminierten Predigt unseres Bremer Schelmen, mit der er so viel Aufregung hervorgerufen hat. Seine Auslegung ist der Geschichte von Gideon nach Richter 6, 25ff. gewidmet. Die theologischen Schlussfolgerungen, die er dabei in der Auslegung vornimmt, sind derartig verzerrt und unsinnig, dass man kaum mehr als nationalreligiös-pathetische Pinselstriche im Stil der Jungen Freiheit erkennen kann. Zunächst einmal ist Richter 6, 25ff. ein durch und durch fremder Text, zu dessen Verstehensvoraussetzungen die Einsicht in seine Fremdheit hinzugehört. Nichts ist tödlicher für die Hermeneutik eines Textes als eine vorgebliche Situationsgleichheit des Textadressaten mit heutigen Leserinnen und Lesern zu unterstellen. Die bloße Lektüre des Textes sollte verständige Menschen schon dazu bringen, den garstigen Graben der Geschichte zu erkennen: denn da ist nicht nur von Baal und seiner Aschera die Rede, sondern auch von Sklaven, Brandopferaltären und der Todesstrafe für religiöse Übertretungen. Das sollte schon davor warnen, derartige Geschichten umstandslos in die Gegenwart zu übertragen. Die komplexe textkritische Lage lasse ich dabei einmal außen vor. Wovon erzählt Richter 6, 25ff? Gideon wird von Gott aufgefordert, den Baal-Altar seines Vaters samt der dabei befindlichen Aschera-Statue zu zerstören und durch einen Adonai gewidmeten Altar zu ersetzen und auf ihm zu opfern, was er auch tut. Darauf fordern die Bewohner seinen Tod, aber er verweist darauf, dass Baal sich doch selbst verteidigen könne wenn er es könne. Daraufhin bekommt Gideon einen Ehrennamen. In der Luther-Übertragung von 1984 trägt der Text, worauf Latzel explizit hinweist, den Titel „Gideons Eifer für Gott“. Dieser Titel steht natürlich nicht in der hebräischen Bibel, er ist bereits eine Interpretation. Genau so plausibel könnte man schreiben: Gideons Dschihad für Gott. Und schon wirkt der Text völlig anders. Als Gottes Dschihadist will sich Olaf Latzel aktuell vermutlich nicht titulieren lassen, aber dennoch möchte er Gideon irgendwie nacheifern. Ich halte nun überhaupt nichts davon, diesen in seiner Sprachgewalt doch äußerst bescheidenen Prediger zu ehren, indem ich seine Predigt wirklich ernstnehme, das wäre schrecklich töricht. Ganz im Gegenteil er / sie geht mir nicht weit genug. Ich halte ihn theologisch für ein evangelikales Weichei, sozusagen einen nur mühsam verkappten Bultmannianer, der immer da zurückzuckt, wo er dem eigenen Anspruch nach eigentlich die Bibel ‚radikal‘ oder ‚fundamental‘ beim Wort nehmen müsste. Er ist zugleich ein Kryptokatholik, der das Gesetz predigt statt das Evangelium zu verkünden, der Luthers Freiheit eines Christenmenschen mit Füßen tritt, und seinen Gemeindegliedern Ablassbriefe in Gestalt von Verhaltenscodices verkauft, die sie trügerisch in religiöser Sicherheit wiegen sollen. Das Sapere aude der gebildeten religiösen Vernunft ersetzt er durch das interreligiöse Vorurteil, die jüdische Ironie der feinen Zwischentöne durch ein grobes Schwarz-Weiß-Denken. Er ist, um bei den historischen Reminiszenzen zu bleiben, ein „Olaf Latzel Siebenkopf“, der in vielfältiger Weise die biblische Botschaft verdreht und die Mitte der Schrift verfehlt. Wenn das eine am Evangelium orientierte evangelikale Predigt sein soll, ist sie mir doch etwas zu postmodern gestrickt, da hätte ich von einem anständigen Fundamentalisten mehr erwartet. 1 Der manipulative PredigerDas erste, was bei der Predigt auffällt, ist ihr homiletischer Duktus der Belehrung, der bemühte Versuch, Top Down zu reden, nicht ohne immer wieder das vergewissernde nicht (angelsächsisch isn‘t it) nachzuschieben. Latzel möchte der Gemeinde verschweigen, dass der von ihm auszulegende Text interpretationsbedürftig und damit eben nicht eindeutig ist, möchte eine Klarheit suggerieren, die dem Text erkennbar nicht eignet. Dabei trägt er hermeneutisch ziemlich brutal seine eigenen Erkenntnisinteressen in den Text ein. Es fängt schon damit an, dass er die Predigt in fünf Punkte gliedert, die jeweils das Wort „Reinigung“ enthalten ein Wort, das im auszulegenden Text überhaupt nicht vorkommt. Woher weiß er, dass es hier um eine „Reinigung“ um nicht zu sagen „Säuberung“ geht? Hat er vorab schon entschieden, dass diese Woche „Reinigung“ zum Stichwort in seiner Gemeinde werden soll? Wusste er schon vor der Textlektüre, dass er gegen Muslime und Katholiken polemisieren und zur Abgrenzung aufrufen möchte? Der biblische Text beschreibt eine Episode aus der Übergangszeit von der Baal-Verehrung zur exklusiven Jahwe-Verehrung. Der Text hat keinen metaphorischen, keinen allegorischen, keinen anagogischen Charakter, trägt allenfalls ätiologische Züge. Was war sein Sitz im Leben? Darüber kann und muss ein Prediger gegenüber der Gemeinde Auskunft geben. Eine Predigt sollte zum eigenständigen Verstehen der Texte der Heiligen Schrift befähigen und ihnen nicht politische Thesen unterschieben. Prediger sind keine Heilsvermittler, sie besitzen keinen Heilsschatz, von dem sie ihren Schäfchen etwas zukommen lassen. Sie verweisen auf Christus, so wie es Cranach auf seinem berühmten Altarbild in Weimar zeigt, aber der Blutstrahl der Gnade spritzt direkt auf die Gläubigen. Eine Predigt, die so tut, als wäre der Prediger im Besitz der Wahrheit und die Gemeindeglieder seine Missionsopfer, ist schlichtweg unerträglich. 2 Der herablassende ErzieherDem manipulativen Gestus korrespondiert der herablassende Ton, der bemühte Versuch um eine sermo humilis oder wenigstens doch um das, was Latzel darunter versteht:
So reden manche Erzieher vielleicht mit Kindergartenkindern, aber so sollten Prediger nicht zur Gemeinde sprechen, es sei denn sie halten sie für dumm. Das ist der unendlich peinliche Duktus der Volxbibel, die intendierte Angleichung an eine als sprechunfähig eingeschätzte Gemeinde. Ich möchte jedenfalls nicht vom Sprachniveau des Olaf Latzel auf das intellektuelle Niveau seiner Gemeinde zurückschließen müssen und verstehe auch nicht, warum diese sich derartige sprachliche Schludereien gefallen lässt. Von der Sprachgewalt der Hebräischen Bibel ist hier nichts übrig geblieben, er hat sie in Trivialsprache atomisiert. Wer redet so, wie dieser Pastor predigt? Dass er zugleich den historischen Entwicklungsprozess der Theologie und der Kultbildlehre in Israel auf den Kopf stellt, kann man ihm schlecht vorwerfen, er ist sicher kein Vertreter historisch-kritischer Erkenntnis. Aber ich würde schon gerne wissen, wie Latzel die archäologischen Funde von Kuntillet 'Adschrud mit ihrer althebräischen Aufschrift interpretiert: „Ich segne euch vor JHWH von Samaria und seiner Aschera.“ So ganz eindeutig scheint Latzels Gott mit seinen Anordnungen nicht immer gewesen zu sein. Die Annahme, dass der Aschera-Kult einmal dem Jahwe-Kult zugehörig war und der Text von Richter 6 von dessen Ablöseprozess kündet, wäre für das Verstehen der Radikalität des Textes schon wichtig. Aber wie gesagt, das wäre eher historisch-kritisch und aufklärerisch gedacht. Noch an anderen Stellen seiner Predigt huldigt Latzel einem Sprachstil, den man nur als verdummend bezeichnen kann: etwa wenn er behauptet, Salomo hätte „sich von seinen Frauen bequatschen“ lassen, denn er war „so‘n ganz humanistischer Typ zum Ende seiner Amtszeit halt, nicht.“ Ja klar, so sind die Humanisten, lassen sich von Frauen bequatschen. Es schüttelt einen, wenn man das liest. 3 Der KetzerReinheit, ich erwähnte es schon, scheint es dem Prediger besonders angetan zu haben. Ganze 35mal kommt Reinigung bzw. reinigen in seiner Predigt vor. Das scheint mir angesichts der Tatsache, dass das Wort im auszulegenden Text überhaupt nicht vorkommt, schon etwas zwanghaft zu sein. Bereits die einleitend der Gemeinde bekanntgegebene Gliederung der Predigt liest sich wie eine Anleitung für Putzsüchtige:
Seinerzeit bei Gideon dürfte es sich aber um eine ziemlich schmutzige Angelegenheit gehandelt haben. Es geht um niederreißen, zerschlagen, aufbauen, schichten, verbrennen und opfern. Der erste Teil dürfte der Aktion der IS-Fanatiker in Mossuls Museen ähnlicher gewesen sein als das vom Prediger empfohlene Beiseitestellen einer Buddha-Statue im heimatlichen Haus. Zwei Stiere und zwölf Sklaven werden benötigt, um das Ganze zu vollenden. In der Sache geht es in Richter 6, 25ff. um eine Substitution: des Baal-Altars samt Holzstatue durch einen Brandopferaltar für Jahwe. Es geht jedenfalls nicht um die Reinigung eines Hauses, denn der Altar befindet sich erkennbar außerhalb des Hauses auf einer Höhe. Warum aber hängt dann der Prediger so am Wort „Reinigung“? Und warum seine Zuspitzung auf „die Reinigung des eigenen Hauses“? Das Interesse an der reinen Wahrheit, an der Ausscheidung des Unreinen, an der Purifikation als solcher treibt fast alle Fundamentalisten an christliche wie muslimische. Wenn man die Predigt in eine der im Internet beliebten Wordcloud-Generatoren eingibt, dann wird schlagartig deutlich, was das treibende Motiv hinter allem ist: ANGST. Freiheit, Offenheit, Frohe Botschaft spielen hier keine Rolle, die Vergewisserung, das ‚nicht‘, das ‚müssen‘, das Streben nach Sicherheit eine große. Die Angst vor dem Kontrollverlust treibt den Prediger um. Wäre ich Freudianer, gäbe es einen treffenden Begriff dafür. Evangelisch scheint mir dieses Interesse an der Reinigung zur Reinheit aber kaum zu sein. Wenn Jesus die Geschichte vom barmherzigen Samaritaner erzählt, hätte er dann nicht um der „Reinheit“ willen besser die Geschichte vom barmherzigen Priester oder Levit erzählt? Musste das die Leute nicht in ihrem Streben nach Reinheit verunsichern, wenn hier der Angehörige einer dissidenten Konfession (sozusagen ein Katholik) als der einzig richtig Handelnde dargestellt wird? Oder könnte es sein, dass Jesus bewusst seine Erzählung so konstruiert, dass die Angst vor der Unreinheit (der angeblich synkretistischen Samaritaner) lächerlich gemacht wird? 4 Der scheinradikale GötzenkriegerIm Zentrum der Predigt des Pastors steht das Fremdgötterverbot und in der Folge der Götzensturz. Gott fordert angeblich von Gideon: Keine Toleranz. Oder in den Worten von Latzel:
Da hat er die Bibel nicht genau studiert, denn weder von einem Baalsbild noch von einem Ascherabild ist in Richter 6, 25ff. die Rede. Es geht um eine hölzerne Kultstatue der Aschera, die zerschlagen und verbrannt werden soll. Sie gehörte bis zum 6. Jahrhundert zum Standard der israelitischen Gottesverehrung und wurde erst nachexilisch problematisch. Umstandslos überträgt Latzel nun die Schilderung des Richterbuches auf heutige Lebensverhältnisse:
Das muss weg. Klingt nett, aber hatte Gott zu Gideon nicht gesagt, das müsse nicht nur weg, sondern auch zerstört und verbrannt werden, um einen Stier zu opfern? Warum also nicht der Bibel aufs Wort folgen und ein kleines Autodafé mit Brandopfer veranstalten? Und wie viel Angst vor der Macht von Gegenständen muss in einem Menschen stecken, wenn er sich davon reinigen muss? Wohlgemerkt: es geht bei Latzel nicht wie bei Gideon um eine Kultstätte, die kontrovers ist, sondern es geht um die Säuberung der privaten Lebensverhältnisse, um die Einführung von Rigidität. Das klingt mir sehr nach Girolamo Savonarola ante portas. Eine vernünftige reformierte Theologie scheint mir etwas ganz anderes nahezulegen. Als Anfang des 17. Jahrhunderts in Zürich um die Bedeutung der religiösen Bilder gestritten wird, schreibt Antistes Breitinger, der oberste Protestant der Stadt: Außerhalb der Kirchen dürften die Häuser selbstverständlich mit allen Kunstwerken privaten Gefallens ausgestattet werden. Und er fügt hinzu: „Dulden wir doch die Bildnisse des Mahomets, des Pabsts, des Türken.“ Er beherrschte also die klare Differenzierung von Kultstätte und Privatraum, von kultischer Verehrung und privater Ausstattung. Hier äußert sich die Souveränität des Glaubens. Latzel aber orientiert sich lieber an Kontrollphantasien, die mit der Ausscheidung des Verbotenen Reinheit zu beschwören suchen und doch niemals erlangen werden. 5 - Gesetzeslehrer und AblasskrämerDie Dominanz des Gesetzes vor dem Evangelium ist das Nächste, was an dieser Predigt auffällt. Wollte man Latzel auf Cranachs berühmtem, im Gespräch mit Martin Luther entstandenem Bild „Gesetz und Gnade“ einordnen, dann wäre er ganz und gar der linken Bildhälfte zuzuordnen. In seiner Predigt spürt man aber auch gar nichts von der befreienden Botschaft, die das Gesetz überwindet. Das „Du musst“ und das „Du darfst nicht“ beherrscht alle Gedanken, hier geht es um Gesetz statt Evangelium. Unter der Hand wird daraus aber eine mittelalterliche Ablasslehre. Wer nur recht fleißig auf alle Tallismänner verzichtet, keine Buddhastatuen im Haushalt hat, nicht auf muslimische Feste geht und nicht an Reliquien glaubt, der kommt näher an das Himmelreich. Plötzlich geht es nicht mehr um das Gesetz im Evangelium, sondern um das Gesetz vor dem Evangelium. Erst das Gesetz, dann die Frohe Botschaft. Erst die Angst um das Seelenheil, mit der schon Tetzel seine Zuhörer einschüchterte, dann der Gnadenweg: statt der Ablassbriefe dieses Mal die Reinigung des Haushalts. Alles, was theologische Erkenntnis der Reformation war, wird preisgegeben. Von Luthers berühmten „Esto peccator et pecca fortiter, sed fortius fide et gaude in Christo, qui victor est peccati, mortis et mundi!“ - "Sei ein Sünder und sündige kräftig, aber vertraue noch stärker und freue dich in Christus, welcher der Sieger ist über die Sünde, den Tod und die Welt!“ ist aber auch gar nichts mehr übrig geblieben. Vielleicht sollte Latzel sich einmal folgenden Spruch Luthers über den Schreibtisch hängen: "Wir müssen sündigen, so lange wir hier sind. Dieses Leben ist nicht eine Wohnung der Gerechtigkeit“! 6 Der zaudernde EntmythologisiererIronischerweise erweist sich unser Prediger in Teilen seiner Ausführungen als guter Schüler Rudolf Bultmanns im Sinne von dessen Entmythologisierungsprogramm. Das ist vielleicht kein Zufall, hat er doch an Bultmanns alter Wirkungsstätte, der theologischen Fakultät in Marburg, studiert und dabei ob nun bewusst oder nicht dessen Gedankengut aufgenommen.
Im Kern geht es Bultmann darum, die biblischen Texte nicht wortwörtlich zu adaptieren, sondern ihren Existenzialsinn zu begreifen und für die Gegenwart fruchtbar zu machen. Natürlich macht der Kampf gegen Baal und Astarte in der Gegenwart keinen Sinn mehr, aber im übertragenen Sinne vielleicht der Kampf gegen Fremdgötter, die unser Leben zu dominieren trachten. Natürlich verbrennt heute niemand mehr eine Götzenstatue (außer vielleicht einige Islamisten) und bringt ein Brandopfer, aber man kann derartige Dinge aus der Wohnung entfernen und sie der religiösen Überzeugung opfern. M.a.W., man kann die alte biblische Geschichte in existentielle Situationen der Gemeindeglieder entmythologisieren. Statt etwas umzuhacken wird in existentieller Sprache daraus: einen Schnitt machen. Genau das schlägt Olaf Latzel seinen Zuhörern vor: einen Schnitt zu ziehen.
Der Prediger belässt es dann aber beim bloßen „Schnitte ziehen“ (auch wenn das im biblischen Text gar nicht vorkommt, sondern von ihm als Existentialsinn hineingelesen wird). Er ist so gesehen ein theologisches Weichei, denn was heißt für ihn, Gideon nachzueifern und Schnitte zu ziehen? Gideon, erinnern wir uns, hatte in der Nacht einen Altar zerstört, eine Kultstatue abgerissen und mit ihr ein Brandopfer befeuert und wurde deshalb von seinen Mitbewohnern mit dem Tode bedroht. Diese Situation überträgt der Prediger nun in die Gegenwart und es fällt ihm nichts Besseres ein, als sie am Widerspruch zu dem Satz „Der Islam gehört zu Deutschland“ zu konkretisieren. Wer Gideon (und damit Gott) folgt, der müsse sagen: Dieser Satz ist falsch. Lustigerweise fügt Latzel hinzu: Ja, das ist viel verlangt. Ja, da hat man Angst. Nein, das ist nicht viel verlangt, schon gar nicht mit Angst besetzt und erst recht nicht mit dem Tode bedroht. Das sagt vermutlich völlig ungestraft und folgenlos mehr als die Hälfte der Bevölkerung und es ist eine Art common sense unter den Stammtischpolitikern unserer Nation. Mutig ist es nicht, verständig schon gar nicht und mit dem Fremdgötterverbot der Bibel hat es nur dann etwas zu tun, wenn man wie die Deutschen Christen, Nation und Religion in eins setzt. Das aber hat Tradition in der Martinikirche von Bremen. 7 Der kleine SpaltpilzDas vielleicht interessanteste, in der Öffentlichkeit aber kaum wahrgenommene Moment der Predigt ist die geradezu aggressive Absetzung von Jens Motschmann, seinem Amtsvorgänger. Motschmann war zu Zeiten meines Studiums das schwarze Tuch der engagierten Theologen, eine radikal-konservative Krawallnudel, zu dessen Auftritten auf dem Gemeindetag unter dem Wort man extra anreiste, um einen fetzigen Auftritt des religiösen Gegners zu genießen. Er war die inkarnierte Heimholung des Protestantismus ins konservativ-christdemokratische Denken, zugleich aber auch ein wacher Mahner vor allen Tendenzen in der linken Theologie, Evangelium mit Politik zu vermischen. Ausgerechnet dieser Mann bekommt nun in der Predigt sein Fett weg, weil er es gewagt hatte, das geplante Haus der Religionen in Berlin positiv zu bewerten.
Das ist wirklich durch und durch Realsatire. Wenn es hier nicht um einen verdeckten Vatermord geht, dann fragt man sich doch, warum dieser Spaltpilz Latzel die an sich doch schon eher marginale evangelikale Bewegung noch einmal in gut und schlecht aufspalten will. Die guten ins Töpfchen, die schlechten ins Kröpfchen funktioniert doch nur, wenn es auch was mit Gewinn zu differenzieren gibt. Aber der Streit zwischen den Reinheitsbewahrern (bzw. den Eiferern für das Gesetz) und den Öffnern (Gal. 2, 1-10) zeigt in seiner Wirkungsgeschichte doch allzu deutlich, dass die ängstlichen Puristen die Auseinandersetzung verlieren werden. Latzels Polemik gegen Motschmann macht nur Sinn, wenn er sich endgültig ins Lager der wahnwitzigen amerikanisch-fundamentalistischen Apokalyptiker begibt, die mit der Errichtung eines Hauses der Religionen (als One World Religion) nun die Endzeit angebrochen sehen. Wohl bekomms! Epilog Die kritische InversionNach dem Bekanntwerden der Predigt haben die Vertreter der Bremer Kirche sofort reagiert und sich zu Recht von einem derartigen Denken und Predigen distanziert. Nein, das ist keine evangelische Verkündigung. Es ist eine beschränkte Gesetzlichkeit, eine angstfixierte Haltung gegenüber den Herausforderungen der Gegenwart und nicht zuletzt ein schrecklicher Umgang mit biblischen Schriften als Handlungsanleitungen für eine ganz anders gewordene Gegenwart. Evangelische Theologie sieht nun wirklich anders aus. Aber so ganz traue ich dem Protest der Bremer Kirche und der Bremer Pastoren gegen ihren Kollegen nicht. Sicher, sie waren entsetzt. Man muss die Bremer Empfindlichkeiten kennen, um zu ahnen, was die Predigt von Latzel binnenkirchlich und gesellschaftlich angerichtet hat. Jenes Bundesland, das eine Sonderrolle in unserer Verfassung eingeräumt bekommen hat, keinen konfessionellen Religionsunterricht einrichten zu müssen, sondern mit dem Fach Biblische Geschichte religionsübergreifend Religion vermitteln möchte, ist stolz darauf, gut hanseatisch das Gespräch zwischen den Religionen zu fördern. Wenn jetzt aus dem Innersten der Kirche heraus der Religionskonflikt geschürt wird, ist das Wasser auf die Mühlen jener, die immer schon behauptet haben, das Bremer Modell der biblischen Geschichte sei doch nur verkappter Missionsunterricht, denn die Mehrheitsreligion könne neben sich gar keine andere tolerieren. Dabei wollte man doch fortschrittlicher als alle anderen Bundesländer sein und vorbildlich religionswissenschaftlich die Religionen ins Gespräch bringen. Das wird natürlich in Frage gestellt, wenn Teile der eigenen Gemeinschaft derartige Gespräche nicht nur für sinnlos, sondern sogar für gotteslästerlich halten. Die Ironie des binnenkirchlichen Protestes liegt aber ganz woanders. Als sich die gegen ihren Kollegen protestierenden Bremer Pfarrer ausgerechnet auf den Stufen vor dem Domportal versammelten, demonstrierten sie, dass sie es mit den Empfindlichkeiten der Religionen gar nicht so genau nehmen. Denn eigentlich müsste man ihnen buchstäblich zurufen: Kehrt um! Blickt auf das, für das ihre selbst verantwortlich zeichnet! Denn wenn sich die Pfarrer umgedreht hätten, wäre ihr Blick notwendig auf die antisemitischen Tore des Bremer Doms gefallen, zu deren Entfernung nach dem Bekanntwerden ihres Skandals man sich nicht hat durchringen können. Kann es sein, so frage ich mich, dass der mögliche Konflikt mit den Muslimen mehr Sorgen bei den Bremer Pfarrern ausgelöst hat, als der Konflikt mit den jüdischen Mitbürgern angesichts der antisemitischen Domportale? Wenn die Bremer Kirche es ernst meint mit dem Gespräch der Religionen, dann muss sie konsequent sein und auch dort handeln, wo sie nicht nur auf einzelne Kollegen schimpfen kann, sondern wo sie selbst als Handelnde in der Kritik steht. Sie muss bekennen: Wir haben gefehlt! Wir sind in die Irre gegangen, als wir 1891 die antisemitischen Domtüren anbringen ließen und noch mehr, als wir sie weder 1945, noch 2003 nach entsprechenden Protesten jüdischer Mitbürger entfernten. Die Bremer Religions-Geschichten finden erst dann eine befriedigende Lösung, wenn nicht nur einseitig die Befindlichkeiten gegenüber einer Religion geklärt werden, sondern wenn alle Religionen auf Augenhöhe und ohne Herabsetzung miteinander ins Gespräch kommen. Und da wäre, darin hat Jens Motschmann sicher Recht, ein Haus der Religionen in Bremen nicht schlecht. |
Artikelnachweis: https://www.theomag.de/94/am497.htm |