Horizonte und Transzendenzen

als Aspekte der Bildenden Kunst

Andreas Mertin

Prolog[1]

Ein Blick in die klassischen Lexika der Kunst zeigt, dass das Wort „Horizont“ dort durchaus seinen Platz hat, „Transzendenz“ dagegen nicht.[2] Es ist aber keinesfalls so, dass das Wort „Transzendenz“ in den Diskussionen über Kunst nicht vorkäme, aber in der engeren kunstwissenschaftlichen wie kunsthistorischen Beschreibung fällt es schwer, so etwas wie „Transzendenz“ dinghaft zu machen. Nicht jeder Tannenbaum, der auf einem Kunstwerk nach oben weist, ist ein Zeichen für Transzendenz, allenfalls das Gold auf historischen Werken. Vor allem von Theologen wird bei der Kunstinterpretation gerne auf „Transzendenz“ und „Sinn“ als verbindendes Element von Kunst und Religion verwiesen. In den 80er-Jahren des 20. Jahrhunderts waren sie zu einer Art common sense der theologischen Kunsttheorie aufgestiegen, da sie dank ihrer Unbestimmtheit jedem erlaubten, nahezu jedes Kunstwerk zu vereinnahmen. Dass auf diese Weise keine Erkenntnis erzielt werden kann, erhellt sich aus der säkularen Rezeption der Ausstellung „GegenwartEwigkeit“ zum Katholikentag 1990. Peter Funken schrieb dazu in der Fachzeitschrift „Kunstforum“:

„Erklärtes Ziel der Ausstellung war es, den „Spuren des Transzendenten in der Kunst unserer Zeit“ nachzugehen. Hätte man dies nicht gewußt, so wäre man nicht darauf gekommen ... Die „Zeichen“, die ein Kunstwerk aufweisen muß, um in „GegenwartEwigkeit“ einen Platz zu finden, (sind) folgendermaßen zu charakterisieren: Das Werk muß am besten die Form des Kreuzes oder der Stele besitzen oder im Titel darauf anspielen, möglichst mit Goldfarbe bemalt sein, um ein Erhabenes und lichte Transparenz zu benennen, viele dunkle und schwarze Farben besitzen, um symbolisch Schmerz, Leid und Trauer zu bezeichnen, auf Sackleinen gemalt oder mit „armen Materialien“ hergestellt sein oder in Farbe und Form stilisiert und abstrahiert sein, damit es zur Meditation anregt. Wenn mehrere dieser Kriterien erfüllt sind, bestehen relativ gute Aussichten, ein Künstler des Transzendenten zu werden.“[3]

Vernichtender kann die Besprechung einer Ausstellung kaum sein. Aber man kann ihr kaum vorwerfen, falsch zu sein. Was der Rezensent moniert, ist einerseits die Beliebigkeit der Einordnung von Kunstwerken unter das vorgegebene Thema „Transzendenz“, andererseits, dass die Unterordnung säkularer Kunst unter religiöse Deutekategorien eher durch vorgängige Verfahren als durch ästhetische Erfahrung gelungen ist.

Stark vereinfacht könnte man nun sagen: Horizont ist eher ein Begriff der Renaissance, der am Ende des 19. Jahrhunderts in seine Krise gerät, Transzendenz eher ein Begriff der Kunst und Religion zur Kunstreligion verschmelzenden Romantik bzw. des Deutschen Idealismus, der aber immer umstritten war.

Wollte man beide Begriffe in die Kunstsprache bzw. die Sprache der ästhetischen Reflexion übersetzen, dann wären es eher Begriffe wie „Perspektive“ einerseits und „Das Undarstellbare bzw. das Erhabene“ andererseits. Aber man muss dabei im Hinterkopf behalten, dass die beiden Begriffe auf unterschiedlichen Ebenen arbeiten. Horizont/Perspektive sind nachvollziehbare Tatbestände im Bild, über deren Aussagekraft und Be/Deutung man natürlich streiten kann, die aber als solche für jeden wahrnehmbar sind. Das Undarstellbare/Erhabene sind dagegen Deutungskategorien für bestimmte Erfahrungen, über die im Gespräch vor Kunstwerken erst so etwas wie Plausibilität hergestellt werden muss. Zudem ist das Erhabene eine historisch variable und stark subjektabhängige Kategorie – was für Petrarca noch ein Phänomen des Erhabenen war, ist es für viele Menschen der Gegenwart nicht mehr.

Ich habe mir für meinen Beitrag drei Beispiele ausgewählt: zwei berühmte historische, in denen vielleicht zum ersten Mal der Konflikt von Horizont und Transzendenz thematisch wird; und ein modernes, das in der philosophischen Debatte um Transzendenz bzw. das Erhabene eine zentrale Rolle spielt.

Horizont und Transzendenz in historischer Perspektive

„Seit der Renaissance unterwarf sich fast die gesamte Malerei einer Norm: der Zentralperspektive. Sie war ein geometrisches System, das eine Illusion der Wirklichkeit vermitteln sollte, und basierte auf der Tatsache, daß Gegenstände kleiner zu werden scheinen, je weiter sie sich vom Auge entfernen. Wenn man weiß, wie man eine perspektivische Szene konstruieren muß, kann man Gegenstände auf einem flächigen Blatt Papier so darstellen, als ob sie in ihrer richtigen Größe und auch an ihrer richtigen Stelle im Raum stünden. Für die Maler des 15. Jahrhunderts war die Perspektive der Stein der Weisen in der Kunst; wir können kaum noch ihre freudige Erregung daran nachempfinden, daß sie mit Hilfe der Perspektive eine meßbare, präzise Illusion der Welt zaubern konnten.“[4]

Allgemein wird es dem Architekten und Bildhauer Brunelleschi (1377-1446) zugeschrieben Entdecker der mathematisch konstruierbaren Perspektive und ihrer Gesetze zu sein. Dem mit ihm vielleicht befreundeten Künstler Masaccio (1401-1428) blieb es vorbehalten, diese Erkenntnisse in Bilder umzusetzen. Es gibt heute zwei herausragende Arbeiten von ihm, die in den Kontext unseres Themas gehören. Das eine ordnet die Transzendenz dem Horizont bzw. der Perspektive unter, das andere zeigt die Grenzen der Perspektive bzw. des Horizonts, indem es eine Leerstelle im Bild eröffnet. Schauen wir uns zunächst kurz das erste an. Es ist die Darstellung der Zinsgroschengeschichte in der Brancacci-Kapelle in Santa Maria del Carmine in Florenz.[5]

Ich will mich gar nicht lange bei diesem Werk aufhalten, auf die Schnelle nur so viel: das Bild ist zentralperspektivisch aufgebaut, alle Fluchtlinien laufen auf das von uns aus gesehen rechte Auge Christi zu. Gleichzeitig ist es ein Simultanbild, denn wir haben gleichzeitig drei zeitlich aufeinander folgende Szenen vor uns: die Diskussion über die Steuerforderung in der Mitte, das Drachmen-Wunder links und die Begleichung der Steuer rechts. Gegenüber den konventionellen Bildlösungen, die das Mirakel links ins Zentrum der Darstellung rücken, lässt Masaccio dieses quasi nebenbei geschehen und rückt den Diskurs der Beteiligten ins Zentrum. In der Welt der Frührenaissance werden religiöse Fragen diskursiv erörtert, sie sind Ansichtssachen und keinesfalls durch einen mirakulösen Einbruch der Transzendenz zu beantworten. Die Welt erscheint hier als eine geordnete Welt, sie übersteigt – zumindest auf den ersten Blick – nicht unseren Horizont. Die Möglichkeit, die Wundergeschichte ganz auszulassen, stand Masaccio natürlich nicht zur Verfügung, aber er konnte er konnte ihren Stellenwert depotenzieren.

Eine viel subtilere Lösung im Blick auf unsere Fragestellung nach Transzendenz und Horizont wählt Masaccio bei dem nahezu zeitgleich entstandenen Trinitäts-Fresko in der Kirche Santa Maria Novella in Florenz. Es ist ein Illusionsraum, der im Langschiff der Kirche an der linken Wand angebracht ist. Simuliert wird eine Seitenkapelle, obwohl hier allenfalls ein Seitenaltar sein könnte.

Obwohl hier erstmalig Brunelleschis Perspektivkonstruktion umgesetzt wird, ist das Fresko nahezu perfekt; man kann, wenn man den entsprechenden Betrachterstandort gefunden hat, der Illusion des sich öffnenden Raumes erliegen, kann eine dreidimensionale Skulpturengruppe imaginieren. Man kann aus dem Fresko geradezu ein 3D-Modell einer realen Kapelle rekonstruieren.

Die Welt erscheint auf diese Weise vermessbar und konstruierbar. Wo aber ist hier die Verbindung zur Transzendenz, wenn man nicht die abgebildete Trinität selbst als Zeichen dafür nehmen will? Darüber gehen kunstgeschichtlich die Meinungen auseinander. Ich folge hier einmal Edgar Hertlein, der auf eine perspektivische Unstimmigkeit in der Raumkonstruktion hingewiesen hat.[6] Sofern nämlich Gott entsprechend der Perspektivkonstruktion am Ende der Kapelle steht, kann er das Kreuz seines Sohnes nicht mit Händen halten. Hielte er es aber in den Händen, wie ja auch auf dem Fresko dargestellt, dann müsste er sich vorbeugen, was wiederum zu einer hier eben nicht dargestellten perspektivischen Verkürzung seines Oberkörpers bzw. Hauptes führen müsste. Also müsse er eigentlich hinter dem Kreuz in der Luft schweben. Edgar Hertlein hat daraus den Schluss gezogen, dass Masaccio bewusst die Raumlogik der Menschen an dieser Stelle unterlaufen hat, um zu verdeutlichen, dass das Überirdische und das heißt, die Gegenwart Gottes, perspektivisch nicht dargestellt werden kann. Er hat sozusagen eine Leerstelle für die Transzendenz geschaffen, die er aber im Bild dennoch zur Anschauung gebracht hat.

Andere Kunsthistoriker sind dagegen viel pragmatischer vorgegangen und haben unterstellt, die Figur Gottvaters befinde sich gar nicht hinten an der Wand und schwebe auch nicht in der Luft, sondern stehe auf einem vorgezogenen Sarkophag, der bis zum Kreuz Christi reiche. Daher bereite es ihm auch keine Schwierigkeit, unter das Kreuz zu greifen. Nicht nur, dass diese Lösung intellektuell wesentlich uncharmanter wäre, sie müsste zudem erklären, warum neben dem Grab mit simuliertem Skelett unterhalb der Kreuzigungsgruppe auch noch hinter dieser ein Sarkophag zu sehen ist und warum Gott sich ausgerechnet auf einen solchen stellen sollte.

Auch wenn das nicht ganz auszuschließen ist, so halte ich persönlich den Ansatz von Edgar Hertlich für plausibler. Wenn sie zuträfe, dann hätte Masaccio als Künstler der Frührenaissance nicht nur die Möglichkeiten der neu entdecken Perspektive erkundet, sondern auch gezeigt, wie diese mit dem Undarstellbaren umgehen kann. Der Kunsthistoriker Klaus Krüger kann als Masaccios Darstellungsziel dementsprechend „einen bildlich vermittelten Ausblick auf die faktisch unschaubare, jenseitige Wirklichkeit“ nennen.

„Masaccios Fresko stellt eine ebenso exemplarische wie singuläre Lösung für die in ihrem Kern paradoxe Aufgabe dar, im Interesse einer theologisch fundierten und doch zugleich auch anschauungsgerechten Transzendenzvergegenwärtigung die räum- und geschehenslogische Illusion des Bildes mit einem metapikturalen Sinn aufzuladen.“[7]

Das Erhabene - Transzendenz in der Moderne

Geradezu als Gegenentwurf zur Renaissance-Idee einer Perfektion der Perspektive konzipiert 500 Jahre nach Masaccio der amerikanische Künstler Barnett Newman seine Kunst für die Gegenwart. Nicht den Absolutismus der Perfektion gelte es umzusetzen, sondern das Verlangen nach dem Absoluten zu befriedigen. 1948 veröffentlicht er einen Text unter der programmatischen Überschrift The Sublime is Now:

„Die natürliche Sehnsucht des Menschen, in den Künsten sein Verhältnis zum Absoluten auszudrücken, wurde mit dem Absolutismus vollkommener Schöpfungen identifiziert und verwechselt [...], so daß sich der europäische Künstler seither fortwährend im moralischen Widerstreit zwischen der Idee der Schönheit und der Sehnsucht nach dem Erhabenen aufreibt. [...] Die Konsequenzen dieser Auseinandersetzung zwischen der Schönheit und dem Erhabenen zeigen sich am stärksten innerhalb der Renaissance.[8]

Barnett Newmans Ideen konkretisieren sich u.a. in seinem 1950/51, also kurz nach der Publikation dieses Textes entstandenen Gemälde Vir Heroicus Sublimis, das heute im Museum of Modern Art hängt.[9]

Das Gemälde ist 242 cm hoch und 542 cm breit und stellt im Wesentlichen eine große rote Fläche dar. Eine semantische Relation zwischen dem lateinischen Bildtitel und dem Bildinhalt gibt es nicht direkt. Auf der roten Farbfläche sieht der Betrachter fünf unterschiedliche vertikale Streifen, die in unregelmäßigen Abständen auf die Farbfläche platziert sind. Barnett Newman hatte am Eingang der Ausstellung, in der das Bild zum ersten Mal präsentiert wurde, ein Schild anbringen lassen, das den Besucher aufforderte, möglichst nahe an das Bild heranzutreten und es aus unmittelbarer Nähe wahrzunehmen.[10] Würde der Betrachter einen oder mehrere Schritte zurücktreten, könnte er ja das Erhabene als solches identifizieren und genießen. Darum geht es aber nicht. Es geht Newman vielmehr darum, die Sinne des Betrachters zu überwältigen. Der Betrachter soll den Maßstab verlieren. Deshalb wird jedes horizontale Bildelement vermieden. Der Kunsthistoriker Gottfried Boehm schreibt dazu:

Newman löst die innerbildliche Verschränkung von Horizontale und Vertikale, die bis dahin ein selbstverständliches Kennzeichen nahezu jeden Bildes gewesen war. Es dominiert die vertikale Anordnung oft riesiger Farbflächen, die durch schmale Streifen in ihrer das Auge abweisenden Kraft eher gestärkt als gemindert werden. Die direkte, in sich ungestufte Energie der Farbquanten, verbunden mit der Nahsicht und der inneren Unverbindbarkeit der Bildteile, erzeugt jene Erfahrung des Scheiterns der Wahrnehmung. Newmans Bildstrategie zielt darauf, den Betrachter am Erfassen des Ganzen scheitern zu lassen. Die Totalität, die er bildlich erfährt, läßt sich anschauend nicht vereinnahmen, sie sprengt die Perzeption und macht dabei Übergröße als Charakteristikum und Erscheinungsqualität des Erhabenen deutlich.[11]

Nun kann man lange darüber nachdenken, ob die Bildende Kunst das Erhabene überhaupt evozieren oder auf ein wie immer geartetes Transzendentes anspielen kann. Nach Immanuel Kants „Kritik der Urteilskraft“ ist das gar nicht möglich, weil das Erhabene dort mit der Erfahrung der Natur verbunden ist. [12] Dagegen hat Theodor W. Adorno alle Kunst nach dem Scheitern des Schönen dem Erhabenen zugerechnet: „Das Erhabene, das Kant der Natur vorbehielt, wurde nach ihm zum geschichtlichen Konstituens von Kunst selber.“[13] Freilich könne man nur angesichts der Kunst als solcher vom Erhabenen sprechen: „Konkreten Kunstwerken gegenüber wäre vom Erhabenen überhaupt nicht mehr zu reden ohne das Salbadern von Kulturreligion, und das rührt her von der Dynamik der Kategorie selber ... Das Erhabene markiert die unmittelbare Okkupation des Kunstwerks durch Theologie; sie vindiziert[14] den Sinn des Daseins, ein letztes Mal, kraft seines Untergangs.“[15] Postmoderne Philosophen wie Jean-François Lyotard haben dagegen die physische Präsenz des einzelnen Kunstwerks selbst als Anspielung auf das als erhaben erfahrene Nicht-Darstellbare gesehen – so wie es wohl auch Newman vorschwebte, auf den Lyotard sich explizit bezieht.[16] Letztlich wird dabei jedoch Kants Argumentation umgedreht: Gewinnt das Subjekt bei Kant angesichts des Erhabenen dennoch seine Souveränität zurück, weil es zwar etwas als erhaben erfährt, diese Erfahrung wiederum aber als Erfahrung des Erhabenen begreifen und damit in die Vernunft zurückholen kann, so soll bei Lyotard das Erhabene in der Kunst den Menschen an die Grenzen seiner Vernunft führen: das Andere soll triumphieren. Ob das allerdings stimmig ist und sich so erfahren lässt, daran kann man mit guten Gründen zweifeln.[17] Vermutlich ist es doch wieder der Triumph der Ethik oder sogar der Theologie über die Ästhetik, der hier verkündet wird. Unbestreitbar kommen bei Newman in der Kunst wie bei Lyotard in der ästhetischen Reflexion die Transzendenzen – polemisch gegen die Horizonte gewendet – wieder zur Geltung, aber, auch das sollte man sagen, sie kommen nicht in ein geordnetes Verhältnis, sondern werden als Gegensätze gedacht.

Epilog: Horizonte und Transzendenzen als Aspekte der Bildenden Kunst

Will man beide Momente – Horizont und Transzendenz – noch einmal gegenüberstellen, dann geht das wohl am besten mit Hilfe der Zinsgroschengeschichte von Masaccio und dem Vir Heroicus Sublimis von Newman. Beide Werke sind auch deshalb gut vergleichbar, weil sie in etwa gleich groß sind (255x598 bzw. 242x542 cm) und nicht schon von den Größenverhältnissen her differente Erfahrungen auslösen. Sie kontrastieren aber vollständig in der Position, die sie für den Betrachter vorgesehen haben.

Das Subjekt, das sich dem Fresko in der Brancacci-Kapelle nähert, wird nicht nur räumlich bedingt auf Distanz gehalten, vielmehr ist das Fresko selbst auf diese Distanzierung perspektiviert (intentio operis). Der Betrachter ist herausgefordert, ästhetisch (im Sinne der Erfahrung des Schönen) und intellektuell (angesichts der besonderen Konzeption des Werkes), sein Urteil zu bilden. Die Entscheidung, das Urteil – sei es das ästhetische Urteil, sei es das ethische Urteil -, ist ihm selbst überlassen, darin ist er frei.

Ganz anders ist das bei dem Gemälde von Barnett Newman. Hier ist es dem Betrachter auch nicht freigestellt, wie er sich zum Werk konstelliert, vielmehr wird ihm die kontrastive Nähe als notwendige Werkerfahrung vermittelt (intentio auctoris). Der Betrachter ist herausgefordert, eine geradezu physische Bilderfahrung zu machen, die ihn an die Grenzen seiner Wahrnehmungsfähigkeit bringt. Der Intellekt spielt insofern eine wichtige Rolle, als er zum Scheitern gebracht werden soll. Größer als alle Vernunft – das soll seine Bilderfahrung werden.

Anmerkungen

[1]    Vortrag auf dem Symposium „Natur- und Geisteswissenschaften im Gespräch: Horizonte und Transzendenzen“, 9.-11. März 2015 in Goslar.

[2]    Vgl. Kindlers Malereilexikon, das Horizont unter „Perspektive“ erörtert, Bd. 6, S. 501; sowie den Art. Horizont in Lexikon der Kunst, Bd. 3, S. 338.

[3]    Peter Funken, "GegenwartEwigkeit", Kunstforum 108, Juni/Juli 1990, S. 292-294.

[4]    Hughes, Robert (1981): Der Schock der Moderne. Kunst im Jahrhundert des Umbruchs. Düsseldorf, S. 16.

[5]    Vgl. Baldini, Umberto; Casazza, Ornella (1994): Die Brancacci-Kapelle. Fresken von Masaccio, Masolino, Filippino Lippi in Florenz. München: Metamorphosis-Verlag.

[6]    Hertlein, Edgar (1979): Masaccios Trinität. Kunst, Geschichte und Politik der Frührenaissance in Florenz. Firenze: Olschki (Pocket library of "studies" in art, 24). S. 46ff.

[7]    So Krüger, Klaus (2007): Bild und Bühne. Dispositive des imaginären Blicks. In: Ingrid Kasten, Erika Fischer-Lichte und Elke Koch (Hg.): Transformationen des Religiösen. Performativität und Textualität im geistlichen Spiel. Berlin: de Gruyter (Trends in medieval philology, v. 11), S. 218–248, S. 231.

[8]    Newman, Barnett (1998): Das Erhabene ist jetzt. In: Charles Harrison, Sebastian Zeidler und Paul Wood (Hg.): Kunsttheorie im 20. Jahrhundert. Künstlerschriften, Kunstkritik, Kunstphilosophie, Manifeste, Statements, Interviews. 2 Bände. Band I: 1895-1941. Band II: 1940-1991, Ostfildern-Ruit: Verlag Gerd Hatje, Bd. 2., S. 699–701. Im Original lauten die Formulierungen so: “Man's natural desire in the arts to express his relation to the Absolute became identified and confused with the absolutisms of perfect creations […] so that the European artist has been continually involved in the moral struggle between notions of beauty and the desire for sublimity. […] The climax in this struggle between beauty and the sublime can best be examined inside the Renaissance.” Barnett Newman, The Sublime is now, in: The Tiger’s Eye, Vol. 1, no. 6, Dezember 1948, S. 51-53.

[10]   “There is a tendency to look at large pictures from a distance. The large pictures in this exhibition are intended to be seen from a short distance.” Zitat nach Moma, ebd.

[11]   Boehm, Gottfried (1990): Ikonoklastik und Transzendenz. Der historische Hintergrund. In: Wieland Schmied und Guardini-Stiftung (Hg.): GegenwartEwigkeit. Spuren des Transzendenten in der Kunst unserer Zeit. Stuttgart: Ed. Cantz, S. 27-34, hier S. 30.

[12]   Kant, Immanuel (2009): Kritik der Urteilskraft. Erster Teil, Zweites Buch: Analytik des Erhabenen. In: Immanuel Kant und Wilhelm Weischedel: Werkausgabe, X. 1. Aufl., Hg. v. Wilhelm Weischedel. Frankfurt am Main: Suhrkamp.

[13]   Adorno, Theodor W. (2005): Ästhetische Theorie. Frankfurt M.: Suhrkamp, S. 293.

[14]   rechtssprachlich: als Eigentümer vom Besitzer einer Sache die Aushändigung fordern

[15]   Ebd., S. 295.

[16]   Lyotard, Jean-François (2006): Das Inhumane. Plaudereien über die Zeit. Dt. Erstausg., 3. Wien: Passagen-Verl.

[17]   Vgl. das Kapitel „Lyotard und die Ästhetik des Erhabenen: eine Gegenlektüre von Kant“ in: Rancière, Jacques (2008): Das Unbehagen in der Ästhetik. 2., überarb. Wien: Passagen Verl., S. 1055.

Artikelnachweis: https://www.theomag.de/94/am500.htm
© Andreas Mertin, 2015