April 2015

Liebe Leserinnen und Leser,

gibt es eine wahrnehmbare dauerhafte Form von Religion außerhalb ihrer institutionellen Vermittlung durch die Kirchen? Anders gefragt, stimmt der Satz: Extra ecclesiam religio non est? Im letzten Jahr machten Aussagen die Runde, dass entgegen den Vorstellungen liberaler Theologie, Religion außerhalb der Kirchen kaum als empirisch dauerhsaft wahrnehmbare zu beschreiben sei. Es bedürfe mithin der Institution, um Religion zu kultivieren. Dem kann man mit guten Gründen entgegen halten, was Wolfgang Eßbach in seiner in dieser Ausgabe des Magazins für Theologie und Ästhetik vorgestellten Religionssoziologie so beschreibt:

„Generell muß freilich anerkannt werden, daß Aussagen über die quantitative Verteilung von Glaubensintensität und religiösem Desinteresse für vergangene Epochen kaum seriös zu machen sind. Klagen über die wachsende Ungläubigkeit gehören ebenso zum diskursiven Repertoire aller Formationen von Religion wie die europäische Konstante einer Verspottung der Religion in der Tradition der Satiren des Lukian. Religiöses Desinteresse, Spott und Verachtung der Religion gegenüber sind als ein Zeichen für eine Entchristianisierung kaum zu gebrauchen.“

Eßbach macht zugleich deutlich, wie produktiv es ist, den Filiationen von Religion in der Neuzeit nachzugehen und sich nicht auf ein ekklesiologisches Paradigma zu begrenzen. Und die Antwort heißt keinesfalls: Religion überall, sondern Religion und religiöse Strukturen in genau benennbaren Kontexten und kulturellen Zusammenhängen.

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Das aktuelle Heft des Magazins hat deshalb eine gegenüber der Heftankündigung leicht variierte Überschrift: statt Extra ecclesiam religio non est? hielten wir für die jetzige Ausgabe die Formulierung Religion auf der Spur für passender. Dass es Religion außerhalb der engen Grenzen der verfassten Kirche gibt, schien uns unbezweifelbar. Aber woran macht sie sich fest? Wie sieht die Spurensuche nach Religion im Kino, in der Bildenden Kunst, in den Social Media, in den Köpfen der einzelnen Menschen aus? Und wie vermittelt sich Religion in der Gegenwart?

Unter VIEW finden Sie daher Spurensuchen von Jörg Herrmann zur „Herrlichkeit Gottes im Kino“, von Andreas Mertin zur Gestaltung von „Horizont und Transzendenz in der Bildenden Kunst“, von Kornelius Fürst zum Glauben in der digitalen Welt, ergänzt von einem Rückblick von Andreas Mertin auf die bisherigen Überlegungen zur Religion im Internet. Volker Lingnau  setzt unsere Reihe der Reflexionen fort, wie heute glaubwürdig vom christlichen Glauben gesprochen werden kann. Wolfgang Vögele schildert die Überlegungen zur Neuauflage der Bekenntnisschriften der Badischen Landeskirche. Andreas Mertin stellt die Religionssoziologie von Wolfgang Eßbach vor. Kim de Wildt gibt einen Einblick in die Welt der Sakralraumpädagogik. Und schließlich setzt sich Andreas Mertin mit den Konflikten um eine Bremer Predigt Anfang dieses Jahres auseinander.

In der Rubrik RE-VIEW gibt es Bemerkungen von Wolfgang Vögele zum Roman „Von Zeit und Fluss“ von Thomas Wolfe. Andreas Mertin stellt Bücher zu den Kreuzzügen, zum Koran und zur Evangelioschen Ethik vor.

Unter POST finden Sie wie gewohnt die Notizen von Andreas Mertin zu Themen der letzten zwei Monate und einen Hinweis auf einen aktuellen Kurzfilm zum Heftthema.

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Wir wünschen eine angenehme und erkenntnisreiche Lektüre!

Andreas Mertin, Jörg Herrmann und Horst Schwebel