Analog – Digital - Monumental

Bild-Annäherungen

Andreas Mertin

Analog I – Vor Ort

Der Besuch in einem Museum oder in einer Galerie-Ausstellung ist durch nichts zu ersetzen, ich glaube, da sind sich alle einig, die sich mit Kunst beschäftigen. Natürlich ist auch im Museum und in der Galerie das Verhalten reglementiert, man darf nicht mal einfach mit den Fingern über die Struktur eines Bildes fahren, darf sie nicht ertasten und auch bei Skulpturen ist die haptische Erfahrung meist verwehrt, sondern alles ist auf die visuelle Erschließung verwiesen. Dafür hat man aber im Museum, in der Galerie und manchmal auch noch in einer Kirche Originale vor sich, kann sofort die Größenverhältnisse bzw. die Dimensionen einschätzen und zum Beispiel die Sattheit der Farben beurteilen. Im Museum sind dafür ältere Werke selten kontextuell derartig eingebunden, wie es ursprünglich einmal für sie gedacht war. Weder riecht man den Weihrauch noch hört man im Hintergrund das Murmeln irgendwelcher Gebete oder die Klänge einer Messe. Seitdem die (Kult-)Bilder zur Kunst wurden, wurden sie bei der Präsentation ihres Kontextes beraubt – das gilt selbst in Kirchen, wo Bilder nur noch selten an den ursprünglichen Orten hängen, sondern für Baedecker-Christen kunstvoll drapiert werden. Moderne Bilder dagegen sind oftmals schon mit dem Gedanken ans Museum konzipiert und kommen dementsprechend im White Cube auch angemessen zur Geltung.

Man kann sich natürlich weiterhin, wie dies in der europäischen Neuzeit und vor allem in der Moderne üblich wurde, im privaten Raum mit originalen Bildern umgeben, kann mit diesen Bildern leben und einen langjährigen Erfahrungsprozess durchlaufen. Nicht erst das jahrelange Leben mit den Bildern, schon die Wahl des Kunstwerkes ist ja der Beginn eines einzigartigen Beziehungsprozesses.

Analog II – Die Replik

Ich vermute allerdings, dass wir beim „Leben mit Kunstwerken“ einem ähnlichen Erosionsprozess unterliegen, wie er schon bei der Fotografie zu beobachten war. Das einzelne Bild wird weniger wert, weil es so einfach geworden ist, es durch ein anderes zu ersetzen. Schon die berühmten Dietz-Repliken waren ja ein Schritt in diese Richtung. Wenn Original und Replik ununterscheidbar werden, könnte jeder wenn er nur wollte (und genügend Geld und Ausstellungsfläche hätte) sich mit bedeutenden Schein-Originalen ausstatten.

Zumindest könnte jede größere Stadt ein Museum der 100 wichtigsten Bilder der Kunstgeschichte errichten, die von ihren Originalen nicht mehr unterscheidbar wären. Man könnte so ästhetische Bildung vor Ort (und eben doch nicht vor Ort) betreiben.

1988 hat Paolo Piazzesi dies einmal im Palazzo Strozzi in Florenz unter dem Titel „Museo dei musei“ vorgeführt.[1] Dort waren über zahlreiche Räume verteilt 100 Meisterwerke der Kunstgeschichte präsentiert – nur dass sie eben von den besten Kopisten der Welt hergestellt worden waren.

Man ging also durch die Räume des Palazzo Strozzi und blickte auf all jene Werke, die Teil der eigenen bildungsbürgerlichen Sozialisation gewesen waren: angefangen von Leonardos Abendmahl über Böcklins Toteninsel bis hin zu den Surrealisten und Expressionisten des 20. Jahrhunderts.  Und Umberto Eco ist in einem faszinierendem Aufsatz den Implikationen dieses Unternehmens nachgegangen: „Del falso e dell’autentico.[2]

Diese Ausstellung war aus mehreren Gründen hochinteressant: Wann beginnt man zeitlich mit den ausgestellten Werken – ist etwa Giotto oder Duccio die Grenze in der Geschichte?[3] Und wann hört man zeitlich auf – weil das Urteil darüber, was kunsthistorisch Bestand hat, noch gar nicht gesprochen ist? Welche Künstler wählt man für die Ausstellung aus und welche Kriterien legt man dabei an?[4] Wenn man sich für einen Künstler entschieden hat - welches Werk wählt man dann aus seinem Oeuvre?[5] Wenn es um die bedeutendsten Werke der Kunstgeschichte geht, darf dann ein Künstler auch mit mehreren Werken vertreten sein oder gilt der Grundsatz Pars pro toto?[6] Und wenn es auch um Geschlechtergerechtigkeit geht – wie viele Künstlerinnen kommen in der Ausstellung vor und wie viele müssten vorkommen?[7] Noch interessanter wird es, wenn – wie seinerzeit in Florenz – unter den ausgestellten Werken mindestens ein Original ist, ohne dass man verrät, welches das Original ist. Dann wird deutliuch, wie stark der Originalitätsgedanke von unserem Vorwissen abhängt.

Analog III – Die Kopie

Heute allerdings wird als Kopie seltener die ununterscheidbare Replik oder Museumskopie genutzt als vielmehr der zur Massenware gewordene Leinwanddruck. Nahezu alle Fotolabore bieten ihren Kunden an, ein eingesandtes digitales Bild als Leinwanddruck zum analogen Kunstwerk zu veredeln. Was ein Bild dabei zum „Kunstwerk“ macht, ist nicht seine Qualität, sondern das Material, auf dem es aufgebracht ist. Oder in den Worten der Werbung: „Ihr Foto wird auf hochwertigem Leinenmischgewebe von Hand auf einen sorgfältig verarbeiteten Holzrahmen aufgezogen. So wird Ihr Bild zum Kunstwerk.“[8] Das hat übrigens auch Folgen für das Verhältnis von Zentrum und Peripherie: „Bitte beachten Sie: Ihr Foto wird an den Seiten um den Rahmen umgeschlagen. Platzieren Sie daher wichtige Bildbestandteile bitte mindestens 6 cm vom Rand entfernt.“ Was waren das für Zeiten, als man sich in der Kunst noch um den Goldenen Schnitt kümmerte.

Selbst die Museen bieten inzwischen einen derartigen Service an und versprechen, das gewählte Motiv in jeder Größe und jedem Rahmen liefern zu können. Eine Kirchengemeinde, die das möchte, kann sich so Cranachs Altarbild aus der Weimarer Stadtkirche für ein paar hundert Euro als Leinwanddruck ins Gemeinde- oder Pfarrhaus holen und das Reformationsjubiläum feiern. Seelsorge- und Trauer-Gespräche sind unter so einer Bildkopie wesentlich authentischer – könnte ich mir vorstellen.

Was diese Art der Kopie bringt? Nun, nachdem das Museum die Bilder bereits vom Kontext befreit und in einen neuen abstrakten Kontext gebracht hatte, wird das Werk auch noch von all seinen Intentionen bezüglich Größe und Material befreit, welche nun in der Entscheidungsge­walt des Betrachters liegen. Wer schon immer der Meinung war, Paul Klees „Schwarzer Fürst“ von 1927 sei mit 33x29 cm viel zu klein geraten, kann sich nun eine Version mit 150x175 cm im schicken klassischen Hellsilber-Rahmen für schlappe 700 Euro übers Sofa hängen – oder auch ins Bad, wenn man sich morgens ein wenig erschrecken lassen möchte.

Letztlich führt uns das aber nur zurück ins 19. Jahrhundert, als fliegende Händler mit Schlafzimmerbildern der spärlich bekleideten Maria Magdalena ihre Geschäfte mit verklemmten Spießern machten. Aber es ist unbestritten immer noch besser als das legendäre Poster von Che Guevara, das lange Zeit die Szene beherrschte.[9]

Analog IV – Der Katalog

Wer sich freilich nicht nur mit einem Bildwerk eines Künstlers begnügen will, der muss – wenn er denn nicht viel reisen will oder kann – zu Museumskatalogen oder expliziten Werkübersichten greifen. Diese bieten einen vergleichenden Überblick über das Oeuvre eines Künstlers, lassen Entwicklungen und Veränderungen im Gesamtwerk erkennen und führen in das unentbehrliche Hintergrundwissen ein. Jeder, der sich mit Kunst beschäftigt, hat von allen einschlägigen Künstlern und Künstlerinnen solche Kataloge im Regal stehen. Derartige Kataloge haben ja zudem den Vorteil, dass sie in aller Regel nicht nur die jeweiligen Werke in toto abbilden, sondern auch mit einer Fülle von Detailstudien aufwarten können. Und viele Werke gerade der älteren Kunstgeschichte zeigen ihren wahren Juwelen erst bei unmittelbarer Betrachtung, also wenn man wirklich an das kleinste Detail heranzoomt.

Digital I - Bildersammlungen

Genau darin zeigt sich seit einigen Jahren die Stärke der digitalen Welt, indem sie immer höher auflösende Bilder der Exponate zur Verfügung stellt. Vielleicht erinnert sich der / die eine oder andere an die Sammlung des Yorck Projects aus dem Jahr 2002 mit 10.000 Meisterwerken der Malerei, die 2007 auf 25.000 Meisterwerke erweitert wurde und erstmals im großen Maßstab Bilder von Kunstwerken zur Verfügung stellte – wenn auch mit zweifelhaften Angaben in der begleitenden Datenbank und unter der Einschränkung, dass die gezeigten Künstler bereits 70 Jahre verstorben sein mussten.

Zwischenzeitlich bildete dieses Bildmaterial den Grundstock des Bildangebots der Wikipedia in Sachen Kunst. Heute ist das Material immer noch kostenlos unter der Adresse www.zeno.org/Kunstwerke greifbar.

Bedeutend qualitätsvoller war und ist bis heute die renommierte englischsprachige Datenbank Web Gallery of Art (www.wga.hu), die zwar nicht ganz so hochauflösende Bilder anbietet, deren begleitenden Informationen aber nahezu fehlerfrei sind. Sie umfasst inzwischen 37.000 Bilder aus der Zeit zwischen 1000 und 1900.  

Auch einige Museen ermöglichen derartige detaillierte Zugriffe. Das Rijksmuseum in Amsterdam hat mit seinem Rijksstudio seinen Nutzer ermöglicht, den Bilderbestand abzufragen und sich eigene Galerien anzulegen. Auch hier werden hochauflösende Bilder geboten, die man sich sogar herunterladen kann. Beim Britischen Museum kann man sich zumindest für private und Studienzwecke ausgewählte Artefakte in guter Auflösung zumailen lassen. 

Digital II - Gigapixel

Neuerdings gibt es das etwas hochtrabend benannte Google Cultural Institute mit seinem Kunstprojekt, das im Wesentlichen auf der Zusammenarbeit mit renommierten Museen und Kulturinstitutionen besteht. Anfangs war es dafür berühmt, das Google wie bei Streetview mit einer Kamera durch die Museumsräume fuhr und sie virtuell erfahrbar machte, dann aber auch Informationen über einige der ausgestellten Exponate bot. Inzwischen ist es aber vor allem für seine Gigapixelbilder legendär, bei denen man extrem nah an die einzelnen Objekte heranzoomen kann. 130 Objekte gibt es aktuell zu dem Zeitraum, an dem ich dies schreibe. Es wäre natürlich schön, wenn alle die in ein imaginäres Museum der besten Werke der Kunstgeschichte gehörenden Artefakte einmal derartig hochauflösend zur Verfügung stünden und vom Nutzer zu eigenen Museen zusammengestellt werden könnten. Es wird aber sicher nicht mehr lange dauern, bis das geschieht. Im Augenblick hängt das Angebot noch viel zu stark davon ab, welches mit Google zusammenarbeitende Museum zufällig welche Objekte hat. So werden nur die greifbaren, nicht die besten Artefakte präsent. Leider – und aus nachvollziehbaren Gründen – sind die Bilder nicht unmittelbar herunterladbar. Aber ein Blick auf das Auge des berühmten Dürer-Feldhasen zeigt die Leistungsfähigkeit dieses Angebots.

Soweit es sich um skulpturale Artefakte handelt, kann man inzwischen auch einige davon in einer 3D-Auflösung betrachten, kann sie sozusagen drehen und wenden wie man will. Für die intensive Auseinandersetzung mit Kunstwerken ist das ein außerordentlicher Fortschritt. Gerade bei Künstlern, die extrem viel Wert auf komplexe und anspielungsreiche Verschlüsselungen ihrer Werke gelegt haben – exemplarisch vielleicht Jan van Eyck – ist diese Möglichkeit ein wirklicher Gewinn für die Werkerkundung. Einige Projekte bieten im Rahmen wissenschaftlicher Erkundung noch wesentlich mehr, etwa die verschiedenen auf Röntgenbildern zu erkennenden Farbschichten und Vorzeichnungen. Aber damit treten wir endgültig in den Bereich der Kunstwissenschaft.

Monumental I – XXL-Bücher

Wem die digitale Annäherung nicht genügt, für den gibt es seit einiger Zeit den Trend zu den monumentalen Büchern, wahre Schinken, die eines eigenen Pultes bedürfen, um überhaupt studiert werden zu können. Aus dem Verlag h.f. ullmann gibt es zum Beispiel das Ars Sacra Buch und Bände zur Gotik und zum Barock:

  • Toman, Rolf; Bednorz, Achim (2010): Ars sacra. Christliche Kunst und Architektur des Abendlandes von den Anfängen bis zur Gegenwart. Potsdam: Ullmann.
  • Toman, Rolf (Hg.) (2012): Gotik. Bildkultur des Mittelalters 1140 - 1500. Potsdam: h.f.ullmann publishing (Bibliothek der Kunstepochen).
  • Toman, Rolf (Hg.) (2012): Barock. Theatrum Mundi. Die Welt als Kunstwerk. neue Ausg. Potsdam: h.f.ullmann publishing (Bibliothek der Kunstepochen).

Und aus dem Taschen-Verlag gibt eine Reihe von Büchern, die im XXL-Format vorgelegt werden. Zum Teil widmen sich diese Büchern Stars der Popkultur-Szene, zum Teil aber auch bedeutenden Künstlern aus der Kunstgeschichte.

  • Schütze, Sebastian; Terzoli, Maria Antonietta (2014): William Blake. Die Zeichnungen zu Dantes Göttlicher Komödie. Köln: Taschen.
  • Lòpez-Rey, José; Delenda, Odile (2014): Velázquez. Sämtliche Werke. Köln: Taschen.
  • Fischer, Stefan (2013): Hieronymus Bosch. Das vollständige Werk. Köln: Taschen.
  • Schütze, Sebastian (2009): Caravaggio. Das vollständige Werk. Köln: Taschen.
  • Natter, Günter (2012): Gustav Klimt: Sämtliche Gemälde. Köln: Taschen.

Einige der großformatigen Bände sind inzwischen vergriffen und liegen nun als preiswertere, aber auch etwas kleinformatigere Sonderausgaben vor:

  • Lamers-Schütze / Pöpper / Thoenes / Zöllner (2014): Michelangelo. Das vollständige Werk. Köln: Taschen.
  • Zöllner, Frank (2007): Leonardo da Vinci. Sämtliche Gemälde und Zeichnungen. Köln: Taschen.

Die Monumentalisierung der Oeuvre-Präsentation liegt in der Logik der Dinge. Früher schleppte man Poster von Ausstellungen mit nach Hause, welche die ausgestellten Werke besser präsentieren konnten als ein kleinformatiger Katalog. Detail für Detail war das Kunstwerk auf dem Poster zu studieren und wer es noch detailreicher haben wollte, konnte von manchen berühmten Kunstwerken auch Detailstudien im Poster-Format erwerben. Der Taschen-Verlag macht sich diese Neugier aufs Detail zunutze und präsentiert einige berühmte Künstler im Großformat. Reiste man bisher etwa für die Triptychen von Hieronymus Bosch quer durch die Welt und bekam sie dann doch allenfalls mit Sicherheitsabstand und hinter Glas zu sehen, so kann man nun – das ist die Anmutung – ungestört von derlei Beschränkungen Detail für Detail studieren.

Monumental II – Hieronymus Bosch

Ich beginne einmal mit Notizen zu dem Band mit dem Oeuvre von Hieronymus Bosch. Geliefert wird er in einer schönen Verpackung mit Handgriff. Das Buch ist Hardcover mit zwei Ausklapptafeln und einem Leseband, etwa 30 x 40 cm groß, hat 300 Seiten und wiegt ohne die Verpackung 4,1 Kilogramm. Das macht unmittelbar einsichtig, dass niemand dieses Buch auf Händen lesen will. Man braucht schon einen größeren Schreibtisch und das Format lässt es auch nicht zu, dass man sich nebenbei einen Zettel legt, um etwas zu notieren. Es ist wirklich monumental. Und das ist natürlich auch so gewollt. Das wird deutlich auf den ersten Seiten des Buches, noch bevor es eigentlich richtig beginnt.

Wenn man das Buch aufschlägt blickt man auf den über den gefallenen Engel thronenden Gottvater. Schlägt man die Seite um blickt man auf die Außenseiten einer Ausklapptafel, auf denen vier Engel über einer apokalyptischen Landschaft zum letzten Gericht rufen. Auf der rechten Seite steht TASCHEN presents its production of ... Klappt man nun diese Tafel auf wie einen mittelalterlichen Flügelaltar dann befinden wir uns nun mitten in der apokalyptischen Landschaft auf der in fett goldenen Lettern der Name des Künstlers hieronymus bosch prangt und darunter Directed and produced by Benedikt Taschen. Erst wenn man diese Klapptafel, die aufgeschlagen immerhin 110 cm breit ist, wieder zuschlägt, befindet man sich am eigentlichen Anfang des Buches, das dann mit einem Titelbild und dem darauffolgenden Inhaltsverzeichnis einsetzt. Man muss sich den Sinn dieser Geste, die hier vollzogen wird, ins Bewusstsein rufen. Es ist die Geste, mit der die großen Zünfte des Mittelalters ihre Andachtsbilder in den Kirchen präsentierten, die ja nicht nur etwas aus der biblischen Geschichte zeigten (so wie dieses Buch das Oeuvre von Bosch), sondern zugleich sich als Stifter in den Vordergrund stellten. Dieser Gedanke ist sozusagen noch vorneuzeitlich, er macht den Künstler zum Handwerker, der nach genauen Vorgaben seines Auftraggebers sein Bestes gibt. Einen Erkenntnisgewinn hat man abgesehen davon von diesem ersten Einsatz nicht.

Es folgt der erste einführende Text „Bosch-Perspektiven“. Auch er ist quasi pompös gemacht, goldene Schrift auf schwarzem Hintergrund – lesefreundlich ist das nicht. Aber darum geht es auch nicht, es geht um einen Effekt, einen Eindruck, darum, dass hier etwas Wertvolles präsentiert wird. Eine Gabe. Und dennoch hat es etwas vom Habitus des Neureichen, bei dem es unbedingt Gold sein muss, damit es wertvoll aussieht.

Grundsätzlich muss einen das nicht stören, aber in diesem Falle widerspricht es so ganz und gar der Kunst von Bosch, die nun gerade nicht im alten byzantinischen bzw. karolingischen Stil mit Gold geprotzt hat, sondern mit den Verzerrungen des Lebens, den Irrungen und Wirrungen menschlicher Existenz arbeitete und auf Verklärungen verzichtete. 

Aber diese Vorbehalte treten zurück, wenn man sich den großformatigen Abbildungen zuwendet und die ersten Bilder vor sich hat, die im Maßstab von annähernd 1:2 abgebildet sind. Das Bild von Hieronymus in der Einöde bei der Buße, zwischen 1485 und 1490 entstanden, ist im Original etwa 80x60 cm groß und wird hier mit 36x27 cm abgebildet. Das ist schon sehr beeindruckend. Man kann hier die Details studieren und einen guten Eindruck vom Gesamtbild bekommen.

Einen ersten Vergleich mit einer digitalen Annäherung ermöglicht dann das folgende Bild „Johannes der Täufer in Meditation“ von 1488, das heute noch 50x40 cm groß ist und im XXL-Buch mit 29x24 cm abgebildet ist. Das Google-Art-Project bietet das Bild – wenn auch nicht als Gigapixel – so doch hochauflösend an. Hier kommt man tatsächlich an einzelne Bilddetails noch näher heran und vor allem kann man mit der Maus bzw. den Cursor-Tasten das Interesse fokussieren, alsi sich exakt den gewünschten Bildausschnitt heranzoomen. Das frisch gerissene Tier im Bildhintergrund mit den Aasvögeln drum herum lässt sich hier etwas besser betrachten. Aber der Unterschied ist nicht wirklich gravierend.

Seinen Vorteil zeigt das XXL-Buch bei Detailvergrößerungen, die bei den digitalen Angeboten im Netz in dieser Brillanz und Auflösung so noch nicht erreicht werden. Das kann man gut am Beispiel des Ecce Homo-Bildes aus dem Frankfurt Städel erkunden. Das liegt beim Google-Art-Project auch hochauflösend vor, aber spätestens wenn der XXL-Band die Gesichter aus der Gerichtsszene ganz nahe zeigt, erkennt man, dass hier im Moment noch keine digitale Datenbank mithalten kann.

An verschiedenen Punkten kommt aber auch der XXL-Band an seine Grenzen. Bei jeder Buchpublikation ist das dort der Fall, wo Bilder seitenübergreifend abgebildet werden. Gerade bei mittelalterlichen Bildern, die oft das leitende Motiv im Zentrum haben, wird so manches wichtige Detail von der Buchspalte verschluckt. Gar nicht gelungen finde ich aus dem gleichen Grund auch die viel beworbene 1 Meter breite Ausklapptafel des Gartens der Lüste. Faktisch ist es doch so, dass hier die Zahl der Knickstellen einfach nur potenziert wird. Man macht das Bild einmal auf, aber dann möchte man es wegen eventueller Knickschäden nicht wieder entfalten. Hier ist jedes Poster besser.

Herausragend ist dagegen die abschließende Katalog-Übersicht der Gemälde, der Zeichnungen und vor allem der Bilder aus der Werkstatt von Bosch. Das ist sehr gut und übersichtlich gestaltet und lässt sich von digitalen Sammlungen auch nicht vergleichbar simulieren. Hier schlägt das Analoge das Digitale noch um Längen.

Monumental III – Caravaggio

Der zweite monumentale Band, den ich mir zur Vorstellung ausgesucht habe, zeigt das Oeuvre von Caravaggio, genauer Michelangelo Merisi da Caravaggio (1571-1610), der ja inzwischen als wichtigster Künstler der Kunstgeschichte bezeichnet wird. Das XXL-Buch eröffnet mit einer faszinierenden Fotostrecke von sechs Porträt-Bilddetails aus verschiedenen Werken Caravaggios, die schon gleich gut einstimmen auf das Können und die Innovationen dieses Ausnahmekünstlers. Auch hier gibt es im einleitenden Text wieder diese unangenehme goldene Schrift auf schwarzem Grund, die die Lektüre nicht einfach macht. Interessanterweise sind die ersten Großabbildungen nicht Werke von Caravaggio, sondern führen anhand der Werke anderer bzw. seiner Lehrer auf sein Schaffen hin. So sehen wir eine Grablegung von Peterzano, eine Kreuzannagelung von Campi und eine Dornenkrönung von Tizian. Dann aber setzt das Oeuvre Cravaggios ein mit einigen seiner bekannten Darstellungen des Bacchus. Eine übergroße Abbildung des Früchtekorbes zeigt übrigens sehr gut, wie viel so eine Abbildung über mehr als eine Seite von den Bildinformationen schluckt. Manchmal wäre es besser, man hätte die entsprechenden Bilder um 90° gedreht und seitenfüllend auf nur einer Seite abgebildet - etwa auch bei den Heiligen Marta und Magdalena auf den Seiten 86/87 oder beim Bild „Judith und Holofernes“ auf den Seiten 90/91. Wirklich beeindruckend und erhellend sind dann die Darstellungen der Hauptwerke von Caravaggio in Rom einschließlich der großformatigen Detailstudien. Hier zeigt sich der Gewinn des großen Formats, das auch die kleinste Geste groß herausbringen kann.

Unabhängig davon, ob es sich um die Bilder in der Cappella Contarelli in San Luigi die Francesi handelt oder die in der Cappella Cerasi in Santa Maria del Popolo – es ist geradezu erschlagend, wie nahe man den Bildern rückt. Die Kreuzannagelung des Paulus ist nur noch wenig von einer unmittelbaren Präsenz entfernt. Der Verzicht auf jegliche didaktische Aufbereitung allerdings, so sehr er dem Purismus der Werkdarstellung zugutekommt, so sehr erschwert er die  Kontextualisierung des Werkes durch den Leser. Ich finde es immer gut, wenn einem Werk, das heute noch in einer Kirche hängt und auch für diese Kirche und diesen Ort geschaffen wurde, auch der Grundriss der Kirche mit der entsprechenden Ortsangabe beigefügt wird. Das macht dann zum Beispiel deutlich, wer überhaupt Zugang zum Werk hatte, wie der Sitz im Leben (der Kirche, also der Liturgie) ist und vieles mehr. Es gibt hier zwar je ein in situ-Bild, aber das gibt noch keine Auskunft darüber, wo in der Kirche man das Bild sich vorstellen muss.

Gerade bei den Kunstwerken in der Cappella Cerasi in Santa Maria del Popolo wäre eine visuelle Zuordnung hilfreich, sind die beiden Caravaggio doch unmittelbar auf das Marienbild bezogen.

Noch einmal besonders eindrücklich im Monumentalband sind die Abbildungen der Werke Caravaggios zum Hl. Hieronymus samt den Detaildarstellungen.

Abgeschlossen wird das Buch mit einem Blick auf die Caravaggisten (hier hätte ich mir einige großformatige Vergleichsbilder gewünscht – etwa wie Artemisia Gentileschi im Vergleich zu Caravaggio das Thema „Judith und Holofernes“ angeht). Am Ende des Buches wieder eine Übersicht zum Gesamtwerk.

Fazit

Ich bin mir nicht ganz sicher, wie ich mich im Verhältnis von Anlalog – Digital – Monumental situieren soll. Am eindrücklichsten ist und bleibt sicher die unmittelbare Werkbegegnung. Ich könnte einmal zwei Stunden ungestört in Wien in der Gemäldegalerie der Akademie der Bildenden Künste vor dem Weltgerichtstriptychon von Bosch sitzen. Das kann durch nichts ersetzt werden. Selbst wenn es mal, was zu wünschen wäre, eine Gigapixel-Abbildung des Werkes geben würde, wäre das nur eine unzureichender Ersatz. Ähnliches gilt für die Werke von Caravaggio in der Cappella Cerasi in Santa Maria del Popolo. Die Monumental-Ausgaben verändern aber etwas das Rezeptionsverhalten im Vergleich zu normalen Werkübersichten. Man rutscht quasi mehr in das Bild hinein, kommt seiner Anlage auf die Spur.

Pragmatisch finde ich, dass bei derartigen Monumentalbänden Text und Bild getrennt werden sollten, so dass der Text in einem Begleitheft gelesen werden kann. Niemand liest gerne in einem 4 Kilogramm schweren und 40 cm hohen Buch, das ist nicht nur physisch eine Qual.

Die herausklappbaren Tafeln sollten meines Erachtens dort eingesetzt werden, wo tatsächlich auch Klapptafeln präsentiert werden. Detailstudien ausklappbar zu machen, wie es mehrfach in den Monumentalbänden vorkommt, hat nur einen begrenzten Erkenntniswert.

Worauf ich gespannt bin, sind die nächsten Monumentalbände. Lohnenswert scheinen mir vor allen Künstler zu sein, bei denen gerade erst durch die extreme Vergrößerung für den Betrachter sonst nicht sichtbare Details erkennbar werden. Exemplarisch scheint mir hier das Werk von Jan van Eyck zu sein. Vielleicht bietet Taschen ja auch dazu einmal einen XXL-Band an.

Anmerkungen

[1]    Piazzesi, Paolo (Hg.) (1988): Museo dei musei. Ausstellungskatalog Palazzo Strozzi. Firenze: Condirène.

[2]    Eco, Umberto (1988): Del falso e dell'autentico. In: Paolo Piazzesi (Hg.): Museo dei musei. A.a.o., S. 13–16.

[3]    Die Florentiner Ausstellung hat sich für Duccio mit einem Werk von 1280 entschieden, gefolgt von einer Arbeit von Lippo Memmi 1320 und einem Werk von Giotto 1327.

[4]    Die Italiener konnten sich zum Beispiel auch nach fast 500 Jahren nicht dazu entscheiden, ein Werk von Mathis Grünewald in den Kanon der Ausstellung aufzunehmen. Dafür haben sie Bronzino und sogar Boucher aufgenommen. Tizian ist mit mehreren Werken vertreten, Tintoretto gar nicht.

[5]    Wenn man zum Beispiel Jan van Eyck wählt, welches Werk muss es dann sein? Der Genter Altar? Oder doch ein Porträt? Oder der Kanonikus van Paele?

[6]    Spätestens bei Leonardo wird das Problem deutlich. Was soll man zeigen: das abendmahl oder die Mona Lisa? Oder gar ein drittes Werk?

[7]    Die Ausstellung 1988 konnte es sich noch leisten, keine einzige(!) Frau in den Kanon der Meisterwerke aufzunehmen; weder Artemisia Gentileschi oder Sonia Delaunay noch Frida Kahlo.

[8]    So die Reklame von Pixum.

[9]    Lustigerweise bietet www.post-und-kunstdrucke.de auch ein Bild von Che Guevara an, nur hier muss der Konsument auf Veränderungen der Größe und des Materials verzichten – aus Urheberrechtsgründen wie es heißt. Das einzige, was zulässig ist, ist das Bild von Che Guevara zu „veredeln“, indem man es auf Leinwand zieht. Ob das wirklich im Interesse des Abgebildeten liegt?

Artikelnachweis: https://www.theomag.de/95/am503.htm
© Andreas Mertin, 2015