Glaubens-TÜV

Eine Rezension

Horst Schwebel

Johannes Hummel, Der Glaubens-TÜV für ein aufgeklärtes Christsein, Marburg 2015 (Verlag Blaues Schloss Marburg)

Es mag ungewöhnlich sein, von einem Glaubens-TÜV zu reden. Bei einem TÜV wird die Funktionsfähigkeit eines Apparats überprüft; beim Auto etwa wären das u. a. die Bremsen, das Licht, die Stabilität der Karosserie. Festgestellt soll werden, ob etwas, das einst heil war, noch immer funktionstüchtig ist.

Lässt sich der Glaube überhaupt auf seine sprachliche Angemessenheit überprüfen? Existentiell zugespitzt ließe sich sagen, dass dogmatische Satzwahrheiten zum Glaubensvollzug sogar in Gegensatz treten können. Selbst die Negation im Glaubensvollzug kann Glaube sein, weshalb Paul Tillich in seinem Buch „Mut zum Sein“ von einer Rechtfertigung des Zweiflers spricht. Gleichwohl ist es eine bleibende Aufgabe, das, was vom Glauben in den Grenzen der Vernunft zugänglich ist, auch auszusagen, zumindest dann, wenn man danach gefragt wird. Was soll ich sagen, wenn man mich konkret fragt, was der Inhalt meines Glaubens ist?

In klassischer Theologensprache geht es bei Johannes Hummel um die Frage von „Glauben und Verstehen“ (Bultmann) oder – was das gleiche ist – um den „denkenden Glauben“ (Ratschow). Doch der Sitz im Leben solchen Fragens ist bei Hummel nicht das theologische Seminar, sondern die Begegnung mit einer jüngeren Person, die von dem Älteren, einem Pfarrer, konkret erfahren will, was einer glaubt, wenn er Christ ist.

„Du bist doch Pfarrer! Was bedeutet eigentlich ‚christlich‘?“ – Weiter geht es: „Wer ist Jesus Christus? Ist ‚Christus‘ ein Name? Und: Hat er wirklich gelebt?“ – Kenntnisreich referiert der Antwortende, was man im Rahmen der Wissenschaft über Jesus weiß. Dann geht es um die Reich-Gottes-Verkündigung und Jesu Anspruch, seine Wunder, vor allem um Kreuz und Auferstehung. Der Jüngere will wissen, ob die Bibel Gottes Wort ist. Wie spricht Gott in der Bibel? Überhaupt, ist Gott eine Person? -

Bewunderungswürdig ist die Knappheit und Klarheit der Antworten angesichts der Folianten, die zu diesen Themen bereits geschrieben wurden.

Der Jüngere gibt nicht nach. Er fragt, was unter Sünde zu verstehen sei. Was sollen Taufe und Konfirmation? Was ist der Sinn der kirchlichen Feste? Wozu überhaupt noch Kirche?

Hummel erweist sich in seinen Antworten nicht bloß als kluger Apologet dessen, was von der Tradition vorgegeben wird. Wenn erforderlich, räumt er auch mächtig auf. Vorstellungen, die er für überholt hält, werden abgewiesen. Das betrifft beispielsweise die Vorstellung von der Menschwerdung Gottes und Christi Tod als Sühnopfer für die Sünden der Menschen. Es betrifft auch das Glaubensbekenntnis in seiner herkömmlichen Form.

Man stelle sich einen Theologieprofessor vor, der ein Seminar über den Gottesbegriff hält. Ein Semester lang behandelt er die Frage, wie man heutzutage angemessen von Gott reden könne. Das hält ihn jedoch nicht davon ab, im akademischen Gottesdienst Formeln und Ausdrucksweisen zu gebrauchen, die dem, was er im Seminar gesagt hat, womöglich völlig entgegengesetzt sind.

Im zweiten Teil des Buches, unter dem Titel „Kritische Durchleuchtung des Apostolischen Glaubensbekenntnisses“, meint Hummel deshalb, an wesentlichen Punkten dem Glauben Widersprechendes feststellen zu können. Im ersten Artikel sei von einem Gott die Rede, der in einer „himmlischen Käseglocke über der Erdenscheibe“ throne, ein unzumutbares Gottesbild!

„Der zweite Artikel handelt von Jesus. Aber nicht, was er gesagt, getan, gelehrt und gelebt hat, bildet seinen Inhalt, sondern er wird als mythische Gestalt geschildert ... Nach Abzug der mythischen Beschreibungen bleibt als historisch gesicherte Information über sein Leben‚ gelitten, gekreuzigt, gestorben und begraben‘.“

Zusammenfassend stellt Hummel fest:

„Der zweite Artikel insgesamt ist also eine Festlegung auf den Mythos. Darum wird er der Bedeutung Jesu in keiner Weise gerecht. Vielmehr ist er das Kernstück der kirchlichen Irreführung der Gläubigen.“

Beim dritten Glaubensartikel mahnt Hummel an, dass aus evangelischer Sicht die Kirche kein Gegenstand des Glaubens sein kann:

„Ich kann nicht an die Kirche glauben. Schon gar nicht ist sie heilig. Sie ist eine menschliche Institution. Aber weil wir Menschen auf Gemeinschaft hin angelegt sind, ist sie eine notwendige menschliche Einrichtung. Damit ist sie aber kein Glaubensgegenstand, sondern eine menschliche Gestaltungsaufgabe.“

Viele der Formulierungen – sie werden alle aufgezählt – „sind geradezu kontraproduktiv: sie verbauen eher den Zugang zum Glauben an Gott, anstatt ihn zu öffnen.“

Man mag sich an den Jathostreit aus den Jahren 1905-1911 erinnert fühlen, als auch Adolph von Harnack in die Diskussion eingriff, nachdem sich der Kölner Pfarrer weigerte, das Apostolikum bei der Konfirmation zu sprechen. Dies sei „die Geheimreligion der Modernen, soweit sie noch ein Verhältnis zum Christentum haben“, wurde Jatho vorgeworfen. Der Marburger Philosoph Paul Natorp stand damals auf der Seite von Jatho. Auch mir sind in Marburg Personen bekannt, die das Apostolikum im Gottesdienst nicht mitsprechen bzw. die dem Gottesdienst gleich fernbleiben. (Zum Jatho- oder Apostolikumstreit siehe: Johannes Rathje, Die Welt des Freien Protestantismus, Stuttgart 1952, S.179-194)

So weit würde Hummel freilich nicht gehen. Ihm genügt es, die Diskrepanz aufgezeigt zu haben zwischen dem Wortlaut des Apostolikums und dem, was den Glauben in seinem Existenzvollzug ausmacht. Damit hat Hummel freilich ein Fass aufgemacht, dessen Sprudeln kaum mehr aufzuhalten ist. Im Gottesdienst gibt es mehrfach Formeln, die, entstanden vor Jahrhunderten und vielfach dem byzantinischen Hofzeremoniell entlehnt, ein Welt- und Gottesbild übermitteln, das intellektuell anstößig ist.

Kommunikationstheoretisch handelt es sich dabei um eine kognitive Dissonanz, die nicht verwechselt werden sollte mit dem paulinischen scandalum crucis, das freilich für den Glauben unverzichtbar ist. - Als ich einem Marburger Apostolikumskritiker vorhielt, er möge das Apostolikum doch nicht wörtlich, sondern symbolisch verstehen, sagte er mir: „Umso schlimmer!“ Die hier waltende Symbolik könne er gerade nicht teilen. - Sollte man dem Apostolikum also mit einer groß angelegten Aufräumaktion begegnen?

Diese Frage übersteigt den Rahmen einer Rezension. Gewiss wird man bei einem in Jahrhunderten entstandenen Gebilde wie dem Gottesdienst bei Veränderungen Vorsicht walten lassen müssen. Jeder Eingriff, selbst wenn er theologisch gut begründet ist, ist anthropologisch mit Verlusten verbunden, wenn Menschen mit starker Traditionsorientierung sich an solche Formen und Formulierungen gebunden fühlen. Andererseits muss auch der Gottesdienst reform- und zukunftsfähig sein. Selbst der römisch-katholischen Kirche ist es gelungen, mit dem 2. Vatikanischen Konzil von einer barocken Verehrungsfrömmigkeit den Gottesdienst auf die feiernde Gemeinde, als Communio um den Tisch des Herrn, umzulenken.

Doch Hummels Buch enthält noch viel mehr als bloß Apostolikumskritik. Seelsorgerlich einfühlsam und theologisch verantwortungsvoll wird über das Beten gesprochen. Dies mündet in einer Interpretation des Vaterunsers. Beim Singen wird der Autor sogar hymnisch. Kritik verbindet sich mit Kreativität. An Stelle des Aaronitischen Segens schließt Hummel mit den Worten:

„Gottes Friedenskraft
erfülle und belebe euch.
Sie bleibe bei euch
in der Hitze des Tages und in der Stille der Nacht.
Sie leite eure Gedanken
und lenke eure Schritte,
sie wirke in euren Worten und Taten
und senke sich tief in euer Herz.“

Artikelnachweis: https://www.theomag.de/95/hs17.htm
© Horst Schwebel, 2015