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Märchen und GeschichtenNotizen zu aktuellen Gute-Nacht-Geschichten über Kunst und KircheAndreas Mertin Das Themenjahr 2015 der Lutherdekade trägt das Motto „Bild und Bild“ und verführt manchen dazu, aus dem reichen Schatz der Märchen und Geschichten dieses kulturellen Begegnungsfeldes etwas zum Besten zu geben. Und reich an Mythen, Sagen, Fabeln und Anekdoten ist dieses Feld. Aber anders als Novalis dies noch vor 215 Jahren dachte und dichtete, erkennt man in Mährchen und Gedichten keinesfalls die wahren Weltgeschichten. Nur weil irgendwelche Sätze sich zu Stereotypen verdichtet haben (Ein Bild sagt mehr als 1000 Worte) oder oft genug besinnungslos wiederholt wurden (die Reformierten mögen keine Bilder), werden sie noch nicht wahr. Und gerade von evangelischen Theologen und Kirchenvertretern, die sonst so gerne von biblischer Lehre und Heiliger Schrift reden, die also das sola scriptura hoch und runter beten, dürfte man doch erwarten, dass sie im Themenjahr Bild und Bibel etwas mehr Sorgfalt auf ihre theologischen Argumente verwenden. Nicht zuletzt lutherische Theologen sind aktuell der Versuchung ausgesetzt, nicht auf das sola scriptura zu hören, sondern dem verführerischen Traditionsargument nachzugeben. Nichts, aber auch gar nichts spricht aus den Heiligen Schriften für die Alliteration „Bild und Bibel“ insofern man nicht unter „Bild“ gegen den Usus der Heiligen Schriften auch Sprachbilder versteht. Und nichts, aber auch rein gar nichts, spricht dafür, die durch die Heilige Schrift nicht gedeckte Einführung von Kultbildern im Christentum apologetisch durch ein Traditionsargument zu verteidigen: „das haben wir seit dem 3. Jahrhundert immer so gemacht“ oder in der verschärften Variante der lutherischen Orthodoxie: Das hat Martin Luther doch auch schon so gemacht. Da kann man nur mit Zwingli sagen: „Ich frag hie Lutern, uß welcher geschrifft die bilder nutzlich sin mögind bewärt werden? Uß heiliger?“ Spätestens seit der Emanzipation der Kunst aus dem Geist der Religion im Gefolge der Protorenaissance wurde deutlich, dass ihre unselige Allianz beide, Christentum und Kunst, in ihren Möglichkeiten extrem begrenzt hat. Was wir in diesem Jahr jedoch verstärkt lernen könnten, wäre auch die Möglichkeiten, die in der freien Kunst (als von Religion befreiter Kunst) stecken, wahrzunehmen und zu begrüßen. Die Emanzipationsgeschichte der Künste aus der Umklammerung der Religionen ist wenn sie auch von den Religionen nicht aktiv gefördert wurde auch eine Geschichte der Befreiung der Religion von falschen Bindungen. Wer aber heute noch Ausstellungen veranstaltet, die Titel tragen wie „Die Bibel im Bild“, „Das Kreuz in der Kunst“ oder wie sie auch immer fabuliert sein mögen, hat von der evangelischen Lehre über die Bilder nichts verstanden. Natürlich kann man kulturgeschichtlich deskriptiv schauen, wo in der Kunst die Bibel vorkommt. Man kann damit ganze Buchreihen füllen. In aller Regel geschieht das im Blick auf die Gegenwartskunst aber so, dass man wie die lila Kuh in der Milka-Werbung jemanden anschubst, um ihn zum gewünschten Verhalten zu bringen. In unserem Falle also Künstler fragt, was ihnen denn zur Bibel, zum Kreuz oder zu Martin Luther einfällt. Und dann den Künstler so lange schubst und schubst und schubst, bis das gewünschte Ergebnis auf dem Tisch liegt. Das hat mit Kunst als kulturgeschichtlichem Explorationsfeld überhaupt nichts zu tun. Es ist ein Missbrauch der Kunst. Genauso gut könnte man nach dem Bäckerhandwerk, den Philosophen, Dollarnoten, den Eichhörnchen oder der Schokolade in der Kunst fragen. In NuceAuch wenn diese Erkenntnis nun seit zwei Generationen klar ist, ist es wichtig, es noch einmal hervorzuheben: Die Geschichte Gottes im Bild ist in der Mitte des 19. Jahrhunderts zu Ende gegangen! Ein für alle Mal! Und auch die 1850 Jahre davor bedurfte es dieser Bilder nicht, war es Gott doch selbst, der sich entschied, nicht medial, sondern personal präsent zu werden.
„Bild und Bibel“ ist deshalb die knappste Zusammenfassung eines 3000-jährigen Missverständnisses, über das die jüdische Aufklärung bereits im 6. Jahrhundert v.Chr. historisch hinweggeschritten ist. Daher sei noch einmal, sozusagen kurz vor dem Ende des Themenjahres „Bild und Bibel“ darauf hingewiesen, wie eine verantwortungsvolle protestantische Sicht auf die Kunst in nuce aussehen könnte. [In ausführlicherer Version finden sich diese Gedanken online unter der Adresse http://www.reformiert-info.de/14030-0-12-2.html] Am Anfang war das BildVor 40.000 Jahren bestimmte sich der Mensch [homo sapiens] als kulturelles Wesen, indem er als erster auf der Erde begann, Bilder zu entwerfen und der Nachwelt zu überliefern, so dass man sagen kann: Bilder machten uns zu Menschen. Vor etwa 12.00 Jahren beginnen die Menschen im Zusammenhang mit ihrer Sesshaftwerdung Bilder auch in den religiösen Ritus zu integrieren und den religiösen Ritus durch Bilder zu strukturieren. In diese Entwicklung zeichnet sich auch das religiöse Leben in Israel und Juda nach 1.000 v.Chr. ein. Es gibt Bilder im religiösen Kult, im Nordreich Israel mehr als im Südreich Juda. Zwar gibt es vermutlich keine anthropomorphen (menschengestaltartigen) Bilder ihres zentralen Gottes, wohl aber Statuen und Stierbilder und in den Haushalten zahlreiche Figurinen.
Du sollst Dir kein Kultbild machen!Um 600 v.Chr. kommt es in Juda zu einer Kultreform, die sich kritisch zu den Bildern verhält und die Bildlosigkeit des eigenen Glaubens betont. Kurz darauf werden die Zehn Gebote formuliert, die aber noch kein Bilderverbot enthalten. Dieses wird erst nach den Erfahrungen der Zerstörung des Königreichs Juda und des babylonischen Exils formuliert und wird zum spezifischen Kennzeichen der jüdischen Religion. Geht Deuteronomium 4 noch davon aus, dass Götterbilder den anderen Völkern erlaubt und dem jüdischen Volk verboten sind, so setzen Deuteronomium 5 und Exodus 20 voraus, dass Götterbilder an sich sinnlos sind (weil sie von Menschen gemacht sind). Zielpunkt des Bilderverbots sind gegossene Götterbilder, nicht Bilder an sich. Es geht um die Kultpraxis. Erst später wird aus dem Kultbildverbot im JHWH-Kult ein allgemeines Götzenbildverbot.
Christus - die Befreiung der Bilder zur ProfanitätDas Neue Testament enthält keine neuen Bestimmungen zur Bilderfrage. Das wird im Christentum verschieden gedeutet: entweder ändert sich in der Bilderfrage gar nichts oder mit dem Kommen Jesu und der personalen Präsenz Gottes unter den Menschen ist das Bilderverbot aufgehoben. Zunächst hält sich das Christentum 200 Jahre an die erste Lesart, also die Befolgung des Bilderverbots, danach wird der Druck der römischen Umwelt so groß, dass nach und nach Bilder zu den Ausdrucksformen der Christen (aber auch der damaligen jüdischen Gemeinde) gehören. Bilder von der Kreuzigung entwickeln sich erst nach 400 n.Chr., vermutlich weil der Kreuzestod Gottes der nichtchristlichen Umwelt visuell kaum zu vermitteln war.
Der byzantinische BilderstreitNachdem sich das Christentum in aller Breite den Bildern zugewandt hatte, kommt es zwischen 726 und 843 zum so genannten byzantinischen Bilderstreit, in dessen Verlauf sich fast das gesamte Christentum um die theologische Bedeutung der Bilder streitet. Dabei entwickeln sich drei unterschiedliche, aber bis heute gültige, d.h. vertretene Positionen:
Spätestens seit 843 herrscht in der theologischen Beurteilung der Bilderfrage keine Einigkeit mehr im Christentum.
Der protestantische Bildersturm / Luther, Zwingli, Calvin und die Folgen für die BilderMit dem Beginn der Reformation kommt es vermehrt zu Bilderstürmen. Diese entzünden sich aber weniger an der Nichteinhaltung des 2. Gebotes, sondern daran, dass man sich mit Bildern quasi einen schnelleren Zugang zum Heil erkaufen kann (Stiftungsaltäre). In den evangelischen Bereichen werden daher Stiftungsaltäre entfernt (aber nicht alle zerstört). Durch die Bestreitung des Stiftungsgedankens kommt es in Nordeuropa zum Einbruch der Kunstproduktion. Die Künstler entwickeln nach und nach neue Themen in der Kunst. Ihnen kommt entgegen, dass nun die Bürger Bilder in ihren Privathaushalten aufhängen und so die Kunstproduktion wieder ankurbeln. Es sind nun Landschaftsbilder, Stillleben und Genreszenen die in den Häusern hängen. Der Anteil religiöser Motive in der Kunst nimmt dramatisch ab und erreicht im 20. Jahrhundert seinen niedrigsten Wert: nur noch vier von 100 Werken haben religiöse Motive.
Bild und Bilderverbot in künstlerischer PerspektiveDas Bilderverbot, so schreibt der Philosoph Theodor W. Adorno, „hat neben seiner theologischen Seite eine ästhetische. Dass man sich kein Bild, nämlich keines von etwas machen soll, sagt zugleich, kein solches Bild sei möglich.“ Man kann daher das Bilderverbot als Glutkern alles künstlerischen Schaffens in der Moderne begreifen. Anselm Kiefer hat ganz in diesem Sinne vor Jahren in einer Rede vor der Knesseth in Jerusalem gesagt: "Zwei Dinge waren bei meinen Arbeiten wichtig: zunächst der Satz - 'du sollst dir kein Bild machen', nicht als Verbot, sondern als Mahnung, dass es eigentlich unmöglich ist, ein Bild zu machen, und als Auftrag: gerade weil es eigentlich unmöglich ist, es dennoch zu tun. ... Das Bild lässt im Scheitern (und es scheitert immer) die Größe dessen aufleuchten, das es nicht erreichen kann ... Das zweite, das mir als Künstler immer bewusst ist: die Trennung ... Ich rede von ... den zwei Hälften eines Bildes, das nie mehr eins werden kann".
Bild und Bilderverbot in christlicher PerspektiveIm Blick auf die Gegenwart muss man, was die religiöse Haltung zu den Bildern betrifft, zunächst zwischen der Haltung zu religiösen Bildern und der zu säkularer Kunst unterscheiden. Was religiöse Bilder betrifft, so werden sie von den Reformierten unter Verweis auf das 2. Gebot weiterhin abgelehnt, von den Lutheranern und Katholiken (die das 2. Gebot dem Fremdgötterverbot untergeordnet haben) zur Vermittlung des Glaubens geschätzt und von den Orthodoxen als zwingend für den Glauben angesehen. In allen Konfessionen (mit Ausnahme der Reformierten) hat sich aber eine Sonderkultur der so genannten kirchlichen Kunst erhalten. Das ist ein Reflex darauf, dass seit der Mitte des 19. Jahrhunderts in den Werken des normalen Betriebssystems Kunst keine substantiellen religiösen Momente mehr vorkommen, weshalb sich eine eher kunsthandwerkliche Spezialkultur gebildet hat. Was die Wahrnehmung säkularer Kunst betrifft, so spielen die Konfessionen seit der Mitte des 20. Jahrhunderts so gut wie keine Rolle mehr. Der Umgang mit Kunst entscheidet sich an der Bildung des Betrachters, nicht an seiner Religion. Da über weite Zeiträume der Protestantismus eine Bildungsreligion war, waren die Protestanten auch historisch eher der Kunst zugeneigt. Der historische Fehler des Protestantismus war, dass er sein neues kulturelles Paradigma dass sich die Bedeutung der Kunst nicht im Kultraum, sondern in der Lebenspraxis der Christen erweist nicht zum Selbstbewusstsein erhoben und auch nicht öffentlich kommuniziert hat. Das müsste künftig nachgeholt werden.
Epilog: Bilderflut heuteIm Blick auf die Bilderflut in der Gegenwart wird in christlichen Kreisen gerne auf das 2. Gebot zur notwendigen Begrenzung der Bilder verwiesen. Das Bilderverbot hat aber mit der Bilderflut überhaupt nichts zu tun, denn es ist wie beschrieben nur ein Verbot von Kultbildern. Bilder, vor denen wir spontan auf die Knie fallen würden, gibt es heute nicht mehr (oder nur in Sonderkulturen). In unserer Lebenswelt spielen dagegen allgemeine Bilder eine große Rolle. Der Streit um die Deutung der Gegenwart ist ein Streit um die treffenden Bilder. Aber dieser Streit kann nicht mit Rekursen auf das 2. Gebot gelöst werden, sondern muss medienpädagogisch bzw. medienanthropologisch angegangen werden. Man kann dabei zwei völlig unterschiedliche Phasen der Rede von der Bilderflut unterscheiden: Eine kulturkonservative Phase, die in die 80er-Jahre des 20. Jahrhunderts datiert, und in den Neuen Medien selbst eine gefährliche, weil unkontrollierte Bildproduktion erblickte („Bilderflut und Bildverlust“). Tatsächlich gab es nicht wirklich eine Bilderflut im Sinne eines Tsunamis, sondern nur eine gesteigerte Medienpräsenz. Erst später gab es eine medientechnische Phase der Rede von der Bilderflut, die sich aus dem Problem entwickelte, wie man aus den Tausenden Fotos der eigenen Digitalkamera und den Milliarden Fotos in den sozialen Netzwerken noch so etwas wie eine Ordnung entwickeln kann. Der Bildordner auf meinem Desktop-PC verzeichnet etwa 28.661 Bilder. Niemand kann (und will!) darüber die Übersicht behalten. Es ist inzwischen einfacher, über die Netzwerke ein neues Bild zu suchen, als in den alten Beständen zu stöbern. Während ältere Leute (und Kirchenvertreter) immer noch die erste Frage traktieren, ist die Frage nach der Dialektik der Digitalisierung des Visuellen weiterhin aktuell und drängend. Letztlich ist aber auch dies nur eine Frage, die wir auch aus dem Bereich des Analogen und der Gutenberg-Galaxis kennen: es ist die Frage nach der Kanonisierung.
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Artikelnachweis: https://www.theomag.de/96/am510.htm |