Sakrale Inszenierungen

Eine Rezension

Andreas Mertin

Haepke, Nadine (2013): Sakrale Inszenierungen in der zeitgenössischen Architektur. John Pawson - Peter Kulka - Peter Zumthor. 1., Aufl. Bielefeld: transcript (Architekturen, 20).

Die Selbstverständlichkeit, mit der in der Gegenwart wieder über Sakralität und sakrale Räume gesprochen wird, steht in einem umgekehrten Verhältnis zum Wissen darüber, was Sakralität und sakrale Räume eigentlich in der Gegenwart sein sollen. Sakralität im Sinne des Heiligen, auf das man stößt, ist seit 100 Jahren problematisch geworden, während die simple architektonische Bezeichnung für Gebäude, die kirchlich im Rahmen des Gottesdienstes genutzt werden, z.B. angesichts der Beton-Bauten der 70er-Jahre nicht von jedem geteilt wird.

Deshalb ist es ein außerordentliches Verdienst der vorliegenden Arbeit, sich in systematischer und wissenschaftlicher Weise der Frage der sakralen Inszenierungen in der zeitgenössischen Architektur zu nähern. Die Herausforderung, die sich dem stellt, der dieses Thema angeht, wird schnell klar: „Sakral“ ist ein Begriff, der sowohl in der Fachsprache der Religionen wie der Architektur vorkommt. Und keinesfalls meint er dabei dasselbe. Zudem ist innerhalb der und zwischen den Religionen bzw. Konfessionen heftig umstritten, was eigentlich „sakral“ meint und ob es überhaupt so etwas wie „Sakralität“ geben muss. Umgangssprachlich dagegen ist der Sakralitätsbegriff noch wesentlich breiter angelegt. Daher macht es Sinn, grundsätzlich zu fragen, was denn in der Gegenwart im Blick auf die Architektur als „sakrale Inszenierung“ angesehen wird.

Das Buch „Sakrale Inszenierungen in der zeitgenössischen Architektur“ von Nadine Haepke teilt sich in vier große Abschnitte: zum ersten die Vorstellung der grundlegenden Fragestellung des Buches (21-53), zum zweiten die Untersuchung dessen, was man unter Sakralität, Inszenierung bzw. Sakraler Inszenierung verstehen könnte (57-100), zum dritten im Hauptteil Fallstudien sakraler Inszenierungen am Beispiel der Architekten Pawson, Kulka und Zumthor (103-310) und schließlich viertens die Zusammenfassung und Sicherung der Ergebnisse (313-330).

Im zentralen theoretischen Kapitel untersucht Haepke die grundlegenden Eigenschaften und Merkmale von „Sakralität“ und „Inszenierung“. Schon einleitend weist sie darauf hin, „dass sakrale Räume seit der Zeit der Aufklärung - und mit zunehmender Individualisierung - zugleich auch nicht mehr den Erfordernissen des Kultes oder der Kunst unterliegen, sondern sie mehr in Bezug auf die Erwartungen und Bedürfnisse derer hin konzipiert werden, für die sie architektonisch arrangiert sind“, was nicht zuletzt den „Bedeutungsverlust des Kultes im Sakralbau“ zeige, wohingegen die Bedeutung „der Inszenierung im Zusammenhang mit Sakralbauten zuzunehmen scheint“ (57). Dieser Beobachtung wird man nur zustimmen können. Ich vermute, dass der Bruch freilich schon in die Zeiten der Reformation datiert, als sich unterschiedliche theologische Konzepte des christlichen Kultes entstanden und massenwirksam verbreiteten. Auch wenn der Protestantismus kaum Kirchen neu gebaut hat, so hat er mit der Übernahme bis dahin katholischer Räume diese durch verschiedene Eingriffe umgestaltet und damit neue Ideen sakraler Gestaltung in Gang gesetzt (Stellung des Predigers im Raum, Ordnung von Altar und Kanzel etc.). Der Veränderung unterliegen aber nicht nur die religiösen Phänomene selbst, sondern auch die religiöse Sprache, wie Haepke zurecht erwähnt, weshalb Begrifflichkeiten wie „Kult“ oder „Ritus“ heute auch im außerreligiösen Kontext auftauchen und damit einen veränderten Sinn bekommen.

Grundlegungen

Im Folgenden stellt Haepke zunächst die grundlegenden Bestimmungen des Sakralen vor, fragt nach der Bedeutung leitender Begriffe im Kontext von Sakralität: Grenze und Übergang, Liminalität (Schwellenzustand) und Transformation, Ritual und Communitas. Zusammenfassend bestimmt sie Sakralität als Außeralltäglichkeit bzw. raum-zeitliche Absonderung vom Alltag:

Sakralität zeichnet sich unter architektonischem Gesichtspunkt in erster Linie dadurch aus, dass sie formal nicht bestimmbar ist. Ihr ist lediglich eine Ausgenommenheit eingeschrieben, die sich in die vier - eingangs aufgezeigten - Eigenschaften ... ausloten lässt: in 1.) der Absonderung der Stätte vom gewöhnlichen Gebrauch, 2.) in einer außeralltäglichen Repräsentation, die sich vor allem raumatmosphärisch und aufgrund einer besonderen Präsentation des Materials zu erkennen gibt, 3.) in der Absonderung als Raum für kultische Handlungen (das Ritual, die interessenlose Betrachtung usw.) zur Aufrechterhaltung der geweihten Stätte und 4) in einer zeitlichen, d. h. Vergänglichkeit evozierenden Absonderung, die zur Kontemplation und/oder Andacht aufrufen kann. (81)

Folgt man dieser Bestimmung, dann wird deutlich, warum etwa für die reformierte Tradition des Christentums Sakralität zur Bestimmung des religiösen Versammlungsraumes kaum in Frage kommt – sieht man von Einzelfällen wie Tandos Lichtkirche ab.

Das zweite konstitutive Element der Untersuchung ist die Inszenierung. Im Kontext der Architektur gewinnt Inszenierung einen besonderen Aspekt, darauf weist Haepke hin, weil es indizierte dass diese „gegenwärtig in einem gesteigerten Maß kommerziellen und kommunikativen Interessen folgt, weshalb Ästhetisierungen (getarnt als Inszenierungen) unseren Alltag weitestgehend bestimmen.“ (85) Darin, so fügt Haepke hinzu, „offenbart sich die Schwierigkeit, die sich hieraus für Kirchen ergibt, wenn sie sich nicht als werbewirksame, gebaute Bilder an ihre Gläubigen verkaufen wollen.“ (ebd.) Im Folgenden geht Haepke wieder den leitenden Begriffen des Inszenatorischen nach (Performanz und ephemere Präsenz; Erscheinung und Schein; Leiblichkeit und Einverleibung; künstlerischer Rauch und erhabenes Rauschen; Erlebnis- und Ereignisräume).

Außerordentlich hilf- und erkenntnisreich finde ich die Zusammenfassung der Ergebnisse ihrer diesbezüglichen Studien:

„Inszenierung beschreibt folglich einen - absichtsvoll auf Schein und Wirkung hin - arrangierten Produktionstypus an einem speziell ausgewählten Ort, dem die Dialektik von Gegenwart und Nicht-Gegenwart, Anwesendem und Abwesendem angehört, weshalb die Inszenierung auch die Unbestimmbarkeit (Negation) mit einschließt. Zudem kann sie nicht ohne einen Rezipienten gedacht werden, denn auf diesen zielt ihre Wirkungsintensität ab, für diesen ist sie en-scène-gesetzt und von diesem fordert sie als Antwort in Bezug auf das Geschehen quasi dessen ‚Einverleibung'. Als manipulatives Arrangement einer bestimmten „Erzeugungsstrategie" verfolgend, kennzeichnet die Inszenierung, dass ihr die Erscheinung wie die Täuschung (Illusion) gleichermaßen inhärent sind. Gehört ihr ein bloßer - leicht durchschaubarer - Schein an, handelt es sich um eine ästhetisierende, d.h. sich schnell verbrauchende Inszenierung. Kommt ihr dagegen die stets wiederkehrende und erneuerbare Erscheinung zu - die immer wieder in veränderter Form hervorgebracht wird - so handelt es sich um eine ästhetische Inszenierung, die in ihrer Extremform als künstlerisches Rauschen' nach Martin Seel erfahrbar ist. (95)

Und was bedeutet das für die Architektur? Dazu schreibt Haepke:

Auf die Architektur bezogen, finden sich Inszenierungen dort, wo Räume für die Wahrnehmung und Partizipation in-Szene-gesetzt werden, um den oder die Besucher aktiv in ein Geschehen oder Sinnen-Schauspiel einzubeziehen. Erst dieses Vermögen markiert die eigentliche szenische und architektonische Qualität bzw. ‚Kapazität‘, die sich wiederum durch eine Durchdringung aller den Raum mit konstruierenden Zufälligkeiten auszeichnet.(95)

Das dritte Moment, das Haepke als Bündelung der beiden vorhergehenden bestimmt, ist nun die „Sakrale Inszenierung“.

„Sakrale Inszenierungen" weisen als Erscheinungs- und Illusionsräume sinnbildlich und grundlegend über das hinaus, was sie darstellen und eröffnen eine Plattform zur Selbstfindung, für Gedanken und für die Beziehungen und Relationen, in die der Mensch eingewoben ist. Der sakral inszenierte Raum ist materielles Medium und fungiert als Bindeglied zwischen gegenwärtiger (materieller) und abwesender (geistiger) Welt. (97)

Fallstudien

Die Beispiele, die Nadine Haepke für ihre Studie genauer untersucht sind im Einzelnen

  • von John Pawson          (* 1949)
    • Das Haus M in NRW (2001-2003)
    • Das Trapistenkloster „Unser lieb Frauen“ in Novy Dvur (1999-2009)

  • von Peter Kulka            (* 1937)
    • Der Sächsische Landtag in Dresden (1991-1997)
    • Das Haus der Stille in Meschede (1999-2001)

  • von Peter Zumthor       (* 1943)
    • Die Felsentherme in Vals (1990-1996)
    • Die Bruder-Klaus-Kapelle in Wachendorf (1990-2007)

Ich brauche diese Fallstudien nun nicht im Einzelnen vorzustellen, dazu seien die Leserrinnen und Leser auf die vorbildliche Publikation von Haepke verwiesen. Sie führt in Genese und Durchführung der Bauten ein und zeigt auf, welche Überlegungen die Architekten bei ihren Entwürfen bestimmt haben. Zusammenfassend kommt Haepke zum Ergebnis:

„In der Betrachtung der Werke der drei Architekten fällt auf, dass sie im Zusammenhang mit der Inszenierung und dem Theatralen stehen und dass bei ihrer Planung die explizite Auseinandersetzung mit Religion und Spiritualität eine nicht unwesentliche Rolle gespielt hat ... Es konnte aufgezeigt werden, dass die Bauten gerade nicht durch bloße Leere bzw. vom ,Minimalismus' bestimmt sind, sondern vielmehr durch eine erfüllte Leere bzw. durch eine sinnlich-aufgeladene Fülle, von der eine unterschwellig manipulative Wirkung ausgeht. Im Rückbezug auf die vorgängig herausgearbeiteten Charakteristika, die mit dem Phänomen der „sakralen Inszenierung" in Verbindung zu bringen sind, ist der Mehrzahl der Gebäude darüber hinaus eigen, dass sie einerseits kontemplativ angelegt sind und sie andererseits den architektonisch zu erfahrenden Raum um reale und/oder imaginative Sinnesräume aufweiten. Im Rahmen der Auseinandersetzung mit dem Aspekt der „sakralen Inszenierung" zeigten die Analysen der Beispielbauten von Pawson, Kulka und Zumthor, dass sich „sakrale Inszenierungen" nicht allein an formalen oder materialspezifischen Aspekten festmachen lassen, ebenso wenig wie Fragen nach Raumspannung, Rhythmus und Raumerweiterung isoliert beantwortet werden können. Nur über eine Relation (Beziehung) des Besuchers zum Bauwerk scheinen „sakrale Inszenierungen" somit eine Wirksamkeit zu entfalten und überhaupt auch erst beschreibbar zu sein. (309)

Fazit

Insgesamt finde ich die Studie von Nadine Haepke deshalb so außerordentlich gewinnbringend, weil sie auf eine – im Untersuchungsgegenstand oft gegebene – Pathetisierung der Architekturen vollständig verzichtet und klar und deutlich auch die Grenzen sakraler Inszenierungen benennt. Gegen das oft wahrnehmbare Emotional Design beharrt sie darauf, dass die architektonischen Konstruktionen des außeralltäglichen Raumes nicht als Konstruktionen des Sakralen missverstanden werden dürfen, sondern in einem Zusammenspiel von Raum, Zeit, Ort und Betrachter zustande kommen.

Mit dieser Arbeit konnte dargestellt werden, dass „sakrale Inszenierungen" weder über die Form noch über einen Transfer von Stilelementen einer bestimmten Bauperiode erzeugt werden können. Hieraus erklärt sich insofern auch, warum jeglicher Versuch, das Sakrale allein an spezifischen baulichen ‚Elementen' festzumachen, scheitern muss. Ferner hat sich gezeigt, dass Rudolf Ottos Begriff des Numinosen als das ,ganz Andere' ..., der durch die Kontrastharmonie von tremendum et fascinans bestimmt ist, zu kurz greift, wenn es gilt, die Charakteristik der sakralen Inszenierung als räumlich konzipierte Außeralltäglichkeit zu bestimmen.(321)

Ich empfehle das Buch allen, die aktuell und künftig mit Bauprozessen in den Kirchen beschäftigt sind und/oder denen, die wissen wollen, ob und wie man auch im 21. Jahrhundert noch von Sakralem“ in der Architektur sprechen kann.

Artikelnachweis: https://www.theomag.de/96/am513.htm
© Andreas Mertin, 2015